SCHRIFTSTUDIEN
BAND
4 - DER
KRIEG VON
HARMAGEDON
Studie
9
Der
Kampf wird unvermeidlich. Davon zeugen
selbst
die Weisen dieser Welt.
Allgemeinkenntnisse
ein neuer Faktor in allen Berechnungen. —
Ansichten
von Senator Ingalls, Rev. Lyman Abbott, Bischof Newman, einem berühmten
Juristen, Oberst Robert Ingersoll. —
J. L.
Thomas über Arbeitergesetzgebung. —
Wendell
Philipps Ansicht. — Historiker
Macaulays Vorhersage. — Chauncey
Depews Hoffnungen. — Bischof
Worthingtons Äußerungen. —
W. J.
Bryans Antwort. — Eine
englische Ansicht. — Edward
Bellamys Darlegung. — Rev. J. T.
McGlynns Meinung. — Prof.
Grahams Ausblick. — Ansichten
eines Richters des Obergerichts. —
Eine französische
Ansicht.
„Die Menschen verschmachten
vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis (Gesellschaft)
kommen, denn die Kräfte der Himmel (geistige und bürgerliche Herrschaft)
werden erschüttert.“ - Luk. 21:26
Einsichtige Leute, und zwar auch
solche, die in den Augen dieser Welt weise sind, erkennen, dass ein
gewaltiger sozialer Kampf unmittelbar bevorsteht, dass er kommen muss,
dass nichts ihn abzuwenden vermag. Sie haben wohl Heilmittel gesucht, aber
nichts gefunden, das das Übel zu heilen vermöchte; sie haben daher die
Hoffnung aufgegeben und trösten sich, so gut es geht, mit der
Evolutionstheorie, wonach sie den Schluss ziehen, dass die ganze Natur
unter dem Gesetz vom Fortbestehen des Stärkeren und von der Vernichtung
der Schwächeren stehe, weil ersterer lebensfähig, dieser aber nicht
lebensfähig sei. Sie stützen auf die Ansicht der Gelehrten ihre Meinung,
wonach, was ist, bereits gewesen sei, unsere Zivilisation eine
Wiederholung derjenigen der alten Griechen und Röm. sei und wie diese
vergehen werde, wenigstens soweit die Massen in Frage kommen, und dass
hernach Reichtum und Macht wieder in den Händen von wenigen vereinigt
werden, indes die Massen, wie bei den früheren Zivilisationen des Ostens,
kaum das Nötige zum Existieren haben.
In diesen Irrtum verfallen sie,
weil sie dem Umstand nicht Rechnung tragen, dass die Bildung viel breitere
Schichten umfasst als je zuvor, wenigstens in der Namenchristenheit.
Diesen Unterschied gegen früher erkennt nur, wer weise genug ist, seine
Erkenntnis aus dem Worte Gottes zu schöpfen, welches (Daniel 12:1-4) erklärt,
dass zur Zeit des Endes viele hin- und herlaufen, die Kenntnisse sich
vermehren werden, und eine Zeit der Drangsal sein wird, wie nie zuvor war,
seit es Nationen gibt. Diese biblisch Weisen erkennen, dass das Hin- und
Herlaufen jetzt stattfindet, dass die Kenntnisse sich gemehrt und
verbreitet haben, und da die große Drangsal im Zusammenhang mit diesen
Erscheinungen steht, so sehen sie in derselben nicht eine Wiederholung früherer
Ereignisse, deren Resultat die Unterwerfung der Massen unter die
Herrschaft von wenigen Begünstigten war, sondern eine staunen erregende
Umkehrung des geschichtlich Gewordenen durch die genannten neuen Verhältnisse.
Und die im gleichen Zusammenhang gegebene Verheißung, dass zu jener Zeit
Michael (Christus) aufstehen und seine große Macht und Herrlichkeit an
sich nehmen wird, macht die tröstliche Hoffnung zur Gewissheit, dass die
kommende Drangsal der Herrschaft der Selbstsucht unter dem Fürsten dieser
Welt (Satan) ein Ende machen und Immanuels segensreiche Herrschaft herbeiführen
wird.
Doch nun wollen wir etliche
Weise dieser Welt zum Wort kommen lassen.
Wir geben zunächst einen Auszug
aus einer Veröffentlichung des früheren Senators J. J. Ingalls, eines
Mannes von mittlerem Vermögen, der ein offenes Auge hat für die Folgen
des Kampfes um Besitz, aber auch kein Mittel weiß, dem Übel zu steuern
und die Opfer zu retten. Er schreibt:
„Freiheit
ist mehr als ein leeres Wort. Wessen Obdach, Kleidung und täglich Brot
vom Willen eines anderen abhängt, ist kein freier Mann, denn die Wahl
zwischen Hunger und Unterwerfung unter einen Vertrag ist Sklaverei. Die
Theorie, dass Leben, Freiheit und Streben nach Glück unveränderliche
Menschenrechte sind, macht niemandes Glück aus. Das Recht auf Freiheit
ist eitel Hohn, wenn es nicht mit der Möglichkeit gepaart ist, tatsächlich
frei zu sein, Freiheit besteht nicht nur in der Beseitigung gesetzlicher
Schranken, in der Erlaubnis, da oder dorthin zu gehen. Dieser muss die Möglichkeit,
davon Gebrauch zu machen, beigegeben sein, welche nur darin zu finden ist,
dass die tägliche Arbeit nicht nötig ist zur Fristung des Lebens. Armut
und Freiheit, sagte schon Shakespeare, sind ein unpassendes Paar. Freiheit
und Abhängigkeit sind unvereinbar. Die Beseitigung der Armut war zu allen
Zeiten der Traum politischer Hellseher und die Hoffnung der
Menschenfreunde. Die Ungleichheit des Besitzes und die darin liegende
Ungerechtigkeit war seinerzeit ein Stein des Anstoßes für die
Philosophen, heute ist es ein unlösbares Rätsel für die Nationalökonomen.
Die Zivilisation kennt kein widernatürlicheres Geheimnis als das
Vorhandensein des Hungers angesichts der Überproduktion an
Nahrungsmitteln. Dass der eine mehr besitzt, als er mit bestem Willen
selbst bei Befriedigung der tollsten Wünsche, verausgaben kann, indes der
andere, der für seinen Unterhalt zu arbeiten willig und fähig ist, sich
nicht einmal ein paar Lumpen zur Kleidung und eine Brotkruste zur Nahrung
verdienen kann, macht unsere ganze gesellschaftliche Organisation unverständlich,
die Urkunde von den Menschenrechten zu einem chiffrierten Schriftstück,
zu welchem der Schlüssel so lange als nicht gefunden gelten muss, als
solche Missverhältnisse möglich sind, welche die Brüderlichkeit unter
den Menschen zu einer hohlen Phrase, die Gerechtigkeit zu einer leeren
Formel und das Buch vom göttlichen Recht unlesbar machen.
„Die Verzweiflungswut der
Armen angesichts zur Schau getragenen Hochmuts seitens der Reichen hat
schon starke Mächte zu Fall gebracht. Linderung der Not der Armen haben göttliche
und menschliche Gesetzgeber aller Zeiten versucht. Die Klagen der Bedrängten
sind wie Anklagen für die gesamte Weltgeschichte. Schon Hiob, der reiche
Hiob, spricht wie ein Sozialdemokrat von denen, die der Waisen den Esel,
der Witwe den Ochsen nehmen, Marksteine versetzen, des Armen Ernte und
Weinlese einheimsen, ihn der Kleider berauben und ihn nur den Regengüssen
im Gebirge und der unwirtlichen Gastlichkeit der Felshöhlen überlassen.
„Die Propheten der Hebräer
sprechen in den stärksten Ausdrücken von den Erpressungen und dem Luxus
der Reichen. Moses gab Vorschriften hinsichtlich des Schuldenerlasses, der
Neuverteilung des Bodens und der Einschränkung des Privatbesitzes. In Rom
war Jahrhunderte lang der Bodenbesitz des einzelnen auf 300 Joch beschränkt
und der Besitz an Vieh und Sklaven auf die im Verhältnis zum Bodenbesitz
stehende Zahl. Umsonst! Zur Zeit Cäsars besaßen tatsächlich 2.000 Großgrundbesitzer
den gesamten Boden im Reich, und 100.000 Familienhäupter waren bettelarm
und auf die Staatshilfe angewiesen. Das ist so weitergegangen durchs ganze
Mittelalter und bis ins 19. Jahrhundert. Kein Hilfsmittel, das heute
angeraten wird und nicht schon wirkungslos an unzählbaren Patienten
versucht worden wäre! Kein Versuch in Finanz- und Volkswirtschaft, der
nicht schon mehrere Male gemacht worden wäre ohne andere Wirkung als
Schaden für die einzelnen und Ruin für die Gesamtheit!
„Auch die vielen als Ideal
erscheinende Staatsform in der Union, deren Grundlage die Volkssouveränität
ist, hat nichts vermocht. Wohl können hier die Arbeiter, Bauern und
Handwerker wie Ludwig XIV. sagen: Der Staat sind wir! Jeder hat gleichviel
Recht auf Erfolg seiner Arbeit, und jeder wirkt als Stimmberechtigter bei
der Gesetzgebung mit. Das hat aber nicht verhindert, dass in einem Land,
wo noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Masse des Volkes aus Bauern und
Fischern bestand, die durch ihre Arbeit ein befriedigendes Auskommen
fanden, wo ein Vermögen von 650.000 Dollar, wie es George Washington 1799
bei seinem Tode hinterließ, den Gipfelpunkt des Privatbesitzes
bezeichnete, wo 1806 der Pelzhändler Astor als erster die Million überschritt,
heutzutage, da die Eisenbahnen, die landwirtschaftlichen Maschinen und die
angewandte Wissenschaft überhaupt das Nationalvermögen auf 100
Milliarden Dollar gesteigert haben, die Hälfte dieses kolossalen
Reichtums sich in den Händen von 30.000 Einzelpersonen und Korporationen
befindet.
„Und dabei ist unser
Bodenreichtum noch gar nicht ausgenutzt. Mehr als drei Viertel des pflügbaren
Landes haben noch keinen Pflug gesehen. Unsere Bergwerke bergen noch größere
Reichtümer als diejenigen von Ophir und Potosi. Unsere Fabriken und
Handelshäuser stehen erst in ihren Anfängen und haben doch schon eine
Geldaristokratie geschaffen, die zwar keine Titel noch Wappen führt, aber
gleichwohl an Fürstenhöfen und in Königspalästen gern gesehen ist.
„Wenn die ungleiche Verteilung
von Nutzen und Lasten in der menschlichen Gesellschaft von der
Regierungsform, der Gesetzgebung, abhinge, so müsste in der Union eine
Ausgleichung stattfinden. Wenn der Reichtum die Frucht ungerechter Gesetze,
Armut die Folge gesetzlichen Zwanges wäre, so hätten die Opfer das
Abhilfemittel in den Händen; sie haben ja alle den Wahlzettel, gute
Schulbildung und Pressefreiheit, Rede-, Gedanken- und Gewissensfreiheit.
„Aber das ist es eben! Das
allgemeine Stimmrecht hat sich nicht als Allheilmittel gegen die Übelstände
erwiesen, an denen die menschliche Gesellschaft leidet. Es hat mit der
Armut nicht aufgeräumt. Reichtümer gibt es zwar mehr, als die Habsucht
je für möglich gehalten hat, aber sie sind ebenso ungleich verteilt wie
zu den Zeiten Hiobs und Salomos. Ja, das alte Problem ist nicht gelöst
worden, sondern hat sich noch mehr verwickelt und verschärft. Denn größere
politische Macht denn je ist jetzt in den Händen von wenigen vereinigt,
und in der Union haben sich einzelne größere Vermögen erworben als in
irgendeiner Monarchie.
„So gähnt der Abgrund
zwischen Reich und Arm täglich weiter und weiter. Kapital und Arbeit,
statt sich miteinander zu vertragen, rüsten sich wie feindliche
Heerhaufen zu Angriff und Abwehr. Millionen gehen alle Jahre verloren an Löhnen,
zerstörten Waren, zugrundegehenden Bodenprodukten und Erträgnissen der
Unternehmungen, bei denen immer mehr Arbeitseinstellungen und
Arbeiterausschluss stattfinden.
„Utopia ist noch unentdeckt.
Der ideale Zustand der menschlichen Gesellschaft scheint, je mehr wir uns
ihm zu nähern scheinen, wie eine Luftspiegelung in der Wüste sich weiter
zu entfernen. Welcherlei Art auch die Umgebung sei, die menschliche Natur
bleibt unverändert.
„Die Lage der Massen ist dank
der Fortschritte der Zivilisation unendlich besser als je zuvor. Der ärmste
Handwerker kann sich heutzutage Bequemlichkeiten verschaffen, welche vor fünfhundert
Jahren ein Monarch selbst um den Preis seines Krongutes sich nicht hätte
verschaffen können. Aber de Toqueville hat auf die eigentümliche
Erscheinung aufmerksam gemacht, dass die Massen, je mehr sich ihre Lage
bessert, dieselbe um so unerträglicher finden und um so unzufriedener
sind. Bedürfnisse und Wünsche mehren sich eben rascher als die Mittel,
sie zu befriedigen. Schulbildung, Tagespresse, Reisegelegenheit,
Bibliotheken, öffentliche Anlagen, Museen, ja Schaufensterauslagen haben
den Gedankenkreis der Arbeiter und Arbeiterinnen, ihr Verständnis für
Genüsse, erweitert und sie mit den Vorteilen des Luxus bekannt gemacht,
welche der Reichtum gewährt. In politischer Hinsicht haben sie gelernt,
dass die Menschen alle gleich sind, und dass der Wahlzettel ein
Machtmittel ist. Irrlehrer haben ihnen weis gemacht, dass alles Gut durch
Arbeit geschaffen werde, und dass, wer mehr besitze, als er mit seiner Hände
Arbeit im Tagelohn erwerben kann, ein Dieb sei, dass der Kapitalist ein
Feind, der Millionär ein öffentliches Übel sei und wert, des
gesetzlichen Schutzes verlustig erklärt und bei Erblicken
niedergeschossen zu werden.
„Große Privatvermögen sind
unzertrennlich von hoher Zivilisation. In der Union würden bei gleichmäßiger
Verteilung des Nationalvermögens unter alle Einwohner 1.000 Dollar auf
den Kopf kommen. Wäre es von Anfang an so gewesen und geblieben, so hätte
sich die Union nicht entwickelt. Das Großkapital erst stellte Dampf und
Elektrizität in den Dienst der Menschheit, überhob dadurch einzelne der
Notwendigkeit, täglich für den notdürftigen Unterhalt zu arbeiten und
befähigte sie dadurch, für den Fortschritt zu wirken. Eisenbahnen,
Telegraph, Dampfschiffe, Bibliotheken, Museen, Hochschule, kurz alles, was
das Leben verschönert, schulden wir der Vereinigung des Kapitals in den Händen
weniger.
„Nun möchte es vielleicht wünschenswert
erscheinen, eine obere Grenze festzustellen, über welche das
Privateigentum nicht hinausgehen sollte. Allein es steht der Menschheit
kein Mittel zu Gebote, um solches durchzuführen. Geist lässt sich nicht
zwingen. Die Unterschiede unter den Menschen liegen in ihrer Natur. Eine höhere
Macht hat sie eingesetzt, gegen welche eine gesetzgebende Gewalt nichts
vermag. Im Kampf zwischen Intelligenz und Masse hat jene allezeit den Sieg
davongetragen, und sie wird es immer tun.
„Das soziale Übel ist
bedenklich und bedrohlich, aber weniger gefährlich als die Doktoren und
die Heilmittel, die sie anbieten. Diese politischen Quacksalber behandeln
nur die Begleiterscheinungen, nicht das Grundübel. Freie Silberprägung,
Einschränkung der Einwanderung, Reform des Stimmrechts nach australischem
oder belgischem Muster u.a.m. sind wichtige Fragen, aber ihre Lösung ist
ohne die geringste Bedeutung für die Verbesserung der Lage der
Lohnarbeiter in der Union. Statt die Armen und Unwissenden ihres geringen
Anteils an der Freiheit noch zu berauben, wäre es besser, ihren Besitz
und ihre Intelligenz zu heben und sie dadurch zum Wählen zu befähigen.
Eine verstoßene Klasse wird notwendig zum Mittel der Verschwörung
greifen, und freiheitliche Institutionen sind nur so lange dauerhaft, als
Bildung und Gedeihen diejenigen zu zufriedenen Menschen machten, auf denen
ihre Existenz beruht.“
Das ist eine richtige
Darstellung der Tatsachen, aber wo ist diejenige eines Abhilfsmittels? Sie
fehlt völlig! Aber doch billigt Ingalls die Verhältnisse nicht, die er
schildert, er zöge vor, einen Ausweg aus dem darzulegen, was er als
unvermeidlich erkennt! Das muss der Wunsch aller sein, die würdig sind,
ein Menschenantlitz zu tragen. Derselbe Senator Ingalls sagte einmal in
einer Sitzung des Senats:
„Wir können
uns darüber nicht mehr täuschen, dass wir vor einer drohenden Revolution
stehen. Die Menschen scheiden sich mehr und mehr in zwei riesige,
feindliche Lager. Auf der einen Seite das Kapital, an Vorrechte gewöhnt
und durch deren Anerkennung übermütig gemacht, an den alten festhaltend
und neue hinzufordernd, auf der anderen Seite die Arbeiterschaft der Städte
und der Wildnis, jene durch Lohnkämpfe verbittert und entschlossen, eine
Ordnung umzustürzen, welche die Reichen stets reicher, die Armen ärmer
macht, einem Vanderbilt, einem Gould Reichtümer verleiht, die sich die
Habsucht nicht träumen ließ, dem Armen aber keine Zuflucht in seinem
Elend lässt als das Grab, indes diese Arbeit suchend umherzieht, und wie
schamlose Bettler behandelt wird!“
Ingalls hat also keine Hoffnung.
Er kennt keine Mittel gegen die schreckliche Krankheit der Selbstsucht.
* * *
Nicht minder interessant ist die
Äußerung des bekannten Brooklyner Kanzelredners Dr. Lyman Abbott über
die Beziehung zwischen Kapital und Arbeit. Er erhebt gegen die gegenwärtigen
wirtschaftlichen Verhältnisse folgende Anklagen:
„1.
Sie bieten nicht jedem Arbeitswilligen zu jeder Zeit dauernde Arbeit. 2.
Sie bieten denen, die in Arbeit stehen, nicht Lohn genug für ein
menschenwürdiges Dasein. 3. Sie lassen dem Arbeiter weder Gelegenheit
noch Muße, sich auszubilden und dadurch seine Lage zu verbessern. 4. Sie
machen ein reines, richtiges Familienleben in vielen Fällen unmöglich.“
Dr. Abbott glaubt, die Lehre
Jesu sei gleichbedeutend mit gesunden volkswirtschaftlichen Grundsätzen.
Er hält dafür, es sei verderblich, Männer, Weiber und Kinder
auszubeuten, um billige Ware zu produzieren. Er meint, Arbeit sei keine
Ware. Hier folgt ein Auszug aus seiner im „Literary Digest“ veröffentlichten
Rede:
„Ich
bin überzeugt, dass das System, welches die Menschheit in zwei Lager
scheidet, Kapitalisten und Arbeiter, nur zeitweilig bestehen kann. Die
wirtschaftliche Unruhe der Gegenwart ist die Folge eines blinden Strebens
nach einer Demokratie des Reichtums, in welcher die Arbeiter die
Arbeitsmittel nicht nur gebrauchen, sondern auch besitzen werden. Dem
steht der Satz gegenüber, dass Arbeit Ware sei, ein Satz, der nicht nur
ungerecht, sondern auch wirtschaftlich falsch ist. Wenn der Arbeiter
Montag früh zu seiner Fabrik kommt, so hat er nichts zu verkaufen; er
kommt mit leeren Händen. Er will mit seiner Arbeit etwas vollbringen.
Dieses etwas muss dann verkauft werden, und ein Teil des Erlöses aus der
verkauften Ware gehört ihm, weil er sie hat hervorbringen helfen. Er
teilt ihn mit dem Direktor und den Aktionären, und nun ist es die Aufgabe
der Volkswirtschaftslehre festzustellen, welches das der Billigkeit
entsprechende Verhältnis bei der Teilung sei. Der Arbeiter hat nicht
Anspruch auf das Ganze, erhebt ihn auch gar nicht, das tun nur die
Schreier, welche seine Interessen zu wahren vorgeben. Der Direktor hat
Anspruch auf einen Teil, weil es Arbeit ist, die Fabrik zu leiten, den Käufer
für die Ware zu suchen und stets darüber sich zu informieren, was für
Ware auf Abnehmer rechnen kann. Auch der Eigentümer der Fabrik (Aktionär)
hat Anrecht auf einen Teil, weil er (oder sein Vater usw.) das Geld, das
andere nutzlos verschleudern, zusammenhielt, bis es eine Summe ausmachte,
die zum Ankauf von Arbeitsmitteln hinreichte. Allein unter den gegenwärtigen
Verhältnissen erscheint sein Anteil oft zu groß.
„Es ist nun freilich schwer
festzustellen, in welchem Verhältnis diese Anrechte zueinander stehen.
Aber das ist jedenfalls nicht richtig, dass das Kapital die Arbeit so
billig wie möglich kauft, und dass der Arbeiter so wenig Leistung als möglich
für den erhaltenen Lohn verkauft.“
Dr. Abbott scheint für die
Massen ein warmes Herz zu haben und ihre Lage deutlich zu erfassen. Aber
er beschränkt sich auf die Aufstellung einer richtigen Diagnose der
politisch-sozial-finanziellen Krankheit unserer Zeit, ohne ein Heilmittel
dafür zu finden. Er meint wohl, dem Übel wäre abzuhelfen, wenn die
Arbeiter Eigentümer der Arbeitsmittel wären, aber er sagt nicht, wie sie
dazu kommen sollen, es zu werden. Er sucht gleichsam mit Alladins Lampe
die „magische Wand“. Er kennt wohl die Finanzverhältnisse nicht recht,
oder er erwartet eine Revolution, bei welcher die Arbeiter mit Gewalt die
Arbeitsmittel in ihren Besitz bringen werden. Wenn nun aber dies wirklich
Platz greifen würde, wer sieht da nicht, dass die neuen Eigentümer sehr
bald Kapitalisten würden? Haben wir irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass
die neuen Eigentümer freigebiger oder weniger selbstsüchtig wären als
die gegenwärtigen? oder dafür, dass die natürlichen Herzen der Eigentümer
sich mehr verändern als die der Arbeiter? oder dafür, dass alle Arbeiter
von den neuen Eigentümern zum Mitgenuss an den Vorteilen der
Maschinenarbeit zugelassen würden? Wer irgend die menschliche Natur kennt,
wird diese Frage verneinen. Man sieht wohl das Übel; und dass es schnelle
Abhilfe fordert, ist jedem klar. Aber kein Heilmittel wird der seufzenden
Kreatur helfen. Ihr Seufzen und Leiden muss fortfahren und zunehmen, wie
der Apostel Paulus es sagt, bis zur Offenbarung der Söhne Gottes, des Königreiches
Gottes. - Röm. 8:22, 19
Eine Krankheit leugnen, heißt
noch nicht, dieselbe heilen. Die Behauptung, dass „Arbeit nicht Ware“
sei, ändert nichts an der traurigen Tatsache, dass Arbeit Ware ist und
nichts anderes sein kann unter den gegenwärtigen Verhältnissen. Die
Sklaverei mag zu ihrer Zeit und für gewisse Völker eine wohltätige
Einrichtung gewesen sein, wenn nur die Herren gütig waren und
Selbstbeherrschung besaßen. Auch die Leibeigenschaft mag unter dem
Feudalsystem, jener halben Zivilisation, für ihre Zeit gut, zeitgemäß
gewesen sein. Das gleiche muss man vom modernen Lohnsystem gelten lassen.
Dass Arbeit Ware ist, die gesucht und verkauft wird, hat seine großen
Vorzüge. Vor allem hat es die Entwicklung geistiger und körperlicher
Geschicklichkeit bewirkt und damit die Arbeit auf ein höheres Niveau
gehoben. Auch wäre es töricht, der Arbeit gerade diesen Charakter zu
nehmen, denn geschickte, begabte, energische Arbeiter verdienen es, dass
sie gesuchter und besser bezahlt sind als ungeschickte und unbegabte und lässige;
das ist für diese gleichzeitig ein Ansporn. Was not tut, ist eine
gerechte, weise, väterliche Regierung, welche die Schranken und die Förderungsmittel
der Gegenwart aufrecht erhält, soweit sie für alle zuträglich sind, und
neue hinzufügt, vor allem jede arbeitende Klasse gegen die Anmaßung der
unmittelbar über ihr stehenden schützt, besonders aber gegen die
Riesenmacht des heutigen Kapitals mit seinem großen und täglich noch
anschwellenden Tross von Maschinensklaven, eine Regierung, welche, nachdem
sie unter der Herrschaft des Gebotes der Liebe allen eine volle
Gelegenheit gegeben hat, zu lernen, was recht ist, diejenigen vernichten
wird, welche Selbstsucht und Sünde der Gerechtigkeit vorzuziehen
fortfahren. Eine solche Regierung wird aber nirgends angepriesen als nur
in der Bibel; da ist sie aber auch genau beschrieben und fest verheißen,
und sie wartet nur auf die Herauswahl der Kirche Gottes, ihrer Kön. und
Priester als Miterben Immanuels. - Offb. 5:10; 20:6
Auch Bischof Newman von der
bischöflichen Methodistenkirche sieht, dass ein Kampf zwischen Kapital
und Arbeit droht. Er sieht das Recht und das Unrecht auf beiden Seiten. In
einem kürzlich in der Zeitung seiner Gemeinschaft von ihm veröffentlichten
Aufsatz schreibt er folgendes:
„Ist
reich zu sein ein Unrecht? Ist Armut notwendig bei Frömmigkeit? Sind nur
Bettler Heilige? Ist der Himmel ein Armenhaus? Wie steht es denn dann mit
Abraham, der reich war an Vieh, an Silber und an Gold? Wie steht es dann
mit Hiob, der 7.000 Schafe, 3.000 Kamele, 4.000 Ochsen, 500 Esel, 30.000
Morgen Land und 3.000 Knechte hatte?
„Die Fähigkeit, reich zu
werden, ist eine göttliche Gabe. Fleiß und Sparsamkeit sind die Gesetze
des Wirtschaftens. Große Reichtümer anzusammeln ist eine besondere
Begabung. Wie Dichter, Philosophen und Redner als solche geboren werden,
so hat der Finanzmann ein Genie im Erlangen von Reichtümern. Durch
Erkenntnis ist er mit den Gesetzen des Vorrates und der Nachfrage vertraut.
Er scheint mit der Gabe eines Sehers ausgerüstet zu sein, so dass er
kommende Veränderungen auf dem Markte vorher sieht. Er weiß, wann er
kaufen, und wann er verkaufen muss, er weiß, wann er halt machen muss. Er
ahnt im Voraus, wohin die Bevölkerung neigt, und was dies für eine Folge
haben wird. So wie der Dichter singen muss, weil die Muse in ihm ist, so
muss der Finanzmann Geld verdienen. Er kann nicht anders. Diese Art der
Begabung wird in der Heiligen Schrift angedeutet: „Der Herr, dein Gott,
gibt dir Kraft, Vermögen zu schaffen.“ (5. Mose 8:18) Dies wird in der
finanziellen Lage der christlichen Nationen, welche die Finanzen der Welt
beherrschen, illustriert.
„Diesem natürlichen und
gesetzlichen Recht zum Besitz von Vermögen steht der Ruf nach Vergeltung
gegenüber von Seiten derer, welche weder durch Erbschaft, noch durch
Geschicklichkeit, noch durch Fleiß etwas erlangten. Der Kommunismus hat
weder in der natürlichen Verfassung, noch in der sozialen Ordnung der
Menschheit eine Grundlage. Er stellt den wilden, unvernünftigen Schrei
der Arbeit wider das Kapital dar, zwischen denen der natürlichen und
politischen Ökonomie gemäß keine Feindschaft herrschen sollte.“
Der Bischof bestätigt, dass
Arbeitgeber und Arbeitnehmer unveräußerliche Rechte besitzen; ersterer
soll anstellen, wen irgend er kann, für soviel als möglich, und der
letztere soll soweit als möglich dem zu entsprechen suchen. Der Bischof
behauptet, dass sich der Neid und die Eifersucht der arbeitenden Klassen
nicht gegen diejenigen richtet, welche große Vermögen besitzen, sondern
gegen die übertriebene Bequemlichkeit und gegen die übertriebene Gleichgültigkeit
der Reichen. Er fährt fort:
„Reichtum
hat die schönste aller Aufgaben. Er ist nicht dazu da, nur aufgespeichert
zu werden oder als Pracht- und Machtmittel zu dienen. Die Reichen sind die
Sachwalter des Allmächtigen, sie sollten die Mittel hergeben, den Armen
vor der Not zu schützen. Ihre Aufgabe ist es, jene großen Unternehmungen
ins Leben zu rufen, welche den Massen am meisten Erleichterung verschaffen,
das Maximum an Wohlfahrt, statt an Dividenden einbringen. Das Kapital erst
ermöglicht dem Arbeiter, durch ehrlichen Fleiß glücklich zu werden. An
den Reichen wäre es, die Armenwohnungen zu verbessern; manchen reichen
Mannes Stall ist ein Palast, verglichen mit dem Obdach eines ehrlichen,
intelligenten Arbeiters. Wenn die Reichen sich derjenigen Sozialreformen
annehmen, welche der ganzen Menschheit aufhelfen, so werden die Armen sie
segnen. An den Reichen ist es, den Gesetzgeber auf die Bahn des Schutzes
aller Rechte und Interessen der Gesamtheit zu weisen. Öffentliche
Bibliotheken, Museen und schöne Gotteshäuser sind ebenso viele Zeugen
der Nützlichkeit des Reichtums. Wenn einmal Reichtum an Kapital Hand in
Hand geht mit Reichtum an Intelligenz, Körperkraft und Herzensgüte, dann
werden Arbeit und Kapital als gleich notwendig erscheinen, um jedem Leben,
Freiheit und Glück zu verschaffen.“
Der Bischof meint es ersichtlich
sehr gut, aber die Verknüpfung seiner Kirche mit dem Reichtum dieser Welt
trübt sein Urteil. Das ist ja Tatsache, dass Abraham sehr reich war; aber
die Schrift lehrt uns auch, dass zur Zeit Abrahams, Isaaks und Jakobs der
Boden wohl Eigentümer hatte, aber dass sein Gebrauch jedem frei stand.
Die genannten drei Patriarchen wanderten mit ihren Knechten und Herden
nach Belieben durchs Land, fast zwei Jahrhunderte lang, ohne einen Fuß
breit davon ihr eigen zu nennen. (Apg. 7:5) Im vorbildlichen Reich Gottes,
Israel, war durch das Gesetz für die Besitzlosen, ob Israeliten oder
Fremde, gesorgt. Niemand musste darben. Die Felder durften nicht ganz
abgeerntet werden, in den Ecken musste das Getreide stehen bleiben, damit
der Arme Nachlese halten möge. Der Hungrige hatte das Recht, einen
Obstgarten, einen Weinberg, einen Acker zu betreten und sich satt zu essen,
und die Besitzlosigkeit war auch zeitlich beschränkt, indem alle
Hypotheken und Schulden beim nächsten Jubeljahr verjährten, so dass
einer Verschuldung der Masse des Volkes einigen wenigen gegenüber wirksam
vorgebeugt war.
Die Gesetze und Verhältnisse in
der Namenchristenheit aber sind nicht von Gott eingesetzt, wie der Bischof
wähnt; sie sind daher ebenso wenig fehlerfrei als alle Schöpfungen
unvollkommener Köpfe und Herzen. Der Bischof vergisst, dass die Veränderung
der gesellschaftlichen und finanziellen Zustände mit Verhältnissen
aufgeräumt hat, die zu ihrer Zeit als der Gipfelpunkt der Weisheit galten.
So erscheinen auch heutzutage andere Reformen als zeitgemäß, obwohl sie
durch die Selbstsucht bekämpft werden. Darum geht es nicht an, die
jetzigen Gesetze und Verhältnisse als geheiligt und unanfechtbar, die
einmal zugestandenen Rechte als unverletzlich und unbestreitbar und von
Natur und Gesetzes wegen zu Recht bestehend, die Vorschläge zwecks
Anpassung als verrückt, vernunftwidrig zu betrachten.
Ganz recht hat der Bischof, wenn
er, im Gegensatz zu Dr. Abbott, Arbeit als Ware bezeichnet und sagt, sie müsse
es bleiben, solange die gegenwärtige gesellschaftliche Ordnung besteht.
Dass aber diese nicht mehr lange bestehen kann, geht nicht nur aus den
Prophezeiungen der Schrift hervor, sondern ist auch die Überzeugung aller
derer, die Augen haben zu sehen und mit der Masse und ihrer Unruhe in näherer
Berührung stehen.
Vom Standpunkt des Bischofs aus
kann man nur davon eine Lösung der Konflikte zwischen Kapital und Arbeit
hoffen, dass alle Reichen liebreich und gütig, alle Armen und mäßig Begüterten
in Gott zufrieden und genügsam werden, was die Reichen ihnen von ihrem Überfluss
abzutreten geruhen, mit Dank annehmen und ausrufen: „Glückselig sind
die Armen!“ Dies würde freilich die soziale Frage augenblicklich und gründlich
lösen, aber kein vernünftiger Mensch erwartet diese Lösung, und die
Schrift verheißt sie auch nicht. Wir können nicht glauben, dass der
Bischof diesen seinen Vorschlag als praktisches Mittel anbietet, denken
vielmehr, dass er keine andere Lösung zu sehen vermag als diese unmögliche
Lösung. Möchte er doch Gottes Lösung erkennen lernen, für welche uns
der Herr beten lehrte: „Dein Reich komme“, und die Art und Weise, auf
welche das Königreich aufgerichtet wird! - Daniel 2:44, 45; 7:22, 27;
Offb. 2:27
Dem „Journal“ von Kansas
City, USA, zufolge sagte ein weltbekannter Jurist in einer Ansprache an
seine Studenten folgendes:
„Die
Geschichte des anmaßenden und habgierigen Geschlechtes, dem wir zugehören,
ist zum Bericht unaufhörlichen und blutigen Kampfes um Freiheit geworden.
Kriege haben gewütet, Herrscherhäuser sind gestürzt, Monarchen sind
enthauptet worden, nicht aus Streitlust, aus Ehrgeiz, aus Ruhmsucht,
sondern damit die Menschen frei würden. Privilegien und Vorrechte sind während
der blutigen Jahrhunderte widerstrebend, der unzähmbaren Leidenschaft
nach persönlicher Freiheit gegenüber, aufgegeben worden. Von der Magna
Charta (Englisches Verfassungsgrundgesetz) bis zum Appomattox ist ein großer
Schrei, aber während der ganzen 652 Jahre gab es keinen Augenblick, während
dessen das Geschlecht gezögert oder aufgehört hätte, seinen
entschlossenen Kampf um Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zu kämpfen.
Darum schüchterten die Barone den König Johann ein, wurde Latimer
verbrannt, fiel Hampden, wurde die Unabhängigkeitserklärung erlassen,
starb John Brown von Osawatomie, rückten die Truppen von Grant und
Sheridan erobernd vor, lieber das Leben mit allem, was es bietet,
aufgebend, als die Freiheit.
„Zuletzt wurde der Traum der
Jahrhunderte erfüllt. Aus dem grausamen und blutigen Tumult der
Geschichte stand der Mensch schließlich auf als sein eigener Herr. Aber
sonderbar, die Menschen sind zwar alle gleich, und doch herrscht keine
Gleichheit. Das Leiden ist allgemein, die politische Gewalt wird noch
immer von einigen wenigen ausgeübt; die Armut ist nicht abgeschafft
worden. Die Lasten und die Vorrechte der Gesellschaft werden in ungleicher
Weise angeboren. Manche sind so reich, dass sie unmöglich alles
verausgaben können, andere wiederum beten umsonst um das tägliche Brot.
Viele, deren Hoffnung durch diese Missstände vereitelt und durchkreuzt
ist, welche durch Leiden und Entbehrungen erbittert und enttäuscht sind
hinsichtlich der Einwirkung politischer Freiheit auf das persönliche Glück
und Wohlergehen, geben sich nun einer Unruhe hin, welche anzeigt, wie nötig
ein Zusammengehen der konservativen Kräfte in unserer
Gesellschaftsordnung ist.
„In der Entwicklungsbewegung,
in welche die Vereinigten Staaten eingetreten sind, gibt es keine Präzedenzfälle,
weil die Verhältnisse unregelmäßig sind, weshalb es keine
wissenschaftliche Lösung gibt. Während die Lage der Massen des Volkes
durch sozialen Fortschritt, durch die angewandte Wissenschaft in der
Industrie und durch die Erfindung von Maschinen erheblich gebessert worden
ist, so kann doch nicht geleugnet werden, dass die Armut der
Gesellschaftsordnung jetzt feindlicher gegenübersteht und der
Selbstregierung und der persönlichen Freiheit gefährlicher ist als je.
Die Gründe dafür liegen klar auf der Hand. Der Arbeiter ist frei, er
besitzt ein Stimmrecht, seine Selbstachtung ist gewachsen, sein Scharfsinn
ist geweckt worden. Die Verbesserung seiner Lage hat mit der Zunahme
seiner Bedürfnisse nicht gleichen Schritt gehalten. Die Erziehung hat ihn
über die Stufe der Gesindearbeit erhoben. Die Tageszeitung hat ihn darüber
unterrichtet, welche Vorteile der Besitz von Reichtum bietet. Er ist
gelehrt worden, dass alle Menschen gleich erschaffen worden sind. Er
glaubt, dass im Gegensatz zu den Rechten die Gelegenheiten ungleich
verteilt worden sind. Die moderne Wissenschaft hat ihn mit furchtbaren
Waffen ausgerüstet, und wenn der Hunger kommt, ist ihm nichts heiliger
als die Bedürfnisse für Frau und Kinder.
„Die soziale Krisis wird in
allen zivilisierten Ländern, und besonders in dem unseren, furchtbar. Der
grollende Donner murrender Unzufriedenheit rückt von Stunde zu Stunde näher.
Es ist offenbar, dass der Kampf noch nicht zu Ende ist. Die Menschen sind
nicht mehr zufrieden mit gleichen Rechten und mit gleichen Gelegenheiten,
sie verlangen als Gesetz des idealen Staates auch gleiche Bedingungen.
„Es liegt auf der Hand, dass
soziale Entartung nicht neben Selbstregierung bestehen kann, und dass
hoffnungslose und hilflose Armut sich mit persönlicher Freiheit nicht
verträgt. Der Mensch, der hinsichtlich der Mittel zur Unterhaltung seiner
selbst und seiner Familie von anderen völlig abhängig ist, ist in keinem
Sinne des Wortes frei. In hundert Jahren werden wir die reichste aller
Nationen sein. Unsere Quellen sind ungeheuer groß. Die Statistik betreffs
unseres Gewinnes und Ansammelns von Reichtümern versetzt selbst den
Leichtgläubigen in Staunen. Wir haben Geld in Übermaß, Nahrungsmittel
in Fülle, Fabriken und Arbeiter sind reich versehen, trotzdem verbleibt
unsere Zivilisation im Widerspruch mit sich selbst. Die Mehrheit des
Volkes muss um das Dasein kämpfen, und ein Teil lebt in verworfener und
elender Armut.
„Das Vorhandensein solcher
Zustände scheint die höhere Weisheit anzuklagen. Wer zugibt, dass Mangel,
Elend und Unwissenheit unvermeidliche Ererbung seien, macht die
Bruderschaft der Menschen zu einem hämischen Spott und das Gesetz des
moralischen Universums unverständlich. Die Enttäuschung, welche durch
die Verhältnisse erzeugt wurde, vertieft sich in ein Misstrauen gegen die
Grundsätze, auf welche unsere Gesellschaftsordnung gegründet ist, und zu
einem Verlangen, die Grundlage, auf welcher sie ruht, zu ändern. Dieses
Misstrauen tunlichst zu beruhigen, ist Ihre bedeutsamste Pflicht.
„Es werden im allgemeinen zwei
Heilmittel vorgeschlagen, welche die Missstände unserer
Gesellschaftsordnung beseitigen sollen. Wir können dieselben in zwei
Klassen einteilen. Die erstere läuft auf eine Änderung der politischen
Einrichtungen hinaus. Diese Methode ist unrichtig und kann nur wirkungslos
sein, weil sie sich auf den Fehler gründet, materielles Wohlergehen
resultiere aus persönlicher Freiheit, während in Wirklichkeit politische
Freiheit die Folge, nicht die Ursache materiellen Fortschrittes ist. Viel
ist von Dichtern und Träumern über die Schönheit der Armut geschrieben
worden, während die Geldliebe als die Wurzel alles Bösen bezeichnet
worden ist; es bleibt aber Tatsache, dass ehrlich erworbener und weise
verwandter Reichtum eine Macht darstellt, die wirklicher, positiver und
greifbarer ist, als jede andere.
„Es gibt keinen so
bedauernswerten, keinen so niederdrückenden, keinen für das Edle im
Menschen, für sein Streben nach Vorwärtskommen und Selbstgestaltung des
Schicksals so vernichtenden Einfluss, wie hoffnungslose, schmutzige und
hilflose Armut, Mangel, Hunger, den Lohn der Schwitzerwerkstätten, Lumpen
und Brotkrusten. Da Ihr geübter Scharfsinn dem Erforschen der Probleme
der Zeiten gewidmet ist, werden sie nicht verfehlen festzustellen, dass
dieses Element in unserer Gesellschaftsordnung beständig wächst.“
Hier haben wir wiederum eine
klare Darlegung der Tatsachen, wie jedermann, Reich wie Arm, wird zugeben
müssen. Sie enthält aber kein Heilmittel: nicht einmal einen Wink, auf
welche Weise die jungen Rechtsgelehrten und Politiker ein Heilmittel
suchen sollten. Ihnen wird nur der Rat gegeben, das Misstrauen bei anderen
zu beruhigen, wie stark sie es auch immer selbst verspüren mögen und
jeder Änderung des gegenwärtigen Systems entgegenzuarbeiten, was bisher
oben gewesen ist, oben zu halten.
Warum nun dieser Rat? Weil
dieser befähigte Mann seinen geringeren Bruder verachtet? Keineswegs;
vielmehr, weil er die unvermeidliche Wirkung der Freiheit sieht - „Individualismus“
- Selbstsucht - mit der angewandten Freiheit des Wettbewerbs und des nur für
sich selbst Sorgens. In die Vergangenheit zurückblickend, sagt er: „Was
gewesen ist, soll auch bleiben.“
Der Professor weiß nicht, dass
wir am Ende des Zeitalters stehen, dass einzig die Macht des Gesalbten des
Herrn Ordnung zu bringen vermag aus aller Verwirrung, dass es gerade
Gottes Wille ist, die Menschheit heutzutage vor Probleme zu stellen, an
denen alle ihre Weisheit zuschanden wird, vor Verhältnisse, die keine
menschliche Klugheit oder Geschicklichkeit ändern kann, damit die
Menschheit zu ihrer Zeit, in ihrer letzten Not, froh sein wird, dass Gott
selber eingreift, und von ihren eigenen Wegen ablassen und sich von Gott
belehren lassen wird. Derjenige, dem das Recht gehört, ist im Begriff,
seine große Macht an sich zu nehmen und zu herrschen, aus dem Chaos der
Gegenwart eine neue Ordnung hervorgehen zu lassen, seine Kirche, seine
Braut zu erhöhen und mit ihr und durch sie allem Leid der schuldbeladenen,
seufzenden Kreatur ein Ende zu machen, und alle Geschlechter der Erde zu
segnen. Nur wer das wahre Licht hat, kann diese herrliche Lösung der
dunklen Gegenwart sehen, vor der die Weisen dieser Welt ratlos dastehen.
* * *
Oberst Ingersoll ist bei der
Welt als weiser Mann sehr bekannt. Obgleich ungläubig, ist er ein Mann
von beachtenswerter Befähigung und von außergewöhnlich gesundem
Urteilsvermögen; aber nicht in religiösen Dingen, in denen das Urteil
keines Menschen gesund ist, es sei denn durch das Wort und den Geist des
Herrn geleitet. Als Rechtsgelehrter ist Ingersoll so geschätzt, dass man
ihm für eine halbstündige Audienz schon 250 Dollar bezahlt hat. Sein tätiges
Gehirn hat sich auch mit den großen Problemen der ratlosen Gegenwart
beschäftigt, gleichwohl hat er auch kein Heilmittel zu empfehlen. Er hat
seine Gedanken in einem längeren Artikel zum Ausdruck gebracht, welcher
in der Zeitschrift „The Twentieth Century“ veröffentlicht wurde, und
von welchem wir nachstehend einen kurzen Auszug bringen:
„Die
Erfindungen haben die Welt mit Konkurrenten angefüllt, nicht nur mit
Arbeitern, sondern auch mit Mechanikern von höchster Geschicklichkeit.
Heute ist der gewöhnliche Arbeiter meistens ein Zahn im Rade. Er arbeitet
mit dem Unermüdlichen, er ernährt den Unersättlichen. Wenn das
Ungeheuer aufhört, dann ist er arbeitslos, brotlos. Er hat nichts gespart.
Die Maschine, welche er nährte, ernährte ihn nicht, die Erfindung war
ihm nicht zum Segen. Neulich hörte ich von einem Mann, dass es Tausenden
von guten Mechanikern fast unmöglich war, Arbeit zu finden, und dass
seiner Meinung nach die Regierung dem Volk Arbeit besorgen solle. Ein paar
Minuten später sagte mir ein anderer, dass er ein Patent für das
Zuschneiden von Kleidern verkaufe, und dass eine seiner Maschinen die
Arbeit von zwanzig Schneidern auszuführen imstande sei; erst in der
vergangenen Woche habe er zwei an ein großes Haus in New York verkauft,
wodurch vierzig Zuschneider der Arbeit enthoben worden seien. Der
Kapitalist sagt dem Arbeiter, er müsse sparsam sein, und doch würde die
Sparsamkeit unter den gegenwärtigen Verhältnissen nur die Löhne
herabsetzen. Unter dem großen Gesetz von Angebot und Nachfrage trägt
jeder sparsame, sich einrichtende Arbeiter unbewussterweise dazu bei, dass
die Aufbesserung für ihn und für seine Genossen beschränkt wird. Die
sparsamen Arbeiter versichern, dass die Löhne hoch genug sind.
„Das Kapital hat immer
behauptet, das Recht zu haben, sich zu verbinden. Die Fabrikanten kommen
zusammen und bestimmen die Preise, trotz des großen Gesetzes von Angebot
und Nachfrage. Haben die Arbeiter das Recht, zusammen zu ratschlagen und
zusammen zu gehen? Die Reichen kommen in der Bank, im Klubhaus oder im
Salon zusammen. Wenn die Arbeiter sich vereinigen, versammeln sie sich auf
der Straße. Alle organisierten Kräfte der Gesellschaft sind gegen sie
gerichtet. Das Kapital hat das Heer und die Flotte, die Gesetzgebung, die
Gerichts- und die Vollstreckungsabteilungen. Wenn die Reichen
zusammentreten, so geschieht es zum Zweck des „Gedankenaustausches“.
Wenn die Armen zusammenkommen, handelt es sich gleich um eine „Verschwörung.“
Wenn sie vereint tätig vorgehen, so begehen sie „Verrat“. Wie
beherrschen denn die Reichen die Abteilungen der Regierung? Bisweilen
werden Bettler zu Revolutionären, und wird ein Lumpen das Banner, um
welches die Edelsten und Tapfersten für die Gerechtigkeit kämpfen.
„Wie sollen wir den ungleichen
Kampf zwischen Maschine und Arbeiter beenden? Werden die Maschinen schließlich
mit in die Genossenschaft der Arbeiter eintreten? Können diese Kräfte
der Natur überwacht werden, so dass sie den leidenden Kindern der Natur
zum Segen gereichen? Wird die Verschwendungssucht mit dem Scharfsinn
gleichen Schritt halten? Werden die Arbeiter klug und stark genug werden,
dass sie sich zum Eigentümer der Maschinen aufschwingen? Können die
Menschen klug genug werden, um edelmütig, um gerecht zu sein? Oder werden
sie von demselben Gesetz beherrscht, von welchem die Tier- und
Pflanzenwelt beherrscht wird? In den Tagen des Kannibalismus verzehrte der
Starke den Schwachen, indem er buchstäblich sein Fleisch aß. Trotz aller
Gesetze, welche der Mensch aufgestellt hat, trotz aller Fortschritte in
der Wissenschaft leben die Starken, die Herzlosen, noch immer von den
Schwachen, den Unglücklichen, den Törichten. Wenn ich den Todeskampf im
zivilisierten Leben in Betracht ziehe, die Fehlschläge, die Sorgen, die
Tränen, die bitteren Wirklichkeiten, den Hunger, das Verbrechen, die
Entehrung, die Schande, so muss ich fast sagen, dass nach alle diesem der
Kannibalismus die barmherzigste Form war, in welcher ein Mensch von dem
anderen lebte.
„Es ist unmöglich für jemand,
der ein gutes Herz hat, mit der Welt, wie sie jetzt ist, zufrieden zu sein.
Niemand kann sich wirklich dessen freuen, was er erwirbt, wenn er daran
denkt, dass Millionen seiner Mitmenschen darben. Wenn wir an die Hungrigen
denken, kommen wir uns beim Essen herzlos vor. Wenn wir zerlumpte,
frierende Gestalten antreffen, schämen wir uns, selber so gut und warm
gekleidet zu sein; unser Herz kommt uns so kalt vor wie deren Leib.
„Kann
da nicht abgeholfen werden? Müssen das Gesetz von Nachfrage und Angebot,
Wissenschaft, Erfindungen, Monopole und freie Konkurrenz, Kapital und
Gesetzgebung auf ewig Feinde derer sein, die sich abmühen? Werden die
Arbeiter immer so töricht sein, Millionen von Soldaten unterhalten zu
helfen, die berufen sind, nötigenfalls auf ihre Söhne zu schießen?
Werden sie immer Paläste bauen und selber in Hütten wohnen wollen?
Werden sie sich immer ihr Herzblut von Schmarotzern abzapfen lassen?
Werden sie immer die Sklaven jener einstigen Bettler bleiben wollen, in
deren Dienst sie jetzt stehen? Werden die ehrenhaften Leute endlich einmal
aufhören, vor dem Betrug, wenn er Erfolg hat, den Hut zu ziehen? Wird der
Fleiß vor dem gekrönten Müßiggang immer auf die Knie fallen? Wird man
zu der Anschauung gelangen, dass der Bettler nicht edelmütig sein kann,
und dass der Reiche sich ein Recht zum Leben verdienen muss? Wird man
schließlich sagen, dass der Mensch gleiche Vorrechte hatte wie alle
anderen, und dass er nicht das Recht habe, sich zu beklagen, oder wird man
dem Beispiel der Unterdrücker folgen? Wird man lernen, dass die Gewalt,
um Erfolg haben zu können, von Gedanken geleitet wird, und dass alles,
was getan werden muss, um bestehen zu können, auf dem Ecksteine der
Gerechtigkeit ruhen muss?“
Die angeführten Darlegungen
sind ohne Hoffnung und ohne Andeutung eines Ausweges, und da sie von einem
weisen Manne kommen, von einem weisen Logiker, so zeigt dies, dass die
Weisen dieser Welt wohl die Krankheit sehen, aber kein Heilmittel wissen.
Der gelehrte Herr weist klar genug auf die Ursachen der Schwierigkeit und
auf ihre Unvermeidlichkeit hin, und dann sagt er zu den Arbeitern: „Lasst
euch nicht von ihnen (der Erfindung, der Wissenschaft, dem Wettbewerb)
erdrücken!“ Aber er deutet keine Mittel der Befreiung an, außer in der
Frage: „Werden die Arbeiter klug und stark genug werden, dass sie sich
zum Eigentümer der Maschinen aufschwingen?“
Angenommen aber, sie besäßen
Maschinen und auch genügend Kapital, um damit zu arbeiten. Könnten
solche Fabriken und Maschinen dann mit mehr Erfolg arbeiten als andere? Könnten
sie lange aus Gründen des Wohlwollens und nicht des Vorteils arbeiten? Würden
sie nicht auch die „Überproduktion“ steigern und Preisstürze
bewirken, wodurch sie sich selbst und ihre Genossen zum Müßiggang
zwingen würden? Wissen wir nicht, dass dasjenige Warenhaus oder Geschäft,
welches auf dem Grundsatz: Gleiches Gehalt für alle Angestellten!
betrieben würde, bankrott werden wird, weil es zuviel Unkosten haben würde,
oder weil die Befähigteren durch bessere Bezahlung veranlasst werden, die
Stellung zu wechseln? Mit einem Wort: Selbstinteresse, Selbstsucht, hat
sich dem gefallenen Menschengeschlecht so aufgeprägt, ist so mit dem
gegenwärtigen sozialen Gebäude verwachsen, dass jeder, der nicht damit
rechnet, bald erfahren wird, dass er sich verrechnet hat.
Der Schlusssatz klingt sehr
sanft, aber er ist fruchtlos hinsichtlich des Heraushelfens aus der Not.
„Wird man lernen, dass die Gewalt, um Erfolg haben zu können, von
Gedanken geleitet sein muss?“ Gewiss, das wissen schon alle; zu Gedanken
gehört aber ein Gehirn, und das Gehirn muss gut sein. Jedermann sieht,
dass, wenn alle ein gleich gutes Gehirn hätten, bald ein Waffenstillstand
abgeschlossen würde, bei dem für die Rechte eines jeden Vorsorge
getroffen, oder was wahrscheinlicher ist, dass der Kampf dann früher
gekommen und heißer gewesen wäre. Niemand aber weiß besser als
Ingersoll selbst, dass es außerhalb des Bereiches der menschlichen Fähigkeit
liegt zu bewirken, dass eine Gleichheit der Geisteskräfte bei allen
zustande kommt.
Der vierte Absatz des von uns
angeführten Auszugs des Artikels des großen Mannes ist sehr zu achten.
Er findet Widerhall in jeder edlen Seele, von denen es, wie wir glauben,
viele gibt. Andere aber, die in bescheideneren Verhältnissen leben, oder
die auch so reich sein mögen wie Ingersoll, kommen zu dem Schluss (zu dem
Ingersoll sicherlich auch gekommen ist), dass sie ebenso wenig in der Lage
sind, den Kanal der gefallenen menschlichen Natur, durch welchen der
soziale Lauf geht, zu verstopfen, indem sie ihr Geld und ihren Einfluss
hineinwerfen, als die Niagarafälle mit ihrem Leib aufzuhalten.
* * *
Dass es gar nicht wahr ist, dass
die Gesetzgebung die Reichen begünstigt und die Armen schädigt, lernen
wir aus folgender Zusammenstellung, welche der Adjunkt des Generalanwalts
der Vereinigten Staaten, J. L. Thomas, von den arbeiterfreundlichen
Gesetzen und Erlassen am 17. Oktober 1896 in der „New York Tribune“
gemacht hat:
„1. Die
Schuldenhaft ist abgeschafft worden. 2. Heimstätten und genügender
Hausrat sind als unpfändbar erklärt worden, wenn der Schuldner
Familienvater, eine Witwe oder Waise ist, ebenso 3. das Land und Werkzeug,
das zur Verrichtung lohnender Arbeiten nötig ist. 4. Der Arme kann
kostenfrei prozessieren. 5. Er erhält vor Kriminalgericht immer, vor
Zivilgericht in manchen Fällen vom Staat einen Verteidiger gestellt. 6.
Die Gerichte müssen in vielen Fällen, wenn der Arbeiter um seinen Lohn
prozessiert, zu seinen Gunsten entscheiden, oder, wenn er einem Syndikat
gegenübersteht, diesem bis zu einer bestimmten Grenze die Kosten des
Verteidigers des Arbeiters auferlegen. 7. Im öffentlichen Dienst ist der
Arbeitstag auf 9, 8, ja 7 Stunden ermäßigt worden. 8. Beim
Konkurrenzverfahren gegen einen Arbeitgeber gehören die Arbeitslöhne zu
den privilegierten Forderungen. 9. Den Eisenbahnen, anderen
Transportanstalten, Warenhäusern usw. sind die Tarife vom Gesetz
vorgeschrieben worden, was in manchen Fällen Preisermäßigungen von zwei
Dritteln und mehr zur Folge hatte. 10. Fast sämtliche Staaten der Union
haben den Hypothekenzinsfuß von Gesetzes wegen ermäßigt. 11.
Fabrikbesitzer, Minen- und Eisenbahnunternehmungen sind zu
Schutzvorrichtungen für ihre Arbeiter verpflichtet worden. 12. Das
Vereinsrecht ist den Arbeitern gewährleistet. 13. Der 1. Mai ist als ein
öffentlicher Feiertag anerkannt worden. 14. Eigene Kommissionen der Union
und der Einzelstaaten machen Erhebungen über die Lage der Arbeiter und
Vorschläge zur Hebung derselben. 15. Jährlich wird vom Senat für
hundertfünfzigtausend Dollar Saatkorn verteilt. 16. In manchen Staaten
ist es strafbar erklärt worden, einen entlassenen Arbeiter oder einen
Armen, der seine Schulden nicht zahlen konnte, auf eine „schwarze Liste“
zu setzen, einem Schuldner durch die Postkarte die Beitreibung anzudrohen
usw. 17. Den Lotterie-Prospekten ist, im Interesse der Unvorsichtigen, der
Postvertrieb entzogen worden. 18. Die Zeitungen der Union werden zum Teil
portofrei befördert, was der Union jährlich 8 Millionen Dollar kostet,
und die besten Zeitschriften werden so billig abgegeben, dass auch der Ärmste
eine abonnieren kann. 19. Die Banken und ihr Rechnungswesen stehen unter
Staatsaufsicht. 20. Öffentliche Angestellte haben Anrecht auf 15 bis 30
Tage Ferien und außerdem auf 30 Tage Abwesenheit infolge eigener
Krankheit oder Krankheit in der Familie, wobei die Besoldung gleichwohl
ausgezahlt wird. 21. Der Kuli-Handel, die Einfuhr von Arbeitern mittels
Vertrages, die Arbeit im Konvikt, die Einwanderung von Chinesen, die
Einfuhr von Produkten der Konvikt-Arbeitshäuser sind von Gesetzes wegen
verboten. 22. Gewerbliche Schiedsgerichte entscheiden in Lohn- und anderen
Fragen. 23. Gewöhnliche Arbeiter erhalten für die öffentlichen
Feiertage, den Neujahrstag, den 22. Februar, den Dekorationstag, den 4.
Juli, den Danktag und den Weihnachtstag ihren Lohn. 24. Heimstätten sind
solchen gegeben worden, die sich darin ansiedeln, Landstrecken anderen überlassen
worden, die daselbst Bäume pflanzen wollten. 25. Die materielle Schädigung
von Hunderttausenden von Grundbesitzern hat die Union nicht davon
abgehalten, die Sklaverei abzuschaffen. 26. Öffentliche Bibliotheken sind
auf öffentliche Kosten gegründet worden. 27. Öffentliche Krankenhäuser
sichern dem kranken Armen richtige Verpflegung. 28. Den im Krieg gewesenen
Soldaten, ihren Witwen oder Waisen zahlt die Union Jahr für Jahr im
ganzen 140 Millionen Dollar aus. 29. Die Volksschulen kosten der Union jährlich
mehr als 200 Millionen Dollar.
„Zahllose Gesetze von
geringerer Bedeutung, die die Beziehungen zwischen Arbeiter und
Arbeitgeber regeln, sind vom Kongress oder den gesetzgebenden
Versammlungen der Einzelstaaten erlassen worden; ihre Tendenz entspricht
stets denen, die weiter oben angeführt sind. Die Geschichte der letzten
25 Jahre zeigt, dass Männer und Frauen aller Klassen mit aller Schärfe
auf Gesetze gesonnen haben, die die Wohlfahrt der Massen im Auge haben,
und wir sind auf diesem Gebiet soweit gegangen, dass man auf gewisser
Seite schon fürchtet, dem Staatssozialismus zuzutreiben.“
Wenn nun also auf dem
Gesetzgebungsweg alles getan worden ist, was getan werden kann, die Unruhe
aber gleichwohl fortdauert, so ist es wohl töricht, von demselben Abhilfe
zu erwarten. Auch J. L. Thomas ist mithin der Meinung, dass der Kampf
unausbleiblich ist.
* * *
Auch von Wendell Phillips möge
hier eine Äußerung Raum finden. Er sagte einmal:
„Keine Reform kam je von den
herrschenden Klassen; jede musste von den Opfern der Verhältnisse
ertrotzt werden. So muss auch die Befreiung der Lohnarbeiter von diesen
selbst vollbracht werden.“
Sehr wahr, sehr richtig, aber
wie sollen die Arbeiter den Wirkungen des Gesetzes von Nachfrage und
Angebot, der Ungleichheit körperlicher und geistiger Fähigkeiten
begegnen? Darauf hat Phillips keine Antwort. Eine Revolution könnte
momentan vereinzelte Veränderungen herbeiführen, gegen die Gesamtlage
aber ist sie kein Mittel. Mit dem gleichen Erfolg würde man die Flut
aufzuhalten oder in Gefäße zu füllen versuchen, um ihr zu wehren.
* * *
Im Jahre 1857 schrieb schon, wie
der „Figaro“ (Paris) meldet, der bekannte englische
Geschichtsschreiber Macaulay an einen Freund in der Union:
„Es ist
klar wie der helle Tag, dass eure Regierung niemals imstande sein wird,
eine notleidende, unzufriedene Mehrheit zu beherrschen, weil eure
Regierung in den Händen der Masse ist, und die Reichen, die die
Minderheit bilden, denselben einfach ausgeliefert sind. Eines Tages wird
im Staate New York die Masse die gesetzgebende Versammlung bestellen. Kann
man einen Augenblick darüber im Zweifel sein, was für Gesetzgeber sie wählen
wird? Diese werden jede Wohlfahrt unmöglich machen. Dann wird ein Cäsar
oder Napoleon die Zügel der Regierung ergreifen. Im 20. Jahrhundert wird
eure Republik Zerstörungen und Plünderungen erleben, wie das römische
Reich zur Zeit der Völkerwanderung, mit dem Unterschied, dass die Plünderer
nicht von außen, sondern von innen kommen, die Erzeugnisse eurer eigenen
Staatseinrichtungen sein werden.“
Seit Macauly dies geschrieben
hat, haben seine Landsleute das Wahlrecht gefordert und erhalten, ebenso
die Völker Deutschlands, Österreich-Ungarns, Belgiens, Italiens usw. Die
Katastrophe, von der Macauly nur die Union bedroht sah, droht mithin jetzt
der gesamten „Namenchristenheit“. Macauly weiß keinen Rat als den,
der auch andererseits gegeben wird, dass die Reichen und Maßgebenden die
Macht gewaltsam festhalten, solange sie können, auf dem Sicherheitsventil
sitzen, bis der Dampfkessel springt.
* * *
„Zu den befähigten Denkern
der Gegenwart gehört auch der Rechtsprofessor an der Universität
Chicago, Chauncey M. Depew. Er ist ein einsichtvoller Mann, und wir freuen
uns, seine Anschauung über die gegenwärtige Lage zu kennen. In einer
Ansprache an jüngere Fachgenossen sagte er unter anderem:
„Die Bildung hat nicht nur das
wunderbare Wachstum unseres Landes ermöglicht und die wunderbaren
Gelegenheiten, Kapital und Vermögen zu gewinnen, geschaffen, sondern sie
hat das Volk auch aus den Gebräuchen und Gewohnheiten der Vergangenheit
emporgehoben, und wir können heute nicht mehr so leben, wie unsere Väter
noch lebten.
„Die Volksschule und die
Hochschule haben mit ihren höheren Vergünstigungen bewirkt, dass die
Verfeinerung des Lebens den Mann umfassender und intelligenter und die
Frau schöner und geistreicher gemacht haben. Sie erhebt sie über die
Stufe des europäischen Bauern. Während Bildung und Freiheit die
Amerikaner zu einem gewaltigen Volk gemacht haben, haben diese Einflüsse
auch in Europa in einem gewissen Maße die Lebensbedingungen und
Forderungen höher gestellt. Der indische Arbeiter kann unter einem
Strohdach mit einem einzigen Raum wohnen. Ihm genügt eine Kniehose als
Kleidung und eine Pfanne Reis als Nahrung. Der amerikanische Arbeiter aber
braucht eine Wohnung mit mehreren Räumen. Er und seine Kinder haben den
Wert der Arbeit, Kunst, schätzen gelernt. Sie haben sich alle an die
bessere Nahrung gewöhnt, sowie an die besseren Kleider, das bessere Leben,
welches nicht luxuriös sein muss, sondern bequem, und welches ein jeder Bürger
unserer Republik genießen sollte.
„Meisterhafte Menschen mit großem
Weitblick und Mut haben in Amerika die Gelegenheit benutzt, um große Vermögen
zu machen. Die Massen, welche nicht so begünstigt waren, blicken auf sie
und sagen: Wir haben nicht einen gleichen Anteil an diesen Gelegenheiten.
Hier ist nicht der Ort, auch nicht die Zeit, um die Lösung dieser
Schwierigkeiten und Probleme auch nur anzudeuten. Dass wir die Fähigkeit
besitzen, ihnen durch Gesetzgebung oder durch andere Mittel zu begegnen,
wird niemand bezweifeln. Wir fordern für unsere Zeit mehr Bildung, mehr
Studenten und mehr Gelegenheiten. Jedermann, der von dieser Grundlage aus
in die Welt tritt, geht hinaus als Missionar des Lichtes und der
Erkenntnis. Wo irgend er sich niederlassen mag, wird er einstehen für
eine intelligente, allgemeine und vaterländische Wertschätzung der Lage
in diesem Land wie in der Nachbarschaft. Die Graduierten der vierhundert
Universitäten des Landes sind die Leutnants, die Hauptleute, die Obersten,
die Generäle und Marschalle der großen Armee des amerikanischen
Fortschrittes, welcher wir alle angehören.
„Die Welt, in welche unsere
jungen Männer heute eintreten, ist eine ganz andere, als diejenige, von
welcher ihre Väter und Großväter wussten. Vor fünfzig Jahren würden
sie eine konfessionelle Hochschule absolviert haben und so der Kirche
ihrer Väter und Fakultät anheim gefallen sein. Vor fünfzig Jahren würden
sie sich der Partei angeschlossen haben, welcher ihre Väter angehörten.
Sie würden die religiösen Glaubensbekenntnisse ihrer Dorfpastoren
angenommen haben, sowie die politischen Grundsätze, welche ihnen von dem
Rednerpult der Partei ihrer Väter verkündigt wurden. Heute aber besuchen
sie eine Hochschule, auf der die konfessionellen Schranken niedriger
geworden sind. Sie finden, dass ihre Familienmitglieder sich allen möglichen
Kirchen angeschlossen und alle möglichen Glaubensbekenntnisse angenommen
haben, und sie müssen für sich entscheiden, welcher Kirche sie angehören,
und auf welcher Grundlage sie ihren Glauben ruhen lassen wollen. Sie
finden, dass die Parteifesseln durch falsche Führer und durch Unbefugte
gelöst worden sind, sowie dadurch, dass die Partei-Organisationen
verfehlten, den Forderungen des Landes und der schnellen Entwicklung der
Zeit zu begegnen: So sagen diejenigen, welche ihre Ratgeber sein sollten,
zu ihnen: „Mein Sohn, urteile für dich selbst, wie für dein Land.“
So verlangen sie bei ihrem Eintritt in die Welt eine Ausstattung, deren
ihre Väter nicht bedurften, um ihren Pflichten als Bürger genügen zu können
und hinsichtlich der Grundlagen ihres Glaubens und ihrer Prinzipien. Der
junge Mann tritt zum Schluss dieses wunderbaren neunzehnten Jahrhunderts
hinaus, um sich vom Rednerpult und von der Kanzel aus, sowie durch die
Presse belehren zu lassen, und um durch eigene Beobachtung wahrzunehmen,
dass revolutionäre Zustände in der politischen, finanziellen und
wirtschaftlichen Welt herrschen, welche die Staatseinrichtung, die
Stellung der Kirche, die Grundlagen der Gesellschaft und die Sicherheit
des Eigentums bedrohen. Während aber Voraussage und Prophezeiung Unheil
ansagen, sollte er nicht verzweifeln. Jeder junge Mann sollte ein Optimist
sein. Jeder junge Mann sollte glauben, dass das Morgen besser sein wird
als das Heute ist, und er sollte mit nicht schwankender Hoffnung auf das
Morgen blicken, während er heute seine Pflicht voll erfüllt.
„Dass die Probleme schwierig
sind, und die Lage sich zugespitzt hat, geben wir alle zu. Es kommt aber
der Bildung und Erziehung zu, Probleme zu lösen und zugespitzte Verhältnisse
zu beseitigen. Wir leben jetzt in einer Periode, in welcher die
Zivilisation mit sich selbst in Widerspruch steht. Bislang war unser Weg
leicht zu beschreiben. Wir stehen aber fünf Jahre vor dem zwanzigsten
Jahrhundert, und wir befinden uns Verhältnissen gegenüber, welche fast
so ungeheuerlich für uns sind, als wären wir durch einen Ausbruch
ausgestoßen und befänden wir uns neben einem der Kanäle des Mars.
„Der Dampf und die Elektrizität
haben die Jahrhunderte der christlichen Ära bedeutungslos gemacht. Sie
haben die Welt augenblicklich zu einer Gemeinschaft verbunden und die
Schranken, die ehedem durch Zeit und Entfernung, sowie durch Gesetzgebung
beherrscht wurden, umgestürzt. Die Preise der Baumwolle, die heute morgen
am Ganges, oder des Weizens, die heute morgen auf der Hochebene des
Himalaja, im Nildelta oder in Argentinien, durch Klima und Löhne, sowie
durch die Faktoren der Goldwährung, wodurch die Produktion beherrscht
wird, beeinflusst werden, finden gegen Mittag schon ihre Gegenwirkung in
Liverpool, in Neuorleans, Savanna, in Chicago und in New York. Sie senden
ein Schaudern nach den Plantagen des Südens und den Farmen des Westens.
Die Bauern Europas und Amerikas beschweren sich mit Recht über ihre Lage.
Die ländliche Bevölkerung strömt in die Städte und vermehrt die
Schwierigkeit, mit welcher die städtischen Behörden zu kämpfen haben.
Die Kapitalisten suchen Vereinigungen zu gründen, welche mit der Flut
schwimmen oder ihr den Weg ebnen sollen, und die Arbeiter suchen durch
Genossenschaften eine Verbesserung ihrer Lage zu schaffen. Der gewaltige
Fortschritt, welcher während der letzten fünfzig Jahre gemacht wurde,
der Umsturz, der durch Dampf, Elektrizität und Erfindung bewirkt wurde,
das Zusammenarbeiten der Bewohner der beiden Erdhälften hat die Lage des
Volkes so verändert, dass die Welt sich noch nicht zurechtgefunden hat.
Die Gegenwart wie die Zukunft müssen sich auf Bildung und Erziehung gründen,
so dass die höhere Intelligenz Ordnung schaffen kann aus der Verwirrung,
welche das Erdbeben der Gelegenheiten und Kräfte im neunzehnten
Jahrhundert bewirkt hat.
„Es hat immer Krisen in der
Welt gegeben. Sie sind durch die Bestrebungen nach etwas Besserem und Höherem
hervorgerufen worden und haben schließlich in einer furchtbaren Bewegung
nach Freiheit gegipfelt. Diese Revolutionen sind von unendlichem Leiden,
dem Hinschlachten von Millionen, der Verwüstung von Provinzen und Reichen
begleitet gewesen. Die Kreuzzüge befreiten Europa von der Knechtschaft
des Lehenwesens, die französische Revolution zerbrach die Fesseln des
Kastenwesens. Napoleon, wenn auch aus selbstsüchtigen Gründen, führte
zum modernen, allgemeinen Stimmrecht und zur parlamentarischen Regierung.
Das Streben aller Jahrhunderte ist auf Freiheit und auf mehr Freiheit
gerichtet gewesen. Das englisch sprechende Volk hat Freiheit im vollsten
Sinne des Wortes erlangt, jene Freiheit, welche es dem Volk ermöglicht,
der eigene Regent, Gesetzgeber und Herr zu sein. Der Widerspruch zu
alledem ist der, dass trotz aller Freiheit, die wir als unseren größten
Segen festhalten, die Unzufriedenheit größer geworden ist, als es jemals
in der Welt der Fall war. Die sozialistische Bewegung in Deutschland wuchs
in den Jahren 1884 bis 1894 von hunderttausend Stimmen auf mehrere
Millionen. Die republikanischen Elemente Frankreichs werden von Monat zu
Monat radikaler und bedrohender. Die Agrarier- und Arbeiterunruhen in
England nehmen von Tag zu Tag zu, und die Regierung steht denselben
machtlos gegenüber. Chicago ist kürzlich einer Plünderung durch
Anarchistenbanden nur mit knapper Not entgangen. Ein einzelner Mann hat
durch Anordnung eines Eisenbahnarbeiterstreiks von einem Tag auf den
anderen zwanzig Millionen Mitmenschen der Verkehrsmittel beraubt und zwei
Gouverneuren nebst dem Bürgermeister von Chicago seine Bedingungen
diktiert.
„Ein anderer der Widersprüche
unserer Zeit ist, dass der Handwerker und Arbeiter heute bei viel kürzerer
Arbeitszeit in fast jedem Zweig 25 oder auch sogar 50 Prozent mehr Lohn
erhält als vor dreißig Jahren. Während er ein Drittel mehr erhält als
vor dreißig Jahren, kann er mit seinem Dollar zwei- oder dreimal soviel
Nahrung oder Kleidung kaufen als vor dreißig Jahren. Man sollte meinen,
dass der Arbeiter glücklich sei, wenn er seine gegenwärtige Lage mit der
Vergangenheit vergleicht, und dass er nicht nur seinen Lebensunterhalt
bestreiten, sondern sogar noch Ersparnisse machen könne, durch welche er
bald selbst zum Kapitalisten würde. Weit gefehlt! Er fühlt sich
unzufriedener als sein Vater vor dreißig Jahren mit dem Drittel des
Verdienstes und dem Dollar von halb so großer Kaufkraft. Alles das kommt
von der Bildung.“
(Herr Depew beachtet nicht, dass
es vor dreißig Jahren auch noch übergenug Arbeit gab. Da das Angebot von
menschlicher Geschicklichkeit und Kraft weit geringer war als die
Nachfrage, wurden die Menschen veranlasst, die „doppelte Schicht“ zu
arbeiten, sowohl bei der Eisenbahn als auch in den Fabriken, während die
Einwanderer, welche zu Millionen kamen, auch genug Arbeit vorfanden. Jetzt
aber übersteigt das Angebot die Nachfrage in jeder Hinsicht bei weitem,
da jetzt Maschinen zur Arbeit verwandt werden. Gleichwohl sind die Löhne
jetzt nicht schlecht, doch die Massen können sich nicht beständige
Arbeit schaffen, infolgedessen müssen die Löhne fallen).
„Wir kämpfen
nicht nur die Kämpfe für heute, sondern für alle Zeiten. Wir entwickeln
dieses Land nicht für uns, sondern auch für unsere Nachwelt. Wir haben
die Sklaverei und die Vielweiberei abgeschafft, der einzige Feind, den wir
noch zu überwinden haben, ist Unwissenheit.“
(Wenn aber die teilweise
Beseitigung der Unwissenheit durch Bildung alle Unzufriedenheit und Notstände,
die schon erwähnt wurden, bewirkte, welche schreckliche Drangsal würde
dann eine völlig Bildung bringen! Herr Depew sagt, er habe jetzt nicht
Gelegenheit, die Heilmittel für alle diese Übel und Unzufriedenheit zu
besprechen, wie froh wäre er aber zweifellos gewesen, wenn er ein
Heilmittel wüsste! Im folgenden Absatz sagt er, dass Abhilfe geschaffen
werden wird „auf diese oder auf jene Weise“, was ein stillschweigendes
Zugeben dessen ist, dass er kein besonderes Heilmittel anzudeuten weiß).
„Das
Volk, welches jetzt unzufrieden ist, ist sein eigener Regent und Herrscher,
und es muss seine eigenen Probleme lösen. Es kann seine Abgeordnetenhäuser
und Präsidenten selbst wählen. Es kann nicht gegen sich selbst
revoltieren und sich selbst die Gurgel durchschneiden. Früher oder später,
auf diese oder auf jene Weise, wird es seine Probleme lösen; es wird dies
aber durch das Gesetz geschehen. Es wird auf niederreißende oder auf
aufbauende Weise geschehen.
„Die Frage ist natürlich: „Wie
kommt bei aller Wohlfahrt und dem Fortschritt der Welt diese
Unzufriedenheit?“ Die Schnelligkeit der Erfindungen und die
Gelegenheiten, welche Dampf und Elektrizität geschaffen haben, haben in
den letzten fünfundzwanzig Jahren sechzig Prozent des Kapitals vernichtet
und vierzig Prozent der Arbeiter arbeitslos gemacht. Die Erfindung eines
neuen Motors, die Vervielfältigung der Kräfte durch Anwendung der
Maschine haben die alten nutzlos gemacht. Mehr noch, sie haben den
geschickten Handwerker seines Werkzeuges beraubt, welches ihm den
Lebensunterhalt verdienen half, indem sie es wertlos machten und ihn
zwangen, in die Reihen der gewöhnlichen Arbeiter zurückzukehren. Zu
gleicher Zeit haben dieselben Kräfte, welche den größten Teil der Werte
vernichteten und so viele Menschen arbeitslos machten, neue Verhältnisse
geschaffen, welche über alle Berechnungsmöglichkeiten hinaus den
Reichtum der Welt vermehrten, sowie auch die Gelegenheiten des Volkes, den
Lebensunterhalt zu bestreiten, Bequemlichkeiten und Glück zu erlangen. Um
diese aber recht gebrauchen zu können, macht sich seine bessere Bildung
notwendig.“
Es ist offenbar, dass Herr Depew
in Arbeiterangelegenheiten bewandert ist, und dass er sich mit dem Studium
der Verhältnisse, die zu den jetzt drohenden geführt haben, beschäftigt
hat. Welches Heilmittel schlägt er aber vor? Vielleicht war es nur Höflichkeit
seinerseits, wenn er in einer Ansprache an Gelehrte die Unwissenheit
schließlich als Feind hinstellt, der die Welt bedroht. Aber er weiß
selber sehr wohl, dass es mit der Bildung nicht getan ist. Sehr wenige der
heutigen Millionäre haben eine Hochschule besucht. Cornelius Vanderbilt
war ein ungebildeter Fährmann, und sein Geschäftssinn brachte ihn zum
Reichtum. Er sah voraus, dass das Reisebedürfnis zunehmen würde, und er
legte sein Geld in Dampfschiffen und Eisenbahnen an. John Jacob Astor war
ursprünglich ein ungebildeter Pelzhändler. Da er das Wachstum der Stadt
New York voraussah, legte er sein Geld in jenen Grundstücken an und legte
so den Grundstein zu dem Vermögen der gegenwärtig lebenden Astors.
Die Presse veröffentlichte
folgende Liste amerikanischer Millionäre, die mehr als eine Million
Dollar an Hochschulen stifteten, selbst aber keine Hochschulbildung
genossen haben:
„Stephan
Girard, der Girard-Hochschule 8 Millionen Dollar; John D. Rockefeller, der
Universität zu Chicago 7 Millionen Dollar; George Peabody, verschiedenen
Gründungen 6 Millionen Dollar; Leand Stanford, der Stanford-Universität
5 Millionen Dollar.“
Dieselbe Stiftung führt noch 12
Männer an, welche zusammen 24.375 Dollar gestiftet haben.
Um eine Ausnahme von dieser
Regel zu schaffen, hat Herr Seth Low, ein Hochschul-Graduierter und Präsident,
kürzlich der Columbia-Hochschule eine Million Dollar für eine Bibliothek
gestiftet.
So schätzenswert die Universitätsbildung
sein mag, sie ist kein Heilmittel in der gegenwärtigen Lage. Wäre
heutzutage jeder Amerikaner und Europäer ein Studierter, die Verhältnisse
wären noch viel schlimmer, als sie schon sind. Depew gibt das eigentlich
selber zu. Ja, wahrlich, je verbreiteter die Bildung, um so allgemeiner
die Unzufriedenheit. Bildung ist ein vorzügliches, sehr wünschenswertes
Ding, aber kein Heilmittel. Viele edle und gerecht denkenden Männer sind
reich, aber auch viele Gebildete sind lieblos, und andererseits sind unter
den Frömmsten viele Ungebildete, vorab die Apostel. Je gebildeter der Böse,
um so unzufriedener, um so besser ausgerüstet, Böses zu tun, ist er. Die
Welt bedarf neuer Herzen. „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und
gib mir einen neuen, gewissen Geist (einen rechten Sinn)“ sagt der
Psalmist (51:10 Luther), damit schon auf die Bedürfnisse der Gegenwart
hindeutend. Dass die Welt viel mehr nötig hat als Bildung und Intelligenz,
wird die nächste Zukunft beweisen. „Gottseligkeit mit Genügsamkeit ist
ein großer Gewinn“; erst auf dieser Grundlage ist daran zu denken, die
Bildung zu einem Segen zu machen. Die Selbstsucht, der Geist dieser Welt,
kämpft mit dem Geist der Liebe, und Kompromisse können nicht geschlossen
werden. Bildung, „vermehrtes Wissen“ (Daniel 12) unter den Massen, führt
die soziale Krisis und in ihrem Gefolge die Anarchie herbei.
Ein Zeitungsberichterstatter,
der einer Versammlung der protestantisch-bischöflichen Kirche in New York
City beigewohnt hatte, veröffentlichte folgende Worte des Bischofs
Worthington:
„Die
Unruhen der Farmer haben meiner Meinung nach ihre Ursache darin, dass wir
die Grenzen unseres Bildungssystems zu weit gezogen haben. Ich weiß, dass
das als ein Stückchen Ketzerei betrachtet wird, dennoch glaube ich es.
Die Söhne der Farmer, wenigstens ein großer Teil von ihnen, die überhaupt
nicht fähig sind, emporzusteigen, bekommen einen Geschmack und Bildung,
und sie gehen dem nach. Viele von ihnen werden es nie zu etwas bringen,
und sie begnügen sich nicht mit der Lebensweise, welche Gott für sie
vorgesehen hat, sondern sie strömen in die Städte. Diese höhere Bildung
ist es, welche die nicht zur Aufnahme derselben Befähigten in den Städten
ansammelt, während die Bauerngüter leer von Menschen sind.“
Der Bischof nimmt einen
Standpunkt ein, welcher dem des Herrn Depew gerade entgegengesetzt ist. Er
stimmt besser überein mit dem Generalleiter des Bildungswesens in
Russland, der ja ein Gegner der Bildung der ärmeren Klassen ist. Wir
stimmen mit beiden Herren überein in der Überzeugung, dass die Bildung
im allgemeinen den Ehrgeiz vergrößert, sowie die ruhelose
Unzufriedenheit. Sicherlich wird der Bischof zugeben, dass die Dinge schon
zu weit gediehen sind, so dass man nicht hoffen könnte, dem Wachsen der
Unzufriedenheit Einhalt zu gebieten durch Auslöschen der Lampe der
Erkenntnis. Ob es nun gut oder böse sein mag, Bildung und Unzufriedenheit
sind da und können nicht mehr unbeachtet gelassen werden.
Die Frage, ob die Gedanken des
Bischofs richtig sind oder nicht, lassen wir beantworten durch Herrn W. J.
Bryan, von dem wir aus der Presse folgendes entnehmen:
„Von
der höheren Bildung der Farmersöhne als von der Ursache der gegenwärtigen
Schwierigkeiten zu sprechen scheint mir das grausamste zu sein, das ich
jemals von einem Menschen vernahm. Welch ein Gedanke: Die Farmersöhne,
welche nicht imstande sein sollen, im Leben emporzukommen, die einen
Geschmack von der höheren Bildung bekommen und sich darüber freuen, dass
sie ihm folgen, sollen deshalb der Farm überdrüssig werden und in die Städte
strömen! Unter den Farmersöhnen soll eine zu hohe Bildung herrschen!
Liebe Freunde, wissen Sie, was dies bedeutet? Es bedeutet eine Umkehr vom
Fortschritt der Zivilisation, ein Zurückmarschieren zum finsteren
Mittelalter.
„Wie können Sie sagen,
welcher von den Söhnen der Farmer sich als ein großer Mann erweist,
solange Sie noch nicht alle gebildet haben? Sollen wir denn eine
Kommission ernennen, welche umhergeht und diejenigen aussucht, welche
Bildung empfangen sollen?
„Liebe Freunde, der Grund,
warum das Volk in die Städte drängt, ist ein ganz anderer. Er ist darin
zu finden, dass Ihre Gesetzgebung den Farmern das Leben erschwert hat,
weil die nicht erzeugenden Klassen die Gesetze aufgestellt und es
vorteilhafter gemacht haben, mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu
spekulieren als solche hervorzubringen.
„Welch ein Gedanke, die
Ursache der gegenwärtigen Zustände den Farmern in die Schuhe zu schieben!
Welch ein Gedanke, die Schulen zu schließen, damit das Volk nicht
unzufrieden werde! Meine lieben Freunde! Es wird solange Unzufriedenheit
geben, wie Ursache dazu besteht! Warum versuchen Sie nicht lieber, die
Verhältnisse, in welchen sich die Farmer befinden, zu bessern, als dass
Sie versuchen, zu verhindern, dass die Farmer ihre Verhältnisse erkennen?“
Ein englisches Blatt, der „Fels“,
äußerte am 24. April 1896 folgendes:
„In der
ganzen Welt halten Interessenkonflikte, entgegengesetzte Strömungen, die
zivilisierte Menschheit beständig in Atem. Die Spannung der Gemüter
steigert sich von Woche zu Woche. In kurzen Zwischenräumen erschüttern
unerwartete Ereignisse die politische und die Handelswelt und bringen den
Menschen zum Bewusstsein, welch vulkanische Gewalten unter der Oberfläche
der menschlichen Gesellschaft lauern, Politiker, welche denselben eine
andere Richtung zu geben suchen, geben zu, dass sie jene Gewalten nicht
beherrschen noch für ihre Wirkungen irgendwelche Verantwortung übernehmen
können.
„Endlos ist die Reihe der
vorgeschlagenen oder versuchten Heilmittel, der Theorien und
Prophezeiungen. In zwei Punkten aber sind sich alle großen Denker
durchaus einig: 1. dass niemals in den vergangenen Jahrhunderten die
Nationen ein größeres Friedensbedürfnis empfanden, die Vorteile der
Einigkeit höher schätzten als jetzt; 2. dass trotzdem der ganzen Welt
eine Katastrophe droht, welche den gegenwärtigen politischen und
gesellschaftlichen Aufbau zerschmettern wird, da die zerstörenden Kräfte
sich erst ausgetobt haben müssen, bevor die sich bildenden einen neuen
Gesellschaftsbau aufführen können.“
Es ist dasselbe in der ganzen
zivilisierten Welt. Einsichtige Leute sehen das Dilemma mehr oder weniger
deutlich, aber nur wenige haben Vorschläge zur Abhilfe zu machen, und
auch diese nur, weil sie das Wesen unserer Lage nicht durchschauen. Davon
wird das folgende Kapitel handeln.
* * *
Von Interesse mögen folgende Äußerungen
Edward Bellamys sein:
„Wie verkehrt unser System der
freien Konkurrenz ist, erhellt aus dem Übelstand, dass die Ware nur durch
ständige Überproduktion billig wird. Mit anderen Worten: Die
Wohlfeilheit der Ware ist eine Folge der Verschwendung von Kraft. Was nun
mit Verschwendung von Kraft hergestellt wird, ist tatsächlich teuer, auch
wenn man es billig nennt. Die Ware wird mithin bei freier Konkurrenz
dadurch billig, dass ihre Herstellung viel kostet. Damit ist das System
der Widersinnigkeit überführt. Es ist oft so, dass die Ware, die wir am
billigsten kaufen, der Nation am teuersten zu stehen kommt, dank der bei
der Konkurrenz, welche die Preise drückt, gemachten Verschwendung. Diese
bedeutet immer Verlust; daher haben wir ungefähr alle sieben Jahre eine
Geschäftskrise. Das kommt davon, dass je drei Mann sich um eine Arbeit
streiten, welche gerade für einen genügt, dass man Greise, Frauen,
Kinder beschäftigt, Hausväter aber ohne Verdienst lässt.
„Warum fürchtet man sich denn
vor dem bevorstehenden Untergang eines solchen Systems? Wenn das Volk um
einen schlechten König leid trägt, so muss man annehmen, der Thronerbe
sei noch schlimmer. Man fürchtet mithin, bei irgendeiner Veränderung vom
Regen in die Traufe zu kommen. Man fürchtet, der kleine Finger der
Monopole könnte dicker werden als die Lenden der Konkurrenz, dass während
diese das Volk mit Ruten gezüchtigt, jene es mit Skorpionen züchtigen
werden. Wie die Kinder Israel in der Wüste, sehnen sich ängstliche Gemüter
selbst nach der eisernen Rute Pharaos angesichts der neuen Gefahren. Lasst
uns sehen, ob nicht auch hier ein gelobtes Land vor uns liegt, auf welches
hoffend die zitternden Herzen wieder fest werden könnten.
„Vorab fragen wir: Ist eine Rückkehr
zur wahrhaft freien Konkurrenz möglich? Angesichts der Ursachen, auf
welche wir die Entstehung der Monopol-Trusts zurückführen müssen,
betrachten wir diese als diejenige Entwicklung, von der es am aller
unwahrscheinlichsten ist, dass sie wieder zurückgehe. Sie ist die Frucht
des Anwachsens der Macht des vereinigten Kapitals, und diese Vereinigung
des Kapitals ist die Folge der Erfindungen der letzten und der gegenwärtigen
Generation. In früheren Zeiten zog die Natur den Unternehmungen ihre
Grenzen. Für zu große Kapitalien hätte es an vorteilhafter Anwendung
gefehlt. Heutzutage existieren keine Grenzen mehr für die Unternehmungen,
soweit die Erde reicht, und je größer ein Kapital, um so sicherer der
Erfolg der Unternehmung, umso besser mithin die Kapitalanwendung. Daher
die Trusts. Doch sind diese nicht die einzige Folge der Verhältnisse. Es
gibt lockerere Vereinbarungen als die Trusts, die den gleichen Zweck
verfolgen. Ja, es gibt fast keine Geschäfte mehr, die sich nicht mit
ihren einstigen Konkurrenten zu gemeinsamem Nutzen verständigen.
„Seit jene Bewegung begann,
verschwanden allmählich die kleineren Geschäfte vor den großen; der
Kampf, den diese gegen jene, die das Herzblut der freien Konkurrenz waren,
geführt haben, ist aber schon mehr als zwanzig Jahre alt. Während die
Volkswirtschaftler darüber berieten, ob wir es ohne freie Konkurrenz
machen könnten, schwand dieselbe dahin. Mit ganz wenigen Ausnahmen kann
heute kein Privatgeschäft gedeihen, es sei denn, der Unternehmer besitze
große Kapitalien. Unterdessen hat das Anwachsen der Macht des vereinigten
Kapitals die Geschäftsriesen genötigt, sich untereinander zu verständigen,
weil die Vermeidung eines Konkurrenzkampfes unter ihnen für sie eine
Lebensfrage war.
„Gegen diese Entwicklung, die,
weil in der Natur der Sache liegend, unvermeidlich ist, vermag keine
Gesetzgebung etwas. Jede Woche sehen wir, wie ein neuer Teil des offenen
Meeres der einst freien Konkurrenz, in das ehedem mancher mit kleinem
Kapital mutig hinaussegelte und reichbeladen zurückkehrte, in einen
Fischteich irgendeines Syndikats umgewandelt wird. Wenn das so weiter geht,
wird bis 1905 alles Geschäft in den Händen von ein paar Dutzend
Syndikaten sein.
„Diese Entwicklung bedroht in
sehr ernster Weise den Mittelstand. Nicht nur Arme und Unwissende, sondern
Gebildete und Angesehene müssen sich fragen, wo sie Verdienst oder
Verwendung für ihr Kapital finden. Diese Schwierigkeit ist in starker
Zunahme begriffen und drängt den Mittelstand allmählich in die Reihen
des Proletariats. Wenn es so weitergeht, so zerfällt in wenigen Jahren
die ganze Menschheit in ein paar hundert überreiche Familien, eine Anzahl
von ihrer Gunst abhängige und daher zu Lakaien degradierte Berufsleute,
und eine große Masse arbeitender Männer und Frauen, die auf keine
Verbesserung ihrer Lage hoffen können, und Jahr für Jahr immer mehr in
vollständige Knechtschaft geraten. Das ist kein erfreuliches Bild, aber
auch keine übertriebene Darstellung der letzten Folgen des Trustsystems.“
* * *
Im Juli 1895 veröffentlichte
der römisch-katholische Geistliche Dr. Mc.Glynn, der seinerzeit wegen
Hinneigung zur Sozialdemokratie von seinen Vorgesetzten gemaßregelt wurde,
im „Donahoe Magazine“ einen Artikel, welcher beweist, dass er trotz
Aussöhnung mit seiner Kirche sich für die Arbeiterfrage zu interessieren
fortfährt. Wir führen folgendes aus dem Artikel an:
„Es ist möglich, dass
Menschen auf eine Weise, die im weltlichen Geschäftsleben als ehrlich
bezeichnet wird, Vermögen verdienen, wie die Vanderbilts und Astors sie
besitzen - Hunderte von Millionen. Nicht weil diese Leute unehrlich waren,
wuchs ihr Vermögen, sondern weil die Führer des Volkes entweder
unwissend oder gleichgültig waren beim Bewachen der Kanäle, durch welche
der Reichtum von den einzelnen Arbeitern in den Gemeinschatz fließt. Die
Verteilungsmaschinerie ist fehlerhaft. Wenn die Arbeit daher täglich
ihren Beitrag zur Unterstützung der Welt entrichtet hat, wenn das
Wachstum dieser Summen sorgfältig erforscht wurde, von dem Augenblick an,
in welchem der Arbeiter das Rohmaterial berührt, das er in Reichtum
verwandeln soll, so wird man sehen, dass die Männer, welche Vermögen
verdienten, unter dem Schutz des Gesetzes und des Gebräuchlichseins von
jedem wichtigen Gebiet Besitz ergriffen haben und Vermögen erwarben, die
in den Schatz der Millionen fließen sollten, in Wirklichkeit aber in
ihren eigenen fließen.“
Dr. Mc.Glynn sagt, dass beim Prüfen
der Ursache der großen Vermögensansammlungen und der niedrigen Löhne
drei Punkte besonders beachtet werden sollten: 1. das Land und andere Güter
der Natur, an welchen die Menschen ihre Fähigkeit erproben; 2. die
Transportmittel; 3. das Geld, die Tauschmittel, welches den Austausch der
Waren erleichtert. Man wird finden, sagt er, dass das Volk hinsichtlich
dieser Punkte gleichgültig gewesen ist, während die Geldverdiener ihnen
gegenüber sehr aufmerksam gewesen sind. Wir führen wieder wörtlich an:
„Von
Anfang an haben die Geldleute gesucht, die natürlichen Güter unter dem
Schutz des Gesetzes und der Gebräuchlichkeit an sich zu nehmen und zu
monopolisieren. Es ist ein Leichtes, ein Vermögen von hundert Millionen
Dollar aufzuhäufen, wenn man berechnen kann, wie viele Millionen Menschen
während der nächsten zwanzig bis dreißig Jahre Brot und Speise,
Nutzholz und Kohle, Baumwolle und Schafwolle, Dinge, die vom Land kommen,
kaufen müssen. In Europa, in England und Irland zum Beispiel hat man dies
benutzt, indem man große Ländereien unter dem Schutz des Gesetzes
erworben hat, während die Bevölkerung gezwungen wurde, erstens zu zahlen,
um Land zu erhalten, und zweitens, um dasselbe weiter bebauen zu dürfen.
„Indirekt ereignete sich
dasselbe hier in Amerika. Millionen von Morgen Land wurden den großen
EisenbahnKön.n gegeben, und die Kapitalisten durften sich vermittelst
verschiedener Ausflüchte weitere Millionen aneignen, die sie so lange
festhielten, bis sie durch den Zustrom der Einwanderer im Wert so
gewachsen waren, dass sie zu Preisen verkauft werden konnten, welche
Millionäre ebenso zahlreich machten wie englische Adlige. Diejenigen,
welche die Zeitungen lesen, wissen genau Bescheid über die Art und Weise,
in welcher die Kohlenbarone in Pennsylvanien und anderswo aufkamen. Unter
dem Schutz des Gesetzes nahem sie die Kohlenfelder in Besitz, und vierzig
Jahre lang erhoben sie von Verbrauchern, wie auch von Bergleuten, auf jede
erdenkliche Weise, die menschlicher Scharfsinn ohne Rücksicht auf
Gerechtigkeit erfinden konnte, Abgaben.
„Genau so, wie die wenigen die
Herrschaft, die fast absolute Herrschaft, über die natürlichen Güter
erlangten, so erlangten sie in Amerika auch die Herrschaft über die
Transportmittel.“
Was dies bedeutet, erhellt aus
der Tatsache, dass die Gesellschaft nur bei regem Warenaustausch
Preisaufschläge vornimmt; wenn die Zivilisation allerseits zunehmen soll,
so müssen die Menschen die größtmögliche Gelegenheit haben, ihre
Erzeugnisse auszutauschen. Bequeme Transport-Gelegenheiten sind daher für
den Arbeiter ebenso wichtig, wie bequeme Erwerbsgelegenheiten von natürlichen
Gütern; und da im wahren Sinne des Wortes alle Menschen Arbeiter sind,
werden die wenigen, die die Transportgelegenheiten eines Volkes übernommen
haben, in kürzester Zeit unglaublich reich, weil sie von jedem Menschen
in völligerer und absoluterer Weise Abgaben erheben, als die Regierung
selbst.
„Die
Vanderbilts sind heute vielleicht eine Drittel Milliarde wert. Wie
erwarben sie sich dieses Vermögen? Durch harte Arbeit? Nein. Durch
Ausnutzung der Vorrechte, welche das törichte Volk ihnen törichterweise
zugestand: Das Recht, im Staate New York Wege anzulegen, das Recht,
Steuern für Verkehr und Transport zu erheben von Bürgern des
Gemeinwesens, welche ihre eigenen Wege benutzten, das Recht, Domänen des
Staates zu besitzen, wie ihre eigene Schöpfung. ... Keiner Person oder
Vereinigung sollte gestattet werden, aus diesen Besitztümern der
Allgemeinheit Millionen herauszuschlagen.
„Das gleiche gilt von den
Tauschmitteln, dem Geld. Die Geldverleiher allein haben festgesetzte, günstige
Gesetze, welche sie in den Stand setzen, von jedem Menschen, welcher Geld
gebraucht, Steuern zu erheben für den Gebrauch und für die Fortdauer der
Bewilligung, es zu gebrauchen. Sie haben sich zwischen die Menschen und
die Tauschmittel gestellt, geradeso, wie sich andere zwischen die Menschen
und die natürlichen Güter, zwischen die Menschen und die Möglichkeit,
Waren zum Markte zu führen, gestellt haben. Wie kann es anders sein, dass
sie dadurch Millionen zusammengetragen, wie die Rothschilds, Millionen,
welche zum größten Teil dem Allgemeinschatz zufließen sollten!“
„Organisation“,
schließt Dr. Mc.Glynn, „ist schon recht zur Hebung der Löhne, zur
Beeinflussung der Gesetzgebung, zum Schutz des Arbeiters gegen den
Arbeitgeber, des Pächters gegen den Eigentümer; aber die Wurzel des Übels
liegt darin, dass sich die Gesamtheit den Boden, die Naturprodukte, die
Transport- und die Tauschmittel entreißen ließ. Um die Löhne in die Höhe
zu treiben und Vermögen wie diejenigen Vanderbilts oder Carnegies unmöglich
machen zu können, müssen wir erst wissen, wie wir jene Elementarmittel
aus den Händen ihrer dermaligen Besitzer reißen können.“
Das Mittel, das Mc.Glynn
anwenden möchte, behandeln wir im folgenden Kapitel. Hier sei nur bemerkt,
dass unsere Millionäre ihr Vermögen unter der Herrschaft von Gesetzen
erworben haben, welche ihren Mitbürgern als die besten in der ganzen Welt
erschienen waren, dass Vanderbilt speziell seinen Reichtum den
hervorragenden Diensten verdankt, die er der Gesamtheit leistete, wenn es
ihm auch weniger um diese als um den Profit zu tun war. Was heutzutage,
nachdem Wissenschaft und Technik das Gleichgewicht in der menschlichen
Gesellschaft vollständig verschoben haben, nötig ist, das ist ein neues,
den gegenwärtigen Verhältnissen angepasstes Gesetzbuch. Aber gerade da
liegt die Schwierigkeit: ein solches Gesetzbuch wird die Menschheit nie
zustande bringen, weil die interessierten Hauptparteien - Kapital und
Arbeit - die Lage nie richtig beurteilen werden noch können, weil sie von
der Selbstsucht regiert, verblendet sind, während die gegenwärtigen
Wirtschaftsfragen nicht anders als nach den Grundsätzen der Liebe eine
befriedigende Lösung finden können. Liebe aber haben die wenigsten in
beiden Lagern. So muss denn die Drangsal kommen, welche nicht nur die
gegenwärtige, auf der Grundlage der Selbstsucht aufgebaute
Gesellschaftsordnung zerschmettert, sondern auf dem Wege bitterer
Erfahrungen bei allen Klassen eine Wertschätzung für die neue Ordnung,
„die neuen Himmel und die neue Erde“, bewirken wird, welche im
messianischen Reich gelten soll.
Ein anderer Schriftsteller,
Professor W. Graham, veröffentlicht in der Februar-Nummer des
„Nineteenth Century“ eine Abhandlung über die Frage, die in England
als „Kollektivismus“ bekannt ist, den Grundsatz, dass das Volk als
Ganzes die Stoffe und Mittel zur Verarbeitung besitzen oder beherrschen
solle. Herr Prof. Graham kommt zu dem Schluss, dass die Methode nur in
geringem Grade und erst nach langer Zeit eingeführt werden könnte, da
eine Umwandlung der menschlichen Herzen nicht wahrscheinlich sei. Er sagt:
„Der
Kollektivismus ist undurchführbar, es sei denn, die menschlichen Herzen würden
mit ihren Grundlagen und Begierden, die ihnen entweder ewig eigen oder als
Folge der Jahrtausende, während welcher die soziale Entwicklung so
langsam vor sich ging, tief eingewurzelt sein mögen, durch ein Wunder
verwandelt. Ich glaube, wenn irgendetwas von der Mehrheit eines verrückt
gewordenen Parlaments versucht würde, was dem Kollektivismus ähneln würde,
so würde dies doch von der Minderheit, die auch bei der kühnsten
Voraussetzung keine geringe sein kann, mit Gewalt bekämpft, weil es
notwendigerweise Revolution auf politischem, wirtschaftlichem und sozialen
Gebiete zur Folge hätte. Selbst wenn der Kollektivismus auf Grund
augenblicklicher außergewöhnlicher Ereignisse, wie dies in Frankreich möglich
wäre, wo eine große Neigung dazu besteht, eingeführt würde, so könnte
er dennoch nicht von Dauer sein. Er könnte nicht durchgeführt werden in
der Praxis, höchstens dem Namen nach, während er so lange, als er selbst
nur zum Teil oder dem Namen nach bestehen würde, außer allgemeinem
sozialen Chaos Elend über alle Klassen bringen würde, noch größere
Not, als sie jetzt herrscht.“
Der Professor fährt fort, indem
er Beweise für die Richtigkeit seiner Ansicht anführt, und er fragt: Würde
der Kollektivismus Befriedigung bringen, wenn er wirklich irgendwie eingeführt
würde? Er antwortet verneinend:
„Überall würde eine
Schlaffheit hinsichtlich der Anstrengungen einsetzen, bei Erfindern, bei
Organisatoren, bei Vorarbeitern, selbst bei den besseren Klassen der
Arbeiter, wenn sie nicht durch besondere Belohnungen angeregt würden,
ihre äußersten und besten Kräfte zu betätigen; binnen kurzem würde
das Ergebnis der Entfernung der gegenwärtigen großen und weitreichenden
Anregungen des Privatinteresses sein, dass die Produktion gewaltig
verringert und minderwertig würde. Dann müsste man schließlich „Produktionsprämien“
aussetzen, und solange die Menschen so bleiben, wie sie sind, und sie
scheinen noch recht lange so zu bleiben, müssten diese Prämien ziemlich
großzügig sein, mit anderen Worten, die Gleichheit des Verdienstes würde
bei diesen höheren Arbeitern bald wieder geschwunden sein. Andernfalls würde
Armut die Folge sein, an welcher nun alle Anteil haben würden, und die
gewöhnlichen Arbeiter würden nur die armselige Genugtuung haben, dass
die ehedem Reichen mit in ihre Armut hineingezogen sein würden.“
Um den Niedergang der
Zivilisation und die Rückkehr zum Barbarentum zu verhindern, fährt der
Professor fort, würde es bald notwendig sein, die Ungleichheit der Löhne
und private Unternehmungen wieder einzuführen. Allmählich müssten
Wettbewerb, private Löhne, Handel, Gewinn usw. wieder eingeführt werden,
und schließlich würde sich das neue System von dem alten kaum mehr
merklich unterscheiden. Professor Graham sagt zum Schluss:
„Diese
Dinge würden allmählich immer mehr wieder in die alten Bahnen gelenkt
werden, bis schließlich die unvermeidliche Gegenrevolution einsetzen würde,
wahrscheinlich, ohne dass ein neuer Bürgerkrieg notwendig wäre, denn zu
einem solchen würde die Regierung angesichts des Abfallens ihrer Anhänger
und des Fehlschlagens ihres Fanatismus nicht mehr den Mut haben. Die Folge
wäre eine große Wiederherstellung, nicht der Herrscherhäuser, sondern
des sozialen Systems, des alten Systems, welches auf den Grundlagen des
Privateigentums stand, und das durch langsame Entwicklung in der
Zivilisation aufgekommen ist. Unter den Umständen, die bei unserer
jetzigen Zivilisation in physischer und sozialer Hinsicht herrschen, wäre
es immer noch passender und notwendiger.“
Wir sind der Meinung, dass für
die Massen auf dem Wege des Kollektivismus schon sehr viel geschehen ist
(man denke nur an die Volksschulen, den Weltpostverein, die Wasserwerke im
Gemeindebesitz und dergleichen) und dass noch viel mehr in dieser Richtung
getan werden könnte. Aber darin müssen alle verständigen Leute übereinstimmen,
dass, wenn die Triebfeder der Selbstsucht, die jetzt die Welt in Bewegung
erhält, beseitigt würde (durch Gleichmachung der Verhältnisse aller),
es einer neuen Triebfeder bedürfte, um die Welt vor einem plötzlichen
Stillstand zu bewahren, um zu verhindern, dass Müßiggang an die Stelle
des Eifers, Mangel an die Stelle des Überflusses trete. Diese Triebfeder
ist die Nächstenliebe.
Aber wir reden von diesen
Schwierigkeiten nicht, weil wir ein sicheres Abhilfemittel eigener
Erfindung dagegen anzupreisen haben, sondern damit die, welche nach der
Weisheit von oben verlangen und sie in der Bibel suchen, die Hilflosigkeit
der Menschheit der gegenwärtigen Krisis gegenüber um so deutlicher
erkennen und ihr Vertrauen auf den Herrn und sein Hilfsmittel setzen mögen,
welches er zu rechter Zeit anwenden wird.
* * *
In einer Ansprache an die Zöglinge
der Rechtsfakultät der Yale-Universität behandelte Henry B. Brown,
Mitglied des obersten Gerichtshofes der Union, das „zwanzigste
Jahrhundert“. Er wies darauf hin, dass die Reformen desselben weniger
politischer als sozialer Natur sein werden, und bezeichnete alsdann als
die drei größten Gefahren, welche die Union bedrohen, die
Bestechlichkeit der Gemeindeverwaltungen, das Anwachsen der Syndikate und
die Gewalttätigkeit der Arbeiter. Er sprach die Vermutung aus, dass
nirgends (und niemals in der Vergangenheit) der Reichtum so große Macht
verleiht wie in Amerika und so sehr missbraucht wird wie da. Wenn aber die
Reichen sich über die allgemein gültigen Regeln der Ehrbarkeit
hinwegsetzen, so können sie von denen, die ihnen widerstehen, nichts
Besseres erwarten. Die Arbeiter ihrerseits vermöchten wohl mit Gewalt die
Gesetze des Landes zu durchbrechen, und ihre und ihrer Arbeitgeber Häuser
zu zerstören, aber gegen das Naturgesetz von Nachfrage und Angebot,
welches ihnen bald Arbeit verschafft, bald sie zu feuern zwingt, sind sie
machtlos. An eine Versöhnung der widerstreitenden Elemente ist gar nicht
zu denken. Möglicherweise aber werde es dazu kommen, dass den Arbeitern
eine Gewinnbeteiligung zuerkannt werde, die jeden bis zu einem gewissen
Grad zum Kapitalisten machen würde. Dazu bedürfte es aber eines höher
gebildeten, erfahrenen und intelligenteren Arbeiters, den vielleicht das
20. Jahrhundert hervorbringen werde.
Den Syndikaten möchte Brown
durch Staats- und Gemeindemonopole begegnen für den Vertrieb der
Naturprodukte, durch Ausdehnung einer schon jetzt vorhandenen Tendenz.
Brown spricht hier seine Meinung
furchtlos aus: er ist als Mitglied des obersten Gerichtshofes auf
Lebenszeit gewählt und mithin von den politischen Strömungen unabhängig.
Er hat daher sicher alles, was er wusste, vorgebracht, als Vorschlag zur
Abhilfe bei den Zuständen, die er beklagt. Aber was sind seine Vorschläge?
Ein Stück Staatssozialismus, der auf einige Zeit allen Menschen, die
Bankiers und Syndikatsmitglieder ausgenommen, Erleichterung verschaffen würde,
nichts weiter, und dabei ist es auch noch fraglich, ob dieser
Staatssozialismus den erwähnten Nutzen wirklich haben würde.
* * *
Zum Schluss möge noch eine
Aufklärung aus Clemenceaus „Le Melée Sociale“ hier Raum finden:
„Es
wundert mich“, schreibt der schriftgewandte Franzose, „dass die
Menschheit Jahrhunderte des Nachdenkens und der Forschungen ihrer größten
Geister bedurft hat, um zu entdecken, dass der Mensch stets mit seinem
Nebenmenschen im Krieg lebte, und dass dieser Krieg seit der Schöpfung
unaufhörlich geherrscht hat. Wahrlich, die Einbildungskraft vermag sich
ein Bild von dem schrecklichen, blutigen, allgemeinen Schlachten gar nicht
zu machen, welches auf der Erde herrscht, seit sie aus dem Chaos
hervorgegangen ist.
„Die erzwungene Arbeit des
Sklaven in Ketten, die freie Arbeit des bezahlten Arbeiters beruhen beide
auf der gleichen Grundlage der Besiegung und Ausbeutung des Schwächeren
durch den Stärkeren. Der Kampf scheint nur heute ein anderer; er ist
genau so tödlich unter seinem mehr friedlichen Äußeren. Leib und Leben
der anderen zum eigenen Nutzen zu brauchen, war je und je der Vorsatz der
wilden Kannibalen, des Feudalherrn, des Sklavenbesitzers und des
Arbeitgebers der Gegenwart.
„Der Hunger ist der Feind der
Menschheit. Solange der Mensch denselben nicht besiegt, erscheinen alle
Erfindungen nur wie eine Ironie über sein trauriges Los. Es ist gerade,
als ob man einem Menschen Luxusartikel gäbe, während ihm gerade das
Notwendige fehlt. Hunger ist ein Naturgebot, das grausamste von allen. Er
zwingt den Menschen, sich abzumühen, ja, sich herunterzuarbeiten, um
jeden Preis jenes höchste Gut oder Übel, genannt Leben, zu erhalten.
„Haben wir es nun in der
Zivilisation soweit gebracht, dass wir uns eine gesellschaftliche
Organisation vorstellen und eine solche herrichten können, in welcher der
Tod durch Entbehrung und Hunger eine Unmöglichkeit wäre? Die
Volkswirtschaftler antworten ohne Zaudern: Nein!“
Der Meinung des Herrn Clemenceau
nach ist es die Pflicht des Staates, den Hunger abzuschaffen und das „Recht
zu leben“ anzuerkennen. Nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit,
sondern auch der Klugheit sollte sich die Gemeinde der Unglücklichen und
Unfähigen annehmen.
„Ist es
nicht die Pflicht der Reichen, die Unglücklichen zu unterstützen? Der
Tag wird kommen, da es allen Gemeinden unerträglich wird zu sehen, wie
der eine vor Hunger stirbt, während der andere so viele Millionen hat,
dass er nicht weiß, was er damit anfangen soll, in der Tat, dieser
Anblick wird den Gemeinden so unerträglich werden, wie ihnen heute die
Sklaverei wäre. Die Missstände des Proletariats sind keineswegs auf
Europa beschränkt. Sie scheinen ebenso groß zu sein im „freien Amerika,
dem Paradies jedes armen Elenden jenseits des Atlantischen Ozeans.“
Dies ist die Ansicht eines
Franzosen. Sie mag besagen oder auch nicht, dass die Verhältnisse in
Frankreich noch schlimmer sind als in den Vereinigten Staaten.
Clemenceau
sieht und bezeichnet deutlich die Mängel des gegenwärtigen Aufbaues der
menschlichen Gesellschaft, aber er weiß keine Lösung anzugeben. Daher
wirkt sein Buch nur wie ein Feuerbrand und stiftet nur vermehrte Unruhe.
Es ist leicht, uns und andere unzufrieden zu machen. Aber alle Bücher,
jeder Zeitungsartikel, die nicht gleichzeitig ein Heilmittel angeben oder
die zuversichtliche Hoffnung auf die Möglichkeit, den gegenwärtigen
Wirrnissen zu entrinnen, verkünden, blieben besser ungeschrieben und
unveröffentlicht. Die Heilige Schrift aber bietet, Gott sei Dank, nicht
nur lindernden Balsam, sondern sie zeigt auch die einzige, sichere Methode
zur Heilung der Krankheit der Welt, bestehend aus Sünde, Selbstsucht und
Tod. Der Arzt, der die Methode kennt, ist der große Mittler, der der Welt
das Leben geben wird; und der Zweck, zu dem die Schriftstudien geschrieben
wurden, ist gerade, darauf aufmerksam zu machen.