SCHRIFTSTUDIEN
BAND
4 - DER
KRIEG VON
HARMAGEDON
Studie
6
Die
kirchliche Verwirrung Babylons vor dem höchsten Gerichtshof.
Die
wahre Kirche, dem Herrn bekannt, hat keinen Teil an den Gerichten Babylons. —
Die
religiöse Situation der Christenheit bietet der politischen Lage gegenüber
keinen hoffnungsvollen Unterschied. —
Die
große Verwirrung. —
Die
Verantwortlichkeit, die Verteidigung zu führen, liegt der Geistlichkeit
ob. — Der
Geist der großen Reformation tot. —
Priester
und Volk in derselben Lage. —
Erhobene
Anklagen. — Die
Verteidigung. — Ein
„Bund“ vorgeschlagen. —
Das
erstrebte Ziel. — Angewandte
Mittel. — Der
allgemeine Geist des Kompromisses. —
Das
Gericht, das über die religiösen Institutionen ergeht.
„Er
spricht zu ihm: Aus deinem Mund werde ich dich richten, du böser Knecht.“
- Luk. 19:22
Wenn
wir in diesem Kapitel das Gericht über die „Kirche“, das heißt die
große Namenkirche betrachten, so dürfen wir dabei nicht außer acht
lassen, dass es außerdem eine wahre Kirche Christi gibt, auserwählt und
köstlich, die Gott geweiht ist und an seine Wahrheit glaubt inmitten
eines bösartigen und verkehrten Geschlechtes. Die Welt kennt dieselbe als
Korporation nicht, die einzelnen aber, die ihr angehören, kennt der Herr,
der nicht nach dem Urteil, was vor Augen ist oder vom Ohr vernommen wird,
sondern Gedanken und Absichten des Herzens sieht und beurteilt. So sehr
sie auch zerstreut leben mögen, sei es ganz allein, sei es mit anderen
mitten im Scheinweizen, Gottes Auge findet sie stets. Sie wohnen unter dem
Schirm des Höchsten (sind geheiligt und gänzlich Gott geweiht) und
weilen im Schatten des Allmächtigen, während die Gerichte des Herrn über
alle Namenkirchen gehen, die sich mit Unrecht „christliche“ nennen.
(Psalm 91:1,14-16) Sie haben keinen Anteil an dem Gericht, das Babylon
trifft, sondern werden zuvor erleuchtet und von ihr abgetrennt. (Offb.
18:4) Von dieser Klasse handeln die Psalmen 91 und 46, und für ihre
Segnung und Erquickung sind sie geschrieben. Mitten aus der Schar der
formellen und unaufrichtigen Bekenner findet des Herrn wachsames Auge
seine wahren Jünger heraus, führt sie auf grüne Auen und zu frischen
Wassern und erquickt ihre Herzen durch seine Wahrheit und seine Liebe. Der
Herr kennt sie als die Seinen (2. Tim. 2:19), sie sind in seinen Augen die
wahre Kirche, das Zion, das sich der Herr selbst auserwählt (Psalm
132:13-16), und von dem geschrieben steht: „Zion hört es und freut sich,
die Töchter Judas frohlocken wegen deiner Gerichte, O Herr!“ (Psalm
97:8) Der Herr wird sie sicher führen wie ein Hirte seine Herde. Von
dieser Kirche unterscheidet sich die Namenkirche, welche allein der Welt
bekannt ist, und von welcher die Propheten unter verschiedenen
symbolischen Namen sagen, sie sei von der Gnade abgefallen und werde in
der Zeit der Ernte des Evangeliums-Zeitalters ins Gericht kommen.
Wie
die bürgerliche Gewalt in der Namenchristenheit in Verlegenheit und die Völker
dem Verzweifeln nahe sind, so erscheinen auch die religiösen Verhältnisse
keineswegs mehr als friedlicher und sicherer Zufluchtsort: denn das
Kirchentum von heutzutage ist in seinem eigenen Netze gefangen. Die große
Namenkirche, das Kirchenchristentum, hat der Welt Wind säen helfen und
wird daher mit ihr Sturm ernten. Die große Namenkirche hat lange genug
Menschensatzungen zu ihrer Lehre gemacht, und das Wort Gottes als einzige
Richtschnur für den Glauben und gottgefälligen Wandel zum großen Teil
nicht mehr anerkennend, keck untereinander unvereinbare und Gott
missfallende Lehren verbreitet und selbst den Rest Wahrheit, der ihr
verblieb, treulos verwaltet. Sie hat Christi Geist nicht gepflegt noch
gezeigt, sondern frank und frei sich vom Weltgeist durchdringen lassen.
Sie hat die Umzäunung der Schafhürden niedergerissen, die Böcke zum
Eindringen aufgefordert und selbst die Wölfe ermutigt, einzudringen und
ihr böses Werk zu vollbringen. Sie hat es gern gesehen, dass der Teufel
Scheinweizen unter den Weizen streute, und freut sich heute über die
Frucht dieser Saat, das blühende Scheinweizenfeld. Aus den wenigen noch
übrigen Weizenähren macht sie sich nichts, und jedenfalls ist ihr nicht
daran gelegen, dass der Scheinweizen den Weizen nicht hindere. Der Weizen
gilt nichts mehr auf dem „christlichen“ Markt, und das demütige, gläubige
Kind Gottes wird, wie sein Herr, von der Welt verachtet und verschmäht
und selbst im Hause derer, die es als Freunde anzusehen bereit war,
verletzt. Der Schein der Gottseligkeit ist an die Stelle des Wesens
derselben, und prunkvoller Gottesdienst an die Stelle der Anbetung im
Geist getreten.
Lange
Zeit schon lösen einander widersprechende Lehren die Kirche in zahlreiche
einander bekämpfende Richtungen und Sekten auf, deren jede den Anspruch
erhebt, die wahre, vom Herrn und den Aposteln gegründete Kirche zu sein,
und ihr Streit hat der Welt so verkehrte Begriffe von den Eigenschaften
und den Absichten unseres himmlischen Vaters gegeben, dass viele vernünftige
Leute sich mit Ekel abwenden, ihren Schöpfer verachten oder gar seine
Existenz zu leugnen suchen. Die römische Kirche, die das Dogma der
Unfehlbarkeit angenommen hat, erklärt es als Absicht Gottes, alle
Andersgläubigen im Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt, in alle
Ewigkeit zu quälen. Für andere kennt sie eine zeitlich beschränkte Qual,
das sogenannte Fegfeuer, von dem sie die Seele loslösen kann, gestützt
auf Bußübungen, Gebete, Fasten, Wachskerzen, Weihrauch und gutbezahlte
Seelenmessen. Sie leugnet mithin die Wirksamkeit von Christi Sühn- und
Opfertod und übergibt die Verfügung über die ewige Bestimmung des
Menschen spekulativen Priestern, welche den Himmel nach Belieben für
einen Mitmenschen auf- oder zuschließen können. Sie begnügt sich mit
der Form der Gottseligkeit und lehnt deren belebende Kraft ab; sie fördert
den Bilderkultus, statt in den Herzen ein erhabenes Bild des unsichtbaren
Gottes und seines lieben Sohnes, unseres Herrn und Heilandes aufzurichten.
Sie überträgt einer menschlich organisierten Priesterschaft die Führung
in der Kirche und setzt sich damit in direkten Widerspruch zu Matth. 23:8,
9: „Ihr sollte euch nicht Rabbi nennen lassen; denn einer ist euer
Meister, Christus, ihr alle aber seid Brüder. Und ihr sollt niemand Vater
heißen auf Erden; denn einer ist euer Vater: der im Himmel ist.“ In
Wahrheit, das Papsttum ist die vollendetste Nachbildung der wahren
Christenheit und verlangt dabei keck, als wahre Kirche zu gelten. (siehe
Band 2, Kapitel 9 und Band 3, Kapitel 3) Die Reformation warf einige
der Irrlehren des Papsttums um und führte viele aus dem Schoß der römischen
Kirche weg. Die Reformatoren machten auf das Wort Gottes aufmerksam und
legten das Recht des einzelnen dar, es zu lesen und auszulegen, und
erkannten damit notwendigerweise die Berechtigung eines jeden Kindes
Gottes an, auch ohne Ermächtigung der Bischöfe und Päpste zu predigen,
welche ohne jedes Recht als Nachfolger der zwölf Apostel gelten wollen
und deren Autorität beanspruchen. Aber schon bald darauf durchseuchte der
Geist dieser Welt das gute Werk des Protestes gegen die ungerechte,
antichristliche römische Kirche, indem die Protestanten neue Kirchen gründeten,
welche neben den Wahrheiten, zu denen sie leiteten, auch viele alte
Irrlehren weiter überlieferten und neue hinzufügten. Indes behielt jede
ein Körnchen Wahrheit. Das Resultat war eine Mischung von
widerspruchsvollen Glaubensbekenntnissen, die ebenso untereinander wie mit
der Vernunft und dem Worte Gottes unvereinbar waren. Sobald der
Forschungseifer der Reformationszeit erkaltete, bemächtigte sich dieser
protestantischen Kirchen eine Verknöcherung, und in diesem Zustand sind
sie geblieben bis auf den heutigen Tag. Die systematische Theologie, wie
sie das nennen, dieses Gebäude von Irrlehren, ist mit Aufwand von viel
Zeit und Gelehrsamkeit aufgebaut worden. Die Gelehrten haben dicke Bände
darüber geschrieben und deren Studium statt desjenigen des Wortes Gottes
empfohlen. Daher sind Predigerschulen gegründet und reich ausgestattet
worden, von denen junge Männer, nachdem sie die Irrlehren in sich
aufgenommen hatten, ausgingen, dieselben auch den Völkern beizubringen;
diese waren gewohnt, sie als berufene Diener am Worte Gottes, als
Nachfolger der Apostel zu betrachten, und nahmen ihr Wort an, ohne wie die
Leute in Beröa (Apg. 17:11) in den Tagen des Apostel Paulus, in der
Schrift nachzuforschen, ob sich das alles so verhielte.
Jetzt
aber ist die Ernte dieser Aussaat gekommen, der Tag der Rechenschaft
vorhanden, und beschämt und verwirrt steht die ganze Namenkirche, welche
Namen sie auch führen möge, und besonders die Geistlichkeit da, die an
diesem Tage des Gerichts in Gegenwart vieler Ankläger und Zeugen sich und
die Namenkirche zu verteidigen hat, und von der man erwartet, dass sie womöglich
ein Mittel finde, das, was sie die wahre Kirche nennt, vor gänzlicher
Vernichtung zu bewahren. Bei ihrer gegenwärtigen Verwirrung freilich und
beseelt von dem durch den Selbsterhaltungstrieb erzeugten Bestreben sich
zusammenzuschließen, haben sie aufgehört, ihre spezielle Richtung als
die allein wahre Kirche zu betrachten, und reden nun von verschiedenen
Zweigen der einen Kirche, trotz der sich widersprechenden Lehren, die
nicht alle gleichzeitig wahr sein können. In dieser schweren Stunde
vermisst man mit Schmerzen den heilsamen Geist der „großen
Reformation“. Der Protestantismus ist kein Protest mehr gegen den Geist
des Antichristen, gegen Welt, Fleisch und Teufel; seine dem Worte Gottes,
der Vernunft und unter sich selbst widerstreitenden Lehren sucht er vor öffentlicher
Untersuchung zu schützen. Seine dickleibigen theologischen Werke verzehrt
das Feuer des über die Namenchristenheit ergehenden Gerichtes. Seine
hervorragendsten theologischen Fakultäten sind Treibhäuser des
Unglaubens und verbreiten diesen überall wie eine Seuche. Seine „großen
Männer“, seine Bischöfe, seine Doktoren und Professoren der Theologie,
seine bedeutendsten und einflussreichsten Geistlichen in den großen Städten
führen die anvertrauten Herden zu einem verkappten Unglauben. Sie suchen
die Autorität und Inspiration der Heiligen Schrift zu untergraben und zu
zerstören, den darin geoffenbarten Heilsplan durch die menschliche
Evolutionstheorie zu ersetzen. Sie suchen sich der Kirche Roms zu nähern
und sie nachzuahmen, sie buhlen um ihre Gunst, preisen ihre Gebräuche,
schließen die Augen vor ihren Untaten und werden dadurch ihre Verbündeten
im Geiste. Sie stellen sich auch immer mehr in allem der Welt gleich,
indem sie deren Gepränge, das sie zu verschmähen behaupten, mehr und
mehr nachahmen. Man denke nur an die luxuriösen Kirchenbauten, an die
Ausstattung der „Gotteshäuser“, die daraus sich ergebende schwere
Verschuldung und das beständige Kollektieren, um dieser zu entrinnen. In
der Methodistenkirche in der Lindell Avenue in New York zum Beispiel ist
ein Basrelief von 46 Fuß Breite und 50 Fuß Höhe angebracht worden,
welches die Erhebung der heiligen Jungfrau auf den Thron darstellt. Die
Figuren sind alle lebensgroß. Zu oberst im Spitzbogen steht Maria
aufrecht, das Jesuskind im Arm, links und rechts verkünden Seraphim mit
der Posaune ihre Erhebung auf den Thron, und Scharen von Engeln mit
ausgestreckten Flügeln beten sie an. Unten steht zu beiden Seiten ein
Engel, eine Buchrolle tragend, auf der links geschrieben steht: „Friede
auf Erden!“, und rechts: „An den Menschen ein Wohlgefallen!“ Wie ist
da nicht nur das Gepränge, sondern selbst der Bilderdienst der römischen
Kirche eingedrungen! Dazu kommt, dass in einzelnen Kirchen Billardsäle
reserviert worden sind, dass einzelne Pfarrer den Ausschank leichter Weine
in der Kirche empfohlen, die Abhaltung theatralischer Aufführungen oder
gesellschaftlicher Spiele in den Kirchen gestattet haben. In vielen dieser
Dinge sind die Kirchengenossen willige Werkzeuge der Geistlichkeit
geworden, und diese hat sich als Gegenleistung offen und frei dem
Geschmack und den Wünschen weltlicher und einflussreicher Kirchengenossen
angepasst. Die Leute haben auf ihr Recht, selber zu urteilen, verzichtet
und ihre Pflichten vernachlässigt; sie haben aufgehört, in der Schrift
die Wahrheit zu suchen und über Gottes Gebot nachzudenken, um zu finden,
was Rechtschaffenheit ist. Sie sind gleichgültig, weltlich, lieben das
Vergnügen mehr denn Gott; sie sind vom Gott dieser Welt geblendet und
stets bereit, Lehren anzunehmen, welche sie in ihrer Weltlust und ihrem
Ehrgeiz nicht hindern, und die Geistlichkeit züchtet diesen Geist und
passt sich ihm an, da sie dabei ihren momentanen Vorteil findet. Denn
sollten diese „Kirchen“ untergehen, so wäre es um die Ämter und Würden
und Gehälter der sich selbst erhöhenden Geistlichen geschehen. Sie sind
daher jetzt ebenso besorgt um den Fortbestand der Namenchristenheit, als
es die Pharisäer und Schriftgelehrten und Gesetzesausleger zur Zeit Jesu
um die Erhaltung der jüdischen Religion waren, und zwar ganz aus
denselben Gründen. (Joh. 11:47, 48, 53; Apg. 4:15-18) Wegen ihrer
Vorurteile und ihres weltlichen Ehrgeizes sind die Namenchristen dem
Lichte der neuen jetzt aufgehenden Wahrheit gegenüber ebenso blind, wie
die Juden zur Zeit der ersten Gegenwart unseres Herrn es dem Lichte der
damals aufgehenden Wahrheit des Evangeliums gegenüber waren.
Die
schwersten Anklagen gegen die Namenkirche sind die Gefühle der
erwachenden Welt und der erwachenden Christen, mögen dieselben in oder außerhalb
der „christlichen“ Welt leben. Plötzlich, namentlich seit dem Jahre
1890, ist die Kirche der Bekenner der Kritik stark ausgesetzt, und mit
Forscherblicken schaut die ganze Welt auf sie. Diese Kritik kann von
niemand überhört werden, sie liegt geradezu in der Luft; man vernimmt
sie im Privatgespräch, auf der Straße, auf der Eisenbahn, in den Werkstätten
und Kaufläden; sie flutet durch die Tagespresse und ist beständig ein
Gegenstand der Besprechung in den leitenden Blättern weltlichen oder
religiösen Charakters. Die leitenden Männer in der Kirche sehen wohl ein,
dass diese Kritik für sie und ihre Einrichtungen nichts Gutes bedeuten
kann, dass man ihr schnell und weise (wie sie das verstehen) begegnen müsse,
wenn man ihre Kirchen vor dem Zusammenbruch, der ihnen droht, bewahren
wolle.
Die
erste Anklage, welche gegen die Namenkirche erhoben wird, ist die, dass
sie inkonsequent sei. Selbst die Welt sieht den himmelweiten Unterschied,
der zwischen der Bibel, der angegebenen Richtschnur für die Lehren der
Namenkirche, und den Glaubenssätzen dieser letzteren besteht, die
einander widersprechen und in mancher Hinsicht durchaus verwerflich sind.
Die gotteslästerliche Lehre von der ewigen Qual wird mit Hohn zurückgewiesen
und vermag nicht mehr wie ehedem durch das Mittel der Furcht die Menschen
der Kirche zuzutreiben. Vor gar nicht langer Zeit erging über die
Presbyterianerkirche und andere kalvinistische Religionsgemeinschaften und
ihre überlieferten Glaubensartikel ein Sturm der Kritik, der sie aufs
schwerste erschütterte. Jedermann erinnert sich der langen Verhandlungen
und der verzweifelten Anstrengungen, die die Geistlichkeit machte, ihre
Lehre zu verfechten. Dies ist eine schwere, schwere Aufgabe, und die
Geistlichen wären sie gern los, aber sie kommen daran nicht vorbei,
sondern müssen sich ihrer nach besten Kräften entledigen. Was sie dabei
im allgemeinen empfinden, zeigt ein Ausspruch von Rev. de Witt Talmage,
welcher bei der Diskussion dieser Frage einmal sagte:
„Ich
wollte, dieser Streit über das Glaubensbekenntnis wäre nie
heraufbeschworen und der Kirche aufgedrängt worden; so aber, wie die
Dinge nun liegen, sage ich: Fort mit dem Streitgegenstand und einen neuen
Glauben her!“ Bei anderer Gelegenheit sagte derselbe Geistliche: „Ich
erkläre ein für allemal all diesen Streit in der ganzen Christenheit als
Teufelswerk. Es ist ein Versuch des Teufels, die Kirche zu sprengen, und
wenn ihm nicht gewehrt wird, so wird die Bibel schließlich so verachtet
werden wie ein alter Kalender, der über das Wetter längst vergangener
Tage und den besten Moment, Rüben zu pflanzen, Auskunft gibt. Welche
Stellung sollen wir in diesen Streitereien einnehmen? Beiseite stehen!
Derweil diese religiösen Meutereien draußen tosen, zu Hause bleiben und
seine Geschäfte verrichten! Kann man von einem 5-6 Fuß großen Menschen
erwarten, dass er durch einen Ozean von 1.000 Fuß Tiefe wate? Die jungen
Leute, die jetzt ins Amt treten, geraten in den dicksten Nebel, der je
eine Küste bedeckt. Die Fragen, über die sich die Gelehrten jetzt
herumstreiten, werden erst nach dem Tag des Gerichts gelöst werden.“
Mit
dieser Äußerung trifft de Witt Talmage den Nagel auf den Kopf. Ja der
Tag nach dem Tage des Gerichts wird alle diese verwirrenden Fragen lösen
und Wahrheit und Gerechtigkeit auf Erden zur Herrschaft bringen!
Die
Schwierigkeit der Aufgabe der Geistlichkeit in diesen Streitfragen und die
Furcht vor dem schließlichen Ausgang fand einen nicht minder deutlichen
Ausdruck in einer Resolution, welche eine Versammlung von Presbyterianern
in Chicago fasste:
„Wir
sehen mit Bekümmernis die Streitfragen, welche jetzt unsere liebe Kirche
entzweien, ihren Ruf, ihren Einfluss und ihren Nutzen schwer schädigen
und beeinträchtigen und geeignet sind, mit der Zeit nicht nur das Werk
unserer eigenen Kirche, sondern unsere ganze Christenheit zu vernichten.
Wir möchten daher hiermit unsere Brüder aufs dringendste ersuchen, dass
sie einerseits bei der Prüfung neuer Glaubenssätze nicht voreilig ihren
Einfluss im Sinne der Unterdrückung ehrlichen und ehrerbietigen Forschens
nach Wahrheit geltend machen, dass sie aber andererseits sich selbst der
Weiterverbreitung noch unbewährter Lehren enthalten möchten. Namentlich
sind Fragen zweifelhaften Wertes, besonders wenn sie geeignet sind, den
Glauben der Ungebildeten an die Heilige Schrift zu erschüttern, beiseite
zu lassen. Waffenruhe und Feuereinstellen ist es, was unsere Kirche jetzt
am meisten bedarf, und was ihre Interessen und ihr Werk am besten fördert.“
In
einem Bericht über die erwähnte Versammlung bemerkte das „Presbyterianer
Banner“:
„In
einem Kranken- oder Irrenhause mag eine Störung, ein Alarm dem einen oder
anderen einen tödlichen Schreck verursachen. In einer Anstalt dieser Art
leistete sich eine Zeitlang ein älterer Mann das Vergnügen, die
aufgehende Sonne täglich mit Trommelwirbel zu begrüßen. Schließlich
ward er ersucht, sein Instrument nur in einiger Entfernung der Anstalt zu
schlagen. Dies zeigt so recht, warum ernsthafte Pastoren böse werden,
wenn ihre Kirche gestört wird. Die Kirche ist gleich einem Spital, in dem
sündenkranke Menschen untergebracht sind, die, bildlich gesprochen,
fieberleidend, aussätzig, lahm, schwer verwundet und halbtot sind. Eine
Störung, wie sie in den gegenwärtigen Streitereien ob den von einigen
Predigerschulen ausgehenden Lehren liegt, mag einige Seelen vernichten,
die jetzt schon eine Krisis durchmachen müssen. Wird Prof. Briggs nun
wohl leise auftreten und seine Trommel weglegen?“
Die
zweite Anklage liegt im Mangel an Frömmigkeit und Gottseligkeit. Die
Namenkirche erhebt zwar Anspruch auf diese Eigenschaften, aber nur wenige
wahrhaft fromme Seelen finden sich in ihrem Schoße. Scheinwesen und
Heuchelei herrschen vor; Hochmut und Geldstolz lassen deutlich merken,
dass der Arme in den Gotteshäusern nicht willkommen ist. Die Massen haben
das gefühlt und in ihre Bibel geschaut, um zu suchen, ob das wohl der
Geist des großen Gründers der Kirche sei. Dann fanden sie, dass einer
der Beweise für seine göttliche Sendung gerade der Umstand war, dass den
Armen das Evangelium gepredigt werde, und dass er zu seinen Jüngern sagte:
„Arme habt ihr allezeit bei euch“, sowie, dass seine Jünger keinerlei
Bevorzugung für die Leute mit Fingerringen, schönen Kleidern usw. zeigen
sollten. Sie haben die goldene Regel gefunden und das Benehmen der Kirche
als ganzes und das ihrer Glieder persönlich danach geprüft. Im Lichte
der Bibel mussten sie es sofort herausfinden, dass die Kirche von der
Gnade gefallen sei. Dieser Schluss drängt sich so mächtig auf, dass
selbst die Verteidiger der Kirche beschämt dastehen.
Die
dritte Anklage besteht im Hinweis darauf, dass die „Kirche“ das, was
sie als ihre Aufgabe bezeichnet, die Gewinnung der Welt für Christum,
nicht zu vollbringen vermocht hat. Es ist rein unerfindlich, wie die Welt
entdeckt haben sollte, dass das (angebliche) Werk der Kirche demnächst
seiner Vollendung um einen großen Schritt näher gebracht werde, und
dennoch geht heute, am Ende des Evangeliums-Zeitalters diese Erwartung
durch die Welt, genau wie man am Ende des jüdischen Zeitalters großen Änderungen
entgegensah. (Luk. 3:15) Die Menschen merken, dass wir in einer Übergangszeit
leben, und der Anbruch des 20. Jahrhunderts gilt vielfach als der Moment
großer, revolutionärer Änderungen. Dieser Unruhe gab Prof. Henry Grady
in einer Ansprache, die er vor den Hochschulgesellschaften in
Charlottesville hielt, kräftigen Ausdruck:
„Wir
stehen“, sagte er, „gegenwärtig im Tagesanbruch. Die Fixsterne
schwinden allmählich am Firmament. Ungewisses Zwielicht umfließt uns.
Seltsame Bilder haben wir aus der Nacht mitgebracht. Die wohlbegründeten
Wege sind verschwunden, neue Straßen verwirren uns, weites, offenes Feld
breitet sich vor unseren Blicken aus, soweit wir sehen können. Unruhig
gehen wir in der Dämmerung hin und her; die Verwirrung ruft den Zweifel
hervor, und selbst auf den üblichen Pfaden werden die wandernden Scharen
angehalten, und aus dunklen Ecken rufen die Schildwachen: „Wer da?“ In
dieser Morgendämmerung sind furchtbare Kräfte an der Arbeit. Nichts mehr
ist fest, nichts mehr gilt als unumstößlich. Die Wunder der Gegenwart
stoßen die einfachen Wahrheiten der Vergangenheit um. Die Kirche sieht
sich von außen belagert, von innen verraten. In Hofräumen raucht bereits
die Fackel der Empörer und erhebt sich der Galgen der Anarchisten. Die
Regierung ist das Kampfobjekt der Partei, die Beute der Sieger, die ihre
Machtstellung sich zunutze machen. Der Handel wehrt sich verzweifelnd
gegen die Monopole und die Fesseln, die ihm angelegt werden sollen. Die Städte
schwellen an, das offene Land entvölkert sich. Pracht wohnt in den Palästen
und Schmutz in den Hütten. Die allgemeine Brüderlichkeit schwindet, und
die Menschheit zerfällt in Klassen. Im Dickicht zischt die Schlange des
Nihilismus, und längs der Landstraße tost das Meer der unzufriedenen
Volksmassen.“
Die
Kirche kann nicht leugnen, dass der Tag des Endes, der Tag der Abrechnung,
nun da ist. Ob sie die Zeit im Lichte der Weissagung erkennt oder nicht,
tut wenig zur Sache; die Tatsache des Gerichts drängt sich ihr auf, und
dieses wird noch vor Ende der Erntezeit vollzogen sein. Die Kirche merkt,
dass aller Welt Augen auf sie gerichtet sind, dass alle Welt es
herausgefunden hat, dass sie ihre angebliche Aufgabe, die Welt zu bekehren,
nicht gelöst hat, obschon die Zeit vorhanden wäre, wo sie dieselbe ganz
oder doch zum größten Teil gelöst haben sollte, dass sie von der Welt
sich nur durch das Bekenntnis unterscheidet. Die falsche Auffassung, die
sie von ihrer Aufgabe hat, beruht auf Missverständnis; sie hat den Zweck
des Evangeliums-Zeitalters aus den Augen verloren, der darin besteht, dass
das Evangelium vom Reiche Gottes in der ganzen Welt verkündigt werde zu
einem Zeugnis für alle Völker, und darin, zu helfen, dass die „kleine
Herde“ berufen und vorbereitet werden könne, mit dem Herrn das Tausendjährige
Reich zu bilden, in welchem gesegnet werden sollen alle Geschlechter auf
Erden. (Matth. 24:14; Apg. 15:14-17) Sie sieht sich vor die Tatsache
gestellt, dass sie heute, nach Ablauf von 18 Jahrhunderten, weiter von dem
Ziele, das sie sich gesteckt hat, entfernt ist als am Ende des ersten
Jahrhunderts. Darum entschuldigt und verteidigt sie sich jetzt; sie überzählt,
was sie geleistet hat, rechnet die Summe noch einmal zusammen, stellt „Tatsachen“
fest und gefällt sich selbst in der Ankündigung großer Taten, die in
kurzer Zeit ihr Werk zur Vollendung führen werden, denn der Geist der
kritischen Forschung unterwirft sie einem Kreuzverhör und zwingt sie
angesichts ihrer zahlreichen Ankläger, sich zu rechtfertigen, was sie
freilich umsonst versucht.
Sie
ist in großer Verlegenheit, wie sie der Beschuldigung, dass ihre Lehre
mit der Bibel nicht übereinstimme, begegnen soll; denn sie kann nicht
leugnen, dass es untereinander sich widersprechende Glaubenssätze gibt.
Sie nimmt ihre Zuflucht zu verschiedenen Methoden der Erklärung, die für
denkende Leute ebenso viele Beweise ihrer großen Verlegenheit sind. Jede
Richtung hält ängstlich an den überlieferten Glaubenssätzen fest, weil
diese allein die einzelnen Kirchen zusammenhalten; die Aufhebung dieser
Glaubenssätze würde daher die sofortige Auflösung der
Religionsgemeinschaften zur Folge haben. Doch reden die Geistlichen so
wenig als möglich darüber, weil sie sich innerlich dieser Sätze schämen,
da nun das durchdringende Licht dieses Tages des Gerichts darauf fällt.
Die einen gehen dabei so weit, dass sie auf die Gefahr, benachteiligt zu
werden, alle Sätze ohne Ausnahme verwerfen; andere halten es für klüger
und richtiger, die Sätze allmählich fahren zu lassen und durch neue zu
ersetzen, sie zu verbessern, zu revidieren usw. Jedermann weiß, welch
eine Diskussion sich bei der Durchsicht des presbyterianischen
Glaubensbekenntnisses erhob. Ebenso bekannt sind die Versuche der
sogenannten höheren Kritik, der Heiligen Schrift die Autorität und göttliche
Eingebung zu nehmen, und an ihre Stelle die Inspiration des 19.
Jahrhunderts zu setzen, oder die sogenannte Evolutionstheorie, welche den
von der Bibel berichteten Fall Adams leugnet und daher den göttlichen
Plan zum Loskauf von diesem Fall auf den Kopf stellt. Eine dritte
zahlreiche Klasse von Geistlichen empfiehlt eine eklektische oder
Kompromiss-Theologie, die dank ihrem geringen Umfange und ihrer
Weitherzigkeit, allen Einwendungen von Christen und Heiden ausweichen könnte
und womöglich alle sozusagen unter einen Hut bringen sollte. Viele machen
viel Aufhebens von großen Dingen, die mit Hilfe neuer kürzlich in Tätigkeit
gesetzter Kräfte verrichtet werden sollen, in deren Zentrum die
Vereinigung aller christlichen Namenkirchen steht; wenn diese erreicht sei,
was, wie sie sagen, nicht mehr lange auf sich warten lasse, so werde die
Belehrung der Welt zum Christentum, so meinen sie, alsbald folgen.
Der
Beschuldigung, es an Frömmigkeit und gottseligem Wandel fehlen zu lassen,
begegnet die Namenkirche ebenfalls mit Prahlereien, indem sie sich „mancher
herrlichen Werke“ rühmt, die oft an den Matth. 7:22, 23 verzeichneten
Tadel des Herrn erinnern. Allein mit dieser Ruhmredigkeit ist Babylon
nicht geholfen; denn sie dient zu handgreiflich zur Verhüllung der
Tatsache, dass es der Kirche am Geist des göttlichen Gebotes der Liebe
fehlt, sie macht mithin nur die kläglichen Zustände in der gefallenen
Kirche ersichtlicher. Wäre dieses große kirchliche System wirklich die
wahre Kirche, wie wäre da der Fehlschlag der Absicht Gottes, sich ein
Volk nach seinem Namen zu erwählen, offenbar!
Allein
die maßgebenden Persönlichkeiten in der Kirche geben sich darüber
absolut keinen Illusionen hin, dass ihre Rechtfertigungsversuche, ihre
Versprechungen und ihre Ruhmredigkeit sie so lange nicht schützt, wie
ihre Zersplitterung andauert. Auflösung und Untergang drohen der Kirche -
sie sehen es wohl - binnen kurzer Zeit, falls sie ihre verschiedenen
Abteilungen nicht vereinigen kann, um der Welt gegenüber mehr zu gelten
und ihren Einfluss auf die Welt zu kräftigen. Darum hört man oft von
einer Union aller Christen reden, und was etwa in dieser Richtung
geschieht, wird sofort als Wachstum im Geiste der Liebe und der Nachfolge
Christi ausposaunt. Aber der Geist der Liebe und die Nachfolge Christi
haben mit dieser Bewegung sehr wenig zu schaffen; die Furcht ist es, die
ihr gerufen hat, die Furcht vor dem geweissagten Sturme der Entrüstung
und des Zornes, der nahe bevorsteht und dem keine „Kirche“ allein zu
begegnen sich getraut. Daher die auf Zusammenschluss gerichteten
Bestrebungen! Wie aber die widerspruchsvollen Lehren vereinigen? Der eine
schlägt vor, zunächst nur den Zusammenschluss derjenigen zu versuchen,
deren Lehren am wenigsten voneinander abweichen, etwa der verschiedenen
Zweige von Presbyterianern, Baptisten, Methodisten, Katholiken usw., und
damit von da aus den weiteren Zusammenschluss dieser zu suchen. Der andere
will für die Idee des Zusammenschlusses bei den Massen Propaganda machen,
Gleichgültigkeit der Lehre gegenüber verbreiten und das Hauptgewicht auf
gemeinsame Betreibung „christlicher“ Werke legen, an denen sich alle
sittlich denkenden Menschen beteiligen sollten.
Es
sind meist junge Männer, welche das letztere ernstlich empfehlen. Überhaupt
ist in der Jungmannschaft die Neigung für einen solchen Zusammenschluss
größer, weil sie manche heiße Schlacht der Vergangenheit nicht
miterlebt hat und für sie viele strittige Lehren, wie die, welche die
Vorherbestimmung, die freie Gnade usw. betreffen, nicht mehr in Betracht
kommen. Aus ihren Kinderjahren bringen sie nur die unter dem Einfluss Roms
und der Finsternis der Vergangenheit entstandene Lehre von der ewigen
Verdammnis mit, welche alle die treffen soll, die im gegenwärtigen
Zeitalter das Evangelium nicht hören oder nicht annehmen, sowie vom Zweck
des Evangeliums, die Welt im gegenwärtigen Zeitalter zu bekehren und vor
der ewigen Qual zu bewahren. Das bezwecken die christlichen Jünglings-
und Jungfrauenvereine, die Gesellschaften für Verbreitung des
Christentums, für Hebung der Sittlichkeit, die „Königstöchter“, die
Heilsarmee usw. Diese Vereine und Gesellschaften haben allerdings Eifer für
Gott, aber nicht nach Erkenntnis; ihr großer Fehler liegt darin, dass sie
ihre eigenen Pläne verfolgen, welche, so wohlwollend und so weise
dieselben in den Augen der Menschen auch sein mögen, notwendigerweise
fehlschlagen müssen, da sie der göttlichen Weisheit ermangeln und dem göttlichen
Plane nicht entsprechen, der allein mit Erfolg gekrönt werden wird. Es wäre
für die wahren Christen unter ihnen von großem Segen, wenn sie den göttlichen
Plan erkennen könnten, der jetzt auf die Auswahl der kleinen Herde der
Heiligen und alsdann auf die Hebung (Segnung) der Welt durch diese vollzählige
erhöhte und als Christi Miterben tausend Jahre herrschende kleine Schar
abzielt. Könnten sie dies erkennen, so würde oder müsste es die
Aufrichtigen unter ihnen heiligen; in der Minderzahl würden sie freilich
bleiben, denn die Mehrzahl derer, die solche Vereine bilden, tun dies aus
verschiedenen Gründen, die mit der vollständigen Hingabe an Gott und dem
Dienst an seinem Werk „bis in den Tod“ nichts gemein haben.
Für
die jungen Leute, welche die Kirchengeschichte, und was sie lehrt, und die
Verschiedenheit der Lehren nicht kennen, hat die Idee des
Zusammenschlusses etwas Bestechendes. Sie meinen, die Lehre sei an den
Zwistigkeiten der Vergangenheit schuld, und wollen daher den
Zusammenschluss ohne Lehre versuchen. Aber sie übersehen, dass in der
Vergangenheit alle Christen diesen Zusammenschluss erstrebten, genau wie
gewisse Leute heutzutage, aber sie erstrebten den Zusammenschluss auf der
Grundlage der Wahrheit; einen anderen Zusammenschluss wollten sie nicht.
Ihr Verhalten wurde bestimmt durch die Vorschriften: „Kämpfet um den
einmal den Heiligen überlieferten Glauben“, und „habt nicht
Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie
vielmehr“. (Judas 3; Eph. 5:11) Viele übersehen eben heutzutage, dass
es gewisse Lehren gibt, die für den wahren Zusammenschluss unter wahren
Christen -- einen gottwohlgefälligen Zusammenschluss - unentbehrlich sind,
dass der Irrtum der Vergangenheit in der vorurteilsvollen Bevorzugung
menschlicher Glaubenssätze lag, welche deren Erprobung und Verbesserung
an der Hand des Wortes Gottes unmöglich machte. Daher ist der in
Vorschlag gebrachte und erstrebte Zusammenschluss, insofern er die Lehre
der Bibel verwirft, und umso fester an den menschlichen Lehren von der
ewigen Qual, von der Unsterblichkeit usw. festhält und insofern er
menschliches Urteil zur Richtschnur für sein Verhalten und seine Ziele
nimmt, ein sehr gefährliches Ding. Er wird zu Irrlehren führen, weil er
die Lehre Christi und die Weisheit von oben verwirft und sich statt dessen
auf die Weisheit derer stützt, die ihn zu bewerkstelligen suchen, welche
aber eitel Torheit ist, wenn sie mit göttlichen Methoden im Widerspruch
steht. „Die Weisheit ihrer Weisen wird vergehen.“ - Jes. 29:14
Andere
Vorschläge gehen von fortschrittlichen (?) Geistlichen und Laien aus. Sie
bezwecken, Charakter und Aufgabe der Kirche für die nächste Zukunft den
Anschauungen der Welt noch näher zu bringen, als sie es schon sind. Damit
soll die unwiedergeborene Welt in die Kirche hineingezogen und zu großen
finanziellen Opfern ihr gegenüber angeregt werden; dazu bedarf es der
Beschaffung von Unterhaltungen und Vergnügungen. Wie viel wahre Christen
haben diese Bestrebungen nicht schon abgestoßen, ob dieselben in ihrer
Stadt oder anderswo sich geltend machten! Ein besonders frappantes
Beispiel vom Abfall bietet die Methodistenkirche, deren Geschichte von
einem Geistlichen derselben in einem Methodistenblatte Nordamerikas „Nordwestern
Christian Advocate“ bis auf ihren gegenwärtigen Zustand verfolgt worden
ist. Der Geistliche schreibt unter anderem:
„Die
Lehre von der „Wiedergeburt“, auf welche die Methodisten großes
Gewicht legten, wirkte wie eine neue, unerhörte Botschaft und trug Frucht,
auf welche selbst Weltleute und Irreligiöse mit Zustimmung blickten. Denn
diese forderte nicht nur eine Änderung des Herzens, sondern auch eine
solche des täglichen Lebens, damit ein Methodist schon an seinem
Verhalten leicht von einem Weltkind unterschieden werden könne. Ferner
trug zu der Entwicklung der Methodistenkirche der Umstand bei, dass ihre
Gottesdienste keinerlei Formenkenntnisse von den Zuhörern verlangten,
dass das gewöhnliche Volk dabei willkommen geheißen ward, welchem damit
gedient war, seine Gebete zum Allmächtigen richten zu können, ohne dass
ein anderer als Mittler diente. Das entsprach seinem Verlangen nach
Selbstachtung und Freiheit. Ein weiterer Grund für das Gedeihen der
Methodisten lag darin, dass sie die Geißel, die der Herr aus Stricken
gefertigt hatte, zu gebrauchen und das Heiligtum von Unwürdigen zu säubern
verstanden. Diese Säuberungen reinigten jeweils gleichsam wie ein
Gewitter die Atmosphäre und machten es selbst dem Spötter ersichtlich,
dass Zugehörigkeit zur Kirche etwas bedeute. Ebenso trug der Charakter
der Geistlichen jener Zeit viel zur Ausbreitung der Methodisten bei. Der
Einfluss von Männern, die vom Gedanken durchdrungen waren, dass sie hier
keine bleibende Stätte haben, die fürs Greisenalter nichts zurücklegten,
die auf schriftliche Anstellungs- und Besoldungsverträge verzichteten,
wonach die Menschen am meisten gelüstet, musste sich überall als ein großer
erweisen. Endlich machten die Lieder, in welchen die Kirchenmitglieder die
Hauptwahrheiten sangen, einen tiefen und bleibenden Eindruck auf die Zuhörer.
„Allein
dieses alles sind nun veraltete Mittel. An der Vorbedingung der
Wiedergeburt wird tatsächlich nicht mehr festgehalten, weil man gesehen
hat, dass sie viele gute Leute vom Anschluss an die Kirche abschreckte,
und dass manche ihre Christenpflicht auch sonst tun. Die Geistlichkeit,
wenigstens die der großen Gemeinden, ist zu gut erzogen, um auf der
Heiligkeit, wie sie unsere Väter verstanden, zu beharren, und verkündet
jene weitherzige Heiligkeit, die vom Mitmenschen nichts Schlechtes denkt,
auch wenn er nicht geheiligt ist. Mit der früheren, engherzigen
Auffassung wäre des Verbleibens der Geistlichen in leitenden Kreisen
nicht mehr. Die Einfachheit und Schlichtheit des Gottesdienstes haben in
den kunstsinnigen Kreisen städtischer Gemeinden einem wohleinstudierten,
vornehmen Ritual Platz gemacht. Die Vortrefflichkeit dieses Wechsels
anfechten, hieße den Vorrang, den die Kultur vor der Unkultur hat, in
Zweifel ziehen. Die Säuberung der vergangenen Zeiten war sicher am Platze,
solange die Kirche gleichsam in einem Versuchsstadium sich befand. Damals
war übrigens wenig zu verlieren. Jetzt aber weigern sich kluge Männer,
das Wohlergehen einer an Gütern und Einfluss reichen Kirche durch bigotte
Anwendung des Gesetzes aufs Spiel zu setzen, die die Reichen und
Gebildeten stoßen könnte. Die Leute mögen unbeugsam sein, das
Evangelium ist es nicht. Die Kirche ist da, die Menschen zu retten, nicht
sie auszustoßen oder sie zu entmutigen. So haben unsere modernen,
weitherzigen Anschauungen die engherzige, selbstgerechte Auffassung verdrängt,
dass wir besser seien als andere Leute und diese von unserer Kirche
fernhalten müssten. Die Geistlichkeit unserer Tage endlich, die auf höherer
Kulturstufe steht, befolgt mehr als je in der Vergangenheit das Gebot des
Meisters: „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“
Welcher Geistliche wäre heutzutage noch so närrisch, wie es die Prediger
der ersten Zeit waren, dem reichsten Kirchenangehörigen, Der auf einem
großen Fuße, zu sagen, er solle alles für Gott und das Wohl der
Menschheit verkaufen, sein Kreuz aufnehmen und Christo nachfolgen? Er könnte
betrübt hinweggehen - der Geistliche, meine ich.
„Freilich
darf bei dieser vom Gesetz der Evolution und des Fortschrittes geleiteten
Entwicklung der Dinge nichts zu schnell oder zu umstürzlerisch
vorgenommen werden. Das sind Klippen, welche die modernen
Methodistenprediger meist glücklich zu vermeiden wissen. An die Stelle
des ungeschlachten Predigers, welcher den Gott der Liebe beschuldigte,
zornmütig zu sein, ist der feine, elegante Kanzelredner getreten, dessen
Gedanken, Empfindungen und Gefühle erhaben sind und niemand stoßen.
„Die
Bestimmung, dass ein Geistlicher eine Stelle nicht länger als fünf Jahre
bekleiden dürfe, muss fallen. Zur Zeit der Gründung der Kirche durfte er
es sogar nur ein halbes Jahr; allmählich aber ward seine Amtsdauer 1, 2,
3 und schließlich 5 Jahre verlängert. Heute haben die gebildeten Kreise
unserer Kirche eingesehen, dass, wenn diese den Vergleich mit anderen
Kirchen vertragen soll, ihre Geistlichen dauernd angestellt werden müssen,
damit die guten Kanzelredner einen Mittelpunkt für gesellschaftliche und
literarische Kreise bilden können. Heutzutage ist es - das erkennt
niemand besser als die Geistlichkeit selber - mit dem Halten langatmiger
Versammlungen, mit dem Evangelisten-Sein, nicht getan. Früher suchten die
Gemeinden vorab große Erweckungsprediger, und an den Jahreskonferenzen
mussten die Prediger angeben können, wie viele Bekehrungen sie im
Berichtsjahr erwirkten. Jetzt lässt sich Hirt und Herde von weniger
seltsamen Anschauungen leiten. Die größeren Gemeinden wünschen
Geistliche, welche den ästhetischen Bedürfnissen der Gebildeten genügen,
die Angriffe des modernen Zweiflers abwehren können, und an den
Jahreskonferenzen fragt man nur nach dem Ertrage der Missionskollekte. Der
moderne Methodistenprediger versteht sich ganz besonders auf das
Kollektieren und wirkt dadurch viel mächtiger auf die Herren als durch
Ermahnung und Weckruf, wie es früher üblich war.
„Diese
Träger des christlichen Gedankens haben eine große, wichtige Entdeckung
gemacht, nämlich dass das Evangelium es stets vermeiden solle, die
Gebildeten zu stoßen. Einer Kirche, die sich ihrer Zeit so trefflich
anzupassen versteht, gehört die Zukunft, und werden die Massen zuströmen.
Wie herrlich passt auf sie das Wort, das die Engel verkündeten: „Friede
auf Erden und an den Menschen ein Wohlgefallen!“
Rev.
Chas. A. Crane.
So
voll Lobes über den jetzigen Zustand der Methodistenkirche ist der wider
seinen Willen in Ruhestand versetzte Bischof R. S. Foster nicht, doch bestätigt
er voll und ganz, nur mit anderen, vielleicht etwas zu bitteren Worten,
was sein Kollege Crane so herrlich gefunden hat, wie folgt:
„Die
Kirche Gottes“, schreibt er in der „Posaune des Evangeliums“, „buhlt
heutzutage um die Gunst der Welt. Ihre Glieder selber bestreben sich, sie
auf das den Gottlosen geläufige Niveau herabzudrücken. Bälle und
Theater, die Künste leichtgeschürzter Musen, gesellschaftliche Üppigkeit,
mit ihrer Förderung leichter Sitten, sind in das Allerheiligste der
Kirche eingedrungen, und dann wollen Christen diese Früchte weltlicher
Gesinnung durch Fasten, Kirchenfeste und Ausschmückung der Gotteshäuser
wieder gutmachen! Das ist des Satans alte List; an dem ist schon die jüdische,
dann die römische Kirche zugrunde gegangen, und die protestantische ist
nahe daran. Gefahr droht uns, soweit ich sehe, davon, dass wir uns dieser
Welt gleichstellen, die Armen vergessen, von der Gottseligkeit nichts als
die leere Form bewahren, die Kirchenzucht missachten, Mietlinge zu
Seelsorgern machen, das Evangelium fälschen, und aus dem allen eine
ansehnliche Kirche aufbauen. Wer hätte das vor 100 Jahren von der
Methodistenkirche gedacht? Und doch ist es buchstäblich so. Kleiden sich
nicht Methodisten im Widerspruch mit Gottes Wort und der Kirchenzucht
ebenso modisch wie alle anderen Menschen? Tragen nicht die Damen, ja
selbst Frauen und Töchter der Geistlichen, Gold und Perlen und sonstigen
kostbaren Schmuck? Würden nicht diejenigen, welche sich mit der einfachen
Kleidung der Gründer der Kirche begnügten, heute als Fanatiker
verschrieen, sogar in Methodistenkreisen? Kann man in unseren Großstädten
das Publikum, das unsere Gottesdienste besucht, an der Kleidung von Ball-
und Theaterbesuchern unterscheiden? Selbst die Musik ist verweltlicht,
indem sie von elegant gekleideten Choristen und Choristinnen, die sich oft
zu keiner Religion bekennen oder gar Spötter und Gottesleugner sind, wie
eine künstlerische Formalität besorgt wird, die mit der Anbetung im
Geiste gerade soviel zu tun hat wie eine Oper oder sonst ein Theaterstück.
Solches Formenwesen tötet aber das Geistesleben. Ehedem musste jeder
Methodist bezeugen, dass er die Religion aus Erfahrung kenne; jetzt wird
es nicht mehr verlangt, es kommt äußerst selten vor; namentlich
entziehen sich Kirchenvorsteher dieser Verpflichtung. Ehedem ergriff in
den Gebetsversammlungen fast jeder Methodist das Wort zum Zeugnisablegen,
Beten und Ermahnen; heute bekommet man jeweils nur wenige zu hören.
Ehedem vernahm man laute Lobpreisungen; heute gelten solche Ausbrüche
heiliger Begeisterung und Freude als Fanatismus. Weltliche Gesellschaften,
Feste, Konzerte und dergleichen mehr sind an die Stelle der religiösen
Zusammenkünfte, der Erweckungs- und Gebetsversammlungen früherer Zeiten
getreten. Ja wahrlich, die Kirchenzucht der Methodisten ist zu einem
leeren Worte geworden! Sie untersagt, Gold oder Perlen oder sonst
kostbaren Schmuck zu tragen, aber keiner denkt daran, diejenigen
Kirchengenossen zu strafen, die sich um das Verbot nicht kümmern. Sie
verbietet die Lektüre von Büchern oder das Mitmachen der Zerstreuungen,
die die Gottseligkeit nicht fördern; doch die Kirche hat sich selbst in
den Feststrudel geworfen, in dem das innere Leben der Jungen wie der Alten
zugrunde geht. Die ersten Methodistenprediger suchten Christo Opfer zu
bringen und für ihn zu leiden; sie strebten nicht nach wohlbezahlten und
behaglichen Stellen, sondern nach Entsagung; sie prahlten nicht mit großen
Besoldungen, feiner Erscheinung und gewählter Zuhörerschaft; dagegen rühmten
sie sich, wenn sie Seelen für Jesum gewonnen hatten. Das ist jetzt alles
anders. Der Prediger ist zum Mietling geworden, ein Prediger ohne Saft und
Kraft, der seiner Zeit Rechnung trägt, keinen Glauben, keine
Beharrlichkeit, kein heiliges Feuer kennt. Der Methodismus verkündigte
einst die Hauptwahrheiten; jetzt ergehen sich seine Lehrer in
Allgemeinheit und volkstümlichen Ansprachen. Selten hört man von der
herrlichen Lehre der Heiligung.“
Doch
kommen wir auf die Zusammenschlussbestrebungen zurück. Wir haben oben erwähnt,
dass die Jugend für diesen Gedanken leicht zu entflammen ist, und dass
man es bei ihr zur Vermeidung der Bekenntnisstreitigkeiten mit einer
Religion ohne feste Lehre versucht. Aber auch die Erwachsenen sucht man für
den Zusammenschluss zu begeistern. In dieser Richtung bewegen sich die Pläne
und Anstrengungen der maßgebenden Persönlichkeiten in allen Kirchen. Ein
Versuch ist gemacht worden in dem großen Chicagoer Religionsparlament im
Jahre 1893. Die Tonangeber machten damals kein Hehl aus ihrer wahren
Absicht; aber die große Mehrheit ihrer Kirchengenossen machte mit,
anscheinend ohne dabei zu bemerken, dass, was man von ihnen verlangte,
nichts weniger war als ein Kompromiss des Christentums mit allem möglichen
Unchristlichen. Da beabsichtigt wird, 1913 ein weiteres, womöglich noch
umfassenderes Religionsparlament abzuhalten, werden alle, welche Gott treu
bleiben wollen, wohl daran tun, sich die ausdrücklichen An- und Absichten
der Förderer dieser Kongresse zu merken. Wir führen deshalb hier an, was
ein San Franziskoer Journal über eine Rede des Hauptförderers der Idee,
Rev. Barrows, Dr. Theol., berichtet:
„Die
Vereinigung der Religionen“, sagt er ungefähr, „wird auf zwei Wegen
zustande kommen. Entweder es schließen sich zunächst die einander in der
Lehre ähnlichen Richtungen, wie zum Beispiel die verschiedenen Zweige von
Presbyterianern und Methodisten, alsdann alle protestantischen Kirchen
zusammen. Ist das geschehen, so werden sie sehen, dass keine
Grundprinzipien sie von den Katholiken scheiden und sich daher auch mit
diesen verbrüdern. Alsdann wird aber die Vereinigung derselben mit
verschiedenen anderen Religionen (Buddhismus, Brahaminismus, Islam, Lehre
des Konfucius usw.) nur noch eine Frage der Zeit sein. Oder aber: Die
Religionen und Kirchen können gleichsam einen rein brüderlichen Bund auf
Grundlage einer gemeinsamen Sittenlehre eingehen, wie dies von Mr. Steard
(dem Herausgeber der „Review of Reviews“) angeregt wird. Die
verschiedenen religiösen Systeme haben gemeinsame Interessen und
gemeinsame Pflichten ihren Anhängern gegenüber; warum sollten sie sich
nicht zur Förderung derselben verbünden? Ich halte den Zusammenschluss
auf ersterem Wege für das wahrscheinlichere. Doch, wie dem auch sei, die
Idee der Religionskongresse macht Fortschritte. Rev. T. C. Seward rühmt
bereits eine starke numerische Zunahme der „Bruderschaft für
vereinigtes Christentum“ in New York und in Chicago hat C. C. Bonney
eine große und unternehmungslustige „Gesellschaft für die Förderung
der Religionsvereinheitlichung“ ins Leben gerufen.“
Das
Religionsparlament in Chicago
In
seinem Bericht über die erste Sitzung des Religionsparlamentes 1893 sagte
der „Chicago Herald“:
„Seit
der Sprachenwirre zu Babel haben nie mehr so viele Religionen so vieler
Glaubensbekenntnisses Seite an Seite, Hand in Hand, ja fast Herz an Herz
gestanden, wie gestern Abend in dem großen Amphitheater. Nie seit Beginn
der niedergeschriebenen Geschichte sind die verschiedenen Rassen der
Menschheit so durch der Liebe goldene Ketten verbunden gewesen. Die
Nationen der Erde, die Glaubensbekenntnisse der Christenheit, Buddhisten
und Baptisten, Mohammedaner und Methodisten, Katholiken und Konfuzianische,
Brahmanen und Unitarier, Hindus und Bischöfliche, Presbyterianer und
Pantheisten, Monotheisten und Polytheisten, alle Denkarten und
Menschenzustände darstellend, sind letzthin zusammengekommen, verbunden
durch Sympathie, Humanität und Hochachtung.“
Wie
auffällig ist es doch, dass der Geist selbst eines solchen Lobredners des
großen Kongresses zu der denkwürdigen Sprachwirre zu Babel zurückgeführt
wurde! Sah er in dem Kongress nicht in der Tat instinktiv ein
bemerkenswertes Gegenbild? In einem Brief, der in Sachen der Vorbereitung
dieses Kongresses geschrieben war, sagt der oben erwähnte Dr. Theol.
Barrows:
„Die
althergebrachte Idee, dass die Religion, der ich angehöre, die einzig
wahre sei, kann nicht weiter bestehen. Man kann aus allen Religionen etwas
lernen, und kein Mann ist derjenigen würdig, der er angehört, wenn er
nicht jedem Gleich- oder Andersgläubigen die Bruderhand zu reichen bereit
ist. Es hat jemand gesagt, der Augenblick für das Erscheinen der besten
Religion sei gekommen. Die Zeit, sich seiner speziellen Religion zu rühmen,
ist vorbei. An unserem Kongress werden Prinzen und Geistesfürsten des
Orient in freundschaftlicher Beziehung zum Erzbischof, zum Rabbi, zum
abendländischen Geistlichen treten. Ihr Zusammensein am Kongress wird
hoffentlich dazu beitragen, die Schranken niederzureißen, welche die
Glaubensbekenntnisse errichtet haben.“
Ein
anderer Geistlicher, Rev. Chalmers, preist das Religionsparlament als Vorläufer
einer Weltreligion, für die er sogar sein uniertes Christentum
preiszugeben bereit ist. Er freut sich darüber, dass Jesus in die
Gesellschaft von Konfucius und Zoroaster gebracht werden soll; er hält
den Versuch für eine große Keckheit, fügt aber bei, Chicago pflege sich
jeweils Großes zuzutrauen.
Es
wäre in der Tat verwunderlich, wenn der Weltgeist sich plötzlich in Übereinstimmung
mit dem Geist Gottes befinden sollte, wenn sich diejenigen, die ein so
entgegengesetzter Geist erfüllt, ins Auge sehen sollten. Das wird aber
nicht der Fall sein. Es bleibt wahr, dass der Geist dieser Welt
Feindschaft gegen Gott bedeutet (Jak. 4:4), dass seine Lehren und
Lehrsysteme eitel und verkehrt sind, dass es nur eine Wahrheit gibt, nämlich
die, welche uns von den von Gottes Geist eingegebenen Schriften der
Propheten und Apostel geoffenbart ist.
Nach
der Meinung des einberufenen Präsidenten, Mr. Bonney, sollte das
Religionsparlament durch Zusammenkunft von Anhängern der verschiedensten
Religionen die Ziele und Grundlagen ausfindig machen, die allen gemeinsam
wären, und gleichzeitig eine Rundschau der wunderbaren religiösen
Fortschritte sein, die im 19. Jahrhundert verwirklicht worden wären. Ja,
ja, diese Rundschau! Sie entspricht dem Drange, der die Kirche anklagenden
Welt gegenüber möglichst gute Figur machen zu können, die Hoffnung zu
erwecken, eben jetzt sei die „Kirche“, nach allem anscheinenden
Misserfolg der Namenchristenheit, am Vorabend eines großen Sieges, bald,
sehr bald werde die Aufgabe, die sie sich angemaßt, die Welt zu bekehren,
erfüllt sein. Wie will sie nur diesen Sieg erfechten? Nicht durch den
Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern mittels eines heuchlerischen,
auf Täuschung beruhenden Kompromisses. Dem vorgesteckten Ziele, mit allen
Religionen sich zu verbrüdern, werden die größten Opfer gebracht; ja,
um die Heiden nicht zu stoßen, verwirft man gar den Namen „christliche“
Union, strebt nach Vereinigung der Religionen und ist zufrieden, den Herrn
Jesus aus seiner überlegenen Stellung herabzuholen und ihn mit Konfuzius
und Zoroaster auf ein und dieselbe Linie zu stellen. Die Protestanten
voller Zweifel und Verlegenheit, ohne Festigkeit und daher zu allen
Kompromissen geneigt, die Katholiken und die übrigen Religionen voller
Ruhmredigkeit, voll Zuversicht: das sind die Hauptcharakterzüge des
Religionsparlaments. Auf protestantische Anregung hin zusammengetreten,
ward es durch ein Gebet eines Katholiken, des Kardinals Gibbons, eröffnet,
durch das Gebet eines Katholiken, des Bischofs Keane, geschlossen; ja,
selbst ein Shinto-Priester rief den Segen seiner acht Millionen Götter
auf das Parlament herab! Der Ruf, den Rev. Barrows an die Vertreter der
heidnischen Religionen erließ, als er zum Religionsparlament einlud, ist
wie der Ruf des Mazedoniers, den Paulus im Traum vernahm: „Kommet herüber
und helft uns!“ Dass ein solcher Ruf von der Presbyterianerkirche
ausgehen musste, die wenige Jahre zuvor auf eine Feuerprobe gestellt
worden war, zeigt, bis zu welchem Grade die Verwirrung und Unsicherheit in
ihr Platz gegriffen hat, und mit ihr in der ganzen Namenchristenheit!
Darum hörte diese so bereitwillig auf den Ruf zum Religionsparlament und
tagte 17 Tage lang mit Vertretern der verschiedensten heidnischen
Religionen, die von christlichen Rednern wiederholt als die „Weisen aus
dem Morgenlande“ bezeichnet wurden.
Am
letzten Sitzungstage lautete die Tagesordnung: „Die
Religionsfreiheit der ganzen Menschenfamilie. Besprechung der Elemente der
vollkommenen Religion, wie sie sich aus der Vergleichung der verschiedenen
Glaubensformen ergeben haben. Ausblick auf die Hauptzüge der letzten
Religion und den Mittelpunkt der bevorstehenden Religionseinheit für das
ganze Menschengeschlecht.“
Man sollte es fürwahr nicht für möglich halten, dass christliche (?)
Geistliche sich unfähig erklären anzugeben, was der Mittelpunkt der
Religionseinheit sein müsse, worin die Hauptzüge der vollkommenen
Religion bestehen sollen. Liegt ihnen denn soviel an einer Welt-Religion,
dass sie bereit sind, die christliche Lehre, ja, sogar den Christennamen
zu opfern, um jener Platz zu machen? „Aus deinem Munde will ich dich
richten, du böser und fauler Knecht!“ sagt der Herr.
Die
vorangegangenen Sitzungen waren eben jener Vergleichung der verschiedenen
Religionen gewidmet gewesen, um so die Elemente der vollkommenen Religion
ausfindig zu machen. Das Vorhaben war ein gewagtes; es hat aber dazu
gedient, jedem wahren Kind Gottes über mehrere Tatsachen die Augen zu öffnen,
nämlich 1. darüber, dass die Namenkirche ihre Hoffnung, sie werde am
gegenwärtigen Tage des Gerichtes, da der Herr mit seinem Volke (das heißt
mit dem geistigen Namen-Israel) rechten will (Micha 6:1, 2), bestehen,
aufgegeben hat; 2. darüber, dass sie ob ihres Rückschrittes, ihres
Mangels an Glauben, Eifer und Gottseligkeit keine Reue empfindet, dass sie
sich keineswegs um die Wiedergewinnung der Gunst Gottes bemüht, sondern
vielmehr die Heidenwelt zu Hilfe ruft, um mit ihr dem Urteil des Herrn über
ihre Menschensatzungen und ihre Trübung des wahren Bildes Christi zu
widerstehen; 3. dass sie bereit ist, Christum und sein Evangelium fahren
zu lassen, um die Freundschaft der Welt und die „Vorteile“ zu gewinnen,
welche sie von der Gunst der Mächtigen und Einflussreichen erwartet; 4.
dass ihre Verblendung derart ist, dass sie Wahres vom Falschen, den Geist
der Wahrheit vom Geist der Welt nicht mehr zu unterscheiden vermag; 5.
dass sie die Lehren Christi bereits aus den Augen verloren hat. Sicherlich
wird ihr von da, wo sie so eifrig sucht, vorübergehend Hilfe zuteil
werden, aber nur zum Zweck, die ganze Welt beim bevorstehenden Sturz
Babylons miteinzubegreifend, damit die Könige und Kaufleute der ganzen
Erde trauern und heulen müssen über sie. - Offb. 18:9,11, 17-19
Bei
der Betrachtung des Religionsparlamentes wollen wir unsere Aufmerksamkeit
folgenden 7 Punkten zuwenden: 1. dem Geist der Unsicherheit und des
Nachgebens in der ganzen „Christenheit“, mit Ausnahme der römisch-
und der griechisch-katholischen Kirche; 2. der zuversichtlichen Haltung
des Katholizismus und aller nichtchristlichen Religionen; 3. den
deutlichen, von den Weisen unter den Heiden wahrgenommenen Unterschieden
zwischen dem Bibelchristentum und dem Christentum, welches von den
Missionaren gepredigt wird, die ihre widerspruchsvollen Lehren mit der
Bibel zugleich in die Fremde tragen; 4. der Wertschätzung des
Missionswerkes durch die Heiden und die Aussichten desselben; 5. dem
Einfluss der Bibel auf viele Heiden trotz der irrigen Auslegungen derer,
die sie ihnen brachten; 6. der Wirkung des Religionsparlamentes auf die
Gegenwart und Zukunft; 7. wie sich dieses Parlament im Lichte der
Weissagung darstellt.
Das
Religionsparlament ist aus der Initiative von Christen, protestantischen
Christen, hervorgegangen. Es tagte in einem dem Bekenntnis nach
protestantischen Lande. Es stand unter der Leitung protestantischer
Christen. Diese sind mithin für alles verantwortlich, was sich am
Parlament ereignete. Entsprechend dem an Kompromisssucht und
Glaubenslosigkeit krankenden Protestantismus zeigte denn auch das
Parlament sich bereit, Christum und sein Wort preiszugeben, um die
Freundschaft des Widerchristlichen und Heidnischen zu gewinnen. Es
zeichnete, wie schon erwähnt, die römische Kirche dadurch aus, dass es
Vertretern derselben die Ehre des Eröffnungs- wie des Schlussgebetes überließ.
Während die heidnischen Vertreter ihren Glauben in wohldurchdachten Vorträgen
klarlegten, fehlte eine systematische Darlegung der christlichen Religion
durchaus, wiewohl es an „christlichen“ Rednern nicht gebrach. Wie
befremdlich, dass eine solche Gelegenheit, das Evangelium von Christo
hervorragenden, gebildeten und einflussreichen Heiden zu verkünden, von
einer Versammlung von Geistlichen verpasst werden konnte! Schämen sich
etwa die Vertreter von Christi Evangelium dieses Evangeliums? (Röm. 1:16)
Die römischen Katholiken freilich kamen nicht weniger als sechszehnmal
zum Wort! Ja, selbst Redner, die sich zum christlichen Glauben bekannten,
waren ernstlich bemüht, dessen Fundamentalsätze in Zweifel zu ziehen;
sie berichteten den Vertretern des Heidentums von ihren Zweifeln an der
Untrüglichkeit der Heiligen Schrift, die Erzählungen der Bibel müssten
mit Vorbehalt aufgenommen, und ihre Lehren müssten durch menschliche
Philosophie ergänzt und nur insofern als gültig angesehen werden, als
sie mit diesen letzteren in Einklang ständen. Anhänger der Orthodoxie
verwarfen die Lehre von der Erlösung, welche doch die einzige Grundlage
des christlichen Glaubens ist, andere leugneten den Fall des Menschen und
bekannten sich als Anhänger der Evolutionstheorie, nach welcher der
Mensch niemals vollkommen erschaffen, mithin niemals gefallen sei, keines
Erlösers bedürfe und sich aus einem niedrigen Zustand, der mit dem Bilde
Gottes keine Ähnlichkeit hat, allmählich emporgearbeitet habe und sich
noch jetzt im Entwicklungsprozess befinde, dessen Prinzip das
Weiterexistieren des Stärksten sei. Dieses, das heißt das gerade
Gegenteil von der biblischen Lehre von der Erlösung und Wiederherstellung,
fand im Kongress den größten Beifall!
Wir
geben nun im folgenden einige kürzere oder längere Auszüge aus den am
Kongress gehaltenen Reden und beginnen dabei mit denen, welche die
Haltlosigkeit der Protestanten angesichts der Vertreter Roms und der
Heidenwelt deutlich hervortreten lassen.
Da
war zunächst Dr. Chas. A. Briggs, Professor der Theologie, an einer
Presbyterianer-Predigerschule, den Präsident Dr. Barrows der Versammlung
als einen Mann vorstellte, dessen „Gelehrsamkeit, Mut und Überzeugungstreue
ihm einen hervorragenden Platz in der allgemeinen Kirche“ verschafft. Er
sagte:
„Alles,
was wir für die Bibel geltend machen können, ist göttliche Eingebung
und Untrüglichkeit, soweit es sich um die Mitteilung religiöser Lehren
handelt. Gott ist wahrhaftig; er kann nicht lügen; er kann seine Geschöpfe
nicht irreleiten oder täuschen. Aber wenn der unendliche Gott zum beschränkten
Menschen spricht, muss er dann Worte sprechen, die kein Irrtum sind? (Welche
Frage! Wenn Gott nicht die Wahrheit spricht, so ist er nicht wahrhaftig.)
Kommt doch dabei nicht nur Gottes Reden, sondern noch des Menschen Hören
und das Mittel in Frage, durch das Gott mit dem Menschen verkehrt! Man
muss zuvor den Beweis erbringen, dass der Mensch fähig war, das Wort zu
vernehmen, ehe wir sicher sein können, dass er dasselbe richtig weiter
vermittelt hat. (Der Herr Professor sollte bedenken, dass Gott wohl
imstande war, zur Entgegennahme seiner Worte und Weitervermittlung
derselben geeignete Werkzeuge auszuwählen, und dass er diese Auswahl auch
wirklich getroffen hat, wird jedem aufrichtigen Bibelforscher klar. Ein
Argument wie dieses war geradezu eine Beleidigung einer geistig so hoch
stehenden Zuhörerschaft.) Die göttliche Eingebung der Schrift bedingt
noch nicht die Untrüglichkeit jedes Details.“
Rev.
Theodor Munger aus New Haven seinerseits meinte:
„Christus
ist mehr als der auf Golgatha hingerichtete Jude. Christus ist die unter
dem Einfluss göttlicher Gnade sich empor ringende Menschheit, und jedes
Buch, dem die Eingebung diese Tatsache (nämlich, dass nicht Jesus,
sondern die empor gerungene Menschheit als ganzes der Gesalbte des Herrn
sei) zugrunde liegt, ist ein Teil der christlichen Literatur.“ Er
zitierte dann Dante, Shakespeare, Goethe, Shelley, Matthew Arnold, Emerson
und andere und fügte schließlich bei: „Die Literatur mit den wenigen
Ausnahmen, denen man die Inspiration absprechen muss, fußt fest auf der
Menschlichkeit als auf einer sittlichen Grundlage mit sittlichem Endzweck.
Das ist das Wesen des Christentums. Eine Theologie, welche auf einem übernatürlichen
Gott beharrt, der außerhalb der Welt thront und von dort aus ihre
Geschicke lenkt, kann die Zustimmung jener Geister nicht haben, die in der
Literatur ihren Ausdruck gefunden hat; der Dichter, das Genie, der
weitherzige und alles umfassende Denker bedarf ihrer nicht; sie stehen zu
nahe bei Gott, um durch solche Wiedergabe seiner Wahrheit getäuscht zu
werden.“
Rev.
Dr. Rexford, ein Universalist, sagte:
„Ich
wollte, wir würden alle zugeben, dass eine aufrichtige Gottesverehrung,
wo auf der Welt sie auch stattfindet, eine wahre Gottesverehrung sei. Der
ungeschriebene Glaubenssatz, der heute hier dominiert, ist, behaupte ich,
dass jedweder Gottesverehrer in aller Welt, der sich vor dem Besten, den
er kennt, beugt, und in Übereinstimmung mit dem reinsten Licht, das ihm
scheint, wandelt, Zugang zu den höchsten Segnungen des Himmels hat.“
Mit
diesem Wort traf der Redner den Grundton der heutzutage vorherrschenden
Religionsauffassung. Aber redete Pauls auf dem Areopag auch so zu den
Verehrern des unbekannten Gottes? (Apg. 17:23-31) Nahm Elias die
Baalspriester auch in dieser Weise in Schutz? (1. Kön. 18:21, 22) Paulus
erklärte vielmehr, dass der einzige Weg zu Gott der Glaube an Christi
Opfertod für unsere Sünden sei, und Petrus sagt von Christo: „Es ist
kein anderer Name unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in
welchem wir errettet werden müssen.“ - Apg. 4:12
Rev.
Lyman Abbot, aus Brooklyn, nahm die göttliche Eingebung, welche uns durch
Christum und die zwölf Apostel das Neue Testament brachte, „auf dass
der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk geschickt“ (2.
Tim. 3:17) für die ganze Namenchristenheit in Anspruch.
„Wir
glauben nicht“, sagte er, „dass Gott allein in Palästina gesprochen,
und auch in diesem kleinen Stücklein Erde nur zu ganz vereinzelten. Wir
glauben nicht, dass er einzig in der christlichen Welt vernommen ward,
indes er überall sonst stumm blieb. Nein, wir glauben, dass Gott zu allen
Zeiten geredet habe.“
Aber
wie spricht er zu den Baalspriestern? Er hat sich nicht offenbart, es sei
denn seinem erwählten Volk, Israel nach dem Fleisch im jüdischen, Israel
nach dem Geist im Evangeliums-Zeitalter. „Euch allein habe ich erkannt
unter allen Geschlechtern der Erde.“ - Amos 3:2; dazu 1. Kor. 2:6-10
Es
tut einem angesichts solcher Aussprüche förmlich wohl, auch solchen zu
begegnen, in welchen der moralische Mut zutage trat, trotz
stillschweigender oder lauter Opposition den einst den Heiligen übergebenen
Glauben zu verkündigen, wenn auch diese Redner nicht ganz miteinander übereinstimmten
und einige Verlegenheit zeigten, da sie eben den göttlichen Plan der
Zeitalter nicht kannten noch die bedeutsamen Beziehungen der christlichen
Grundlehren zu dem ganzen bewunderungswürdigen System göttlicher
Wahrheit. Da ist zunächst Rev. Joseph Cook aus Boston zu erwähnen, der,
weil die Lehre von Christi sühnendem Opfertod totgeschwiegen oder gar als
des erleuchteten 19. Jahrhunderts unwürdig verworfen ward, kräftig
betonte, dass die christliche Religion die einzig wahre sei, und dass nur
solche, die sie annehmen, auf ein glückliches Leben nach dem Tode rechnen
können. Dann zitierte er ein Beispiel aus Shakespeare:
„Da
haben Sie“, sagte er, „Lady Macbeth. Welche Religion kann Lady
Macbeths blutige Hand reinwaschen? Dies frage ich die Kontinente und die
Inseln der Ozeane! Es sei denn, es sei Ihnen mit ihrem Religionsparlament
gar nicht ernst. Ich frage den Islam: Kannst du Lady Macbeths blutige Hand
reinwaschen? Ich frage Buddha und Konfucius: Könnt ihr es?“
Dieses
freie Wort hat Mr. Cook die herbste Kritik zugezogen. Ein Geistlicher aus
Chicago, Rev. Jones, tadelte es in öffentlichem Vortrage, dass sein
Kollege aus Boston den am Religionskongress vertretenen Andersgläubigen
ein solches Paroli geboten habe, und er verstieg sich dabei zu folgenden Sätzen:
„Um
die Unsittlichkeit der Lehre von Christi stellvertretendem Sühnopfer
besser zu begreifen, jener Lehre, die nur auf den Satz abstellt: „Siehe
auf Jesum und du wirst gerettet werden“, wollen wir die Tat Lady
Macbeths fest ins Auge fassen, jener Mörderin, die durch einen Blick aufs
Kreuz sich Straflosigkeit sicherte. Der Verfechter dieser Behauptung
schleuderte allen Anwesenden die Ungeheuerlichkeit ins Angesicht, dass nur
der Wiedergeborene, der der Frucht von Christi Opfertod, der Vergebung der
Sünden, teilhaftig geworden sei, das Himmelreich ererben könne. Alles,
was ich dazu zu sagen habe, ist: Ich bin froh, dass ich solches nicht
glaube. Ich fordere alle, denen an Sittlichkeit gelegen ist, alle Freunde
der Gerechtigkeit, alle diejenigen, welche an einen unendlichen, gerechten
Gott glauben, auf, diese Lehre zu verwerfen. Eine solche Art der Errettung
ist nicht nur vernunft-, sondern auch sittlichkeitswidrig. Sie ist
jedenfalls für die gegenwärtige Welt eine grobe Täuschung. Ich kehre
Golgatha den Rücken, wenn ich dort nur lernen soll, dass Prinz Sidartha
auf ewig von einem Himmel ausgeschlossen bleibt, der Lady Macbeth oder
irgend andere Mörder auf ewig aufgenommen hat.“
Ein
anderer Zeuge war Prof. W. C. Wilkinson von der Universität Chicago,
welcher bei Behandlung des Gegenstandes: „Das
Verhalten des Christentums gegen andere Religionen“ die Aufmerksamkeit
seiner Zuhörer auf die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes
richtete. Er stellte fest, dass das Christentum sich den anderen
Religionen gegenüber feindselig verhalten müsse, dass diese notgedrungen
falsch, wenn jenes wahr sei, dass der Herr allein uns erretten könne, was
er in verschiedenen Wendungen selber betont habe:
„Niemand
kommt zum Vater denn durch mich.“ - „Ich bin das Brot des Lebens.“ -
„Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke.“ - „Ich bin das
Licht der Welt.“ - „Ich bin die Tür zum Schafstall.“ - „Alle, die
vor mir gekommen, sind Diebe und Räuber.“ - „Ich bin die Tür; so
jemand durch mich eingehet, der wird errettet.“
„Man
mag auch antworten“, fuhr Wilkinson alsdann fort, „dass Christus auch
gesagt habe, er werde, nachdem er erhöht worden sei, alle zu sich ziehen,
und dass dieses Wort beweise, dass viele Seelen, die anderen Religionen
angehören, nachdem sie wissentlich und unwissentlich zu Jesu hingezogen
seien, gerettet werden, trotz der Ungunst ihrer religiösen Verhältnisse.
Das gebe ich zu. Ich bin froh, dass dies auch die Lehre Christi zu sein
scheint. Ich bitte jedoch, sich wohl daran erinnern zu wollen, dass wir
keineswegs von der Ausbreitung der Wohltat sprechen, die ausschließlich
in der Macht Jesu, zu erretten, liegt, sondern vielmehr davon, ob das
Christentum irgendeiner nichtchristlichen Religion als solcher das Vermögen
zuerkenne, Seelen zu erretten, mit anderen Worten, ob Jesus seine rettende
Macht, bis zu einem gewissen Grade, mehr oder weniger, auch durch
Religionen ausübe, die nicht die seinigen sind. Ist in der Bibel, im
Alten oder Neuen Testament, eine Andeutung, auch nur der Schatten einer
Andeutung dafür, dass wir jene Frage bejahend beantworten sollen, so möge
man sie mir zeigen; ich habe keine gefunden! Dagegen habe ich Winke für
das Gegenteil, und zwar sehr deutliche, in Menge gefunden! Es liegt mir
freilich ferne, die Verdienste solcher schmälern zu wollen, die ohne
Hilfe des geschichtlichen Christentums des Alten und Neuen Testaments sich
auf große, sittliche Höhe empor gerungen haben. Aber wir sprechen hier
nicht von Personen, sondern von dem Verhalten des Christentums gegen
nichtchristliche Religionen.
„Nebst
den Äußerungen Jesu sind auch diejenigen heranzuziehen, welche von jenen
Männern stammen, denen er, laut Neuem Testament, die gleiche Autorität
wie sich selbst zuerkannte. Da lesen wir beispielsweise: „Halten von
sich, sie seien weise, sind aber zu Narren geworden und haben die Ehre
Gottes preisgegeben und Bilder angebetet von Menschen, Vögeln, vierfüßigen
und kriechenden Tieren.“ Mit dieser Reihenfolge deutet die Heilige
Schrift gleichsam das allmähliche Tiefersinken der Heidenreligionen an,
mit denen die wahre Religion in Berührung kam. Die Folgen dieser
Degeneration des angeborenen Instinkts, der zur Anbetung treibt, des einst
reinen Gottesbegriffes, schildert Paulus (im 1. Kapitel des Römerbriefes)
mit den Worten: „Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihres Herzens
Gelüste, in Unreinigkeit zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst,
denn sie haben Gottes Wahrheit verwandelt in die Lüge und dem Geschöpf
lieber gedient denn dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit.“ Ich
will nicht weiter zitieren. Was nun kommt, von dem weiß man zur Genüge,
dass es der alten Heidenwelt mit Recht vorgeworfen wird. Keine Spur von
Zuerkennung mildernder Umstände für wenigstens teilweise Gutes oder doch
nicht so Schlechtes in den verurteilten Religionen! Überall scharf
geladen, genau präzisierte Anklage! Keine Spur, dass jene in gewissen Fällen
als wahre und annehmbare Gottesverehrung gelten könne, die nur durch
falsche Formen verunstaltet wäre! Keine Möglichkeit des Wahrnehmens
einer Unterscheidung seitens der Götzenanbeter zwischen dem Bild, das sie
verehren, und dem wahren Gott, von dem ersteres nur ein Symbol sein soll.
Kein Vorzugsrecht für solche erleuchteten Seelen, die eine reinere
Religion in Mysterien, welche für die große Masse unzugänglich bleiben,
suchen und zu finden wähnen! Nein, vor dem Richterstuhl des Christentums
gibt es kein Entrinnen für die widerchristlichen Religionen, die mit ihm
in Berührung kommen. Vielmehr trifft sein Spruch ohne Unterschied wie ein
Blitz alle, die auf der Verehrung anderer Götter beharrt haben. Nirgends
findet sich die erleichternde Zusicherung oder auch die Hoffnung, dass ein
gütiger Gott die Verehrung, die scheinbar einem anderen gezollt wird, als
ihm dargebracht anerkennen sollte. Ein solcher Gedanke ist jedenfalls
nicht schriftgemäß, er ist vielmehr schriftwidrig, daher widerchristlich.
So freisinnig ist denn das Christentum doch nicht. Mit Bezug auf die
Vorzugsrechte Gottes ist das Christentum vielmehr, das muss frank und frei
zugegeben werden, eine engherzige, strenge, eifersüchtige Religion. Dem
sterbenden Sokrates mag sein Auftrag, dem Aeskulap als Opfer einen Hahn
darzubringen, vergeben worden sein; aber dass Gott diesen götzendienerischen
Akt als eine Gottesverehrung angesehen habe, dafür gibt uns die
christliche, die biblische Lehre, auch nicht den geringsten Anhaltspunkt.
„Petrus
sagt, Gott sieht nicht die Person an, sondern in jedem Volk nimmt er an,
wer ihn fürchtet und Gutes tut. Das ist also das Kennzeichen derer, die
Gott gefallen. Nun ist aber klar, dass „Gott fürchten“ in
christlicher Auffassung nicht bedeuten kann, einen anderen anbeten. Je
mehr sich jemand von der Volksreligion, die in seiner Umgebung die
herrschende ist, los macht und sich nicht dank, sondern trotz derselben
zur Anbetung des wahren Gottes empor ringt, um so mehr wird er Gott
gefallen. Kann von einer dieser Volksreligionen gesagt werden, sie sei
eine wahre, wenn auch unvollkommene Religion? Das Christentum sagt: Nein!
Das Christentum lässt zwar für einige derer, die nie von Christo gehört
haben, Hoffnung zu, und es ist das eine für Christen unschätzbare Verheißung.
Doch ist diese Verheißung nicht auf jene Volksreligionen gegründet. Die
Bibel stellt diese nirgends als teilweise erfolgreiches Tasten nach Gott
dar; sie sind vielmehr als abwärts, nicht aufwärts führend bezeichnet.
Sie versperren den Zugang zu Gott, sie helfen ihn nicht finden. Wenn ihre
Anhänger sich daran klammern, so gleichen sie Ertrinkenden, die im Wasser
sich an Wurzeln oder auf dem Grunde liegenden Steinen festhalten. Die in
der falschen Religion liegende Wahrheit mag freilich helfen, dann ist es
aber eben diese Wahrheit, und nicht jene falsche Religion. Aber nach
christlicher Lehre ist alle falsche Religion bestrebt, die in ihr liegende
Wahrheit zu vernichten, wie dies im ersten Kapitel des Römerbriefes
dargestellt ist. Strebten jene Religionen aufwärts, so hätten sie immer
besser werden müssen; wenn sie aber, wie Paulus uns belehrt, immer
schlechter wurden, so liegt das eben daran, dass sie abwärts strebten.
„Das
Christentum verhält sich also anderen Religionen gegenüber ausgesprochen
unversöhnlich, auf immer feindlich, den Menschen aber, auch den Anhängern
falscher Religionen, bietet es Gnade, Vergebung und Frieden an, sofern sie
es annehmen wollen. Darüber freilich, wie viele es sein werden, die es
annehmen, gibt uns das Christentum keinen Bescheid.“
Den
christlichen Standpunkt vertrat ferner Rev. J. Devine aus New York bei
seinem Vortrag, über „die Botschaft des Christentums an andere
Religionen“, wobei er die Lehre von der Versöhnung durch das kostbare
Blut Christi wie folgt klar darstellte:
„Wir
kommen nun zu einem anderen Fundamentalsatz des Christentums, zur
geheimnisvollen Lehre der Versöhnung. Die Sünde ist eine nicht
wegzudisputierende Tatsache. Ihre Existenz wird allseitig zugegeben. Ihr
Vorhandensein ist zu handgreiflich. Sie ist aber eine Scheidewand zwischen
Gott und Mensch. Die Heiligkeit Gottes und die Sünde mit ihrem
abscheulichen, trotzigen, herunterbringenden und hoffnungslosen Wesen sind
absolut unvereinbar. Gott kann sie nicht dulden, sie nicht gutheißen, ihr
in seiner Gegenwart keinen Platz einräumen. Er kann nicht mit ihr
verhandeln, er muss sie strafen. Er kann nicht über sie hinwegsehen, er
muss ihr den Garaus machen; er kann ihr keine Existenzberechtigung
zuerkennen, er muss das verdammende Urteil über sie verhängen, das sie
verdient. Versöhnung heißt Gottes wunderbare Art, seine Stellung der Sünde
gegenüber ein für allemal vor aller Welt zu wahren, indem er freiwillig,
sich selbst opfernd, die Strafe dafür auf sich nahm. Dies tat er in der
Person Jesu Christi. Christi Geburt, Leben, Tod und Auferstehung sind
unumstößliche geschichtliche Tatsachen, und der sittliche Wert sowie die
sühnende Kraft seines vollkommenen Gehorsams und seines Opfertodes ist
ein geheimnisvolles Element von unschätzbarem Wert in der
Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Gott und dem Sünder. Christus
ist von Gott als Bürge anerkannt. Das Verdienst, das er sich durch den
vollkommenen Gehorsam erworben hat, die hohe Würde, zu der er durch
seinen Opfertod gelangt ist, werden beide dem angerechnet, der da glaubt.
Der demütige, reuige, seine Unwürdigkeit erkennende Sünder darf
Christum als seinen Erlöser, Mittler, Heiland betrachten und einfältig
an ihn glauben, auf seine Verheißungen trauen, da diese auf Christi Versöhnungswerk
abstellen, und erhält dafür von Gott, als Gabe seiner unendlichen Liebe,
alles, was Christus durch sein Mittlerwerk erworben hat. Auf diese Weise
bleibt Gott selber gerecht und vollzieht dabei doch die Rechtfertigung des
Sünders. Hier haben wir wiederum ein erhabenes Geheimnis seiner Weisheit
vor uns.
„Das
ist die Quintessenz des Evangeliums. Da ist lauter geheimnisvolle Liebe;
da ist ein unaussprechlicher Drang, den Schaden der Menschheit zu heilen;
das bringt Leben in das ganze System von Gottes Herrschaft. Wie es wirkt,
das entzieht sich freilich der menschlichen Forschung; aber gleichwohl
bleibt es das Lebensblut für die Geschichte und gibt dem Christentum
Lebenskraft. Eben weil das Christentum die Sünde zu beseitigen vermag,
gibt es eine vollständige und endgültige Lösung des Problems. Das
Christentum muss im Namen Gottes reden; ihm verdankt es seine Existenz,
und seine geheimnisvolle Macht und sein Ansehen beruhen darauf, dass es
ihn erkennen lehrt. Es wäre Anmaßung seinerseits, wollte es auf eigene
Verantwortung oder im Namen der Vernunft sprechen. Es hat keine
Evolutionslehre vorzulegen; es hat vielmehr eine befreiende Botschaft
Gottes zu verkünden. Es ist keine Philosophie, sondern eine Religion; es
ist nicht erdgeboren, sondern gottentsprungen. Es stammt nicht von
Menschen, sondern von Gott; es lebt von seiner Macht, von seiner Liebe; es
ist erfüllt von seiner Güte, es strahlt von seinem Lichte, es verkündet
seine Wahrheit; es ist voll von seiner Kraft, seiner Weisheit, begabt mit
dem Vermögen, geistigen Schaden zu heilen, und zwar mit oberster Autorität.
„Es
hat ein Werk unter den Menschen zu verrichten, wo und wann immer es
dieselben findet, ein Werk, das so großartig ist wie die Schöpfung, so
wunderbar wie die Existenz von Geistern, so geheimnisvoll wie die Ewigkeit.
Sein Brennpunkt ist die Person seines erhabenen Offenbarers und Verkündigers,
auf den bis zu seinem Kommen alle Lichtstrahlen deuteten, und von dem seit
seiner Menschwerdung aller Glanz eines hellen Tages ausging. Sein Wesen
ist Aufrichtigkeit, hohe Würde, Milde und Selbstlosigkeit. Sein Zweck ist
vorab zu segnen, nicht zur Vergleichung herauszufordern. Geachtet zu sein,
ist ihm weniger wichtig, als die Menschen seiner Wohltaten teilhaftig zu
machen; seinen Weg zum Herzen zu finden, geht ihm über die größte Ehre
bei den Menschen. Es sucht seinen Nebenbuhler nicht in ungünstiges Licht
zu stellen oder zu demütigen, sondern durch Liebe über ihn zu siegen,
ihn durch die ihm (dem Christus) eigene Vorzüglichkeit anzuziehen und
kraft der ihm eigenen unvergleichlichen Überlegenheit zu verdrängen. Es
ist sein unbestreitbares Recht zu herrschen, darum ist ihm die Eifersüchtelei
völlig fremd, ebenso harte Worte, hochmütiges Herabsehen auf andere,
Gewalttätigkeit, Rechthaberei, Täuschung, Betrug. Es stützt sich einzig
und allein auf seinen Wert und beansprucht nichts, als was mit seinem
Recht, gehört und geachtet zu werden, vereinbar ist. Seine wunderbare Übereinstimmung
mit Recht und Wahrheit verschafft ihm seine Ausnahmestellung. Es war ein
Werk der Ermutigung für den schwachen Glauben, eine Nahebringung des Göttlichen
zur gefallenen Natur. Wunder lassen sowohl auf Gnade als auch auf Macht
schließen. Wenn wir an die unbegrenzte Macht Gottes denken und daran,
dass es derselben ein kleines gewesen wäre, mit Zeichen und Wundern
Eindruck zu machen, so werden wir uns so recht der Zurückhaltung dieser
Macht bewusst, die das Theatralische stets vermeidet. Das Wunderbare in
der Geschichte des Christentums ist die Spärlichkeit, mit welcher die
Christenheit von ihren Mitteln Gebrauch machte. Es ist eine recht harte
Glaubensprobe, den Mangel an Energie, die geringe Kraftentfaltung bei den
Fortschritten unserer heiligen Religion zu sehen. (So muss es jedem
vorkommen, der den göttlichen Plan der Zeitalter noch nicht versteht.)
Ohne Zweifel hat Gott seine Gründe dafür, aber unterdessen können wir
nicht anders als feststellen, dass dem Christentum eine geheimnisvolle
Reserve, eine wunderbare Geduld, eine absichtliche Zurückhaltung
innewohnt. Es ruft nicht, noch erhebt es seine Stimme, noch lässt es
diese auf der Gasse vernehmen. Jahrhunderte kommen und gehen, und das
Christentum berührt nur Teile der Erde, aber was es berührt, das
gestaltet es um. Es scheint materielle Erfolge zu verschmähen und
trachtet nur nach Siegen, welche es durch Berührung mit der einzelnen
Seele erringt. Sein Verhalten anderen Religionen gegenüber war stets
eigenartig reserviert, und seine Fortschritte drängten es nie aus seiner
stillen Würde, welche zum majestätischen Wesen Gottes, seines Urhebers,
so vortrefflich passt.
„So
haben wir denn recht, wenn wir behaupten, dass das Christentum frei ist
von Eifersucht, hocherhaben über marktschreierisches Wesen, dass es
keinen Bund mit der weltlichen Macht, keinen äußerlichen Glanz sucht,
dass ihm mehr an einem Platz in einem demütigen Herzen als an einem Sitz
auf Königsthronen liegt, dass es vorab die sittliche Umgestaltung des
Charakters anstrebt, um das geistige Leben des Menschen zu beeinflussen.
So spricht es denn zu anderen Religionen mit unumwundener Freimütigkeit
und Klarheit, sich nur stützend auf sein unbestreitbares Recht, gehört
zu werden. Es nimmt die Aufrichtigkeit der persönlichen Überzeugung und
den sittlichen Kampf vieler denkender Seelen ernst, die, wie die alten
Athener, in Unwissenheit und Unkenntnis ehren und anbeten (Apg. 17:23); es
warnt, redet zu, befiehlt, wie es sein Recht ist; es spricht, wie einst
Paulus dem zivilisierten Heidentum gegenüber auf dem Areopag, von dem
Tage, an welchem die Welt gerichtet werden muss; es wiederholt immer
wieder seine Aufforderung zur Buße, es fordert Unterwerfung unter seine
sittliche Richtschnur, Demut, Geradheit, Ehrerbietigkeit. Alles dies tut
es mit prächtig ruhiger Beharrlichkeit. Oft unterstützt es seinen Ruf
mit Gründen, mit sanftmütiger Eindringlichkeit, aber stets ist diese in
Übereinstimmung mit dem erhabenen Willen, dem das Christentum seine
Entstehung verdankt, und in dessen Namen es immer spricht. Es verkündigt
seine Botschaft mit fester Zuversicht und meisterhafter Ruhe. Es kümmert
sich nicht um die Anerkennung seiner Vorzüglichkeit oder andere Äußerlichkeiten,
um den Schutz mächtiger Menschen, um die Bevorzugung, deren sich etwa
andere erfreuen. Es spricht immer im Bewusstsein seiner einfachen, natürlichen,
unvergleichlichen, unermesslichen Überlegenheit, welche den Nebenbuhler
sofort entwaffnet und schließlich die Bewunderung erwirbt und von Bosheit
und Falschheit freie Herzen unterwirft.“
Ein
weiterer mutiger Zeuge für die christliche Religion war der deutsche Graf
Bernstorff. Er sagte:
„Ich
gehe von der Voraussetzung aus, dass niemand hier ist, der es mit seiner
Religion nicht ernst meint. (Der Verlauf des Religionsparlaments hat ihn
wohl eines besseren belehrt.) So erkläre ich denn auch persönlich, dass
ich hier bin als ein einzelner evangelischer Christ, und dass ich meinen
Fuß nie in diesen Saal gesetzt hätte, wenn ich denken müsste, das
bedeute eine Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Religionen, und dass
es nur darauf ankomme, aufrichtig zu sein. So etwas könnte ich nie
zugeben. Ich halte nur die Bibel für wahr und nur den Protestantismus für
die wahre Religion. Ich wünsche durchaus keinen Kompromiss desselben mit
anderen Religionen. Wir können nicht leugnen, dass wir, die wir in diesem
Saale beisammen sitzen, durch Grundfragen voneinander geschieden sind. Wir
erkennen die Unüberbrückbarkeit der Kluft an, die uns trennt, aber jeder
von uns denkt, dass er ein Recht habe auf seinen Glauben. Jeder, der
hierher gekommen ist, hat Anspruch darauf, seinen Glauben zu verfechten.
So stehe ich denn vor Ihnen wie Paulus vor König Agrippa und dem römischen
Statthalter, indem ich Ihnen nur zurufen kann: „Ich wollte, dass alle,
die mich heute hören, würden wie ich bin!“ Ich kann nicht beifügen:
„diese Ketten ausgenommen“. Nein, Gott sei’s gedankt, ich bin ein
freier Mann, ausgenommen meine Fehler und Mängel, welche daran schuld
sind, dass ich meinen Glauben nicht so fest umfange, als ich es wohl möchte.
„Aber
wozu kommen wir denn zusammen, wenn wir uns nicht dulden können? Wohlan,
das Wort „Duldung“ wird verschiedentlich gebraucht. Die Worte
Friedrichs des Großen: „In meinem Land kann jeder nach seiner Facon
selig werden“ zeugen von einer vorzüglichen staatsmännischen
Anschauung, die viel Blutvergießen und viele Greuel hätte vermeiden
lassen. Aber als Ausdruck der religiösen Gleichgültigkeit des vorigen
Jahrhunderts, des Hofes Friedrichs des Großen mit seinem Voltaire, ist
der Ausspruch entschieden verwerflich. Paulus verwirft im Galaterbrief
jede andere Lehre, und wenn sie von einem Engel des Himmels verkündigt würde.
Wir Christen sind Diener des Allerhöchsten und unseres lebendigen Herrn
und Heilandes. Wir haben kein Recht, die uns anvertraute Wahrheit
preiszugeben, es damit leicht zu nehmen oder sie unseren Mitmenschen
vorzuenthalten.
„Wir
kommen also zusammen, jeder in der Hoffnung, die anderen für seinen
Glauben zu gewinnen. Wird dann dieses Friedensparlament nicht ein
Kriegsparlament werden? Wird es nicht die Kluft, die uns scheidet,
erweitern? Ich denke nicht, wenn wir uns nur geistiger Waffen in diesem
Wettkampf bedienen; denn ein ehrlicher Kampf entfremdet die Kämpfer
einander nicht, sondern bringt sie oft einander näher. Mehr braucht dies
Parlament nicht auszurichten, um sich einen Platz in der Geschichte zu
erwerben, als den Grundsatz der Religionsfreiheit hochzuhalten. In jedem
Herzen dämmert ein Licht, und das 19. Jahrhundert hat diesen Grundsatz
wesentlich gefördert, doch steht zu befürchten, dass das 20. Jahrhundert
anbreche, bevor die Religionsfreiheit allgemein anerkannt ist.“
Endlich
führen wir noch das mutige Zeugnis von Mr. Grant aus Canada an:
„Wir
sollten, so scheint mir“, sagte er, „unsere Verhandlungen nicht im Gefühl,
Großes zu verrichten, beginnen, sondern im Gefühl und Eingeständnis
unserer Sünden und Schwachheiten. Warum sind die Erdbewohner der Wahrheit
noch nicht untertan? An uns liegt es! Würde nicht der Apostel Paulus,
wenn er das 19. Jahrhundert gesehen hätte, wieder ausrufen: „Den ganzen
Tag strecke ich meine Hände aus nach einem ungehorsamen und ...
Geschlecht!“ Würde er uns nicht vorwerfen, wir seien stolz auf unsere
christliche Religion, während wir derselben gestatten sollten, uns demütig
zu machen? Wir rühmen uns, sie zu besitzen, während sie uns besitzen
sollte? Wir hätten sie von der Moral getrennt, während sie dieselbe
durchdringt, ergänzt und höher hebt? Wir hätten dadurch ihren Glanz
verhüllt und ihren Einfluss geschwächt? Wenn es anders werden soll, so müssen
wir das einsehen, uns demütigen, anderen Sinnes werden und es mit
amerikanischer Zuversicht besser zu machen versuchen!“
Hätten
doch diese Gefühle ein Echo gefunden im Religionsparlament! Aber weit
entfernt davon herrschte das Rühmen vor von den wunderbaren religiösen
Fortschritten unseres Jahrhunderts, und Graf Bernstorffs Befürchtung,
dass es sich bei dem Parlament um feige Preisgabe der christlichen
Religion handle, erwies sich als nur zu begründet, und die japanischen
Buddhisten, die am Parlament teilnahmen, trugen den Eindruck davon, die Völker
des Westens hätten ihren Glauben an das Christentum verloren und seien
bereit, dasselbe gegen den Buddhismus umzutauschen. Nirgends würde, rühmten
sie in einer großen Buddhistenversammlung, der Buddhismus freudigere
Aufnahme finden als in den Vereinigten Staaten. „Wie konnten nur
amerikanische Christen den unwiederbringlichen Fehler begehen, dieses
Parlament zu veranstalten und damit der Sache des Christentums in Japan
einen so schweren Stoß versetzen!“ klagte im Anschluss an diese
Versammlung ein japanischer Christ.
Die
Geschichte lehrt uns den wahren antichristlichen Charakter der Kirche Roms
erkennen, der jetzt noch für alle, die offene Augen haben, wahrnehmbar
ist. Jedermann kann wissen, dass die griechische Kirche die
Stundisten-Verfolgungen in Russland hingenommen, ja gebilligt und
wahrscheinlich veranlasst hat, weil sie alle hasst, die von ihrem
Aberglauben lassen und Gott aus seinem Worte kennen lernen. Diese
Verfolgungen werden von der Polizei besorgt, die dabei die größten
Grausamkeiten und Schändlichkeiten begeht, gegen welche der Pope nichts
einwendet, nachdem er geradezu dazu aufgefordert hat. Gleichwohl sucht die
protestantische Namenchristenheit Annäherung wie an die römische, so
auch an die griechische Kirche!
Noch
schlimmer steht es mit den
heidnischen
Religionen und ihrer finsteren Macht,
mit
denen die Namenchristenheit sich verbrüdern möchte. Diese am
Religionsparlament so deutlich zutage tretende Tendenz veranlasste Dr.
Pentecost zu äußerst kräftiger Abwehr; er sagte:
„Ich
halte es für jammerschade, dass jemand versucht, die Diskussionen dieses
Kongresses in eine Reihe von Anschuldigungen und Gegenbeschuldigungen
ausarten zu lassen, gleichwohl haben wir Christen geduldig der Kritik
zugehört, welche gewisse Vertreter der östlichen Religionen über die
Erfolge des Christentums gefällt haben. Die verrufenen Stadtgegenden von
Chicago und von New York zum Beispiel, die namenlose Verkommenheit, die
selbst für die Augen der Fremden greifbar ist, die unsere Gäste sind,
die Zügellosigkeit, die Trunksucht, der Streit, die Morde und die
Verbrechen der Verbrecherklasse sind uns angerechnet worden. Das
Misslingen der Regierungskongresse sowohl in England als auch in Amerika
ist dem Christentum zur Last gelegt worden. Der Opiumhandel, der
Schnapshandel, der Vertragsbruch, die unmenschlichen und barbarischen
Gesetze gegen die Chinesen usw., alles das ist dem Christentum zur Last
gelegt worden. (Wenn die Christen aber behaupten, dass dies christliche
Nationen sind, können sie dann die Heiden vernünftigerweise tadeln, wenn
diese so denken und demgemäss urteilen?)
Es
erscheint unnötig zu sagen, dass alle diese Dinge, die Unmoral, die
Trunksucht, die Verbrechen, die Unbrüderlichkeit und die selbstsüchtige
Gier dieser verschiedenen verderblichen Handelszweige, die von unseren Ländern
in den Orient getragen worden sind, außerhalb des Christentums stehen.
(Nein, wenn diese Länder christliche Nationen sind, nicht. Bei dieser
Behauptung ist die Kirche verantwortlich für die Sünden der Nationen,
und dieselben werden ihr gerechterweise zur Last gelegt.) Die Kirche
Christi arbeitet Tag und Nacht daran, diese Verbrechen abzuschaffen. Die
Stimme der Kirche Christi verurteilt einmütig den Opiumhandel, den
Schnapshandel, das Gesetz der Chinesenunterdrückung und alle Formen des
Lasters und der Selbstsucht, über welche sich unsere Freunde des Ostens
beschweren.
„Wir
sind bereit, uns kritisieren zu lassen; aber wenn ich an die Tatsache
erinnere, dass diese Kritiken zum Teil von Herren gefällt wurden, die ein
Religionssystem vertreten, dessen Tempel, welche die höchsten Kasten der
brahmanischen Priesterschaft innehaben, die befugten und dazu bestimmten
Klöster eines Systems von Unmoral und Ausschweifung sind, dergleichen in
keinem westlichen Land bekannt ist, so glaube ich, dass keine Antwort auch
eine Antwort ist. Ich könnte Sie zu mehr oder weniger - eher mehr - als
zehntausend Tempeln führen, in allen Teilen Indiens, zu welchen zwei- bis
vierhundert Priesterinnen gehören, deren Leben nicht so ist, wie es sein
sollte.
„Ich
habe dies mit eigenen Augen gesehen und niemand leugnet es in Indien. Wenn
Sie mit Brahmanen darüber sprechen, so werden diese sagen, dass es einen
Teil der Einrichtung für das gewöhnliche Volk ausmacht. Beachten Sie es
wohl, es ist die befugte Einrichtung der Hindu-Religion. Man braucht nur
auf die abscheulichen Schnitzereien zu blicken, die sich an den Tempeln
befinden, sowohl bei den Hindus als auch bei den Buddhisten, die scheußlichen
Symbole des alten phallischen Systems, die Gegenstände, die in Indien am
meisten verehrt werden, um den Eindruck von der Verderbtheit der
Religionen zu bekommen. Beachten Sie wohl, dieselben werden nicht nur
geduldet, sondern sogar vorgeschrieben, angewiesen und durch die Priester
der Religion überwacht. Nur die schamlosen Bilder und Porträts des
ehemaligen Pompeji kommen an Unzüchtigkeit dem gleich, was öffentlich
und an den Eingängen der indischen Tempel zu sehen ist.
„Es
erscheint uns ein wenig hart, die Kritik zu ertragen, welche diese Hindu-Vertreter
über die gottlosen Teile der westlichen Länder fällen, während sie in
so großen Glashäusern wie den erwähnten wohnen, die von den Führern
ihrer eigenen Religion errichtet, geschützt und verteidigt werden.
„Wir
haben viel über die Vaterschaft Gottes und die Brüderschaft der Menschen
gehört, als sei dies eine Hauptlehre der Religionen des Ostens. Es ist
Tatsache, dass ich nie einen einzigen Text in einer der heiligen Schriften
der Hindus habe finden können, der diese Lehre rechtfertigt oder auch nur
andeutet, und ich habe die Beibringung von Seiten ganz Indiens
herausgefordert. Die Lehre ist ganz einfach eine Abschrift vom Christentum.
Wir freuen uns, dass man dieselbe angenommen und sich zu eigen gemacht
hat. Wie kann ein Brahmane, der auf alle Menschen einer niederen Kaste,
und besonders auf die armen Ausgestoßenen, mit einem Geist des Ekels
herabblickt und sie als eine andere Art von Lebewesen, die von Affen und
Teufeln abstammt, betrachtet, sich anmaßen, uns zu erzählen, dass er an
die Vaterschaft Gottes und an die Brüderschaft der Menschen glaubt? Wenn
ein Brahmane an die Brüderschaft der Menschen glaubt, weshalb weigert er
sich denn, sowohl Menschen aus einer anderen Kaste als auch seine
westlichen Brüder in seine Gesellschaft oder in die allgemeinen Krankenhäuser
aufzunehmen, wenn er sie so schön in die Arme seiner neu gefundenen Lehre
von der Vaterschaft Gottes und Brüderschaft der Menschen einschließt?
„Wenn
es eine Brüderschaft von Menschen in Indien gibt, so braucht auch der
oberflächliche Beobachter nicht zu zögern, zu sagen, dass dann keine
Schwesternschaft von ihnen anerkannt wird. Lassen Sie die namenlosen
Schrecknisse, denen die Hindufrauen Indiens unterworfen sind, auf diese
Aussage antworten.
„Bis
die englische Regierung die alten religiösen Hindu-Einrichtungen der
Sutti mit Gewalt unterdrückte, warfen sich jährlich Hunderte von
Hinduwitwen lieber auf die Bestattungsscheiterhaufen ihrer verstorbenen
Gatten, indem so die Flammen sie umschlangen, dass sie ihren Leib
verbrannten, als dass sie sich der lebendigen Hölle einer
Hinduwitwenschaft auslieferten. Mögen unsere Hindufreunde uns doch sagen,
was ihre Religion für die Hinduwitwe und besonders für die Kindwitwe
getan, denen der Kopf nach Verbrecherart geschoren, der Schmuck geraubt
wurde! Sie wurden in Lumpen gekleidet, auf die Stellung von Sklaven
herabgesetzt, in einem schlimmeren Maße, als wir es fassen könnten; sie
wurden zum gemeinen Arbeitstier und Gassenkehrer der Familie gemacht und
oft zu noch Schlimmerem und Unaussprechlichem benutzt. Auf dieses Niveau
und in diese Verhältnisse sank die arme Witwe unter dem Gutheißen des
Hinduismus herab. Erst vor zwei Jahren wurde die englische Regierung
dringend gebeten, das gesetzliche Alter, mit welchem eine Hindufrau
heimgeführt werden darf, auf zwölf Jahre zu erhöhen. Das Anfüllen
christlicher Hospitäler mit missbrauchten kleinen Mädchen, die kaum aus
der ersten Kindheit heraus sind, wurde so überaus abscheulich, dass die
Regierung einschreiten und diesen Verbrechen, die im Namen der Religion
begangen wurden, ein Ende machen musste. Die Erregung hierüber war in
Indien so groß, dass eine religiöse Revolution, die fast zu einem neuen
Aufstand geführt hätte, drohte.
„Wir
sind von unseren orientalischen Freunden kritisiert worden, indem sie
sagten, wir urteilen in Unwissenheit und mit Vorurteil, weil neulich, bei
einer der ersten Sitzungen dieses Kongresses, nur fünf Personen sagen
konnten, dass sie die Buddha-Bibel gelesen hätten, als sie aufgefordert
wurden; so wurde es für ausgemacht gehalten, dass unser Urteil in
Unwissenheit und mit Vorurteil gefällt werden würde. Dieselbe
Herausforderung könnte man in Burma oder Ceylon ergehen lassen, und man
kann wohl sagen, dass außer den Priestern nicht so viele ihre eigenen
Schriften gelesen haben. Die Badas der Hindus sind Gegenstände der
Verehrung. Außer einem Brahmanen kann sie niemand lehren, noch viel
weniger lesen. Ehe die christliche Mission nach Indien kam, war der
Sanskrit genau genommen eine tote Sprache. Wenn die indische heilige
Schrift letzthin in die Landessprache übersetzt wurde, so geschah dies,
weil die christliche Mission und die westlichen Gelehrten sie wieder
entdeckt, ausgegraben und an das Licht der Gegenwart gebracht haben. Was
der gewöhnliche Inder, der die westliche Bildung genossen hat, von den
Sanskrit-Schriften kennt, ist nur das, was in die englische oder in die
einheimische Sprache durch westliche Gelehrte übersetzt worden ist. Das
gewöhnliche Volk, neunundneunzig unter hundert, kennt nur die Überlieferung.
Vergleichen wir doch einmal diese tote Abgeschlossenheit auf Seiten der
indischen Religionen mit der Tatsache, dass der Christ die Bibel in mehr
als dreihundert Sprachen und Dialekte übersetzt hat, und dass er sie zu
Hunderten von Millionen von Exemplaren unter alle Nationen und Sprachen
und Menschen der Erde verbreitet hat. Wir suchen das Licht, aber es möchte
scheinen, dass die Bibeln des Ostens die Finsternis lieben, weil sie das
Licht einer allumfassenden Veröffentlichung nicht ertragen können.
„Der
neue und bessere Hinduismus von heute hat sich unter dem Einfluss der
christlichen Umgebung entwickelt, er hat aber noch nicht die ästhetische
Höhe erreicht, welche ihm das Recht gibt, die christliche Kirche Moral zu
lehren. Solange Indien seine Tempel nicht gereinigt hat von dem, was
schlimmer ist als Augiasstall-Schmutz, solange ihre Gelehrten und Priester
nicht das Entsetzliche ablegen und denunzieren, das im Namen der Religion
begangen wird, mögen sie bescheiden sein mit dem Moralverkünden an
andere Nationen und Völker.“
Heidnische
Reformatoren, die nach Gott suchen
Stand
einerseits die Namenchristenheit vor der Heidenwelt voll Rühmens über
ihre Fortschritte da, ohne zu ahnen, dass sie arm und blind und nackt und
bloß ist (Offb. 3:17), so bemerkte man andererseits unter den Heiden ein
Suchen nach Gott; und der Scharfsinn, mit welchem sie die Unbeständigkeit
der Christen beachteten und indirekt kritisierten, ist besonderer
Beachtung wert.
In
zwei Ansprachen, die durch befähigte Hindus gehalten wurden, wird uns von
einer bemerkenswerten Bewegung in Indien berichtet, welche uns eine
Vorstellung gibt von der Finsternis der heidnischen Länder, sowie auch
von dem Einfluss der Bibel, welche die Missionare dahin brachten. Die
Bibel hat ein Werk getan, welches die Glaubensbekenntnisse, die sie
begleiteten, und welche sie auszulegen behaupteten, gehindert, aber nicht
völlig vernichtet haben. Aus Japan hören wir auch von ähnlichen Zuständen.
Wir lassen nun Auszüge von drei wegen ihrer augenscheinlichen
Aufrichtigkeit, ihrer durchdachten und klaren Ausführungen bemerkenswerte
Ansprachen folgen; sie zeigen die sehr ernsthafte Stellung heidnischer
Reformatoren, die nach Gott suchen, ob sie ihn wohl tastend finden mögen.
Eine
Stimme aus Indien
Herr
Mozumdar hielt an die Versammlung folgende Ansprache:
„Herr
Präsident, meine Herren Vertreter der Nationen und Religionen! Die
Brahmo-Samoj Indiens, welche zu vertreten ich die Ehre habe, sind eine
neue Gesellschaft. Unsere Religion ist eine neue Religion, sie kommt aber
aus dem weit, weit zurückliegenden Altertum, ja, von den Wurzeln unseres
nationalen Lebens, vor Jahrhunderten.
„Vor
dreiundsechzig Jahren war ganz Indien von großem Lärm erfüllt. Der große,
streitende Lärm einer seltsamen Vielgötter-Verehrung störte die Stille
des Himmels. Der Schrei der Witwen? Nein, viel, viel beklagenswerter: Der
Schrei jener elenden Frauen, die auf dem Bestattungsfeuer ihrer
verstorbenen Gatten verbrannt wurden, entweihte die heilige Erde Gottes.
Wir hatten die buddhistische Göttin, die Mutter des Volkes, die in jeder
ihrer zehn Hände die Waffen zur Verteidigung ihrer Kinder hielt. Wir
hatten die weiße Göttin des Studiums, die auf ihrer Vena, einem
Saiten-Musikinstrument, die Saiten der Weisheit spielte. Es gab eine Glücksgöttin,
die in ihren Armen einen Füllkorb hielt, und welche die Nationen segnete
- einen Gott, der auf einem Pfau reitet, einen Gott mit einem
Elefantenkopf und außerdem noch dreiunddreißig Millionen Götter und Göttinnen.
Ich habe meine eigenen Gedanken über die Mythologie des Hinduismus, doch
ist jetzt nicht Zeit, dieselben auszuführen.
„Inmitten
des Lärms und des Getöses des Polytheismus und des sozialen Elends,
inmitten aller Dunkelheit der Zeiten, stand ein Mann auf, ein Brahmane,
von guter Abstammung und Erziehung, namens Raja Ram Dohan Roy. Schon ehe
er das Mannesalter erreicht hatte, schrieb er ein Buch, in welchem er die
Unrichtigkeit des gesamten Polytheismus und die Wahrheit der Existenz
eines lebendigen Gottes nachwies. Dies brachte ihm Verfolgung ein. Im
Jahre 1830 gründete dieser Mann eine Gesellschaft, die als die
Brahmo-Samoj bekannt ist - die Gesellschaft der Anbeter des einen
lebendigen Gottes.
„Die
Brahmo-Samoj gründeten den Monotheismus auf die Inspiration der alten
Hindu-Schriften, der Vedas und der Upanischads.
„Mit
der Zeit, wie die Bewegung größer wurde, begannen die Mitglieder daran
zu zweifeln, ob denn die Hindu-Schriften wirklich unfehlbar seien.
Innerlich glaubten sie eine Stimme zu hören, welche zuerst nur ganz leise
den Vedas und Upanischads widersprach. Welches sollen unsere theologischen
Lehrsätze sein? Die leise Stimme, welche diese Frage stellte, wurde allmählich
lauter und lauter, und sie fand Widerhall in der entstehenden religiösen
Gesellschaft, bis sie schließlich zum allgemeinsten Problem wurde - auf
welches Buch soll sich alle wahre Religion gründen?
„Sie
fanden bald, dass die Hindu-Schriften unmöglich der einzige Bericht einer
wahren Religion sein konnten. Sie fanden, dass sie, obgleich Wahrheiten
darin enthalten waren, unmöglich als einziger unfehlbarer Maßstab für
geistliche Wahrheit betrachtet werden konnten. So wurde die Lehre von der
alleinigen Unfehlbarkeit der Hindu-Schriften einundzwanzig Jahre nach der
Gründung der Gesellschaft aufgegeben.
„Dann
erhob sich eine andere Frage. Gibt es nicht auch andere Schriften? Wurde
nicht neulich erzählt, dass auf dem kaiserlichen Thron Indiens das
Christentum jetzt sitzt mit dem Evangelium des Friedens in der einen und
mit dem Zepter der Zivilisation in der anderen Hand? Die Bibel ist nach
Indien eingedrungen. Die Bibel ist ein Buch, welches die Welt nicht
unbeachtet lassen sollte. Indem wir daher einerseits die Inspiration der
Hindu-Schriften anerkannten, konnten wir nicht umhin, andererseits die
Inspiration und die Autorität der Bibel anzuerkennen. Im Jahre 1861 veröffentlichten
wir ein Buch, in welchem Auszüge aus allen Schriften angeführt waren. Es
sollte bei unseren Andachten gelesen werden. Nicht die christliche Mission
lenkte unsere Aufmerksamkeit auf die Bibel, nicht die mohammedanischen
Priester zeigten uns die ausgezeichneten Stellen im Koran; kein Zoroaster
predigte uns die Größe seiner Zendavesta; in unserem Herzen aber war der
Gott der unendlichen Wahrheit, von welchem die Inspiration aller dieser Bücher,
der Bibel, des Korans, der Zendavesta ausging. Er lenkte unsere
Aufmerksamkeit auf das Vortreffliche, was in dem Bericht heiliger
Erfahrung geoffenbart wird, wo dieser sich auch finden mag. Durch seine Führung
und durch sein Licht erkannten wir diese Tatsache, und auf den Felsen
ewigwährender Wahrheit wurde unsere Theologie gegründet.
„Was
ist Theologie ohne Moral? Was ist die Inspiration dieses Buches oder die
Autorität jenes Propheten ohne persönliche Heiligkeit - die Reinheit
dieses von Gott erschaffenen Tempels? Bald nachdem wir unsere Theologie
aufgestellt hatten, standen wir der Tatsache gegenüber, dass wir keine
guten Menschen sind, nicht reiner Gesinnung, nicht heilig, und dass uns
unzählige Übel umgeben, in unserem Haus, in unseren nationalen Gebräuchen,
in der Organisation unserer Gesellschaft. Die brahmanischen Samoj wandten
sich deshalb nun zunächst der Reformation unserer Gesellschaftsordnung zu.
Im Jahre 1851 wurde die erste Zwischenheirat gefeiert. Zwischenheirat
bedeutet in Indien die Heirat zwischen zwei Personen, die zwei
verschiedenen Kasten angehören. Eine Kaste ist ein Art chinesische Mauer,
die jeden Haushalt und jede kleine Gemeinschaft umgibt, und über deren
Grenzen kein kühner Mann und keine Frau schreiten soll. Wir fragten uns:
„Soll diese chinesische Mauer die Freiheit der Kinder Gottes für immer
beungünstigen?“ Nein! Brecht sie ab! Nieder und weg damit!
„Mein
geehrter Führer und Freund Keschub Chunder Sen richtete es so ein, dass
Heiraten zwischen verschiedenen Kasten vorgenommen wurden. Die Brahmanen
stießen sich hieran. Klugtuer schüttelten mit dem Kopf, sogar Führer
der brahmanischen Samoj zuckten mit den Achseln und steckten die Hände in
die Tasche. „Diese jungen Aufwiegler“, sagten sie, „setzen die ganze
Gesellschaftsordnung in Brand.“ Zwischenheiraten fanden aber statt, und
Witwenheiraten auch.
„Wissen
Sie, was in Indien Witwen sind? Ein kleines Mädchen von zehn oder zwölf
Jahren verliert vielleicht den Ehemann, ehe es seine Gesichtszüge richtig
kennt, und von diesem zarten Alter an soll es bis zum Tode durch Buße und
Züchtigung gehen, durch Vereinsamtsein und durch Verhältnisse, die Sie
zittern machen, wenn Sie davon hören würden. Ich verstehe oder billige
nicht, dass eine Frau, die einmal geheiratet hat, dann zwei-, drei-,
viermal heiratet. Ich denke aber, dass es etwas Unmenschliches ist, das
nicht frühzeitig genug abgeschafft werden kann, wenn ein kleines Kind von
elf Jahren das verliert, was die Menschen seinen Ehemann nennen, und es
dem Elend einer lebenslangen Witwenschaft ausgesetzt wird, einem Elend,
welches eines Verbrechers unwürdig wäre. Dann wurden bei uns
Zwischenheiraten und Witwenheiraten eingerichtet. Wir nahmen so die
soziale und die familiäre Hebung und Verbesserung in die Hand, und die
Folge davon war eine allgemeine Freude bei den Brahmo-Samoj. Wir Jungen
mussten uns mit unseren sozialen Reformen helfen, so gut wir konnten. Als
diese sozialen Reformen zum Teil vollbracht waren, erheben sich andere
Fragen.
„Wir
hatten die Witwen geheiratet und verhütet, dass sie verbrannt wurden; wie
stand es aber nun um unsere persönliche Reinheit, die Heiligung unseres
Gewissens, die Wiedergeburt unserer Seelen? Wie stand es um unsere Annahme
vor dem schrecklichen Gerichtshof des Gottes der unendlichen Gerechtigkeit?
Soziale Reformen und allgemeine Wohltaten sind nur rechtmäßig, wenn sie
den allumfassenden Grundsatz der persönlichen Reinheit und Heiligkeit der
Seele entwickeln.
„Meine
Freunde, ich bekenne, dass ich oft besorgt bin, wenn ich die Zustände der
europäischen und amerikanischen Gesellschaftsordnung betrachte, da Ihre Tätigkeit
doch so mannigfaltig, Ihr Werk so ausgedehnt ist, dass Sie sich darin ertränken,
und Sie haben wenig Zeit, die bedeutungsvollen Fragen der Wiedergeburt,
der persönlichen Heiligkeit, des Gerichts und des Urteils und der
Annehmbarkeit bei Gott zu betrachten. Die ist die wesentlichste aller
Fragen.
„Nachdem
wir unsere soziale Reform vollendet hatten, gingen wir daher zu dem
wichtigen Gegenstand über: Wie soll diese unwiedergeborene Natur
wiedergeboren werden? Dieser beschmutzte Tempel - welche Wasser sollen ihn
wieder rein waschen? Was wird allen diesen Beweggründen, diesen Gelüsten
und bösen Aufwallungen, diesen tierischen Neigungen ein Ende machen? Was
wird den Menschen wieder zu dem unbefleckten Kind Gottes machen, welches
Christus war und auch alle wiedergeborenen Menschen? Zuerst der
theologische Grundsatz, dann der moralische, und an dritter Stelle das
Geistliche der Brahmo-Samoj - Hingabe, Buße, Gebet, Lob, Glaube, indem
wir den Geist Gottes und seine rettende Liebe in uns aufnehmen.
(Dieser
heidnische Philosoph erkennt nur zum Teil, was Sünde ist, dies geht
hervor aus dem Ausdruck: „ein unbeflecktes Kind Gottes, ... wie alle
wiedergeborenen Menschen“. Er sieht nicht, dass selbst der Beste des
gefallenen Geschlechtes weit davon entfernt ist, fleckenlos, unbefleckt,
vollkommen zu sein, und dass deshalb alle des Verdienstes der
Vollkommenheit und des Sühnopfers Christi zur Rechtfertigung bedürfen.
Er spricht von den Gebeten, dem Glauben usw. und von der Barmherzigkeit
Gottes, er hat jedoch auch nicht erkannt, dass Gerechtigkeit allen
Handlungen Gottes zugrunde liegt, und dass Gott nur durch das Verdienst
des Opfers Christi gerecht sein und trotzdem den Sünder rechtfertigen
kann, der des Glaubens an Christum ist, ihn so durch die große Versöhnung
für die Sünde bedeckend, welche vor achtzehn Jahrhunderten - ein für
allemal - gemacht wurde, wovon das Zeugnis zu seiner Zeit verkündigt
werden sollte.)
„Sittliche
Bestrebungen bedeuten nicht Heiligkeit; ein Wunsch, gut zu sein, bedeutet
noch nicht gut sein. Der Ochse, der auf seinem Rücken Hunderte Pfund
Zucker trägt, schmeckt nicht ein Gramm von seiner süßen Last. Alle
unsere Bestrebungen, unsere besten Wünsche, unsere schönsten Träume,
die besten Predigten, die wir entweder hören oder selbst halten mögen,
alles das wird unser Leben nicht vollkommen machen. Nur Hingabe, Gebet,
direktes Empfangen des Heiligen Geistes, Gemeinschaft mit Gott, absolute
Selbsterniedrigung vor seiner Erhabenheit, sich hingebender Eifer, ein völliges
Leben und Weben in Gott, das ist das Geheimnis einer persönlichen
Heiligkeit. Und im dritten Stadium unseres Laufes wurde uns daher
geistliche Anregung, anhaltende Hingabe, Forschen, beständige
Selbsterniedrigung, nicht nur Gott, sondern auch unseren Mitmenschen gegenüber
zur Lebensregel. Gott ist unsichtbar; es schadet niemand, auch lässt es
niemand als weniger angesehen erscheinen, wenn er zu Gott sagt: „Ich bin
ein Sünder, vergib mir.“ Vor Menschen aber ein Bekenntnis abzulegen,
sich vor Brüdern und Schwestern zu erniedrigen, heiligen Männern den
Staub von den Füßen zu entfernen, sich als elendes, erbärmliches Ding
in der Versammlung zu betrachten, das erfordert ein wenig
Selbsterniedrigung, ein wenig moralischen Mut.
„Das
letzte, was ich hinsichtlich der Brahmo-Samoj zu erwähnen habe, ist ihre
Fortschrittlichkeit.
„Die
Christenheit erzählt von der Herrlichkeit Gottes, der Hinduismus spricht
von seiner unendlichen und ewigen Erhabenheit, der Islam beweist mit Feuer
und Schwert die Allmacht seines Willens; der Buddhismus sagt, wie
friedvoll und freudvoll er ist. Er ist der Gott aller Religionen, aller
Konfessionen, aller Länder, aller Schriften, und unser Fortschritt
besteht darin, dass wir diese verschiedenen Systeme und Richtungen in
einem großen System in Übereinstimmung bringen. Deshalb nennt sich das
neue Religions-System der Brahmo-Samoj die „Neue Ordnung“. Der Christ
spricht mit Ausdrücken der Bewunderung vom Christentum, so auch der Hebräer
vom Judentum, der Mohammedaner vom Koran, der Jünger Zoroasters von der
Zendavesta. Der Christ bewundert seine Grundsätze geistlicher Kultur, der
Hindu tut dies von den seinigen auch, und der Mohammedaner gleicherweise.
„Der
Brahmo-Samoj aber nimmt alles dies an und bringt es in einem System, in
seiner Religion, in Übereinstimmung. Volle zehn Jahre lang sind mein
Freund Keschub Chunder Sen, ich und andere Apostel der Brahmo-Samoj von
Dorf zu Dorf, von Land zu Land, von einem Kontinent zum anderen gereist,
indem wir diese neue Ordnung erklärten und die Harmonie aller religiösen
Prophezeiungen und Systeme zur Verherrlichung des einen, des wahren Gottes
verkündeten. Wir sind jedoch ein Untertanengeschlecht, wir sind
ungebildet, unsere Fähigkeit ist begrenzt, wir haben nicht genug
Geldquellen, um Menschen sammeln zu können, die auf unsere Botschaft hören.
In der Fülle der Zeit haben Sie dieses großartige Religionsparlament
berufen, und Sie haben es in die Hand genommen, die Botschaft zu verkünden,
welche wir nicht verkünden konnten.
„Ich
komme nicht nur als Forscher zu den Sitzungen dieses Kongresses, auch
nicht als jemand, der sein eigenes System zu rechtfertigen hätte. Ich
komme als Jünger, als Nachfolger, als Bruder. Möchten Ihre Arbeiten
gedeihen, so wird nicht nur Ihre Christenheit und Ihr Amerika erhöht
werden, sondern auch der Brahmo-Samoj wird sich erhöht fühlen: und
dieser junge Mann, der aus so weiter Ferne kommt, um Ihre Sympathie zu
suchen, wird sich selbst reich belohnt fühlen.
„Möchte
die Verbreitung der neuen Ordnung von Ihnen abhängen und Sie zu Brüdern
und Schwestern machen. Die Vertreter aller Religionen mögen alle
Religionen in der Vaterschaft Gottes und der Brüderschaft der Menschen
verschmelzen lassen, dass die Prophezeiung Christi und die Hoffnung der
Welt erfüllt, und das Menschengeschlecht zu dem einen Königreiche Gottes,
unseres Vaters, werden möchte.“
Hier
haben wir eine klare Aussage über das Ziel und die Hoffnungen der
suchenden Philosophen; und wer könnte sagen, dass sie verfehlt hätten,
ihre Gelegenheiten wahrzunehmen? Wenn wir vor dem Kongress viel über die
Vaterschaft Gottes und die Brüderschaft der Menschen hörten - ohne
Anerkennung der Notwendigkeit eines Erlösers zur Tilgung der
Ungerechtigkeit, und um einen „neuen und lebendigen Weg durch den
Vorhang, welcher ist sein Fleisch“ zu eröffnen (zur Rückkehr zur
Familie Gottes) - wir haben seitdem noch vielmehr über dieselbe
Angelegenheit gehört. Wenn wir auch vor dem Kongress davon hörten, dass
die menschliche Gesellschaft durch sittliche Reformen erlöst werden soll,
und nicht durch das kostbare Blut, so haben wir doch seitdem noch vielmehr
von dieser unchristlichen Religion gehört. Es ist das letzte Stadium im
Abfall dieser letzten Tage des Evangeliums-Zeitalters. Er wird
weiterschreiten und zunehmen. Die Heilige Schrift erklärt: „Tausende
werden fallen an deiner Seite“, und der Apostel Paulus ermahnt: „Ziehet
an die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr an jenem bösen Tage zu
stehen vermöget“; und der Apostel Johannes fragt bezeichnend: „Wer
wird zu stehen vermögen?“ Der ganze Inhalt der Heiligen Schrift deutet
an, dass nach Gottes Willen eine große Erprobung über alle die kommt,
welche sich nach dem Namen Christi genannt haben, und dass die große
Masse der „Scheinweizen“ - Bekenner von allem Bekennen von Glauben an
das Erlösungs-Opfer, das von unserem Herrn ein für allemal erbracht ist,
abfallen wird, weil sie diese Wahrheit niemals aus Liebe zu ihr angenommen
hat. - 1. Thess. 2:10-12
Eine
Stimme aus Japan
Als
der gelehrte japanische Buddhist Kinza Ringe M. Harai seine Klarlegung über:
„Die wahre Stellung Japans der Christenheit gegenüber“ verlas,
runzelten sich bei einigen der christlichen Missionare die Augenbrauen,
und sie schüttelten missbilligend den Kopf. Der Buddhist richtete aber
seinen scharfen Vorwurf gegen die falschen Christen, die soviel getan
haben, um das Werk der Verbreitung des Evangeliums in Japan zu verhindern.
Wir geben im folgenden die Worte des Japaners wieder:
„Wenige
Länder in der Welt werden so missverstanden wie Japan. Unter den
zahlreichen unschönen Vorurteilen wird besonders das religiöse Empfinden
meiner Volksgenossen falsch dargestellt, und die ganze Nation wird als
heidnisch verurteilt. Mögen sie nun Heiden oder sonst etwas sein,
jedenfalls ist es Tatsache, dass Japan seit Beginn seiner Geschichte alle
Lehren mit Bereitwilligkeit angenommen hat, und dass auch die Belehrungen,
welche vom Ausland kamen, in völliger Übereinstimmung mit der
einheimischen Religion vermischt wurden, wie man dies an vielen Tempeln
sehen kann, welche eine vermischte Anwendung des Buddhismus und des
Shintuismus zeigen, auch an der Anhänglichkeit zwischen den Lehren des
Confucian und anderer Richtungen, zwischen buddhistischen und
Shintupriestern, wie auch an dem einzelnen Japaner, der allen diesen erwähnten
Lehren seine Aufmerksamkeit schenkt. Man kann es auch an dem eigenartigen
Bau der japanischen Häuser sehen, welche gewöhnlich zwei Räume haben,
einen für einen buddhistischen Tempel im Kleinen und einen für einen
kleinen Shintualtar, vor welchem die Familie die Schriften der
entsprechenden zwei Religionen erforscht. In Wirklichkeit ist
zusammengesetzte Religion eine japanische Eigenart, und ich zögere nicht,
sie Japanismus zu nennen.
„Sie
werden jedoch den Einwand erheben und sagen: „Weshalb wird denn dann das
Christentum nicht so warmen Herzens von eurer Nation aufgenommen, wenn
dies bei anderen Religionen der Fall ist?“ Dies ist gerade der Punkt,
den ich im besonderen vor Ihnen erörtern möchte. Es gibt zwei Gründe,
welche verhindern, dass das Christentum so bereitwillig aufgenommen wird.
Diese große Religion war in unserem Land weit verbreitet; als die
christlichen Missionare jedoch im Jahre 1637 zusammen mit Bekehrten einen
tragischen und blutigen Aufstand gegen unser Land unternahmen, fasste man
dies so auf, als wollten die Missionare Japan ihrem eigenen Mutterland
unterwerfen. Daran stießen sich die Japaner sehr, und die Shogun-Regierung
brauchte ein volles Jahr, um diese schreckliche Bewegung zu unterdrücken.
Denen, welche uns den Vorwurf machen, dass unser Mutterland das
Christentum verbot, wenn auch nicht jetzt, so doch in vergangener Zeit,
erwidere ich, dass dies nicht aus religiöser und eurer Rasse betreffender
Abneigung geschah, sondern zum Zwecke der Verhütung einer weiteren Empörung
dieser Art; und um unsere Unabhängigkeit zu schützen, waren wir
gezwungen, die Verkündigung des Evangeliums zu verbieten.
„In
unserer Geschichte war eine solche vom Ausland unter dem Deckmantel der
Religion kommende Verwüstung etwas noch nie Dagewesenes, und wenn unser
Volk nicht eine ererbte Abscheu, ein ererbtes Vorurteil gegen den Namen
der Christenheit gehabt hätte, so wäre ihre Lehre von der ganzen Nation
mit Eifer aufgenommen worden. Dieser Zwischenfall liegt jedoch nun in der
Vergangenheit, und wir können ihn vergessen. Es ist jedoch nicht so völlig
unvernünftig, dass dieser schreckliche Verdacht - Sie mögen es
vielleicht Aberglauben nennen - dass das Christentum das Mittel für
Ausbeutungen ist, bei uns im Orient geweckt wurde, da es doch eine
eingestandene Tatsache ist, dass einige der mächtigen Nationen der
Christenheit allmählich im Orient davon Missbrauch machen, und da der
folgende Umstand unserem Geist täglich eine lebhafte Erinnerung an das
vergangene geschichtliche Ereignis wieder zurückruft. Der Umstand, von
welchem ich jetzt sprechen will, betrifft unsere eigene tägliche
Erfahrung, auf welche ich den Kongress, und nicht nur den Kongress,
sondern die ganze Christenheit, aufmerksam mache.
„Vom
Jahre 1853 an, als Kommodore Perryals als Gesandter der Vereinigten
Staaten von Amerika nach Japan kam, ist unser Land unter den westlichen
Nationen besser bekannt geworden. Die neuen Häfen wurden weit geöffnet,
und das Verbot der Evangelisation wurde abgeschafft. Es war alles wie vor
der christlichen Revolution. Durch die Übereinkunft zu Geddo, dem
jetzigen Tokio, wurde der Vertrag zwischen Japan, Amerika und den europäischen
Nationen geschlossen. Es war zu der Zeit, als das Land noch unter der
Lehensregierung stand, und da wir über zwei Jahrhunderte lang, nämlich
seit der christlichen Empörung, abgeschlossen gewesen waren; die
Diplomatie war etwas ganz Neues für unsere Lehensbeamten, welche den
westlichen Mächten ihr volles Vertrauen schenkten, und ohne irgendwelche
Änderungen die Paragraphen der Vertrages annahmen, wie diese von den
westlichen Nationen vorgeschlagen worden waren. Diesem Vertrage gemäß
waren wir in einer sehr ungünstigen Lage; unter anderem befinden sich
unter den Paragraphen zwei wichtige, welche uns unserer Rechte und
Vorteile berauben. Der eine ist die Exterritorialität der westlichen
Nationen in Japan, wonach alle Rechtsfälle, mögen sie nun Personen oder
Eigentum betreffen, welche sich unter Untertanen der westlichen Nationen
in meinem Land, wie auch zwischen ihnen und zwischen Japanern erheben, den
Behörden der westlichen Nationen übergeben werden müssen. Ein anderer
betrifft die Zolltarife. Wir haben nicht das Recht, mehr als 5 Prozent vom
Wert zu erheben.
„Es
besteht auch eine Klausel, wonach jeder der beiden Kontrahenten, wenn er
ein Jahr vorher dies ankündigt, vom 1. Juli 1872 ab eine Revision
verlangen kann. So erbat unsere Regierung im Jahre 1871 eine Revision, und
seitdem haben wir ständig darum gebeten, die ausländischen Regierungen
haben unsere Gesuche aber einfach ignoriert, indem sie viele Ausreden
machten. Ein Teil des Zollvertrages mit den Vereinigten Staaten von
Nordamerika wurde annulliert, wofür wir der freundlich gesinnten
amerikanischen Nation aufrichtig dankbar sind, ich bedauere jedoch, sagen
zu müssen, dass in dieser Hinsicht keine europäische Macht in dem
Kielwasser Amerikas gefolgt ist, und unser Zollrecht bleibt in derselben
Verfassung, wie es war.
„Wir
haben keine gerichtliche Macht über die Ausländer in Japan, und als natürliche
Folge davon erleiden wir Schädigungen in gesetzlicher wie in moralischer
Hinsicht, von denen Sie die Berichte täglich in den Zeitungen lesen können.
Da die westlichen Nationen weit von uns entfernt leben, wissen sie nichts
von der genauen Lage. Wahrscheinlich hören sie hin und wieder die
Berichte der Missionare und ihrer Freunde in Japan. Ich stelle nicht in
Abrede, dass ihre Berichte wahr sind, wenn aber irgendjemand
wahrheitsgetreu hinsichtlich seines Freundes unterrichtet sein möchte, so
sollte er die Meinung über denselben von verschiedenen Seiten anhören.
Wenn sie mit vorurteilsfreiem Sinn genau prüfen würden, wie wir geschädigt
werden, so würden Sie erstaunt sein. Unter den verschiedenen Schädigungen
sind manche, die uns als „Heiden“ vorher vollständig unbekannt
gewesen waren, niemand würde auch nur im Privatgespräch von denselben zu
sprechen wagen.
„Eine
der Ausreden, welche das Ausland macht, ist, dass unser Land noch nicht
zivilisiert sei. Ist es der Grundsatz zivilisierter Gesetze, dass das
Recht und der Vorteil sogenannter Unzivilisierter und Schwächerer
geopfert werden sollen? Nach meinem Verständnis ist der Geist, ist es die
Notwendigkeit des Gesetzes, die Rechte und die Wohlfahrt der Schwächeren
den Bedrückungen des Stärkeren gegenüber zu schützen. Ich habe aber
bei meinem oberflächlichen Studium des Gesetzes niemals gefunden, dass
der Schwächere zugunsten des Stärkeren geopfert werden soll. Eine andere
Entschuldigung kommt von religiöser Seite, und es ist behauptet worden,
dass die Japaner Götzendiener und Heiden sind. Ob wir Götzendiener sind
oder nicht, werden Sie sofort erkennen, wenn Sie unsere religiöse
Anschauung ohne Vorurteil aus verbürgten japanischen Quellen prüfen.
„Aber
selbst zugestanden, wir wären Götzenanbeter, um die Folgerung zu ziehen,
würde es dann der christlichen Moral entsprechen, auf den Rechten und
Vorteilen einer nichtchristlichen Nation herumzutreten? Ich lese in der
Bibel: „So dich jemand auf deinen rechten Backen schlägt, so reiche ihm
den linken auch dar“, ich kann jedoch nicht eine einzige Stelle
entdecken, welche besagt: „So jemand Gerechtigkeit von dir fordert, so
schlage ihn auf den rechten Backen, und so er sich umdreht, so schlage ihn
auf den anderen.“ Wiederum lese ich in der Bibel: „Wenn jemand dich
vor Gericht schleppt, um dir einen Rock zu nehmen, so überlasse ihm auch
den Mantel“, aber nicht: „Wenn du jemand vor Gericht schleppst, um ihm
den Rock zu nehmen, so lass dir auch den Mantel geben.“
„Sie
senden uns Ihre Missionare nach Japan, und sie raten uns zu Sittlichkeit
und zu Glauben an das Christentum. Wir möchten gern sittlich sein, wir
wissen, dass das Christentum gut ist, und wir sind für dasselbe sehr
dankbar. Zu gleicher Zeit gerät unser Volk jedoch in Verwirrung und
Zweifel über diesen Rat, wenn wir daran denken, dass die christlichen
Nationen noch an dem Vertrag festhalten, welcher zur Zeit unseres
Lehenswesens, als wir politisch noch in den Kinderschuhen waren,
geschlossen wurde, wenn wir sehen, dass jährlich so viele westliche
Schiffe zum Robbenfang in unsere Gewässer eingeschmuggelt werden, wenn
Rechtsfälle jedes Mal von ausländischen Behörden entschieden werden in
für Japan ungünstiger Weise, wenn noch vor einigen Jahren ein Japaner
auf der Universität in Amerika wegen des Rassenunterschiedes nicht
zugelassen wurde, wenn die Schulbehörde in San Franzisko noch vor wenigen
Monaten anordnete, dass kein Japaner dort die öffentlichen Schulen
besuchen durfte, wenn kürzlich die Japaner in Scharen aus einem Teile
Amerikas ausgetrieben wurden, wenn unsere Geschäftsleute in San Franzisko
gezwungen wurden, nicht Japaner, sondern Amerikaner anzustellen, wenn es
Leute gibt, die in derselben Stadt vom Rednerpulte aus gegen diejenigen
sprechen, die schon gegenwärtig sind, wenn so viele Prozessionen Schilde
umhertragen mit der Aufschrift: „Fort mit den Japsen!“, wenn den
Japanern auf den Hawaii-Inseln kein Stimmrecht zugestanden wird; wenn wir
sehen, wie manche Leute an ihren Häusern die Aufschrift anbringen: „Japanern
ist der Zutritt verboten“ - so ähnlich, wie man ein Verbot für Hunde
anbringt; ist es, frage ich Sie, bei alledem für uns intelligente Heiden
unvernünftig, wenn wir zögern, den süßen und warmen Himmelstrank der
christlichen Religion zu schlucken, auch wenn wir anerkennen, dass die
westlichen Länder, von einem Standpunkt aus betrachtet, sehr freundlich
sind, nämlich indem sie uns Missionare senden? Wenn dies Christentum sein
soll, dann sind wir froh, Heiden zu sein.
„Es
mag jemand behaupten, dass es in Japan viele gibt, die gegen das
Christentum sprechen und schreiben. Ich bin kein Heuchler, ich will frei
bekennen, dass ich der erste in meinem Land war, der das Christentum
angriff – doch nicht das wahre, sondern das falsche Christentum, das
Unecht, welches uns durch christliche Völker zugefügt worden war. Wenn
jemand tadelt, dass es starke antichristliche Gesellschaften in Japan gibt,
so will ich ehrlich genug sein zu sagen, dass ich der erste war, der eine
Gesellschaft gegen das Christentum gründete, doch nicht gegen das wahre
Christentum, sondern zum Schutz gegen das falsche Christentum, und gegen
die Ungerechtigkeit, welche wir von Seiten christlicher Völker erdulden müssen.
Denken Sie bitte nicht, dass ich diesen Standpunkt vertrat, weil ich ein
Buddhist bin, denn der erwähnte war mein Standpunkt schon einige Jahre,
ehe ich in den buddhistischen Tempel eintrat. Zu gleicher Zeit will ich
jedoch auch stolz sagen, dass, wenn irgendjemand vor der Öffentlichkeit
unter dem Namen der zusammengesetzten Religionen von dem Zusammenhang
aller Religionen sprach, ich es war. Dies sage ich Ihnen, damit Sie mich
nicht für einen bigotten buddhistischen Sektierer halten.
„Genau
genommen gibt es überhaupt keinen Sektierer in Japan. Unser Volk weiß
sehr wohl, was für schwerverständliche Wahrheiten das Christentum
besitzt, und wir, wenigstens bei mir ist dies der Fall, kümmern uns nicht
um die Namen, wenn wir lehren. Ob der Buddhismus Christentum heißt oder
das Christentum Buddhismus, ob wir Confucianer sind oder Shintu, wir sind
nicht partikularistisch, aber hinsichtlich der gelehrten Wahrheit und
deren beständiger Anwendung sind wir sehr eigen. Ob Christus uns rettet,
oder ob er uns in die Hölle sendet, ob Gautama Buddha wirklich gelebt hat
oder nicht, dies ist uns nicht von Wichtigkeit, die Beständigkeit der
Lehre aber ist es, und das dementsprechende Verhalten, worauf wir den
meisten Wert legen. Darum wird unser Volk niemals sein Vorurteil gegen das
Christentum ablegen, sofern die Unbeständigkeit, welche wir bemerken,
nicht aufgegeben wird, und besonders, solange der ungerechte Vertrag nicht
auf unparteiischer Grundlage revidiert worden ist, mögen die begabtesten
Redner ihre Wahrheit auch noch so sehr von der Kanzel verkünden.
„Wir
werden oft Barbaren genannt, und ich habe oft gehört und gelesen, wir
Japaner wären zu beschränkt, um die Wahrheiten der Bibel verstehen zu können.
Ich will zugeben, dass dies in einem gewissen Sinne zutrifft. Obgleich sie
den Redefluss des Vortragenden bewundern, wie auch seinen Mut, obgleich
sie die Logik seiner Ausführungen bewundern, sind sie sehr beschränkt,
und sie wollen mit dem Christentum nichts zu tun haben, solange sie denken,
dass es die westliche Moral ist, das eine zu predigen und das andere zu
tun.
„Wenn
es irgendeine Religion geben mag, die Ungerechtigkeit gegen die Menschheit
lehrt, so werde ich sie bekämpfen mit Leib und Seele. Ich werde dem
Christentum gegenüber der bitterste Gegner oder aber der glühendste
Bewunderer sein. Den Herren, die diesen Kongress berufen haben, und allen
hier versammelten Damen und Herren rufe ich zu: Ihr Ziel ist die
Verwirklichung der religiösen Union, und dies nicht nur dem Namen nach,
sondern tatsächlich. Wir vierzig Millionen Japaner, die wir fest und
beharrlich auf dem Boden internationaler Gerechtigkeit stehen, erwarten
noch weitere Kundgebungen, nämlich hinsichtlich der Moral der
Christenheit.“
Begreift
man nun, warum die Christenheit die Welt nicht bekehrt hat?
Eine
Stimme von den jungen Männern des Orients erging durch Herant M.
Kiretchjian, Konstantinopel, wie folgt:
„Brüder
vom Sonnenaufgang aller Länder! Ich stehe hier, um die jungen Männer des
Orients zu vertreten von dem Land der Pyramiden bis zu den Eisfeldern
Sibiriens und von den Küsten des ägäischen Meeres bis zu den
japanischen Gewässern. Auf diesem wunderbaren Rednerpult des
Religionsparlaments, wo ich mich mit den Söhnen des Orients dem
amerikanischen Publikum gegenüber befinde, ist mein erster Gedanke jedoch
der, dass ich Ihnen sagen muss, dass Sie unbewusst einen Rat Ihrer Gläubiger
zusammengerufen haben. Blicken Sie in Ihre Bücher und prüfen Sie, ob
meine Behauptung richtig ist. Wir haben Ihnen Wissenschaft, Philosophie,
Theologie, Musik und Poesie gegeben, und wir haben für Sie Geschichte
gemacht zu ungeheuren Kosten. Außerdem ist aus dem Licht, welches vom
Himmel auf unser Land hernieder scheint, jene Wolke von Zeugen und Empfängern
Ihrer Inspiration, Heilige, Apostel, Propheten, Märtyrer, hervorgegangen.
Mit diesem reichen Kapital haben Sie ein riesenhaftes Vermögen
zusammengetragen, so dass Ihre Besitztümer vor Ihren Augen Ihre
Verbindlichkeiten verbergen. Wir wünschen nicht, einen Anteil an Ihrem
Reichtum zu haben, es ist aber gerecht, dass wir unseren Gewinnanteil
empfangen, und wie gewöhnlich ist es ein junger Mann, der den Gläubiger
vertritt.
„Sie
können diesen Gewinnanteil nicht mit Geld bezahlen. Ihr Gold brauchen Sie
selbst. Ihr Silber ist im Kurs gefallen. Wir bitten Sie: Geben Sie uns
einen reichen Gewinnanteil in Form der vollen Sympathie Ihres Herzens. Wie
der Künstler, der die Goldklumpen, sie nach ihrem Gewicht beurteilend, in
den Schmelztiegel mit verschiedener Form und Färbung wirft und, nachdem
Feuer und Waschung ihr Werk getan haben, das reine Gold herausfließen
sieht, so werden Sie, wenn dieser Kongress vorüber sein wird, zu welchem
Sie die Kinder des Menschengeschlechtes von allen Enden der Erde
zusammengerufen haben, finden, dass aus Rassenvorurteil und Dogma und aus
der Verschiedenheit der Gebräuche und Gottesverehrung nichts herausfließt
als das lautere Gold der Menschlichkeit; und fortan werden Sie nicht mehr
an uns denken als an Fremde in fernen Ländern, sondern als an Ihre Brüder
in China, Japan und Indien, Ihre Schwestern auf den Inseln Griechenlands
und in den Hochländern und Tälern Armeniens, und Sie werden uns einen so
reichen Gewinnanteil gezahlt und dabei selbst einen solchen Segen
empfangen haben, dass dieses Land zu einem Beulah-Land zukünftiger
Prophezeiung werden und das Echo jenes lieblichen Gesanges aussenden wird,
der einst auf unseren Fluren gehört wurde: „Friede auf Erden und an den
Menschen ein Wohlgefallen.“
„Es
ist Ihnen hier schon so viel gesagt worden von Männern der Weisheit und
der Erfahrung hinsichtlich religiösen Lebens, dass Sie nicht erwarten
werden, dass ich noch etwas hinzufüge. Es würde mir auch nicht geziemen,
Ihnen weitere Belehrungen über die Religionen der Welt zu geben. Es ist
aber ein neues Geschlecht aufgestanden aus der großen Vergangenheit, mit
dessen Einfluss im Werke der Menschheit das kommende Zeitalter wird zu
rechnen haben. Es ist das Produkt der Vergangenheit, die mit dem neuen
Leben der Gegenwart in Berührung tritt - ich meine die jungen Männer des
Orients, die sich anschicken, mit ihren Brüdern des großen Westens die
Erde in Besitz zu nehmen.
„Ich
bringe Ihnen eine Philosophie vom Bosporus und eine Religion aus der Stadt
Konstantins. Alle meine Schlussfolgerungen und meine feste Überzeugung,
die sich in mir während vergangener Jahre gebildet hatten, sind durch
diesen Kongress bis an ihre Wurzeln erschüttert worden. Doch heute finde
ich, dass diese Wurzeln noch tiefer in die Erde, und ihre Zweige noch höher
in den Himmel hineinreichen. Ich kann mir nicht anmaßen, Ihnen etwas
Neues zu bringen; wenn diese Schlussfolgerungen Ihnen jedoch als vernünftig
und als von Grundlagen kommend erscheinen, die die menschliche Intelligenz
annehmen kann, dann, davon bin ich überzeugt, werden Sie uns aufrichtige
Beweggründe zugute halten, und Sie werden uns das Recht zugestehen, an
dem festzuhalten, was ich Ihnen jetzt darzulegen gedenke.
„Als
die jungen Männer der Gegenwart noch Kinder waren, sahen und hörten sie
tagein tagaus nichts anderes als Feindschaft und Trennung zwischen
Menschen verschiedener Religionen und Nationalitäten. Ich brauche mich
nicht zu unterbrechen, um Ihnen zu sagen, welchen Einfluss dies auf das
Leben eines jungen Mannes ausübte, der sich getrennt fand von seinen
Mitmenschen, mit denen er im täglichen Leben in Berührung kam - in
Heerlagern, bereit zum Kampf gegeneinander. Als das Licht der Bildung und
der Gedanken der Freiheit im letzten Teil dieses Jahrhunderts sich über
den ganzen Orient auszubreiten begann, wurde dieses Joch auf dem Nacken
der jungen Männer drückender, unerträglich.
„Mit
dem Erwähnten habe ich junge Männer aller Nationalitäten eingeschlossen,
die während der vergangenen dreißig Jahre ihre Bildung auf den Universitäten
zu Paris, Heidelberg, Berlin und in anderen Städten Europas, auch im
Kaiserlichen Lyzeum zu Konstantinopel, empfingen. Sie haben bewusst oder
unbewusst, direkt oder indirekt das Gebäude ihrer Religion
zusammengestellt, so dass die tausend jungen Männer Ihre Stimme, welche für
sie ein Orakel war, wie eine Segnung aufnahmen, die ihr Herz und ihren
Geist erleuchtete.
„Sie
finden ihre Brüder in großen Scharen in allen Städten des Orients, in
welche die europäische Zivilisation ihren Eingang gefunden hat, und es
wird kaum eine Stadt geben, die ihren Einfluss nicht vor Ablauf des
Jahrhunderts verspüren würde. Ihre Religion ist die neueste aller
Religionen, und ich würde sie nicht auf diesem Rednerpult erwähnt haben,
wenn sie nicht einer der mächtigsten Einflüsse wäre, die sich im Orient
wirksam erweisen, und welchem die jungen Männer des Ostens die Spitze
bieten müssen, wenn wir auf die Völker der betroffenen Länder den
geringsten Einfluss haben wollen.
„Denn,
beachten Sie es wohl, es gibt intelligente Menschen, Menschen aus
hervorragenden Kreisen, die, zusammen mit allen anderen jungen Männern
des Orients, bewiesen haben, dass sie in der Kunst und der Wissenschaft
und im Handel der zivilisierten Welt, in den Heeren der Nationen und an
der Seite von Königen jedem Menschengeschlecht vom Aufgang der Sonne bis
zu ihrem Niedergang ebenbürtig sind. Zum größten Teil sind es außerdem
Menschen von den besten Absichten und der aufrichtigsten Überzeugung, und
wenn Sie ihr Urteil über Religion hören und an die Stellung denken,
welche sie einnehmen, so werden Sie als Mitglieder des Religionskongresses,
dessen bin ich gewiss, nicht umhin können, sich für diese Leute und für
das Land, in welchem sie wohnen, zu interessieren.
„Ich
vertrete persönlich die religiösen jungen Männer des Orients; lassen
Sie mich jedoch aus Vollmacht für die jungen Männer der neuesten
Religion sprechen: „Sie kommen zu uns im Namen der Religion, um uns zu
bringen, was wir schon besitzen. Wir glauben, dass der Mensch sich selbst
genügsam ist, wenn, wie Sie sagen, ein vollkommener Gott ihn erschuf.
Wenn Sie ihn allein lassen werden, so wird er alles sein, was er sein
sollte. Bilden Sie ihn, erziehen Sie ihn, binden Sie ihm nicht Hände und
Füße, und er wird ein vollkommener Mensch sein, würdig, der Bruder
eines anderen zu sein. Die Natur hat ihn zur Genüge ausgestattet, und die
Menschen sollten erst alles das ausnutzen, was ihnen in ihrer Intelligenz
gegeben ist, ehe sie Gott um etwas weiteres angehen. Außerdem hat niemand
Gott gefunden. Wir haben alle Inspiration, deren wir bedürfen, in
lieblicher Poesie und in entzückender Musik und in der Gesellschaft
verfeinerter und kultivierter Menschen. Wenn wir zuhören, so werden wir hören,
wie uns Händel vom Messias erzählt, und wenn die Himmel widerhallten,
ist es genug, dass wird Beethovens Auslegung besitzen.
„Wir
haben nichts gegen euch Christen als solche, aber wie von allen Religionen
müssen wir von der eurigen sagen, dass sie das größte Unheil über die
Menschheit brachte, indem sie Menschen wider Menschen, Nation wider Nation
aufgebracht hat. Und nun, um das Schlimme zum Schlimmsten zu steigern,
kommen Sie an diesem Tag höchsten Gemeinsinns, um den menschlichen Geist
mit unmöglichen Dingen zu erfüllen und das Gehirn mit endlosen
Diskussionen von tausend Sekten zu belasten. Denn viele habe ich von Ihnen
gehört, und ich weiß, wie viele noch folgen könnten. Wir betrachten Sie
als diejenigen von allen Menschen, welche man meiden muss, denn Ihre
Philosophien und Lehren bringen Pessimismus über das Land.
„Dann
aber habe ich Ihnen noch mit einem religiösen Instinkt und angeborenen
Achtgefühl, welches allen Orientalen eigen ist, zu sagen: Beachten Sie
jedoch, dass wir keine Ungläubigen, Leugner oder Zweifler sind. Wir haben
ganz einfach keine Zeit für dergleichen Dinge. Wir sind erfüllt von
Begeisterung für das höchste Leben, und was wir wünschen, ist Freiheit
für alle jungen Männer der Welt. Wir haben eine Religion, welche die
Menschen aller Länder verbindet und die Erde mit Freude erfüllt. Sie
entspricht allen Bedürfnissen des Menschen, und darum wissen wir, dass
sie die wahre Religion ist, besonders weil sie Frieden und große Übereinstimmung
bringt. So haben wir kein Verlangen nach einem „ismus“ von euch, noch
nach irgendeinem System oder Lehrsatz. Wir sind keine Materialisten,
Sozialisten, Nationalisten oder Pessimisten, wir sind auch keine
Idealisten. Wir sind im Besitz der ältesten Religion, welche war, und der
neuesten der neuen - wir sind Gentlemen. Im Namen des Friedens und der
Menschheit frage ich Sie: Können Sie uns nicht allein lassen? Wenn Sie
uns wieder einmal einladen werden im Namen der Religion, so werden wir
schon früher anderweitig zugesagt haben, und wenn Sie uns besuchen werden,
um zu predigen, werden wir nicht zu Hause sein.
„Der
junge Orientale ist wie der grüne Lorbeerbaum. Wo einer weggeht, so dass
Sie ihn nicht mehr an seinem Ort finden, werden zwanzig seine Lücke ausfüllen.
Glauben Sie mir, ich habe nicht übertrieben, denn Wort für Wort, und
zehnmal mehr als dieses, habe ich von intelligenten Männern in Heer und
Flotte gehört, von Kaufleuten und Juristen, im Privatgespräch und in
tiefgehenden Beweisführungen, auf den Straßen von Konstantinopel und in
den Schiffen im Goldenen Horn und Bosporus, in Rumänien und Bulgarien wie
auch in Paris und New York und im Auditorium in Chicago, von Türken und
Armeniern, Griechen und Hebräern, wie auch von Bulgaren und Serben, und
ich kann Ihnen sagen, dass diese neueste Religion, die die Tore von Handel
und Literatur, Wissenschaft und Gesetz innehat in Europa und im Orient,
eine äußerst mächtige Kraft ist in der Gestaltung der Geschicke der
Nationen des Ostens, so dass mit ihr hinsichtlich der Religion der Zukunft
zu rechnen ist.
„Es
gibt noch eine andere Klasse junger Männer im Orient, die sich die religiösen
jungen Männer nennen, und die an dem alten Glauben ihrer Väter
festhalten. Auch von ihnen behaupte ich, dass sie aufrichtiger Absichten,
intelligenten Geistes, wie auch fest in ihrer Überzeugung sind. Auch um für
sie zu sprechen, bin ich hierher gekommen, und indem ich dies tue, spreche
ich zu gleicher Zeit auch für mich selbst. Sie werden natürlich einsehen,
dass wir von der ersten Zeit an in Verbindung mit der neuen Religion -
lassen Sie mich dieselbe der Einfachheit halber so nennen - stehen mussten.
Wir mussten auf den Hochschulen und Universitäten mit eben diesen Männern
zusammen sein; wir müssen mit ihnen Hand in Hand gehen in Wissenschaft
und Geschichte, Literatur, Musik und Dichtkunst, und ganz natürlich
teilen wir ihren festen Glauben an alle wissenschaftlichen
Schlussfolgerungen und halten wir mit ihnen an allen Grundsätzen der
Freiheit der Menschen fest.
„Aufs
erste stehen die religiösen jungen Männer des Orients, die die tiefste
religiöse Überzeugung haben, ein für die Würde des Menschen. Ich
bedauere, damit beginnen zu müssen, doch die vereinten Stimmen und
Argumente der Philosophien und Theologien drängen uns eine so
unvermeidliche Folgerung auf, dass wir, ehe wir selbst über irgendeine
Religion sprechen, sagen müssen: Wir glauben, dass wir Menschen sind. Für
uns bedeutet es eine Schmähung der Menschheit und ein In-Fragestellen des
Gottes, der sie erschuf, wenn gesagt wird, der Mensch genüge sich selbst
nicht, er bedürfe der Religion, um vollkommen zu werden.
(Beachte,
wie sich der natürliche Mensch in einem Atemzug entschuldigt und anklagt.
Unvollkommenheiten können nicht geleugnet werden; es wird aber behauptet,
wir besäßen die Macht, uns mit der Zeit vollkommen zu machen. So wird
das „kostbare Blut“ des „Sündopfers“ von den Heiden, wie auch von
den weltlich Weisen der Christenheit geleugnet.)
„Es
bedeutet eine Schmähung der Menschheit, wenn man auf diesen oder jenen
Menschenschlag blickt und sagt, dass er ausnehmend viel Güte und Wahrheit
und hohe Ideale zeigt und ein Leben über gewöhnlichen tierischen
Begierden führt, weil er im Besitz von religiösen Lehren ist, die von
diesem oder jenem Menschen stammen oder von Offenbarungen des Himmels. Wir
glauben, dass der Mensch, wenn er ein Mensch ist, alles in sich selbst
besitzen muss, genau wie er die körperlichen Fähigkeiten besitzt. Wollen
Sie mir sagen, dass, während der Blumenkohl, der, wenn ich ihn auf das
Feld gepflanzt habe, in Schönheit und in Vollkommenheit der Entwicklung
heranwächst, mein Gehirn, welches der Schöpfer hunderttausendmal feiner
und vollkommener erschuf, nicht vermag, sich zu entfalten und das Werk zu
vollbringen, welches Gott von mir erwartet, und die hohen Gedanken zu
pflegen, welche ich pflegen soll? Wollen Sie sagen, dass, während eine
hilflose Kaulquappe zu einem Frosch mit vollkommenen und elastischen
Gliedern und schwellender Brust heranwächst und mit anderen Fröschen in
Zufriedenheit zusammen lebt und vereint mit ihnen quakt, der Mensch der
Religion und äußerer Hilfe bedarf, um sich zu entwickeln zur
Vollkommenheit an Leib und Seele, die Vaterschaft Gottes und die Brüderschaft
der Menschen anzuerkennen und in Frieden auf Gottes Erde zu wohnen? Ich
sage: Es ist ein In-Fragestellen des Gottes, der den Menschen erschuf,
wenn man eine solche Lehre verkündet oder ihr zustimmt.
„Auch
die unverbürgten Schlüsse der Wissenschaft nehmen wir nicht an. Mit
Affen haben wir nichts zu tun. Wenn sie mit uns zu sprechen wünschen, so
müssen sie zu uns heraufkommen. Es gibt im Westen einen Geist, welcher
Schwierigkeiten verursacht, die wir nicht verstehen. Eine der ersten
Erfahrungen in den Vereinigten Staaten machte ich bei einer Gesellschaft
von Damen und Herren in Philadelphia. Es wurde die Frage behandelt, ob
Tiere Seelen besitzen, und den Hauptgegenstand der Unterhaltung bildete
eine Katze. Gewichtige und gelehrte Schriften wurden verlesen, und das
Endresultat war, dass man nicht zur Lösung der Frage kommen konnte, weil
man nicht wusste, was eine Katze und was eine Seele ist. Die Frage galt
aber nach wie vor als wichtiger Punkt, der sich auf die Religion bezieht.
Nun stellen Sie sich einmal vor, ein armenisches Mädchen frage seine
Mutter, ob eine Katze eine Seele habe. Die Mutter würde die Frage
wahrscheinlich ganz beiläufig beantworten, zum Beispiel so: „Meine
Liebe, Du musst jetzt nachsehen, ob das Wasser kocht. (Warum setzest du
dir denn eine solche Frage in den Kopf? Natürlich hat die Katze eine
Seele. Eine Katze hat eine Katzenseele und ein Mensch hat eine
Menschenseele.) Aber nun geh und sieh nach!“ Und das Mädchen würde
gehen, voller Freude über seine Menschenseele. Und wenn eines Tages unser
armenisches Fräulein so beunruhigt werden sollte über das fehlende Glied,
von welchem jetzt soviel die Rede ist, dann würde es seinen Gleichmut
dennoch nicht verlieren und sich noch immer darüber freuen, ein Mensch zu
sein, und es würde vielleicht sagen: „Das fehlende Glied hat die Seele
des fehlenden Gliedes, und ein Mensch hat die Seele eines Menschen.“
„Im
allgemeinen gehen wir Hans in Hand mit den Damen und Herren auf der
gemeinsamen Stufe der Menschheit. Hier aber ist für uns ein Scheideweg,
und unsere Pfade werden ganz andere. Wir rufen aus: Lasst uns allein, und
wir werden uns entfalten und zu der uns bestimmten Höhe aufsteigen - und
sehen Sie, wir finden eine unsichtbare Macht, die uns nicht allein lässt.
Wir finden, dass wir fast alles zu vollbringen imstande sind auf den
Gebieten der Kunst und der Wissenschaft. Wenn es aber darauf ankommt,
unserer Überzeugung von dem, was hoch und edel, was recht und was für
unsere Entwicklung notwendig ist, zu folgen, so ermangeln wir der Kraft
und der Macht, um dahingehend vorwärts zu schreiten. Ich lege dies hier
in der einfachen Weise dar, da ich nicht ausführlich werden kann. Aber
ebenso gewiss, wie es für uns die Würde des Menschen gibt, gibt es für
uns auch eine Macht, die den Menschen von den Pfaden der Geradheit und
Ehre abbringt, die er sonst wandeln würde. Sie können nicht sagen, dass
sie dem Menschen innewohnt, denn wir empfinden, dass sie nicht dem
Menschen gehört. Wenn sie nicht uns gehörte, und wenn der Mensch es für
richtig hielt, hinabzusteigen in Entartung und Elend, Raubgier, zu dem
Wunsch, seine Mitmenschen zu vernichten, so sagen wir: „Lassen Sie ihn
allein, und lassen Sie ihn tun, was Gott ihn tun lassen will.“
„So
sage ich denn kurz einem jeden, der hier im Begriffe steht,
Glaubensbekenntnisse aufzustellen, noch ehe er damit zu Ende kommt: Ich
glaube an den Teufel, den Erzfeind Gottes, den Ankläger des Menschen bei
Gott. Ein Teufel für das ganze Universum? Darum kümmern wir uns nicht.
Eine Legion Dämonen, die jede Seele belagert? Das tut nichts zur Sache.
Das eine wissen wir, dass es eine Gewalt gibt, die dem Menschen fremd ist,
und die ihn mit Macht zur Seite zieht, und keine Macht der Erde kann ihr
widerstehen.
„Nun
kommen wir zu unserer Religion. Wenn ihr den jungen Männern eine Religion
zu bringen habt, so muss dieselbe eine Macht besitzen, welche die Macht
des Bösen in der Welt ausgleicht, ja überwiegt. Dann werden die Menschen
frei sein, um zu wachsen, und sie werden sein, wie es Gottes Wille ist.
Wir verlangen nach Gott. Wir verlangen nach seinem Geist, und diesen muss
die Religion, welche zu uns kommt, bringen, sonst ist sie für uns keine
Religion. Und wir glauben an einen Gott, nicht an den Gott des
Protoplasmas, der sich zwischen Molekülen verbirgt, sondern an einen persönlichen
Gott, dessen Kinder wir sind.
„So
setzen wir an dritte Stelle unserer Philosophie und unseres Protestes die
Würde Gottes. Ist das Rittertum tot? Ist alle Vorstellung von hohem und
edlem Leben, von lauterer Redlichkeit aus dem Herzen der Menschen
geschwunden, so dass wir nicht nach Ritterschaft und Fürstentum am Hofe
Gottes streben können? Wir wissen, dass wir seine Kinder sind, weil wir
seine Werke wirken und seine Gedanken denken. Wonach wir verlangen, ist:
Ihm gleich zu sein. O, es ist wahr, dass ich, während ich über Land und
Meer reisen kann, um an das Herz meiner Mutter zu eilen, um zu verspüren,
wie sie mich mit ihren Armen umschlingt, als Kind Gottes aber einer Macht,
die ich nicht zu überwinden vermag, im Universum hilflos gegenüber stehe,
so dass ich meine Hände nicht zu Gott erheben kann, um ihn anzurufen,
dass ich nicht seinen Geist in meiner Seele und das Umschlingen seiner
ewigen Arme, die mich in der Schwachheit stützen, verspüren kann?
„Und
nun kommt der Prediger aus alter Zeit und die moderne Kirche, und sie erzählen
uns von einem, der die Welt überwunden hat, und der vom Himmel hernieder
kam, denn kein von einem Weibe geborener Mensch hätte vollbringen können,
was er vollbrachte. Es wird uns aber gesagt, dass durch die Gnade und
durch das Wandeln auf dem Pfade, welchen er uns zeigt, der Geist Gottes in
unser Herz kommt, und dass ich verspüren kann, wie er in meinem Herzen
wider die Sünde kämpft und mein Herz stärkt, so dass ich standhaft
festhalten kann an dem, was ich durch das in mir wohnende Göttliche als
recht erkenne.
„Und
so komme ich mit zitternden Händen, aber fester Überzeugung, mit viel
Trauer über die Menschheit, aber mit der Freude eines ewigen Triumphes zu
den goldenen Toren des zwanzigsten Jahrhunderts, wo die Ältesten des zukünftigen
Gemeinwohles das Urteil sprechen über die Religion, welche jene Tür zur
Stärkung der menschlichen Herzen durchschreiten soll. Ich stelle
nebeneinander den alten orientalischen Confucianismus und die moderne
Theosophie, den alten orientalischen Buddhismus und den modernen
Spiritismus und jeden alten Glauben und den modernen Materialismus,
Rationalismus und Idealismus, und ich stelle daneben das alte
orientalische Christentum mit seinem Christus, der Macht Gottes und der
Weisheit Gottes und dem Kreuz, bei welchem noch immer seine Spitze stolz
umstrahlet heiliger Geschichte Glanz.“
Dieser
Redner legt, obwohl er nicht ein delegierter Vertreter des armenischen
Katholizismus ist, die Sache augenscheinlich vom Standpunkt der
armenischen Christen aus dar, welche die Türken letzthin in so
barbarischer Weise verfolgten. Seine Rede enthält verschiedene
ausgezeichnete Punkte. Man darf aber nicht denken, dass er nur ein
Beispiel der jungen Männer des Orients sei. Er ist denen, für welche er
sprach, ein gutes Stück Weg voraus. Auch wirft seine Rede nicht das
richtige Licht auf den armenischen Katholizismus mit seinen Gebeten für
die Toten, seiner Anbetung der Bilder der Heiligen und der Jungfrau Maria
und mit seiner gotteslästerlichen Lehre von der Messe, alles Erfindungen
Satans, welche zeigen, wie wenig Erkenntnis und Wertschätzung der
armenische Katholizismus hinsichtlich des Kreuzes und seines „ein für
allemal“ dargebrachten Opfers besitzt. Das „orientalische“
Christentum, auf welches der junge Mann uns verweist, ist nicht dasjenige,
welches wir achten, und welches wir uns zum Vorbild nehmen: Wir gehen zurück
zu dem Christentum, welches Christus, unser Herr und Erlöser, uns
gebracht hat, und welches die Apostel uns verkündet haben: - es ist weder
das morgenländische noch das abendländische, auch nicht das katholische
(allumfassende, allgemeine) Christentum, sondern die Macht und Weisheit
Gottes, „jedem, der da glaubt“ zur Gerechtigkeit. - Röm. 1:16
Der
denkende Leser wird angesichts dieses Bestrebens von Heiden, Gott zu
suchen und Gerechtigkeit sich anzueignen, angesichts dieses ihres Eifers,
vor ihren Mitmenschen zu zeigen, welchen Maßstab für das Recht sie haben,
um so schmerzlicher die Haltung der „Christen“ empfinden, die von
Kindesbeinen an unter günstigeren Verhältnissen lebten und alle
Gelegenheit, die Wahrheit zu erfahren, hatten, aber sich bereit zeigten,
diese Vorzüge um Menschengunst zu verkaufen! „Wem viel gegeben ist, von
dem wird man viel fordern“, sagt der Herr, der jetzt die Christenheit
auf die Wage gelegt hat.
Freilich
sind es nur wenige Heiden, die, so verstanden, Anspruch auf unsere
Bewunderung haben. Die Mehrzahl der heidnischen Vertreter prahlte mit
ihrem Aberglauben, und ein Mohammedaner hatte die Kühnheit, die
Vielweiberei zu empfehlen; und sollte man es glauben? Präsident Barrows
stillte sofort die sich hierbei geltend machende Entrüstung! Nachdem
Buddhisten, Shintoisten, Jainisten und römische Katholiken ihrer Freude
Ausdruck gaben darüber, dass sie so willig angehört worden seien, dass
sie bereits Brüderschaft aller Religionen erhofften, antwortete der
protestantische Missionar Dr. Candlin aus China:
„Die
allgemeine Anschauung ist, das Christentum allein sei von Gott, die wahre
Religion, die anderen Religionen seinen falsch, vom Teufel, oder
wenigstens von Menschen. Das wisst Ihr besser! Gott ist unser aller Vater,
und alle haben teil an seiner Gnade. Der heutige Tag ist ein neues
Pfingsten, und seine Folge wird die Bekehrung der Welt sein!“
So!
Wie gleicht denn das Bestreben, Wahrheit und Gerechtigkeit preiszugeben,
um den Widerchristen, den Götzenanbetern gleich zu werden, jener
glaubensvollen betenden Versammlung in Jerusalem, die geduldig der Macht
harrte, die sie von oben empfangen sollte? Was ist denn an jenem Parlament
geschehen, das auch nur im geringsten an die Ausgießung des Heiligen
Geistes erinnert hätte? Wozu soll die Welt bekehrt werden?
Der
Methodistenprediger Dr. Bristol ging so weit zu erklären, die Christen hätten
durch die Berührung mit allen orientalischen Religionen vieles gewonnen,
und es werde diesen hoch angerechnet werden, zur Erfüllung der Verheißung,
dass es einst einen Glauben, einen Herrn, einen Vater, eine Herde geben
werde, beigetragen zu haben; Rev. Chapin bezeichnete die Orientalen als
willkommene Mitarbeiter am Heil der Welt; Dr. Barrows erklärte in seinem
Abschiedswort, die Protestanten hätten an diesem Parlament viel gelernt;
und auf ähnliche Schlussworte des Vorsitzenden Bonney, auf das Gebet
eines Rabbiners und den Segensspruch eines römisch-katholischen Bischofs
antwortete fünftausendstimmig das Echo: „Friede auf Erden und an den
Menschen ein Wohlgefallen!“
Ausblicke
Welch
ein Preisgeben von Grundsätzen, Wahrheit und Treue gegen Gott bezeugten
doch diese Verhandlungen! Und dies unmittelbar vor dem Anbruch jener großen
Drangsal, die alle denkenden Menschen kommen fühlen und fürchten! Diese
Furcht ist es, die sie an jenem Parlament zusammengehalten hat; sie
suchten Schutz in ihrer Vereinigung. Sie riefen ihren verschiedenen
Kirchen „Friede! Friede!“ zu, „da doch kein Friede ist“ (Jer.
6:14); aber sie sind nicht ernster zu nehmen als die großen
„Friedens“-Kundgebungen der Flotten in Kiel. Die Zeit ist da, wo der
Herr selbst den Frieden verkündigen wird, doch nicht, bis er seine
Gegenwart durch den Sturmwind der Revolution und der Drangsal kundgemacht
hat. - Sach. 9:10; Nahum 1:3
Das
Parlament was in seinen eigenen Augen ein großer Erfolg. Es wähnte eben,
die ganze unwiedergeborene Menschheit in ein religiöses Band einschließen
zu können, ohne dass sie vom Irrtum und von ihren bösen Wegen lassen und
das Licht unseres Herrn Jesus annehmen müsse, welche das allein wahre
Licht ist. (2. Kor. 4:6; Joh. 1:9; 3:19) Es gibt „Christen“, die das
erhoffen und darin das glorreichste Ereignis der Geschichte zu erblicken
glauben!
In
unseren Augen aber ist das Parlament nur eine neue Kundmachung des
Unglaubens und der Untreue der Namenchristenheit. Jes. 29:14 sagt:
„Die
Weisheit seiner Weisen wird zunichte werden, und der Verstand seiner Verständigen
sich verbergen“; und (Jes. 8:9, 10): „Versammelt euch, ihr Völker,
und werdet zerschmettert! Und nehmet es zu Ohren, alle ihr Fernen der Erde!
Gürtet (bindet) euch (zusammen) und werdet zerschmettert! Beschließet
einen Ratschlag, und er soll vereitelt werden; redet ein Wort (zur
Vereinigung), und es soll nicht zustande kommen“; und der Psalmist
(2:1-5): „Warum sinnen Eitles die Völkerschaften? (Warum rufen sie
Friede! Friede, wenn es keinen Frieden gibt?) treten auf die Könige der
Erde (bürgerliche und kirchliche), und ratschlagen miteinander wider
Jehova und wider seinen Gesalbten: „Lasset uns zerreißen ihre Bande und
von uns werfen ihre Seile!“ Der im Himmel thront, lacht, der Herr
spottet ihrer. Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner
Zornglut wird er sie schrecken.“
Wenn
Gottes auserwähltes Volk des gegenwärtigen Zeitalters, das geistige
Namen-Israel, wie einst Namen-Israel nach dem Fleisch, sein Wort und seine
Führung verlässt und Verbindung mit Völkern sucht, die Gott nicht
kennen, und die göttliche Wahrheit mit menschlichen Philosophien zu
vermengen trachtet, so tut es das auf eine Gefahr hin, die es gar nicht
ahnt; es würde wohl daran tun, am Schicksal seines Vorbildes zu lernen,
wie Gott ihm vergelten wird!
Hier
folgen einige schlimme Folgen des Parlaments, die bereits bemerkbar sind:
1.
Es machte die bereits wankenden Gemüter der Namenchristenheit mit
verschiedenen heidnischen Regionen bekannt, und zwar in deren
idealisiertester Gestalt. Nachträglich erfuhren wir, dass Herr Virchandi
R. Gandhi aus Bombay, der indischer Abgeordneter für das Parlament und
Sekretär der Jainas-Gesellschaft gewesen war, wieder nach Amerika kam und
Chicago als Hauptquartier gewählt hatte, um hier Propaganda für seine
Anschauung zu machen. Wir lassen hier eine veröffentlichte Beschreibung
seiner Absichten folgen:
„Herr
Gandhi kommt nicht, um Proselyten zu machen. Der Grundsatz des
Jainistischen Glaubens verbietet dies. Er kommt vielmehr, um eine Schule
orientalischer Philosophie zu gründen, deren Hauptquartier in Chicago
sein wird, und die Zweigstellen in Cleveland, Washington, New York,
Rochester und anderen Städten haben wird. Er kommt nicht als Missionar,
um die Amerikaner zu irgendeiner Form des Hinduismus zu bekehren. Seinen
eigenen Gedanken gemäß ist der wahre Hinduismus Geist. Er besteht nicht
in Propaganda. Er ist ein allgemeiner Geist der Liebe und der Macht, der
der Verwirklichung der Brüderschaft entspricht, nicht der Brüderschaft
der Menschen allein, sondern aller lebenden Wesen, welche allerdings durch
alle Nationen mit dem Mund angestrebt, aber in den Gewohnheiten der Welt
verleugnet wird. Dies ist im großen und ganzen der Inhalt seiner
Glaubensbekenntnisse und die Grundlage, auf welcher er steht. Er ersucht
die Amerikaner nicht, sich ihm anzuschließen, sondern Mitarbeiter mit ihm
zu werden.“
Zweifellos
gewannen viele den Eindruck, dass es in religiöser Hinsicht nichts
Gewisses gibt. Dies wurde sogar angedeutet durch einen syrischen
Abgeordneten, Herrn Christophore Jibara, welcher sagte:
„Brüder
und Schwestern in der Verehrung Gottes! In den Augen der ganzen Welt sind
alle bei diesem allgemeinen religiösen Kongress vertretenen Religionen
einander parallel. Jede dieser Religionen hat Anhänger, die ihre eigene
anderen Religionen vorziehen, und jeder könnte einige Beweise erbringen,
um andere davon zu überzeugen, dass seine Religion wertvoll und wahr ist.
Aus diesen Diskussionen kann sich etwas anderes ergeben, vielleicht
Zweifel an allen Religionen, oder die Annahme, dass sie alle gleich sind.
Und daher mag die Achtung vor allen Religionen fallen oder abnehmen; es
mag sich Zweifel gegen alle inspirierten Bücher erheben, oder es kann
dazu führen, dass man allgemein nachlässig wird und an keiner bestimmten
Religion mehr festhält, und viele werden dahin kommen, dass sie wegen der
Unruhe in ihren Herzen und wegen der Anschauung, die in der einen
Religionsform vorherrscht, ihre religiösen Pflichten vollständig
vernachlässigen, gerade so, wie es bei vielen Millionen in Europa und
Amerika der Fall ist. Ich denke daher, dass aus den verschiedenen
Religionen ein Komitee auserwählt werden sollte, welches die Lehrsätze
untersucht und einen vollständigen und vollkommenen Vergleich anstellt,
so die richtige Religion feststellend, die dann dem Volk verkündigt wird.“
2.
Es begründete eine besondere Freundschaft zwischen der großen Babylon,
der „Mutter der Huren“, der „Kirche“ Roms, und ihren zahlreichen Töchtern,
den protestantischen Kirchen aller Schattierungen, welche sich ihrer wenig
schmeichelhaften Verwandtschaft mit der Mutter-Kirche rühmen.
3.
Es bedeutet einen großen Schritt weiter - andere werden folgen - in der
Richtung der Verbindung der Namenkirche mit der Welt (geistliche „Hurerei“).
4.
Es sagte tatsächlich den Heiden, christliche Missionen seien eigentlich
nicht nötig; die Christen seien über ihre eigene Religion im Zweifel;
ihre heidnischen Religionen seien gut genug, wenn sie nur aufrichtig
befolgt würden; das Christentum könne nur mit aller Reserve angenommen
werden. Nicht umsonst haben die Heiden einen Unterschied gemacht zwischen
dem „Christentum“ der Namenchristenheit und dem Christentum der Bibel,
und wie treffend waren oft die Vorwürfe an die Adresse des ersteren!
5.
Es sagte zu der gedankenlosen Namenchristenheit: „Friede! Friede!“, da
doch kein Friede ist, anstatt Alarm zu blasen, wie Joel (2:1) sagt: „Stoßet
in die Posaune auf Zion, und blaset Lärm auf meinem heiligen Berge! ...
denn es kommt der Tag Jehovas, denn er ist nahe!“ - und alle
aufzufordern, sich zu demütigen unter die gewaltige Hand Gottes.
6.
Es war offensichtlich eine Maßregel der Selbsthilfe seitens der führenden
Geister in der Namenchristenheit, die die Drangsal dieses Tages des Herrn
mit Angst herannahen fühlen; und den Anstoß zu dieser Maßregel gab die
zerrissene, schwankend gewordene Presbyterianer-“Kirche“. Dieser Ruf:
„Friede! Friede!“ unmittelbar vor dem Ausbruch des Sturms erinnert an
die Weissagung (1. Thess. 5:3): „Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit!
dann kommt ein plötzliches Verderben über sie.“
Kinder Gottes sollten sich durch Babylons trügerische Hoffnungen
nicht blenden lassen. Gott allein ist eine sichere Zuflucht. (Psalm 91)
Lasst uns noch enger als bisher uns an das Kreuz Christi, das unsere
einzige Hoffnung ist, zusammenschließen! Falsche Religionen und das
gefallene „Christentum“ mögen den Wert ihrer Brüderschaft erproben;
wir glauben nur an die Brüderschaft in Christo, die Brüderschaft derer,
die allein von Christo die Erlösung erwarten, durch den Glauben an sein
kostbares Blut. Andere Menschen sind nicht Kinder Gottes und werden es
nicht sein, bevor sie im Glauben zu Christo kommen, der sie erkauft hat
und sie vertreten will. Sie sind Kinder des Zornes, gleich wie wir waren,
ehe wir zu Christo kamen (Eph. 2:3), und einige sind Kinder des Bösen,
dessen Werk sie verrichten. Nachdem Gott Adam und seine Nachkommenschaft
zum Tode verurteilte wegen der Sünde, betrachtete und behandelte er die
Menschen nicht mehr als seine Kinder, und nur insofern sie zu Christo
kommen, durch den Glauben an sein kostbares Blut, werden sie wieder als
Kinder Gottes gerechnet und des Segens dieser Kindschaft teilhaftig.
Demnach, wenn wir nicht mehr Kinder des Zornes sind, sondern durch
Christum als Söhne Gottes anerkannt werden, so können andere Menschen,
die Gott nicht als Söhne anerkennt, nicht unsere Brüder sein. Als Kinder
des Lichtes lasst uns wachen und nüchtern sein (1. Thess. 5:5, 6); als
Streiter des Kreuzes lasst uns tapfer kämpfen für die Wahrheit und kein
anderes Evangelium annehmen, wäre es auch von einem Engel vom Himmel
(Gal. 1:8) verkündigt, und lasst uns mit niemand uns verbünden, als nur
mit den geweihten und treuen Nachfolgern des Lammes Gottes, welches der
Welt Sünde wegnimmt.
Es
sind jedoch nicht alle Christen so bereit, sich in Religionssachen mit den
Heiden zu verbrüdern, wie die Vertreter der Kirchen im Religionskongress.
Es fehlt nicht an Stimmen, welche von der Einsicht zeugen, dass die „Kirche“
in ihrem gegenwärtigen Zustand die Welt nicht zu bekehren vermag.
Folgender Auszug aus einer Nummer der „Missionary Review“ bestätigt
uns, dass die Kirche hinsichtlich des Werkes der Bekehrung der Welt
gefehlt hat:
„Tausend
Millionen Seelen, zwei Drittel der Menschheit - Heiden, Mohammedaner usw.
- haben noch keine Bibel gesehen und noch nichts von einem Evangelium gehört.
Für diese tausend Millionen sind weniger als zehntausend protestantische
Missionare, Männer und Frauen, von den christlichen Kirchen ausgesandt
worden. Tibet, fast ganz Zentralasien, Afghanistan, Belutschistan, Arabien,
der größte Teil des Sudans, Abessiniens, der Philippinen, große Teile
von Westchina, Ost- und Zentral-Kongo, von Südamerika und viele Inseln
sind vom protestantischen Missionswerk unberührt geblieben.“
In
einer Flugschrift machte vor einiger Zeit Rev. James Johnston darauf
aufmerksam, dass in den hundert Jahren, seit die protestantische Mission
am Werke ist, sie nur drei Millionen Seelen gewonnen hat, indes die Heiden
um 200 Millionen Köpfe zugenommen haben, nicht nur auf dem Wege der Bevölkerungsvermehrung,
sondern weil Brahmanen, Buddhisten und Mohammedaner mit ihren
Bekehrungsversuchen viel mehr Erfolg haben.
Dennoch
hofft Johnston auf die Bekehrung der Welt durch die Protestanten, wenn
diese nur das nötige Geld hergeben, und findet für diese Hoffnung den
Beifall der „Methodist Times“ und anderer Theoretiker.
Ja,
eben nur Geld wird als nötig betrachtet! Wenn die Namenkirche es bei
ihren Anhängern zu so viel Selbstverleugnung brächte, dass diese ein
Zehntel von ihrem Einkommen oder wenigstens von ihren Ersparnissen dem
Missionswerk zur Verfügung stellten, so würden sie dieses mit größeren
Hoffnungen betrachten. Aber gerade darin liegt das Verzweifeltste an der
trügerischen Hoffnung der Namenkirche. Es wäre leichter, die Heiden zu
einem bloßen Bekennerchristentum zu bekehren, als den Geist dieser Welt
in den Mitgliedern der „Kirchen“ zu besiegen.
Aber
wenn auch 12.000 Missionare auf einmal ins Feld gestellt werden könnten,
hätten sie mehr Erfolg als ihre Amtsgenossen in Amerika? Höre doch das
betreffende Zeugnis des verstorbenen bekannten protestantischen
Geistlichen T. De Witt Talmage:
„O,
wir haben ein glänzendes Kirchensystem in diesem Land, wir haben 60.000
Prediger; wir haben kostbare Musik; wir haben große Sonntagsschulen;
dennoch muss ich Ihnen die erschreckende Statistik vorlegen, dass die
Kirchen in den letzten fünfundzwanzig Jahren in diesem Land
durchschnittlich je zwei Bekehrungen jährlich erreichten.
„Durchschnittlich
gab es in einer Kirchengemeinde vier oder fünf Tote. Wann werden wir denn
demzufolge diese Welt zu Gott gebracht haben? Wir gewinnen zwei; wir
verlieren vier. Ewiger Gott! Wohin soll das führen?“
Vor
einiger Zeit erörterte der Domherr Taylor von der englischen Kirche die
Frage: „Sind die christlichen Missionen ein Fehlschlag?“ Die
Abhandlung wurde bei dem Kongress der englischen Kirche verlesen. Taylor führte
darin aus, dass die mohammedanische Religion in mancher Hinsicht dem
Christentum nicht nur gleichwertig sei, sondern dass sie den Bedürfnissen
und Verhältnissen vieler Völker in Asien und Afrika weit besser
angepasst sei, so dass das Christentum bei seinem gegenwärtigen
Fortschritt niemals hoffen kann, das Heidentum zu überflügeln. Wenn man
annimmt, dass unter den Heiden jährlich 11.000.000 Menschen mehr geboren
werden als sterben, während unter den Christen diese Zahl 60.000 beträgt,
so würden die Missionsgesellschaften 183 Jahre brauchen, um die einjährige
Bevölkerungszunahme der Heiden einzuholen. Unter anderem sagte er:
„Den
Sonntagsschulkindern ihre ersparten Groschen abzunehmen, angeblich, um
damit die „armen Heiden“ zu bekehren, während man 60.000 Dollar jährlich
ausgibt für eine fruchtlose Mission in Ländern, in welchen es keine
Heiden gibt, erscheint mir fast als Verbrechen - das Verbrechen, Geld
zusammenzutreiben unter falschem Vorwand.“
Indem
er ausführte, was nach seinem Dafürhalten die Ursache des Fehlschlages
der Mission sei, sagte er, dass sie sicherlich in dem Sektierertum zu
suchen sei und in dem Mangel an voller Weihung für das Werk seitens der
Missionare, welche sich bemühten, als Fürsten in mehr als europäischem
Luxus zu leben. Er zitierte folgende Worte von D. Legge, einem Missionar
von vierunddreißigjähriger Amtstätigkeit:
„Ich
glaube, unsere Bekehrungsbemühungen werden so lange vergeblich sein, wie
das Christentum noch durch die bitteren inneren Feindseligkeiten
christlicher Sekten geschädigt wird und sich den Eingeborenen noch mit
der Trunkenheit, der Verworfenheit und mit den riesenhaften sozialen Übeln,
welche bei den christlichen Nationen auftreten, zeigt. Bischof Steere sagt,
die beiden größten Hindernisse zum Erfolg seien die Streitigkeiten unter
den Missionaren selbst und die Nebenbuhlerschaft der Gesellschaften.“
Während
Domherr Taylor und viele andere aber, die bei dem Religionskongress ihre
Empfindungen zum Ausdruck brachten, die Kritik zum Schweigen bringen würden,
indem sie uns sagen, dass die heidnischen Religionen gut genug seien und
den Bedürfnissen der betreffenden Länder besser entsprächen als das
Christentum, so bekommen wir doch durch den Bericht des verstorbenen
Bischofs Foster von der Methodistenkirche eine weit andere Vorstellung.
Bischof Foster gab nach einer ausgedehnten Weltreise das folgende Bild über
den traurigen Zustand der heidnischen Finsternis:
„Nimm
dir alle Bilder von Armut und Verkommenheit, die du je an einzelnen Stätten
des größten Elends gesehen hast, zu Hilfe - jene traurigen Fälle, die
dir Entsetzen einflößend folgten, jene traurigen Wohnungen, welche von
Unflat und Schmutz erfüllt sind, stelle sie zusammen in ein Bild, das in
seiner Eintönigkeit durch keinen einzigen gemäßigteren Schatten, durch
keine einzige Lichtfärbung unterbrochen wird, und hänge es über die
eine Hälfte deines Globusses - es wird der Wirklichkeit noch nicht gleich
kommen. Du musst es vom Standpunkt völliger Hoffnungslosigkeit aus
betrachten. Der hervortretendste Zug des Heidentums ist Armut. Du hast
niemals Armut gesehen, die Bedeutung des Wortes Armut ist dir völlig
unbekannt, denn was du Armut nennst, ist Reichtum, Luxus. Du musst dir
diese Armut nicht als vereinzelt an ausnehmend elenden Stätten vorstellen,
sondern allgemein als Weltteil umfassend. Lege Hunger, Nacktheit,
Bestialität hinein, nimm alle Hoffnung, morgen sei es etwas besser,
hinweg; fülle Asien, fülle Afrika damit, stelle dir Männer, Frauen und
Kinder vor, an Zahl diejenige aller eurer großen Städte, eurer Länder
und Staaten zwanzigfach übertreffend - das Bild wird der Wirklichkeit
nicht gleichkommen.“
Der
Bischof setzt seine Ausführungen mit eindrucksvollen Worten fort. Er
erinnert daran, dass diese Millionen Elender wie Tiere, ohne Gott und ohne
Hoffnung in der Welt leben, dass sie nicht von einer zukünftigen Welt
Besseres erwarten, und dass sie doch ebenso gut Menschen sind wie wir.
Unter all diesen Millionen gibt es kein Herz, das nicht menschliches
Sehnen empfände, und das nicht gereinigt und veredelt werden könnte.
Viele der erwähnten Länder, die sich jetzt in ungeheurem Elend befinden,
würden, hätten sie, was wir haben, unseren Ländern gleichkommen, ja,
großenteils sie sogar übertreffen. Wir geben des weiteren seine eigenen
Worte wieder:
„Male
dir einen sternenlosen Nachthimmel aus, verhülle den weitreichenden
Ausblick der Berge durch Dunkelheit, lass die Zukunft in noch tieferer und
schwärzerer Nacht erscheinen, erfülle die schreckliche Düsterheit mit
hungrigen Menschen, mit Männern, deren Angesichter von Kummer entstellt
sind, mit sorgerfüllten Frauen, hoffnungslosen Kindern - das ist die
heidnische Welt, das Volk, welches der Prophet „in Finsternis und im
Lande des Todesschattens“ sitzen sah, das noch kein Licht gesehen hat,
das noch immer dort sitzt, während der ganzen langen, langen Nacht, auf
den Morgen wartend. Tausend Millionen im Land des Todesschattens,
demselben Land, in welchem ihre Väter vor fünfundzwanzig Jahrhunderten
saßen, warten noch immer, nicht fähig, für ihre Bedürfnisse zu sorgen.
Millionen ernähren sich von Wurzeln und Kräutern und von dem unsicheren
Ertrag, den die Natur, welche der Verstand sich nicht unterworfen hat,
liefern mag. Diejenigen, welche unter Regierungsformen wohnen und in
halbzivilisierten Gebieten, welche Ländereien in gewisser Weise ordnen
und Industrie begünstigen, verdienen täglich nicht mehr als drei Cents,
womit sie sich und ihre Kinder unterhalten sollen - in Wirklichkeit nicht
genug, um ein Tier damit zu unterhalten. Von ihren Tyrannen werden sie natürlich
ausgebeutet. Zu Scharen wohnen sie eingepfercht in Ställen, welche für
Schweine nicht passen würden; keinerlei Vorkehrung ist getroffen für
ihre menschlichen Bedürfnisse. Unterdrückt durch die Tyrannei roher
Gewalt werden alle menschlichen Spuren in ihnen ausgelöscht, außer einem
unausrottbaren, stummen und blinden Sehnen nach etwas, sie wissen nicht,
was es ist - das sind die Heiden, Männer und Frauen, unsere Brüder und
Schwestern.
„Ich
bezweifle nicht, dass die zahllosen Millionen in der kommenden Welt
gerettet werden. Ich behaupte nicht, dass ihre Aussicht in dieser Hinsicht
dadurch gebessert wird, dass wir ihnen das Evangelium bringen. Möglicherweise
werden von ihnen ohne das Evangelium ebenso viele gerettet wie mit
demselben.“
Der
Bischof erwähnte auch die Tatsache, dass von der Bevölkerung der Welt,
welche auf 1.450 Millionen geschätzt wird, 1.100 Millionen Nichtchristen
sind und dass viele (in der Tat fast alle) der Namenchristen entweder
Heiden oder christenfeindlich sind. Er versuchte angesichts des
Misslingens der Kirche hinsichtlich der Bekehrung der Welt während eines
Zeitraumes von achtzehn Jahrhunderten und angesichts der
Hoffnungslosigkeit des Falles, die Kirche von der Verantwortung, die sie
auf sich geladen hatte, zu befreien, indem er sagte, dass diese Millionen
Heiden wohl ohne Glauben an Christum gerettet werden müssen. Er befreite
Gott selbst von der Verantwortung für diese Not, indem er sagte: „Gott
tut sein Bestes mit der Macht, die ihm verliehen worden ist.“ (!!)
Die
„Church Times“ veröffentlichten vor einigen Jahren den Artikel eines
Maori-Christen, von welchem der folgende Auszug die Ursache darlegt,
weshalb die Kirche verfehlte, die Welt in nennenswertem Maße zu
erleuchten. Der Brief erschien ursprünglich in einer neuseeländischen
Zeitung und lautet wie folgt:
„Sie
veröffentlichten vor einigen Tagen einen Bericht darüber, was sich bei
einer Versammlung von Maori-Christen, die von einem Bischof der
christlichen Kirche zusammengerufen wurde, ereignete. Ich war bei der
Versammlung zugegen und möchte gern eine Antwort geben auf eine der
Fragen, welche der Bischof uns stellte. Wir wurden gefragt: „Warum ist
das Feuer des christlichen Glaubens bei den Maori-Christen meiner Diözese
so gering?“ Ich will Ihnen sagen, was ich für die Ursache halte. Wir
Maoris werden verwirrt und befremdet durch die Art und Weise, mit welcher
Sie Europäer Ihre eigene Religion behandeln. Niemand unter Ihnen scheint
sich gewiss zu sein, ob die Religion überhaupt eine Bedeutung habe oder
nicht. Auf Geheiß Ihrer ersten Missionare nahmen wir das an, was uns als
wahre Religion bezeichnet wurde an Stelle der Religion unserer Väter,
welche sie als falsch darstellten. Wir nahmen das Buch an, welches die
Geschichte und die Vorschriften der „wahren Religion“ enthielt, als
das wahre Wort Gottes für uns, seine Geschöpfe. In ganz Neuseeland
brachten wir dem Schöpfer täglich am Morgen und am Abend Anbetung dar.
Wir hielten den siebenten Tag heilig, und wir nahmen Abstand von jeder
Arbeit, aus Achtung vor dem göttlichen Gebot, und aus demselben Grunde
schafften wir die Sklaverei und die Vielweiberei ab, obgleich wir auf
diese Weise unser ganzes soziales System umstießen, unseren Edelstand arm
machten und denen viel Schmerz bereiteten, welche einige der zartesten
Familienbande trennen mussten. Als wir eben angefangen hatten, unsere
Kinder zu erziehen zum Gehorsam gegen Gott und zur Erkenntnis des Schöpfers,
kamen die Europäer in großer Anzahl in unser Land. Sie besuchten unsere
Ortschaften und erschienen sehr freundlich, wir aber merkten bald, dass
sie der Bibel nicht dieselbe Beachtung schenkten wie wir. Die römischen
Katholiken sagten uns, sie allein wären im Besitz der richtigen Auslegung,
unsere Seelen würden verloren gehen, wenn wir uns ihnen nicht anschlössen.
Darauf kamen die Baptisten, welche unsere Kindertaufe lächerlich machten
und uns sagten, dass wir gar keine getauften Christen seien, wenn wir
nicht untergetaucht wären. Dann kamen die Presbyterianer, welche uns
sagten, dass das Bischofsamt nicht schriftgemäß sei und dass wir uns
einer bedeutungslosen Zeremonie unterworfen hätten, als wir uns durch
Bischof Selwyn konfirmieren ließen. Schließlich kamen auch die Plymouth-Brüder,
welche uns sagten, Christus habe überhaupt keine sichtbare Kirche, gar
kein sichtbares Kirchenamt eingerichtet, jeder solle vielmehr sein eigener
Geistlicher sein und sein eigenes Glaubensbekenntnis machen. Außer der
Verwirrung, welche durch das gottlose Beispiel der meisten Europäer und
durch die widerspruchsvollen Lehren der Geistlichen in unserem Geiste
hervorgerufen wird, werden wir noch durch das Verhalten der Regierung
verwirrt, die, während sie doch vorgibt, an dem moralischen Gesetz der
Bibel festzuhalten, als wir machtlos wurden, nicht zögerte, feierliche
Versprechen zu brechen, welche uns zu einer Zeit gegeben worden waren, da
wir zahlreicher und mächtiger waren als die Europäer. Groß war unsere
Überraschung, als das Parlament, welches sich nicht aus unwissenden
Menschen niedriger Geburt zusammensetzte, sondern aus europäischen Herren,
welche sich Christen nannten, die Bibel aus den Schulen verbannte. Während
es die Lehrer anwies, die neuseeländischen Kinder in allen Zweigen der
Wissenschaft fleißig zu unterrichten, sagte es ihnen bei keiner
Gelegenheit, sie sollten etwas über die christliche Religion, über Gott
und sein Gesetz, lehren. Mein heidnischer Lehrer hatte mich gelehrt, die
unsichtbare Macht zu fürchten und zu verehren, und meine Eltern lehrten
mich, bei allen meinen Handlungen dem Atuas Gehorsam zu leisten, der mich
sonst bestrafen würde. Meine Kinder aber werden in den Schulen dieses
jetzt christlichen Landes nicht gelehrt, einem Wesen Achtung zu erweisen,
welches über dem Polizisten steht oder einen Richter zu fürchten, der
noch über dem Friedensrichter steht.
„Wenn
der christliche Bischof uns wieder einmal fragen sollte, weshalb wir so
wenig Glaubensfeuer besitzen, so gedenke ich ihm zu antworten, er solle
uns doch erst einmal sagen, weshalb dies denn bei seinem eigenen Volk der
Fall ist. Wir hätten geeignete Worte anführen können aus dem Buche,
welches das englische Volk für jeden Menschen - nur nicht für sich
selbst - als Lebensregel annehmen und als Gottes Wort verehren will, nämlich:
„Arzt, hilf dir selbst.“
„Können
unwissende Maori-Christen getadelt werden, weil sie lauwarm sind im
Dienste Gottes, dessen Existenz der Aussage eines Geistlichen gemäß in
der Christenheit niemand nachweisen kann? Manchmal denke ich, meine Kinder
hätten mehr Aussicht gehabt, ehrenwerte Männer und Frauen und glücklich
zu werden, wenn die Zeit kommt, da sie in die unsichtbare Welt eingehen
und ihren Schöpfer treffen sollen, wenn ich mit dem ersten Maorikönig (Potatu),
ehe ich ein offenes Bekenntnis zu Ihrer Religion ablege, gesagt hätte:
„Sie sollten erst unter sich ausmachen, was Religion eigentlich ist.“
Ich glaube, dass der wahre Glaube an die unsichtbare, geistige Welt, den
meine Väter hatten, besser ist als der Scheinglaube, den wir auf Anraten
des europäischen Volkes mit ihm vertauschten. Hochachtungsvoll
Tangata Maori.“
Folgender
Auszug aus einem Artikel der „North American Review“, der von Wong
Chin Foo, einem gebildeten Chinesen, einem Studenten einer neuenglischen
Hochschule stammt, zeigt ähnliche Gründe, weshalb die Religion der Väter
dem Christentum vorgezogen wurde. Wong Chin Foo sagte folgendes:
„Als
Heide geboren und erzogen, erlernte ich unser moralisches und religiöses
Gesetzbuch, und ich handelte danach. Dadurch war ich mir selbst und
anderen zum Nutzen. Mein Gewissen war rein, und meine Hoffnungen
hinsichtlich der Zukunft waren nicht verdunkelt durch ablenkende Zweifel.
Mit dem Alter von siebzehn Jahren wurde ich jedoch in Ihre gerühmte
christliche Zivilisation versetzt, und in dieser Periode, wo man so empfänglich
ist, stellte sich das Christentum mir in dem glänzendsten Lichte dar.
Liebenswürdige, christliche Freunde nahmen sich meiner materiellen und
religiösen Wohlfahrt an, und ich war nur zu willig, die Wahrheit zu
erfahren. Ich wurde überredet, mein Leben der christlichen Mission zu
weihen. Ehe ich dieses hohe Amt antrat, musste ich aber die christliche
Lehre, welche ich verbreiten wollte, selbst erlernen, und nun wurde ich
durch die Zahllosigkeit der christlichen Sekten beunruhigt. Jede
behauptete, allein den richtigen Pfad zum Himmel zu wissen.
„In
den Presbyterianismus blickte ich nur, um zurückzuschaudern vor dem
Glauben an einen so unbarmherzigen Gott, der die meisten des hilflosen
Menschengeschlechtes zu einer ewigen Qual im voraus bestimmte. Wenn ich so
etwas intelligenten Heiden predigen würde, so würden diese an der
Gesundheit meines Verstandes zweifeln, wenn sie mich nicht für einen Lügner
halten würden. Dann untersuchte ich die baptistischen Lehren, fand hier
aber so viele Sekten, die sich nicht einig waren über den Nutzen der Einführung
durch kaltes Wasser und über Zeit und Methode hinsichtlich der Durchführung
derselben, dass mich diese Geringfügigkeiten anekelten. Die
Streitigkeiten über das Abendmahl erweckten in mir den Eindruck, dass
einige mit ihrem Brot und Wein sehr geizig waren und andere etwas weniger.
Der Methodismus berührte mich wie eine Donner- und Blitz-Religion, lauter
Bekenntnis und Geräusch. Die Kongregationalisten stießen mich ab durch
ihre Steifheit und ihr Selbstbewusstsein hinsichtlich wahrer Frömmigkeit.
Der Unitarianismus schien mir aus lauter Zweifeln zu bestehen, er schien
sich selbst anzuzweifeln. Die Prüfung einer Anzahl christlicher Sekten,
die auf Überspanntheiten basierten, achtete ich als Nichtchrist nicht der
Mühe wert. In einem Punkt stimmte aber die Masse der protestantischen
Abzweigungen überein, und zwar in dem vereinten Hasse gegen den
Katholizismus, der älteren Form des Christentums. Der Katholizismus
erwidert seinerseits diesen Hass mit Zins und Zinseszinsen. Hochmütig
erklärte er sich einfach als die einzig wahre Kirche, außerhalb derer es
keine Errettung gibt - besonders für Protestanten nicht, und dass ihr
Oberhaupt der persönliche, unfehlbare Stellvertreter Gottes auf Erden sei.
Hier war religiöse Einigkeit, Macht und Autorität mit einer Rache. Meine
protestantischen Freunde warnten mich aber einstimmig vor dem
Katholizismus, der schlimmer sei als Heidentum, dem stimmte nun auch ich
wieder zu. Dasselbe Argument überzeugte mich aber auch davon, dass der
Protestantismus zu derselben Kategorie gehört. In der Tat, je mehr ich
das Christentum in seinen verschiedenen Formen, von denen eine die andere
bekrittelt, erforschte, um so mehr erschien es mir als „ein tönendes
Erz und eine schallende Zimbel.“
„Nennen
Sie uns Heiden, wenn Sie das wollen, die Chinesen sind in sozialer
Hinsicht Ihnen doch noch überlegen. Unter vierhundert Millionen Chinesen
gibt es während eines Jahres weniger Morde und Diebstähle als im Staate
von New York. Es ist wahr, China unterhält einen luxuriösen Monarchen,
dessen Launen man willfahren muss, trotzdem gibt es kein Volk in der Welt,
welches so wenig Steuern zu bezahlen braucht, wie das chinesische. Wir
brauchen nur in Form von Bodenerträgen, Reis und Salz zu zahlen, und
dennoch hat China nicht einen Dollar Nationalschulden.
„Die
Christenheit ist immer stolz auf ihre Religion. Es werden große Kirchen
gebaut und lange Gebete gehalten, und doch gibt es in einer einzigen
Kirchengemeinde von tausend Seelen in New York mehr Verderbtheit als unter
einer Million Heiden, die keine Kirchen besitzen, und denen nicht
gepredigt wird. Die Christen sprechen lang und breit darüber, wie man gut
und wohltätig sein sollte. Es ist alles nur Wohltätigkeit und keine Brüderlichkeit:
Hier, Hund, nimm deine Kruste und sei dankbar! Ist es denn darum ein
Wunder, dass es während eines Jahres im Staate New York mehr
Herzzerbrechen und Selbstmorde gibt als in ganz China?
„Der
Unterschied zwischen Heiden und Christen besteht darin, dass der Heide das
Gute tut um des Guten willen. Der Christ tut das wenige Gute, das er
vollbringt, um der zeitlichen Ehre und um der zukünftigen Belohnung
willen; er leiht dem Herrn und fordert es mit Zinsen zurück. In der Tat,
der Christ ist ein würdiger Erbe seiner religiösen Vorfahren. Der Heide
tut viel und spricht wenig darüber, der Christ tut wenig, wenn er aber
etwas tut, muss es in die Zeitung kommen und schließlich auch auf seinem
Grabstein stehen. Liebe den Menschen um des Guten willen, das er dir tut,
das ist ein praktischer christlicher Gedanke, nicht um des Guten willen,
das du ihm tun solltest aus Christenpflicht; so lieben die Christen die
Heiden; ja, die Besitztümer der Heiden lieben sie, und im Verhältnis zu
letzteren wächst die Liebe der Christen ins Unermessliche. Als den Engländern
nach dem chinesischen Gold und Handel gelüstete, sagte er, er wünsche
„Chinas Tore der Mission zu öffnen.“ Der Opiumhandel war seine
Hauptmission, ja, war seine einzige Mission, nachdem er einmal die Öffnung
der Tore Chinas erzwungen hatte. Dieses Unheil, welches die Christen über
die Chinesen gebracht haben, ließe sich in 200 Jahren nicht wieder gut
machen. Auf Euch Christen und auf Eure Geldgier legen wir die
Verantwortung für dieses Verbrechen. Millionen und Millionen ehrsamer, nützlicher
Männer und Frauen habt ihr nach einem elenden Leben in einen vorzeitigen
Tod gesandt, oder zum mindesten einem physischen und moralischen
Niedergang ausgeliefert. Diesen großen nationalen Fluch haben Sie mit der
Spitze Ihrer christlichen Bajonette über uns gebracht! Und Sie wundern
sich noch darüber, dass wir Heiden sind? Der einzige Eindruck, den die
Christen auf die Heiden gemacht haben, ist der, dass sie ihre Religion,
ihre Grundsätze, ihre Ehrenhaftigkeit preisgeben, wenn es Gold einbringt,
und nun kommen sie und sagen salbungsvoll zu den armen Heiden: Ihr müsst
unseren Glauben annehmen, wenn ihr euer Seelenheil schaffen wollt! ...
„Tue
anderen, was du wünscht, dass man dir tue“, oder: „Liebe deinen Nächsten,
wie dich selbst“, ist das große göttliche Gesetz, bei den Christen wie
auch bei den Heiden, aber die Christen ignorieren es. Darum bleibe ich
Heide, der ich bin; ich lade die Christen Amerikas allen Ernstes zum
Konfuzianismus ein.“
Der
folgende ähnliche Fall wurde durch die Presse berichtet von einer
indischen Frau, Pundita Rumabai, die Boston vor einigen Jahren besucht
hatte und sich nun anschickte, nach Indien zurückzukehren, um den Frauen
der vornehmen Kaste in Indien das Evangelium zu verkünden. Als sie
gefragt wurde, welcher christlichen Gemeinschaft sie angehöre, wurde es
ihr nicht leicht zu antworten. Ein Zeitungsberichterstatter hatte ihr die
Frage gestellt. Sie gab folgende Antwort:
„Ich
gehöre zur allgemeinen Kirche Christi. Ich habe gute Baptisten,
Methodisten, Bischöfliche und Presbyterianer getroffen, und jeder erzählte
mir etwas von der Bibel. So halte ich es für am besten, selbst dorthin zu
gehen, und ich finde auch, dass dies das Beste ist, was ich tun kann. (Ein
weiser Entschluss.) Ich finde dort Christum, den Heiland der Welt, und ihm
schenke ich mein Herz. Ich wurde, als ich in England war, getauft, und ich
pflege Gemeinschaft mit allen Christen, die mir dies gestatten. Ich
bekenne mich zu keiner besonderen Gemeinschaft, ich möchte vielmehr
einfach als Christin nach Indien zurückkehren. Mir scheint, dass das Neue
Testament ein völlig hinreichendes Glaubensbekenntnis ist. Ich glaube,
was der Heiland uns gesagt hat, dass Gott ein Geist, Licht und Liebe ist,
dass er das Universum erschuf, erleuchtet und erhält, dass er Jesum, den
Apostel unseres Glaubens, sandte, damit er der Heiland und der Führer
seiner Kinder würde, die große Gabe Gottes durch Christum; dass es nur
eine Kirche gibt, und dass alle, welche Christum anerkennen, Glieder
dieser Kirche sind. Ich glaube, dass mir alles verliehen werden wird,
dessen ich bedarf, und ich bete ernstlich darum, dass Gott mir Gnade
zuteil werden lassen möge, die Wahrheit ernstlich zu suchen und ihr zu
folgen und seinen Willen zu tun. In Boston sagte man mir, ich sei
Unitarierin, ich sagte, dass ich dies nicht sei. Ich bin auch keine
Trinitarierin, ich bin ganz einfach Christin, und was meine Religion lehrt,
ist das Neue Testament.“
Die
Bekehrten in Japan offenbaren einen ähnlichen Geist. Ihr edler Wandel
gereichte einerseits den nominellen Kirchen mit ihren
Glaubensbekenntnissen zu schwerem Tadel, andererseits bestätigte er in
einer prächtigen Weise die Macht des Wortes Gottes. Über ihren
Standpunkt hinsichtlich der Glaubensbekenntnisse der Namenchristenheit und
ihren Entschluss, sich nur an die Bibel zu halten, bringt der folgende veröffentlichte
Bericht Mitteilung:
„Als
das japanische Kaiserreich dem amerikanischen Handel geöffnet wurde,
waren die amerikanischen Kirchen geschäftig, für ihre verschiedenen
Glaubensbekenntnisse in diesem Land Proselyten zu machen. Die ausgesandten
Missionare fanden, dass ihre Trennung ein wirksames Hindernis zum Erfolg
sein würde, und sie beschlossen, ihre Streitigkeiten beiseite zu lassen
und vereint nur für die Seelen zu wirken, indem sie nur Gott und den für
die Sünden gekreuzigten Christus verkündigten, bis sie festen Fuß
gefasst haben würden. Das Werk hatte so großen Erfolg, dass man im Jahre
1873, als die heimatlichen Missionsanstalten mit Geschrei für ihre Sekten
die Ernte verlangten, beschloss, die Beute aufzuteilen.
„Als
aber die Täuschung den Bekehrten in sorgsamer Weise vorgelegt wurde,
entstand eine unerwartete Schwierigkeit. Die japanischen Christen
versammelten sich und verfassten eine Bittschrift, in der sie darlegten,
dass sie in Christo Jesu Freude und Frieden und Gerechtigkeit gefunden hätten,
und sie erhoben Einspruch dagegen, dass sie nun im Widerspruch zum Worte
und Geiste Gottes getrennt werden sollten. Sie baten die Missionare,
welche ihnen so bejammernswerte Zustände, die in Amerika herrschten,
bekannt hatten, dorthin zurückkehren und die Evangelisation Japans ihnen
selbst (den christlichen Japanern) zu überlassen.
„Exemplare
dieser Bittschrift wurden den verschiedenen Missionsanstalten, die die
Missionare unterhalten und beaufsichtigt hatten, übersandt, und Agenten
wurden ausgesandt, um zu untersuchen und zu berichten. Einer dieser
Agenten, dessen Brief in der Zeitung „The Independent“ veröffentlicht
wurde, sagt über die kürzlich aus heidnischer Finsternis Befreiten:
„Die einfältige Freude über die Errettung übersah bei ihnen alle
anderen Erwägungen“, und „es wird noch viele Jahre dauern, bis sie in
die Feinheiten der Lehrunterschiede, welche die Christenheit trennen,
eingeführt werden können.“ Gleichwohl beharrten diejenigen, bei
welchen die „anderen Erwägungen“ die „Freude über die Errettung“
übersahen, und die die Liebe Gottes ausschalteten, in ihrem Trennungswerk.
Der Geist trieb, wie er es immer tut, so auch die aufrichtigen Seelen in
Japan dazu, sich nur im Namen Jesu zu versammeln. Die größte
Schwierigkeit bei dem Werk der sektiererischen Mission liegt darin, die
Bekehrten in „die Feinheiten der Lehrunterschiede, welche die
Christenheit trennen, einzuführen.“ Sehr wenige Anhänger irgendwelcher
Sekten sind auf solche Weise eingeführt. Sie sind von Vorurteil
eingenommen und überführt durch andere Erwägung als durch wahre Überzeugung.
Ein sehr geringer Prozentsatz von Christen hat ein einsichtiges Urteil über
Glaubensbekenntnisse und die Unterschiede, durch welche sie von anderen
Sekten getrennt werden.“
So
denken und fühlen intelligente Heiden angesichts der Verwirrung in der
Lehre der „Namenchristenheit“. Aber wir sind froh zu wissen, dass
dennoch nicht alle Arbeit christlicher Mission an den Heiden umsonst war;
dass hier und dort der Same göttlicher Wahrheit in aufrichtige Herzen
gefallen ist und dort Früchte der Gerechtigkeit erzeugt hat. Solche Früchte
sind aber nicht den Glaubensbekenntnissen, sondern dem Wort und Geist
Gottes zuzuschreiben, der trotz aller Verwirrung wirkt. Der Herr
bezeichnete das Alte und Neue Testament als seine zwei Zeugen (Offb.
11:3), und die sind es, die ihr Zeugnis zu allen Völkern gebracht haben.
Dafür,
dass die Heiden Anschluss an die verschiedenen christlichen „Kirchen“
suchen, haben wir kein Anzeichen; wohl aber sagt das sichere Wort der
Weissagung, dass die verschiedenen protestantischen Kirchen einen Bund
machen und sich alsdann mit der katholischen Kirche verbünden werden,
ohne in ihr aufzugehen. Protestantismus und Katholizismus sind die beiden
Enden der kirchlichen Himmel, die, wenn ihre Verwirrung zunimmt,
zusammenrollen werden wie ein Buch (Jes. 34:4; Offb. 6:14), um sich zu schützen,
getrennte Rollen, und doch so nahe wie möglich aneinander.
Dies
scheint den Protestanten so wünschenswert, dass sie alles dem zuliebe
preiszugeben sich bereit zeigen, indes das Papsttum eine scheinbar versöhnliche
Haltung einnimmt. Jeder denkende Beobachter bemerkt dies und jeder, der in
der Geschichte bewandert ist, kennt den verwerflichen Charakter des großen
antichristlichen Systems, das jetzt aus dem Zwiespalt der Protestanten
Nutzen zu ziehen hofft, namentlich in den Vereinigten Staaten. Wiewohl es
sich stärker fühlt als der zersplitterte Protestantismus, so fürchtet
es doch die herannahende Krisis und sucht daher nach Verbindung mit dem
Protestantismus und mit der weltlichen Macht.
Der
folgende Auszug aus einem Artikel von Walter Elliot, New York City, der in
einer Zeitung erschien und bei dem kolumbischen katholischen Kongress im
Jahre 1893 verlesen wurde, zeigt, dass die katholische Kirche von der
gegenwärtigen Verwirrung des Protestantismus Nutzen zu ziehen
beabsichtigt. Der Artikel lautete unter anderem:
„Der
Verfall des dogmatischen Protestantismus ist unsere Gelegenheit. Vor
unseren Augen gehen Konfessionen und „Glaubensbekenntnisse“ und „Schulen“
und „Bekenntnisse“ in Stücke. Große Männer erbauten sie, und kleine
vermögen sie niederzureißen. Diese neue Nation (die Vereinigten Staaten)
kann nur mit Geringschätzung auf eine Einrichtung (Protestantismus)
blicken, die kaum doppelt so lange besteht, wie sie (die Nation) selbst,
und die doch schon abgelebt ist. Sie kann nur mit Ehrfurcht auf die
Einrichtung (die römisch-katholische Kirche) blicken, durch deren
Zeitraum diese große Republik ihren Lauf fast zwanzigmal hätte machen können.
Ich sage Ihnen, dass die Kraft der nationalen Jugend sich wundern muss über
die Frische der alten (römisch-katholischen) Kirche, und dass sie
dieselbe bald als göttliche begrüßen muss. Die Lehren des älteren
Protestantismus verwelken im Geiste des Volkes, oder sie werden abgeschüttelt.“
Papst
Leo XIII: setzte in einem Hirtenbrief römischen Katholiken, die für die
Bekehrung der Protestanten zur römischen Kirche beten würden, eine
Belohnung aus, die darin bestehen sollte, dass sie für eine Zeit vom
Fegefeuer befreit würden. Von seinem Hirtenbrief war ein Teil an die
Protestanten gerichtet. Wir führen einen Auszug davon an:
„Mit
brennender Liebe wenden wir uns nun an das Volk, welches in vergangener
Zeit unter dem Einfluss außergewöhnlicher Zuckungen die Brust der
katholischen Kirche verließ. Mögen sie doch den vergangenen Wechsel
vergessen, ihren Geist über menschliche Dinge erheben und, nur nach
Wahrheit und Errettung dürstend, die wahre, durch Christum gegründete
Kirche betrachten. Wenn sie dann ihre eigenen Kirchen mit dieser
vergleichen werden und sehen, in welche Lage sie ihre Religion gebracht
hat, werden sie bereitwillig zugeben, dass die Ebbe und Flut des Wechsels
sie, als sie die vergangenen Urüberlieferungen über gewisse bedeutsame
Punkte vergessen haben, in die neuen Dinge getragen hat.
„Wir
wissen sehr wohl, wie lange und mühevolle Arbeiten notwendig sind, um die
neue Ordnung der Dinge, welche wir gern errichtet sähen, herbeizuführen,
und manche mögen vielleicht denken, wir seien zu hoffnungsfreudig, indem
wir Idealen folgen, die eher nur zu erhoffen als zu erwarten seien. Wir
aber setzen alle unsere Hoffnung und unser ganzes Vertrauen auf Jesum, den
Heiland des Menschengeschlechtes, indem wir uns erinnern, wie viel einst
durch die sogenannte Torheit des Kreuzes und der Predigten der weisen Welt
gegenüber vollbracht wurde. Insbesondere bitten wir die Fürsten und
Herrscher im Namen politischer Voraussicht und der Besorgnis um das
Wohlergehen ihrer Völker, unsere Pläne unparteiisch zu beurteilen und
sie durch ihre Autorität und ihre Gunst zu unterstützen. Sollte auch nur
ein Teil der erwarteten Früchte zur Reife gelangen, so würde der Segen
bei dem gegenwärtigen schnellen Sturz der Dinge und bei der
vorherrschenden Unruhe, zu der noch die Furcht um die Zukunft kommt, kein
geringer sein.
„Die
letzten Jahrhunderte ließen Europa von Unglück geschwächt zurück, und
noch immer zittert der Weltteil von den Zuckungen, welche ihn erschütterten.
Könnte das Jahrhundert, welches jetzt zu Ende geht, dem
Menschengeschlecht nicht als Erbteil einige wenige Bürgschaft für
Eintracht geben, sowie die Hoffnung auf den großen Segen, den die Einheit
des christlichen Glaubens verheißt?“
Es
kann nicht geleugnet werden, dass der Hang des Protestantismus nach Rom
besteht. Dies war der wirkliche Grund dafür, dass bei dem
Religionsparlament der Katholizismus die Hauptrolle spielen durfte, und
alle, welche Interesse bekunden für die protestantische Union, drücken
den Wunsch aus, dass man Verbindung, wenn nicht Vereinigung, mit dem
Katholizismus sichern sollte. Im presbyterianischen Glaubensbekenntnis
wird das Papsttum als der Antichrist bezeichnet. Dies ist nunmehr anstößig
geworden und soll daher geändert werden.
Folgender
Brief, den ein methodistischer Geistlicher über die Kirchen-Union an
Kardinal Gibbons schrieb, zeigt diese Neigung der Protestanten sehr
deutlich:
„Geehrter
Herr Kardinal! Zweifellos ist Ihnen die Tatsache bekannt und auch für Sie
von Interesse, dass unter den protestantischen Kirchen eine Bewegung nach
Wiedervereinigung bemerkbar ist. Wenn eine Wiedervereinigung stattfinden
soll, warum sollte sie dann nicht auch die katholische Kirche umfassen?
Hat nicht die katholische Kirche irgendwelche Grundlage vorzuschlagen, auf
welche wir uns alle stellen können? Kann sie uns nicht mit Konzessionen
entgegenkommen, welche zeitweilige sein mögen, wenn sie glaubt, wir gehen
irre, bis wir Christum und seinen Plan in vollkommenerer Weise verstehen
lernen?
„Eines
weiß ich gewiss, nämlich, dass ich persönlich mehr und mehr dazu neige,
das Gute, das sich in allen Zweigen der Kirche Christi befindet, zu achten,
und ich weiß, dass ich in dieser Hinsicht nicht allein stehe. Ergebenst Geo.
W. King, Oberpfarrer der Meth. Engl. Kirche.“Der Kardinal erwiderte
darauf folgendes: Kardinal-Residenz,
Baltimore.
„Ehrw.
Geo. W. King. Geehrter
Herr! Gestatten Sie mir in Erwiderung Ihnen auf Ihren Brief zu sagen, dass
Ihre Bestrebungen hinsichtlich der Vereinigung der Christenheit allen
Lobes wert sind.
„Diese
Vereinigung würde nur ein Bruchstück sein, wenn die katholische Kirche
ausgeschlossen würde. Es würde dies auch unmöglich sein, denn es kann
keine Vereinigung geben ohne sichere Grundlage der Heiligen Schrift, und
diese ist zu finden in der Anerkennung Petri und seines Nachfolgers als
sichtbares Haupt der Kirche.
„Es
kann keine festgegründete Regierung ohne Oberhaupt geben, weder im bürgerlichen,
im militärischen, noch im kirchlichen Leben. Jeder Staat muss seinen
Regenten haben, jede Stadt ihren Bürgermeister oder ihr Stadtoberhaupt
mit irgendwelchem Titel. Wenn nun die Kirchen der Welt Ausschau halten
nach einem Oberhaupt, wo werden sie dann ein solches finden, welches
Autorität besitzt, wenn nicht im Bischof von Rom? - gewiss nicht in
Konstantinopel oder in Canterbury.
„Was
nun die Vereinigungsbedingungen anbetrifft, so würden diese einfacher
sein, als man allgemein annimmt. Die katholische Kirche hält an allen
positiven Wahrheiten fest, die die protestantischen Kirchen besitzen, und
die Annahme des Papstes als rechtliches Oberhaupt würde den Weg zur
Annahme ihrer anderen Lehren ebnen. Sie sind uns näher, als Sie selbst
meinen. Der Kirche werden viele Lehren zugeschrieben, welche sie in
Wirklichkeit verwirft. In
Christo der Ihrige, J. Kard. Gibbons.“
Als
Erwiderung wurde der folgende Brief geschrieben, der auch auf Einwilligung
beider Herren im Interesse der erwünschten Union veröffentlicht wurde:
„Geehrter
Herr Kardinal! Ihre Erwiderung habe ich mit Interesse gelesen. Darf ich
nun vielleicht fragen, ob es nicht weise und wertvoll wäre für die
katholische Kirche, den protestantischen Kirchen eine mögliche Grundlage
der Vereinigung (eine Beschreibung des Gegenstandes in genügenden
Einzelheiten) bekannt zugeben? Ich weiß, wie sehr die methodistische
Kirche, und in der Tat die ganze christliche Kirche, von vielen
missverstanden wird, und ich halte es für mehr als möglich, für ganz
sicher, dass auch die katholische Kirche in ähnlicher Weise von vielen
missverstanden und falsch beurteilt wird. Könnte die katholische Kirche
diese Missverständnisse nicht richtig stellen, in weitgehendem Maße
wenigstens, und würde dies die gewünschte Vereinigung nicht
beschleunigen?
„Ich
halte die gegenwärtige getrennte Lage der Christenheit für töricht,
beschämend und unvorteilhaft, und ich habe nichts einzuwenden gegen einen
autorischen Mittelpunkt unter gewissen Begrenzungen und Beschränkungen. Hochachtungsvoll
grüßend Geo.
W. King.“
Die
Empfindungen der Gesellschaft junger Leute mit christlichen Bestrebungen
der römischen Kirche gegenüber wurden bei ihrer jährlichen
Zusammenkunft in Montreal im Jahre 1893 klar gezeigt. Unter den
Delegierten war ein berühmter Hindu aus Bombay, Rev. Karmarkar, der sich
zum protestantischen Christentum bekehrt hatte. Er sagte unter anderem vor
dem Kongress aus, dass der Katholizismus für das Missionswerk in Indien
ein großes Hindernis bedeute. Diese Aussage begegnete in der
Zusammenkunft offenbarem Unwillen, und als in der katholischen Zeitung der
Gegenstand aufgenommen, und sie die Aussage des Hindus mit einem zornigen
Kommentar veröffentlichte, wurde eine folgende Sitzung durch katholischen
Mob zerstört. Der Vorsitzende des Kongresses bemühte sich, die Wut des
Mobs zu stillen, indem er inmitten der Versammlung aufstand und erklärte,
die Delegierten seien nicht verantwortlich für das, was Herr Karmarkar
gesagt habe. So ließ er den Gast allein die Heftigkeit der Wut tragen,
weil dieser den Mut besessen hatte, die Wahrheit zu sagen. Offenbar war
Herr Karmarkar bei dieser Zusammenkunft der einzige Protestant, der nicht
das Tier fürchtete, noch es anbetete. (Offb. 20:4) Wie „The American
Sentinel“ vom August 1893 berichtet, lauteten seine Worte wie folgt:
„Es
besteht eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen dem katholischen
Gottesdienst und dem der Hindus. Der Katholizismus ist nur eine neue
Etikette auf der alten Flasche, die das tödliche Gift des Heidentums enthält.
Oft fragen uns die Hindus, wenn sie den katholischen Gottesdienst sehen:
„Was besteht denn für ein Unterschied zwischen Christentum und
Hinduismus?“ Wir haben in Indien nicht nur gegen das vielköpfige
Ungeheuer Götzendienst zu kämpfen, sondern auch gegen den Octopus (=
Teufelsfisch mit acht Armen) Katholizismus.“
Zu
den wenigen Stimmen, die sich zur Verteidigung des Hindus erhoben, gehörte
die folgende Resolution, die von einer nationalen Versammlung von Bürgern
Bostons gefasst und von einer zweitausendköpfigen Menge einstimmig
angenommen worden war:
„Während
bei der gegenwärtig tagenden Sitzung der Christlichen Bestrebung Herr
Rev. Karmarkar klar und wahrheitsgemäß sagte, dass das Hindernis zum
Fortschritt des Christentums in Indien der demoralisierende Einfluss der
katholischen Kirche sei, wodurch der Herr sich die Feindschaft der
Katholiken zuzog, welche sich bemühten, bei einem protestantischen
Kongress die Redefreiheit durch aufrührerische Handlungen zu stören,
haben wir beschlossen, zum Ausdruck zu bringen, dass wir, protestantische
Bürger Bostons, dem Herrn Rev. Karmarkar völlig zustimmen, da er kühn
die Tatsachen ausgesprochen hat, und wir aufs tiefste bedauern, dass eine
Gesellschaft von Christen sich bemühte, die Katholiken zu beruhigen,
indem sie augenscheinlich einen Mann Gottes, weil er die Wahrheit gesagt
hat, tadelte, sowie auch, dass ein Exemplar dieser Resolution den täglichen
nationalen Zeitungen und Herrn Rev. Karmarkar übersandt werde.“
Dass
die Vereinigungstendenz das Bedürfnis zur Ursache hat, sich angesichts
drohender Gefahren zusammenzuschließen, erhellt aus den Bestrebungen,
welche in den Vereinigten Staaten gemacht werden, die Katholiken dafür zu
gewinnen, dass sie zur sogenannten Sonntagsgesetzgebung stimmen. Der „Christliche
Staatsmann“, das Hauptorgan dieser Bestrebung, schrieb diesbezüglich:
„Die
Zeit ist noch nicht gekommen, da die katholische Kirche mit anderen
Kirchen Hand in Hand zu gehen bereit ist, aber die Zeit ist gekommen, da
man sich nach Verbündeten umsehen und freudig jede Mitwirkung annehmen
muss, in welcher Form sie sich auch biete. Das ist eines der Erfordernisse
der gegenwärtigen Lage der Dinge.“
Dasselbe
Blatt fordert die Regierung der Vereinigten Staaten auf, jede Religion zu
verfolgen, welche mit den Vorschriften der göttlichen Moral in
Widerspruch stände.
Ja,
„die Erfordernisse der gegenwärtigen Lage“ drängen die geistlichen
Gewalten in der Namenchristenheit in recht sonderbare Lage, um zu erkennen,
dass das Rad des religiösen Fortschrittes rückwärts gedreht wird, und
es mit der Religionsfreiheit über kurz oder lang ein Ende hat.
Während
so in Amerika die „Kirche“ beim Staat oder durch Zusammenschluss aller
Sekten Schutz sucht, ist es in Europa gerade umgekehrt. Da empfinden vorab
die bürgerlichen Mächte ihre Unsicherheit und suchen deshalb die Unterstützung
der „Kirche“. In Amerika sieht die dahinschwindende „Kirche“
bittend zum blühenden Staat auf; in Europa suchen die wankenden Throne
einen Stützpunkt im Einfluss, den die „Kirche“ über die Völker
haben sollte.
*
* *
So
traurig sieht es zur Zeit mit dem großen System aus, das gegenwärtig zum
Gericht angesichts der ganzen Erde versammelt ist, in jenem System, das
sich „Christenheit“ nennt, aber von Christo verleugnet und treffend
„Babylon“ (Verwirrung) genannt wird. Das sollte das Reich Gottes auf
Erden sein? Haben die Propheten von diesem ein solches Bild entworfen?
Wird der große Fürst des Friedens von Land zu Land ziehen und die
Nationen bitten, seine Macht und sein Recht anzuerkennen? Wird er seine
Untertanen bitten, mit dem letzten Aufgebot ihrer schwindenden Kräfte
seinen wankenden Thron zu stützen? Nein, mit Würde und eigener Kraft
wird er, wenn seine Zeit gekommen ist, seine große Gewalt an sich ziehen
und seine glorreiche Herrschaft beginnen, und wer wird ihn auf dem Wege
hindern können?
So
werden denn zur Zeit die Interessen aller bestehenden Gewalten, der
weltlichen und der geistlichen, der Reichen und Großen und Mächtigen,
der Kön., der Staatsmänner und Vornehmen und Geistlichen, der
Kapitalisten und ihrer „Ringe“ unentwirrbar verknüpft. Jetzt ist der
Streit noch ein Kampf der Ideen, der die kommende Krisis einleitet. Die
geistlichen Gewalten nähern sich untereinander, und die „Himmel“
rollen sich zusammen wie ein Buch; aber „während sie wie Dornen
verflochten werden (denn es kann keine friedliche und erfreuliche
Verwandtschaft von freiheitsliebenden Protestanten und dem tyrannischen
Geist des Papsttums geben), und während sie trunken sind, wie Trunkene (berauscht
von dem Geist der Welt, dem Wein Babylons), werden sie wie dürre Stoppeln
völlig verzehrt werden“ (Nahum 1:10), in der schrecklichen Drangsal und
Anarchie, welche nach dem Worte Gottes der Aufrichtung des Tausendjährigen
Reiches unmittelbar vorangehen muss.
*
* *
Wir
sind nicht der Ansicht, dass alle Christen zu Babylon gehören. Im
Gegenteil! Mit dem Herrn erkennen wir in Babylon einige an, die dem Herrn
treu geblieben sind. Zu diesen sagt er: „Gehet aus von ihr, mein
Volk.“ (Offb. 18:4) Und wir leben des frohen Glaubens, dass es auch
heute noch Tausende gibt, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor Baal, vor
dem Mammon, dem Hochmut, der Ehrsucht. Einige davon sind bereits dem
Befehl, aus ihr auszugehen, gefolgt, die übrigen werden jetzt in diesem
Stücke geprüft, ehe die Plagen über Babylon hereinbrechen. Diejenigen,
welche sich selbst, Ansehen bei den Menschen, äußerliches Gedeihen, mehr
lieben als den Herrn und Menschensatzungen höher schätzen als das Wort
Gottes, werden nicht aus Babylon herauskommen, bevor es fällt, und diese
sind es, die durch die große Trübsal kommen (Offb. 7:9,14) und am Königreich
nicht teilhaben werden. - vergleiche Offb. 2:26; 3:21; Matth. 10:37; Mark.
8:34, 35; Luk. 14:26, 27