SCRIPTURE
STUDIES
VOLUME SIX - THE NEW
CREATION
STUDY
V
Die
Organisation der Neuen Schöpfung.
Die
„lebendigen Steine“ für den geistigen Tempel. —
Die angebliche und wirkliche Neue Schöpfung. —
Das „Geheimnis Gottes“ und das „Geheimnis der Bosheit.“ —
Die Organisation des Antichristen. —
Die Schrift ist zuverlässig. —
Freiheit der Welt und der Namenchristenheit. —
Ordnung in die Verwirrung. —
„Alles zu seiner Zeit.“ —
Die Enden der Zeitalter. - Der vom Vater
gepflanzte Weinstock. —
Die „zwölf Apostel des Lammes.“ —
Paulus, der
Nachfolger Judas. —
Die Beschränkung auf zwölf Apostel. —
Der den
Aposteln gegebene Auftrag. —
Die Charakterstärke der Apostel. —
Paulus
den Elfen gleichgestellt. —
Die Inspiration der Zwölf. —
Die göttliche
Überwaltung ihrer Schriften. —
„Auf diesen Felsen will ich meine
Versammlung bauen.“ —
Übereinstimmung der Evangelien. —
Die Schlüssel
der Autorität. —
Die Unfehlbarkeit der Apostel. —
„Einer ist euer
Meister.“ —
Die wahre Kirche und die „Herde Gottes.“ —
Apostel, Propheten, Evangelisten, Lehrer. —
Die Vollständigkeit der vom Herrn der
Herauswahl gegebenen Organisation. —
Er ist selbst ihr Oberhaupt. —
Das
Aufhören der Gaben des Geistes, als sie nicht mehr notwendig waren. —
Einheit des „einst den Heiligen überlieferten Glaubens.“ —
Einheit
der Macht des Antichristen. —
Bischöfe, Älteste, Diakone (Diener). —
Was
bedeutet „Prophet“? —
Die Notwendigkeit der Demut bei den Ältesten. —
Andere Anforderungen an sie. —
Die Diener. —
Die Lehrer in der Herauswahl. —
Viele sollen fähig sein zu lehren. —
„Seid nicht viele Lehrer, meine
Brüder.“ —
„Ihr bedürfet nicht, dass euch jemand belehre.“ —
Der
Lernende und der Lehrer. —
Die Frau in der Versammlung. - Ihr Mitwirken. —
„Lass sie sich bedecken.“
Wie die Neue Schöpfung ihre
Vollkommenheit oder Vollendung nicht vor der ersten Auferstehung erreichen
wird, so wird auch ihre Organisation erst dann vollkommen sein. Das
Tempelvorbild stellt dies dar, wie der Apostel erklärt (1. Petr. 2:5):
Wir kommen zu Jesu, der, als des Vaters Stellvertreter, uns für unsere Plätze
in dem herrlichen Tempel der Zukunft behaut, bemeißelt, zubereitet und
poliert, wo selbst Gott und die Welt einander wieder werden begegnen können.
Wie bei dem vorbildlichen Tempel, der von Salomo erbaut wurde, jeder Stein
schon im Steinbruch am Hermon für seinen Platz im Tempelbau fertig zu
behauen wurde, so wird auch im Gegenbild das Behauen allein im gegenwärtigen
Leben besorgt. Wie im Vorbild jeder Stein an seinen Platz kam, ohne dass
ein Hammerschlag ertönte, so werden sich im Gegenbild die lebendigen
Steine, die sich jetzt freudig der Zubereitung durch den Herrn fügen,
alle unter ihm als dem Eckstein in bester Ordnung zusammenfinden, wenn sie
durch den Vorhang gegangen sind, ohne weiterer Zubereitung zu bedürfen.
Dennoch erkennt die Schrift eine
Einheit, bestimmte Beziehungen dieser lebendigen Bausteine während der
Periode ihrer Zubereitung, an. Ja, sie geht noch einen Schritt weiter und
erkennt eine vorübergehende Organisation an, die jedem voraussichtlichen
Glied des Königreiches die Möglichkeit verschafft, mit dem großen
Lehrer und Baumeister an dessen Vorbereitungswerk Anteil zu haben, indem
wir „einander auferbauen in unserem allerheiligsten Glauben“, einander
in der Ausbildung des Charakters nach dem Vorbild unseres Herrn Jesu
helfen.
Wenn wir an eine Untersuchung der göttlichen
Anordnungen für die gegenwärtige Zeit herantreten, so dürfte es manchen
verwundern zu entdecken, wie viel Freiheit der Herr jedem einzelnen Glied
der Neuen Schöpfung gelassen hat; wenn wir uns aber daran erinnern, dass
er freiwillige Anbeter, freiwillige Opferer sucht, die durch ihre Liebe
zum Herrn und seiner Gerechtigkeit getrieben werden, ihr Leben in den
Dienst der Brüder zu stellen, seine Mitarbeiter zu werden, dann wird klar,
dass die Methode Gottes, die die größte Freiheit lässt, die beste ist,
dass sie die Aufrichtigkeit unserer Liebe und Treue am sichersten prüft,
den Charakter am völligsten entwickelt und unsere Bereitwilligkeit,
gegenseitig Liebe zu üben und jeder dem anderen das zu tun, was er von
ihm erfahren möchte, am sichersten erweist.
Solche Freiheit ist dem vom Herrn in
dieser Zeit verfolgten Zweck, eine kleine Herde auszuwählen, ihren
Charakter auszubilden, durchaus angepasst. Dagegen wäre die Methode total
verkehrt und unzureichend, wenn sie, wie allgemein angenommen wird, die
Bekehrung der Welt bezweckte. Gerade weil fast allgemein angenommen wird,
Gott habe die Kirche mit der Eroberung der Welt und Unterwerfung aller
Dinge unter sich in diesem Zeitalter beauftragt, haben sich viele sonst
ganz vernünftige, urteilsfähige Leute über die Einfachheit der vom
Herrn und den Aposteln geschaffenen kirchlichen Organisation gewundert. In
der durchaus richtigen Erkenntnis, dass mit einer solchen Organisation die
Welt nicht bekehrt werden könne, sind die Organisationen geschaffen
worden, die in den verschiedenen Namenkirchen der Christenheit in
Erscheinung treten. Die vollendetste und machtvollste unter diesen
Organisationen ist die Papstkirche. Auch die bischöfliche
Methodistenkirche ist eine meisterhafte Organisation und steht auf höherer
Stufe; sie beherrscht eine andere Klasse von Menschen. Die Vervollkommnung
ihrer Organisation hat diesen beiden Kirchen ihren großen Erfolg und ihre
große Macht in der „christlichen Welt“ verschafft. Wir werden im
Laufe unserer Untersuchung sehen, dass diese, wie alle menschlichen „Kirchen“,
ganz anders organisiert sind als die vom Herrn eingesetzte Herauswahl.
Ihre Wege sind so wenig seine Wege, wie ihre Absichten seine Absichten
sind, denn soviel höher der Himmel ist als die Erde, soviel höher sind
auch des Herrn Wege und Absichten als die der Menschen. (Jes. 55:8, 9)
Binnen kurzem werden die Aufrichtigen unter ihnen erkennen, wie weit sie
abgeirrt sind, als sie die Einfachheit Christi verließen und versuchten,
in der Ausführung seines Werkes weiter zu sein als Gott. Das Ergebnis
wird zeigen, dass der Mensch unweise und Gott weise war.
Die
angebliche und die wirkliche Neue Schöpfung
Wie im Vorbild alle Nachkommen Jakobs
Israeliten waren, aber wenige nur „wahre Israeliten“, so dürfen wir
uns auch nicht verwundern, im Gegenbild neben der wahren eine angebliche
Kirche oder Neue Schöpfung zu finden. Von dem Augenblick an, wo das „Christentum“
volkstümlich wurde, drang der Scheinweizen in das Weizenfeld und gab sich
für Weizen aus. Wie schwer es auch für den Menschen, der die Herzen
nicht kennt, sein mag, das Wahre vom Falschen, den Weizen vom Scheinweizen
zu unterscheiden, so versichert uns doch der Herr, dass er die Herzen,
dass er die Seinen kennt. Von uns erwartet er freilich, dass wir wahre
Schafe von Wölfen in Schafskleidern, wahre fruchttragende Reben von
Dornen und Disteln, die sich für Reben ausgeben mögen, unterscheiden können.
Aber weiterzugehen als diese Unterscheidung des zutage tretenden
Charakters gestattet der Herr den Seinen nicht; er ermahnt sie vielmehr:
„Richtet nicht etwas vor der Zeit.“ Wir sollten nicht zu bestimmen
versuchen, wie viel Zeit der oder jener, in dem wir eine wahre Rebe am
wahren Weinstocke erkennen, bis zum Hervorbringen reifer Früchte brauchen
werde. Wir müssen dies dem Vater, dem Weingärtner überlassen, der jede
Rebe reinigt und schließlich die wegschneidet, die keine Frucht bringen.
Lassen wir also den Herrn die Zurechtweisung aller wahrhaft geweihten
Glieder der Herauswahl, und wenn nötig, den Ausschluss des einen oder
anderen besorgen, indem wir erkennen, dass er es ist, der gepflanzt und
bewässert und die Reben am wahren Weinstock zum Sprossen gebracht hat.
Der Geist des Weinstockes muss in jeder Rebe erkennbar sein, und jede Rebe
sollte in ihrem Wachstum gefördert und ermutigt werden. Dies geschieht,
wenn Liebe die Beziehungen unter den einzelnen Reben regelt. Nur soweit
ein Wort Gottes besteht, kein Strichlein weiter, hat eine Rebe das Recht,
eine andere Rebe zu beurteilen, zu tadeln, zu reinigen oder irgendwie zu
maßregeln. Der Geist der Liebe sollte uns vielmehr zu Erbarmen, Gütigkeit,
Langmut und Geduld antreiben, und zwar bis an die Grenzlinien, die vom
himmlischen Vater recht weit gezogen sind, damit eine jede Rebe Raum habe,
sich recht zu entwickeln.
Je weiter sich nun menschliche
Organisationen von diesem einfachen Merkmal entfernt haben, um so mehr
sind sie auch von der wahren Kirche verschieden. Sie haben willkürliche
Regeln aufgestellt, nach denen die Glieder oder Reben am Weinstock erkannt
und als Glieder anerkannt werden sollen. Sie haben Steuern auferlegt und
verschiedene Vorschriften erlassen, von denen die Schrift nichts weiß.
Sie haben Glaubensbekenntnisse verfasst, wie sie in der Schrift nicht zu
finden sind. Sie haben Strafen auf Abweichungen von diesen Bekenntnissen
gesetzt, von denen die Schrift nichts sagt. Sie haben den Ausschluss von
Mitgliedern in einer Weise geregelt, die zu dem, was der wahren Kirche,
dem Leib Christi, dem wahren Weinstock, der Neuen Schöpfung, gestattet
ist, im schärfsten Gegensatz steht.
Wir haben schon (Band 1, Kapitel 5)
darauf hingewiesen, dass die Herauswahl Christi in der Schrift das „Geheimnis
Gottes“ genannt wird, weil, im Gegensatz zu der allgemeinen Erwartung,
die Herauswahl die messianische Körperschaft sein wird, die unter Jesu,
ihrem Haupt, die Welt beherrschen und segnen soll. Dieses jetzt den
Heiligen enthüllte Geheimnis ist in den vergangenen Zeitaltern und Welten
verborgen gehalten worden (Eph. 3:3-6) und liegt, wenn es jetzt in kurzem
vollendet sein wird, in der Vollendung der Neuen Schöpfung am Ende des
Evangeliums-Zeitalters. Wir haben ferner darauf aufmerksam gemacht, dass
die Schrift „Babylon“ als Täuschungssystem bezeichnet (Babylon -
Mutter und Töchter, deren einige nicht ganz so verderbt sind wie das
Muttersystem) und es das „Geheimnis der Bosheit“ nennt. Wir dürfen
die Sache nicht so verstehen, dass die Gründer dieser Systeme bezweckten,
das Volk Gottes zu verleiten, sondern müssen uns daran erinnern, dass die
Schrift Satan selbst als den Betrüger der ganzen Welt bezeichnet, indem
er gut als böse, böse als gut, Licht als Dunkel, Dunkel als Licht
darstellte. Satan „wirkt jetzt in den Söhnen des Ungehorsams“ (Jes.
5:20; Eph. 2:2), wie er Jesu seine Mitwirkung anbot. Es ist seine Lust, in
allen Nachfolgern Christi, die er davon abbringen kann, in den Fußstapfen
des Meisters zu wandeln, zu wirken. Wie er unseren Herrn zu überzeugen
suchte, es gebe bessere Wege - Wege, die weniger Selbstverleugnung
erfordern als die des Vaters, um alle Geschlechter auf Erden zu segnen, so
ging er auch das ganze Evangeliums-Zeitalter hindurch darauf aus, die
Gottgeweihten zu überreden, es mit seinen Methoden zu versuchen, statt
genau auf des Vaters Plan und Methoden zu achten. Er möchte die Kinder
Gottes dazu verleiten, weiser von sich zu denken, damit sie meinen, dem
Herrn auf anderen als den in der Schrift angegebenen Wegen besser dienen
zu können. Er möchte sie mit Eifer für ihre menschlichen Systeme, die
Werke, die sie tun, und die von ihnen ins Leben gerufenen Organisationen
erfüllen und sie stolz darauf machen. Bei dem Meister hatte der
Widersacher keinen Erfolg, stets erhielt er die Antwort: „Es steht
geschrieben.“ Anders ist es bei seinen Nachfolgern. Viele, viele gehen
achtlos an dem vorbei, was geschrieben steht, an des Meisters Vorbild und
Wort, an den Worten und dem Beispiele der Apostel, willens, für Gott
einen Plan durchzuführen, von dem sie hoffen und glauben, er werde Gottes
Wohlgefallen finden und zu seinem Lob und Preis ausschlagen.
Wie erstaunt über ihren Irrtum werden sie sein, wenn sie einmal das
Reich so aufgerichtet sehen, wie Gott es von Anfang an beabsichtigte, und
wenn sie erkennen werden, dass er die ganze Zeit hindurch nach seiner
Weise an der Durchführung seines Planes gearbeitet hat! Alsdann werden
sie entdecken, wie viel besser es ist, auf das acht zu haben, was Gott uns
lehren will, als zu versuchen, den Herrn zu belehren, es sei besser, sein
Werk doch nach einer Methode zu betreiben, die er nicht anerkennt. Aber
der Erfolg, den solche menschlichen Methoden wie das Papsttum, der
Methodismus u. a. haben, hilft dazu, „kräftige Irrtümer“ aus ihnen
zu machen.
Der Herr hat dem Wachstum des
Scheinweizens auf dem Weizenfeld während des Evangeliums-Zeitalters keine
Hindernisse in den Weg gelegt. Er hat vielmehr sein Volk angewiesen zu
erwarten, dass beides zusammen bis zur „Ernte“ am Ende des Zeitalters
wachsen werde, wo er selbst gegenwärtig sein und die Trennung überwachen
werde, den Weizen in seine Scheune (die verherrlichte Stellung) sammeln,
und den Scheinweizen in Bündel binden lassen werde für die Zeit der großen
Drangsal am Ende des Zeitalters, die die Bündel ihrer Scheinweizennatur,
oder Scheines, als seien sie Neue Schöpfungen, berauben wird, ohne darum
die einzelnen Menschen, die sie bilden, auf ewig zu vernichten. Viele von
der Scheinweizen-Klasse sind in der Tat ehrenwerte, brave, wie die Welt zu
sagen pflegt, „gute Leute.“ Auch unter den Heiden gibt es gute
Menschen, wenn sie vielleicht dort auch weniger häufig anzutreffen sind
als unter den Namenchristen, die von ihrer Berührung mit wahren Christen
und der teilweisen Erkenntnis der göttlichen Gesinnung darin einen großen
Segen und Vorteil vor den Heiden voraus haben.
Das „Geheimnis der Bosheit“
(„Babylon“, Verwirrung, Namenchristentum) reicht nach des Apostels
Erklärung mit seinen Anfängen in die Zeit des Apostel Paulus zurück;
aber offenbar wirkte es nur schwach, solange die Apostel lebten und die Gläubigen
vor falschen Lehrern, die der Widersacher im Geheimen benutzte, mittels
verwerflicher Irrlehren den Glauben zu untergraben und die Gläubigen von
den Hoffnungen, den Verheißungen und der Einfalt des Evangeliums
abzubringen, warnen konnten. (2. Petr. 2:1) Der Apostel Paulus nennt unter
denen, die die Werke der Ungerechtigkeit begannen, Hymenäus, Philetus und
andere, die von der Wahrheit abgeirrt seien und den Glauben einiger zerstört
hätten. (2. Tim. 2:17, 18) Von diesen Irrlehrern und ihren Irrtümern
redete Paulus ferner zu den Ältesten in Ephesus, besonders betonend, dass
nach seinem Tode „grimmige Wölfe, die der Herde nicht schonen“,
aufkommen werden. (Apg. 20:29) Dies letztere stimmt besonders gut mit den
Voraussagen des Herrn im Gleichnis (Matth. 13:25,39) überein. Unser Herr
gibt deutlich zu verstehen, dass Irrlehrer und Irrlehren Mittel in der
Hand des Widersachers sind, der den Scheinweizen unter den vom Herrn und
seinen Aposteln gesäten Weizen streut. Seine Worte sind: „Während aber
die Menschen (die besonderen Diener, die Apostel) schliefen, kam sein
Feind und säte Unkraut.“
Sicherlich dauerte es nicht lange,
nachdem die Apostel entschlafen waren, bis der Geist des Ehrgeizes unter
der Leitung des Widersachers Schritt für Schritt zu der Organisation führte,
die schließlich in einem großen antichristlichen System - im Papsttum -
gipfelte. Es entstand, wie in Band 2, Kapitel 9, gezeigt worden ist, nicht
plötzlich, sondern sehr allmählich, schon vom 4. Jahrhundert an. Es
gewann solche Macht, dass alle Berichte aus jener Zeit bis zur Reformation
niemand als Christ gelten ließen, der sich nicht zu ihm bekannte. „Kirchen“
konnten neben der „alleinseligmachenden“ gar nicht existieren, oder höchstens
im Geheimen; und wenn es bekannt geworden wäre, hätte sie der Bann
getroffen. Hat es je Berichte über solche gegeben, so sind sie offenbar
vernichtet worden. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass es solche
Berichte nicht gab; denn wie es heute noch ist, wird es wohl auch zu jener
Zeit gewesen sein, dass die im Lichte der Wahrheit Wandelnden so wenig
zahlreich und so unbedeutend hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen
Stellung waren, dass niemand sie der Erwähnung wert erachtete neben dem
großmächtigen System, dem sie zu entrinnen suchten, und das so rasch dem
Gipfelpunkt seiner weltlichen und geistlichen Macht zusteuerte.
Seit der Reformation hat der
Widersacher wiederum seine Schlauheit dadurch erwiesen, dass er jeden
neuen Anlauf, zur Wahrheit zu gelangen, so zu lenken wusste, dass ein
neuer Antichrist daraus entstand. So haben wir heute neben der ursprünglichen
„Mutter der Huren“ auch zahlreiche „Töchter“. (Band 3)
Angesichts dieser Tatsachen wollen wir
nach Berichten über die wahre Kirche nirgends anders forschen, als im
Neuen Testament, wo sie uns sichtlich sehr rein erhalten worden sind. Wir
wollen hier einige Beweisführungen anbringen, aus denen nicht nur die
wirkliche Reinheit der neutestamentlichen Berichte, sondern auch die
Tatsache hervorgeht, dass die vielen Systeme, die sich als vom Herrn und
den Aposteln gegründet ausgeben, gänzlich verschieden sind von der
Kirche, die diese tatsächlich gegründet haben, und über die uns im
Neuen Testament Berichte erhalten sind.
1. Wenn die erste Kirche nach Art der päpstlichen
oder heutigen Systeme organisiert worden wäre, so müssten die Berichte
darüber ganz anders lauten, als die uns erhaltenen. Sie würden erzählen,
wie unser Herr im Ornate dagesessen hätte wie ein Papst und die Apostel
im Ornate vor ihm erschienen wären, wie die Kardinäle vor dem Papst. Wir
würden strenge Weisungen hinsichtlich der Feier des Freitags durch
Enthaltung von Fleischspeisen finden. Es würde uns erzählt werden, wie
der Herr die Apostel oder diese die Volksmenge mit Weihwasser besprengten,
oder wie sie das Kreuz schlugen. Maria, die Mutter unseres Herrn, wäre
sicherlich nicht vergessen worden. Ein Bericht über ihre unbefleckte Empfängnis
müsste vorhanden sein; sie wäre als „Mutter Gottes“ bezeichnet
worden, und Jesus hätte sie in eine hervorragende Stellung eingesetzt,
die Apostel angewiesen, sich ihrer bei ihrem Verkehr mit ihm als
Mittelsperson zu bedienen. Wir fänden Anweisungen über Zeit, Art und
Weise des Gebrauchs heiliger Kerzen, über Anrufung der Heiligen, über
Feier der Messe; über die Anerkennung des Apostels Petrus als Papst
seitens der übrigen Apostel, über deren Verbeugungen vor ihm, über die
Messen des Apostels Petrus zugunsten der anderen Apostel; wir fänden
einen Hinweis auf die Fähigkeit des Apostel Petrus, Jesu Leib in der Form
von Brot und Wein neu zu erschaffen und für die persönlichen Sünden neu
zu opfern. Wir fänden einen Bericht über das Begräbnis Stephanus, aus
dem sich entnehmen ließe, wie Petrus oder die anderen Apostel ein Grab für
ihn weihten, damit er in geweihter Erde ruhen möchte, wie sie ihm eine
heilige Kerze in die Hand legten und über ihm bestimmte Formeln beteten.
Wir fänden weiterhin Vorschriften über die verschiedenen Klassen der
Geistlichkeit, zu der die Laien nicht im Verhältnis der Brüderschaft,
sondern der Unterwürfigkeit zu stehen hätten. Wir fänden für die
verschiedenen Geistlichen Rangstufen angedeutet: Titel wie Ehrwürden,
Hochwürden, Bischof, Erzbischof, Kardinal, Papst wären gegeben; es wäre
gesagt, wie man von Stufe zu Stufe steigen könne, indem man Ehre
voneinander nehme, und wer der Größte sein werde.
Dass hiervon auch nicht eine Spur in
der Schrift vorhanden ist, beweist augenscheinlich, dass die Systeme, die
die Kirche derart organisierten, keineswegs von den Aposteln oder unter
deren Leitung geschaffen wurden, noch von dem Herrn, der die zwölf
Apostel bestellt und ihr Tun gutgeheißen hatte. - Joh. 15:16; Apg. 1:2;
Offb. 21:14
2. Das völlige Fehlen aller dieser
Anweisungen in der Schrift beweist, dass sie nicht von diesen weisen
Organisatoren verfasst oder aufgestellt worden sind, sonst hätten sie
sicherlich alle die darin vermissten Weisungen hinein verflochten.
3. Nachdem wir dadurch Gewissheit
erlangt haben, dass weder das „Mutter“ - System, noch die zahlreichen
„Tochter“ -Systeme unserer Zeit vom Herrn und seinen Aposteln
eingesetzt wurden, sondern aus der Verdrehung der einfachen Lehren der
letzteren hervorgegangen und mithin nur menschlichen Ursprungs sind,
Versuche von Menschen, weiser zu sein als Gott und besser zu verstehen als
er, was zu tun sei - lasst uns um so festeres Vertrauen zum Worte Gottes
fassen und um so genauer auch auf die kleinsten Winke acht geben, sowohl
auf diesem als auch auf anderem Gebiet.
Sechstausend Jahre lang hat Gott die
Menschheit auf eigene Rechnung versuchen lassen, die verschiedenen
Lebensfragen zu beantworten oder zu lösen. Der natürliche Mensch wurde
mit geistigen Eigenschaften erschaffen, die ihn dazu anspornen sollen,
seinen Schöpfer zu ehren und anzubeten. Diese Eigenschaften sind durch
den Fall nicht gänzlich verloren gegangen; „gänzliche Verdorbenheit“
ist sicherlich nicht der Fall des Geschlechtes überhaupt. Wie Gott den
Menschen gestattete, ihre geistigen Fähigkeiten nach eigenem Gutdünken
zu verwenden, so ließ er auch ihren sittlichen Eigenschaften oder Mängeln
einfach freien Lauf. Außer dem natürlichen und dem geistlichen Israel
und deren Einflusskreisen hat Gott die Welt sich selbst überlassen und
sie ihr Möglichstes zur Selbstentwicklung tun lassen. Aber in seiner
Unwissenheit und Blindheit fiel der Mensch in mancher Hinsicht den Täuschungen
Satans und der gefallenen Engel zum Opfer, die die Massen durch manchen
Aberglauben, durch falsche Religionen, Zauberkünste und dergl., weit von
der Wahrheit ablenkten. Der Apostel erklärt dies und sagt, dies sei
geschehen, weil, als sie Gott noch kannten, die Menschen ihm nicht die gebührende
Ehre und den geziemenden Dank gaben; sie verfielen in ihren Überlegungen
in Torheit und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert, und Gott überließ
sie sich selbst, damit sie die Folgen ihrer Erniedrigung zu kosten bekämen
und daraus Belehrung schöpfen möchten, und damit ihrer Verkommenheit
beweise, wie außerordentlich sündhaft die Sünde und wie unweise es sei,
irgendeinem anderen Berater als dem Schöpfer Gehör zu schenken.
Wie wir schon gesehen haben,
beabsichtigt der Herr gar nicht, die Menschen in diesem gefallenen und
schwachen Zustand zu lassen; vielmehr wird zu der von ihm zuvor bestimmten
Zeit die Erkenntnis des Herrn durch Vermittlung der Neuen Schöpfung jedes
Glied der menschlichen Familie erreichen, so dass jedermann Gelegenheit
haben wird, die Wahrheit kennen zu lernen und aller Segnungen teilhaftig
zu werden, die durch das Lösegeld den Menschen gesichert sind.
Wie
seinerzeit die Heidenvölker, so hat Gott auch die sogenannte Christenheit
ihre eigenen Wege gehen lassen. Er gestattet solchen Menschen, die einen
Teil des Lichtes göttlicher Offenbarung empfangen haben, von ihm nach
Gutdünken Gebrauch zu machen; er lässt sie versuchen, am Plan Gottes
herumzubessern, er lässt sie zu diesem Zweck Systeme (Kirchen und Sekten)
gründen usw. Dies alles bedeutet aber keineswegs, dass er nicht die Macht
hätte einzuschreiten, oder dass er gar die verschiedenen, untereinander
sich widersprechenden, mehr oder weniger schädlichen Erfindungen und
Einrichtungen der Menschheit und der Namenkirche gutheißen würde. Diese
Versuche sind nur eine weitere Belehrung, die mit der Zeit die Menschen
davon überzeugen werden, dass sie sich geirrt haben; sie werden alsdann
die herrliche Hinausführung des Planes Gottes erkennen und sehen, wie
Gott sich stets an seinen Plan hielt und ihn durchführte, dabei an den
Methoden und Erfindungen der Menschen vorübergehend, ja, sie zuweilen als
Mittel zur Durchführung seiner eigenen Zwecke anstatt der von den
Menschen ins Auge gefassten benutzend. So handelte er z.B. am Ende des jüdischen
Zeitalters, wo er seine Absichten durch seine Feinde, die Jesum kreuzigten
und die Apostel verfolgten, ausführen ließ, und wie damals unter diesen
seinen Feinden sich „wahre Israeliten“ befanden, die später mit
Erkenntnis gesegnet, zum Licht geführt und der Leiden des Christus
teilhaftig gemacht wurden, auf dass, wenn die Zeit gekommen ist, auch sie
seine Herrlichkeit ererben möchten, so gibt es auch jetzt wahrscheinlich
„wahre Israeliten“, die einst, wie Paulus, den Verwirrungen, in die
der Widersacher sie hineinführte, entrinnen werden.
Noch eines: Der Herr hat eine bestimmte
Zeit, seine Herrschaft anzutreten, eine bestimmte Zeit mithin, innerhalb
der seine auserwählte Neue Schöpfung zur vollen Entwicklung gebracht und
für ihre Aufgabe völlig ausgerüstet werden soll. Nun scheint es ein
Teil seines Planes zu bilden, dass zu Beginn und am Ende dieser
Vorbereitungszeit besonders helles Licht leuchten sollte. Das scheint der
Apostel sagen zu wollen, wenn er in 1. Kor. 10:11 schreibt: „Alle diese
Dinge ... sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf welche die
Enden der Zeitalter gekommen sind.“ Es geschah beim Ablauf des jüdischen
und Beginn des Evangeliums-Zeitalters, dass der Weg, die Wahrheit und das
Leben offenbar gemacht wurden; dann folgten dunkle Jahrhunderte; jetzt
aber, am Ende des Evangeliums-Zeitalters und Beginn des Millenniums
leuchtet das Licht wie nie zuvor auf „Neues und Altes.“ Wenn wir auch
annehmen dürfen, dass am Anfang des Zeitalters der Herr die Seinen mit
besonderem Licht segnete, und dass auch jetzt, am Ende des Zeitalters,
solche das Licht gegenwärtiger Wahrheit empfangen werden, damit sie
dadurch geheiligt werden, so glauben wir doch nicht, dass in den
vergangenen Jahrhunderten, von denen einige das „finstere Mittelalter“
genannt werden, zur Heiligung so viel Licht nötig war wie jetzt. Und doch
war der Herr nie ohne Zeugen, wenn auch kein Blatt der Geschichte von
ihnen zu berichten weis. Dies hat seinen Grund wohl darin, dass jene
Zeugen in den Augen der Welt keine hervorragenden Leute waren und zu den
großen antichristlichen Systemen nicht in freundschaftlicher Beziehung
standen, selbst dann nicht, wenn sie selbst dazu gehörten. Der jetzt
geltende Ruf des Herrn zeigt deutlich, dass wir erwarten sollen, noch
viele vom Volk des Herrn in Babylon, verwirrt durch dessen widersprechende
Lehren, anzutreffen: „Gefallen, gefallen ist Babylon, die große ...
Gehet aus ihr hinaus, mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden
mitteilhaftig werdet, und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen.“
- Offb. 18:2, 4
Nach diesem flüchtigen Überblick über
die Geschichte der Herauswahl lasst uns nun die Einrichtungen des Herrn in
ihr genauer ins Auge fassen. Wie es nur einen Geist des Herrn gibt, den
alle besitzen müssen, die des Herrn sein wollen, so gibt es auch nur ein
Haupt, nur einen Mittelpunkt der Herauswahl, Jesum Christum. Dabei müssen
wir uns doch daran erinnern, dass er bei allem, was er tat, dem Vater die
Ehre gab, sein Werk als in des Vaters Namen und Auftrag getan bezeichnete.
„Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird
ausgerottet werden.“ (Matth. 15:13) „Die wahre Kirche“, die Neue Schöpfung,
ist vom Vater gepflanzt. „Ich bin der wahre Weinstock ... ihr seid die
Reben ... und mein Vater ist der Weingärtner.“ Im Gegensatz hierzu wird
der „Weinstock der Erde“ (eine Namenkirche) erwähnt, der nicht vom
Vater gepflanzt ist und daher ausgerottet werden wird. Die Frucht am
wahren Weinstock ist Liebe, dem Vater angenehm; die Frucht des Weinstockes
der Erde aber ist Selbstsucht in verschiedenen Erscheinungsformen und wird
schließlich in der großen Drangsal, mit der das gegenwärtige Zeitalter
schließen wird, gesammelt werden. - Joh. 15:1-6; Offb. 14:19
Jeder Bibelforscher hat sicher bemerkt,
dass unser Herr und seine Apostel keine Trennung innerhalb der Herauswahl
anerkannten, weder dem Namen nach noch tatsächlich. Für sie war die
Herauswahl eins und unteilbar, wie es auch nur „einen Glauben, einen
Herrn und eine Taufe“ gibt. Darum spricht die Schrift auch nur von der
Versammlung Gottes, der Versammlung des lebendigen Gottes, der Versammlung
der Herauswahl Christi, der Versammlung der Erstgeborenen, von „Brüdern“,
„Jüngern“, „Christen.“ Mit allen diesen Bezeichnungen wird stets
nur die wahre Kirche als Ganzes oder eine kleine Versammlung von zweien
oder dreien oder einzelne in Jerusalem, in Antiochien oder sonst wo
bezeichnet. Dass die Bezeichnungen wechseln, beweist, dass keine von ihnen
als Eigenname gelten sollte, sie zeugen alle von der großen Tatsache, auf
die unser Herr und seine Apostel immer hinwiesen, dass die Versammlung (Gesamtheit)
der Nachfolger des Herrn seine Herauswahl ist, erwählt, jetzt an seinem
Kreuz teilzuhaben, zu lernen, was notwendig ist, um mit der Zeit Teilhaber
seiner Herrlichkeit zu werden.
So hätte es nun stets gehalten werden
sollen. Doch in den Jahrhunderten, da Dunkel die Völker bedeckte, wurde
es anders. Der Irrtum gewann die Oberhand und mit ihm hielt der
Sektengeist seinen Einzug, und infolgedessen kamen die verschiedenen Namen
auf, wie: Römische Kirche, Baptistenkirche, Lutherische Kirche, Englische
Hochkirche, Katholische Kirche usw. Dies war, nach des Apostels Zeugnis
(1. Kor. 3:3, 4), ein Zeichen der fleischlichen Gesinnung dieser Christen,
und in dem Maße, wie die Neue Schöpfung aus der Finsternis, die so lange
das Erdreich bedeckt hat, herauskommt, geht ihr auch in diesem speziellen
Punkt ein Licht auf, so dass sie den Irrtum und bösen Schein erkennt und
nicht nur das Sektenwesen vermeidet, sondern sich auch weigert, mit einem
solchen Sektennamen bezeichnet zu werden, dabei aber fest zur Bibel steht.
Wir treten nun an die
Einzelbetrachtungen der vom Herrn gelegten Grundlagen der einen und
unteilbaren Kirche heran.
Die
zwölf Apostel des Lammes
Der Apostel erklärt, dass kein Mensch
einen anderen Grund legen kann als der gelegt ist: Jesus Christus. (1.
Kor. 3:11) Auf diesen Grund begann unser Herr, als des Vaters
Stellvertreter, die Kirche zu bauen. Er begann mit der Berufung von zwölf
Aposteln. Diese Zahl ist ebenso wenig zufällig wie die Zwölfzahl der Stämme
Israels; beides geschah nach der Anordnung des göttlichen Planes. Der
Herr beschränkte sich nicht darauf, zwölf und nicht mehr Apostel zu erwählen,
sondern er erteilte auch niemandem den Auftrag, weitere zu erwählen. Ein
Beweis dafür ist, dass, nachdem Judas Iskarioth sich der Apostelwürde
unwert gezeigt hatte, er vom Herrn selbst durch Paulus ersetzt wurde.
Wir bemerken, mit wie großer Sorgfalt
der Herr über die Apostel wachte. Er betete für Petrus in der Stunde
seiner Versuchung; er legte ihm danach dringend seine Schafe und Lämmlein
ans Herz, er willfahrte Thomas, damit dieser doch ja von seiner
Auferstehung sich überzeugen möchte. Von den Zwölfen verlor er keinen
außer dem Sohn des Verderbens; dass einer der Zwölfe abfallen würde,
war dem Herrn aus der Weissagung bekannt. Wir können die in der
Apostelgeschichte erzählte Erwählung des Matthias durch die Jünger
nicht als des Herrn Wahl anerkennen. Er war sicherlich ein frommer Mann;
aber zu seiner Wahl hatten die Elfe keinen Auftrag. Sie hatten den Befehl
empfangen, in Jerusalem zu bleiben und auf die Kraft von oben zu warten,
die ihnen die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten bringen
sollte. In diese Zeit des Wartens, vor ihrer Ausrüstung mit der Kraft von
oben, fällt ihre Erwählung des Matthias durch das Los; sie war sicher
eine Verirrung. Der Herr strafte sie nicht für ihre unberufene
Einmischung in seine Angelegenheiten, sondern er beschränkte sich darauf,
ihre Wahl als nicht geschehen zu betrachten und berief dann, als die Zeit
erfüllt war, den Apostel Paulus zu seinem „auserwählten Rüstzeug.“
Der Apostel selbst erklärt, er sei von seiner Mutter Leibe an zu einem
besonderen Diener abgesondert worden, und er stehe in nichts den
ausgezeichneten Aposteln nach. - Gal. 1:15; 2. Kor. 11:5
Aus dem eben Gesagten wird klar, dass
wir im schärfsten Gegensatz stehen zu den Ansichten der Papstkirche, der
protestantisch-bischöflichen Kirche, der neu-apostolischen Kirche und der
Mormonen, die alle behaupten, die Zahl der Apostel sei nicht auf zwölf
beschränkt, und die Apostel hätten seither bis in die jetzige Zeit
Nachfolger gehabt, die mit gleicher Autorität wie die zwölf geredet und
geschrieben hätten. Wir stellen dies in Abrede und führen zum Beweis an,
dass der Herr gerade die Zwölf auserwählte, und erinnern daran, dass die
Zwölfzahl in heiligen Dingen öfter vorkommt, besonders bei der
Herauswahl; am meisten hervortretend ist dies in der in Offenbarung 21
gebotenen bildlichen Beschreibung der verherrlichten Kirche. Dort wird das
neue Jerusalem - das Bild für die Regierung des Tausendjahrreiches,
bestehend aus Christo und seiner Braut - ausführlich beschrieben und
besonders hervorgehoben, dass die zwölf Grundlagen der Mauer kostbar
seien, und dass auf ihnen die Namen der „zwölf Apostel des Lammes“
geschrieben sind - nicht mehr und nicht weniger. Bedürfen wir sonach noch
weiterer Beweise dafür, dass es nicht mehr als zwölf Apostel gegeben
hat, und dass alle, die sich als solche ausgaben, „falsche Apostel“
waren, vor denen Paulus warnte? - 2. Kor. 11:13
Auch wüssten wir nicht, wozu wir
weitere Apostel bedürften. Die Zwölf sind in ihren schriftlichen
Zeugnissen und der Frucht ihrer Bemühungen heute noch bei uns. In dieser
Beziehung haben wir sogar einen Vorzug vor ihren Zeitgenossen. Die Schrift
erzählt uns von ihren Diensten, gibt uns ihre Berichte über des Herrn
Worte, Wunderwerke usw. Ihre Auseinandersetzungen über die verschiedenen
Punkte christlicher Lehre sind uns in ihren Briefen in denkbar
befriedigendster Gestalt erhalten. Diese Dinge sind „hinreichend“, wie
der Apostel erklärt, dass der Mensch Gottes vollkommen sei. (2. Tim.
3:17) In Apg. 20:27 erklärt er: „Ich habe nicht zurückgehalten, euch
den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen.“ - Was braucht es mehr?
Unmittelbar nach seinem vierzigtägigen
Aufenthalt in der Wüste und seiner Versuchung durch den Widersacher ging
unser Herr, seiner Methode nun sicher, daran, die Verkündigung vom
kommenden Reich zu verbreiten und Jünger zu berufen. Aus der Zahl dieser
Jünger erwählte er dann später die zwölf Apostel. (Luk. 6:13-16) Sie
stammten alle, wie wir sagen würden, aus den unteren Schichten der
Gesellschaft, von denen, natürlich nicht im Sinne eines Tadels, in Apg.
4:13 bemerkt ist, dass sie „ungelehrte Leute“ waren. Einige von ihnen
waren Fischer. Die Zwölf hatten sich nur durch öffentliches Zeugnis zum
Herrn und seiner Sache bekannt, zunächst, wie alle Jünger, ohne ihre
Beschäftigung zu verlassen. Als sie aber aufgefordert wurden, Teilhaber
am Dienst des Evangeliums zu werden, verließen sie alles, um ihm zu
folgen. (Matth. 4:17-22; Mark. 1:16-20; 3:13-19; Luk. 5:9-11) Die später
einmal als Prediger ausgesandten Siebzig wurden nie als Apostel anerkannt.
Lukas gibt uns einen besonderen Bericht über die Auswahl der zwölf
Apostel, indem er uns unterrichtet, dass diese getroffen wurde, nachdem
sich der Herr zuvor auf einen Berg zurückgezogen hatte, um zu beten,
sicherlich um die Hilfe des Vaters zu erflehen. Er brachte die ganze Nacht
im Gebet zu, und am Morgen versammelte er seine Jünger (das hier
gebrauchte griechische Wort „Mathetes“ bedeutet: „Schüler“) um
sich, und aus ihnen erwählte er nun die zwölf Apostel (d.h. Gesandte).
Auf diese Weise zeichnete er die Zwölf vor seinen übrigen Jüngern aus.
- Luk. 6:12, 13, 17
Die anderen, nicht zu Aposteln
berufenen Jünger liebte der Herr auch, und ohne Zweifel billigten sie
voll und ganz die vom Herrn getroffene Wahl der Zwölfe, weil sie
erkannten, dass sie im Interesse ihrer Sache lag. Der Bericht sagt nicht,
worauf der Herr seine Wahl gründete, aber in seinem hohepriesterlichen
Gebet sagt er: „Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben“, und
wiederum: „Keiner von ihnen ist verloren, als nur der Sohn des
Verderbens“. (Judas). In welchem Sinne und bis zu welchem Grade der
Vater die Wahl der Zwölf getroffen hatte, ist für uns ohne Bedeutung.
Jedenfalls war eine ihrer Eigenschaften Demut, und ohne Zweifel hatte Gott
ihre bescheidenen Lebensstellungen und ihre früheren Erfahrungen benutzt,
dass sie nicht nur demütig, sondern auch festen Charakters, entschlossen
und beharrlich wurden in einem Maße, wie es andere, leichtere
Lebensstellungen nicht in gleicher Weise bewirkt hätten. Wir erfahren,
dass die Erwählung der Zwölf damals, statt erst zu Pfingsten (dem Tag
der Zeugung der Kirche), stattfand, damit sie Augen- und Ohrenzeugen der
Taten und Reden des Herrn und so in die Lage versetzt würden, zur
gegebenen Zeit, uns mit allen Kindern Gottes aus erster Hand die
Wunderwerke Gottes und die wunderbaren Worte des durch Jesum geoffenbarten
Lebens zu bezeugen. – Luk. 24:44-48; Apg. 10:39-42
Der
den Aposteln gegebene Auftrag
Nirgends findet sich auch nur die
leiseste Andeutung dafür, dass die Apostel Herrscher über das Erbe des
Herrn werden sollten, dass sie berechtigt gewesen wären, sich als etwas
Besseres als die übrigen Gläubigen zu betrachten, als befreit vom Gesetz
Gottes, als besonders begünstigt oder sicher, ihr ewiges Erbe anzutreten.
Sie sollten sich im Gegenteil jederzeit daran erinnern, dass sie alle Brüder
und einer ihr Meister sei, nämlich Christus. Sie sollten stets dessen
eingedenk sein, dass sie ihre Berufung und Erwählung fest machen müssen,
dass sie, wenn sie nicht dem Gebot der Liebe gehorsam und demütig wie
Kinder seien, nicht „in das Reich eingehen“ könnten. Sie erhielten
keinen besonderen Titel, sie wurden nicht angewiesen, sich in besonderer
Weise zu kleiden, besonders zu benehmen, sondern nur, in allen Stücken
der Herde mit gutem Beispiel voranzugehen, damit andere ihre guten Werke
sehen und den Vater im Himmel preisen möchten; damit andere, die in ihre
Fußstapfen treten würden, auch in des Führers Fußstapfen wandeln und
schließlich mit ihnen Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit ererben möchten,
ihren Anteil an der göttlichen Natur, ihre Gliedschaft in der Neuen Schöpfung.
Der den Apostel gegebene Auftrag war zu
dienen - sie sollten einander und dem Herrn dienen und ihr Leben im Dienst
der Brüder niederlegen, besonders in Verbindung mit der Verkündigung des
Evangeliums. Sie waren Teilhaber jener Salbung, die schon über ihren
Meister gekommen war, die über alle Neuen Schöpfungen, alle königlichen
Priester, kommt und vom Propheten wie folgt dargestellt ist: „Der Geist
des Herrn, Jehovas, ist auf mir, weil Jehova mich gesalbt hat, um den
Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen ... Freiheit auszurufen den
Gefangenen.“ - Jes. 61:1, 2; Luk. 4:17-21; Matth. 10:5-8; Mark. 3:14,
15; Luk. 10:1-7
Obwohl diese Salbung erst zu Pfingsten
über sie kam, so hatten sie doch vorher schon einen Vorgeschmack davon,
indem der Herr einen Teil seiner vom Heiligen Geist stammenden Macht auf
sie übertrug, als er sie zum Predigen aussandte. Aber selbst in diesem Stück
nahm ihnen der Herr irgendwelche Ursache für Selbstgefälligkeit und
Hochmut, indem er später einmal siebenzig aussandte und ihnen denselben
Auftrag, die gleiche Macht, in seinem Namen Wunder zu tun, verlieh. Das
den Aposteln ausschließlich vorbehaltene Werk begann also erst zu
Pfingsten, als sie mit dem Heiligen Geist ausgerüstet wurden. Damals kam
eine besondere Kundgebung der göttlichen Macht über sie, nicht nur der
Heilige Geist und dessen Gaben, sondern auch die Macht, diese Gaben an
andere weiterzugeben. Von jetzt an waren sie durch diese Macht vor allen
anderen Erwählten ausgezeichnet. Andere Glaubende wurden wohl als Glieder
des gesalbten Leibes Christi gerechnet, wurden Teilhaber seines Geistes
und von jenem Geist zur Neuheit des Lebens gezeugt, aber keiner empfing
eine der besonderen Gaben des Geistes, es sei denn durch die Apostel. Aber
diese Wundergaben, dieses Reden und Auslegen fremder Sprachen, nahm nicht
etwa, das mögen wir nicht vergessen, die Stelle der Früchte des Geistes
ein. Jene müssen bei jedem Gläubigen durch Gehorsam den göttlichen
Anweisungen gegenüber zur Entwicklung und Reife gebracht werden, je
nachdem jemand in Gnade, Erkenntnis und Liebe wächst. Die Fähigkeit,
diese Gaben, die jemand empfangen und dabei doch ein tönendes Erz bleiben
konnte, zu übertragen, zeichnete dennoch die Apostel als besondere Diener
und Vertreter des Herrn aus, die den Auftrag hatten, die Kirche zu gründen.
- 1. Kor. 12:7-10; 13:1-3
Durch die Erwählung und Belehrung der
Apostel beabsichtigte der Herr die Segnung und Belehrung aller seiner
Nachfolger bis an das Ende des Zeitalters. Das geht klar aus seinem Gebet
am Ende seiner Dienstzeit hervor, wo er zu den Aposteln redend sagte:
„Ich habe deinen Namen geoffenbart den Menschen, die du mir aus der Welt
gegeben hast (d.h. den Aposteln). Sie waren dein, und du hast sie mir
gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Jetzt haben sie erkannt, dass
alles, was du mir gegeben hast, von dir ist; denn die Worte (Lehren), die
du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen
... Ich bitte für sie; nicht bitte ich für die Welt, sondern für die,
welche du mir gegeben hast, denn sie sind dein ... Aber nicht für diese
allein bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich
glauben (die ganze Herauswahl); auf dass sie alle eins seien (in Absicht,
in Liebe), gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie
in uns eins seien.“ - Und nun mit Bezug auf den Zweck der Erwählung der
Zwölf und der ganzen Neuen Schöpfung sagt er weiter: „Auf dass die
Welt glaube (die von Gott schon in ihrer Sünde geliebt und durch Jesu
teures Blut erkauft wurde), dass du mich gesandt hast“ - nämlich sie zu
erkaufen und wiederherzustellen. - Joh. 17:6-9, 20, 21
Die Apostel hatten, wenn sie auch
ungelehrte Leute waren, doch einen starken Charakter, und durch des Herrn
Schulung wurde ihnen reichlicher Ersatz dafür, was ihnen an Weisheit und
Bildung dieser Welt abging, indem sie dafür „den Geist des gesunden
Sinnes“ empfingen. Darum ist auch nichts Auffallendes dabei, dass diese
Männer der ersten Kirche als unbestrittene Leiter auf dem Wege des Herrn
erschienen, als besonders bestellte Lehrer, als „Pfeiler der Kirche“,
an Autorität dem Herrn zunächst stehend. Der Herr bereitete sie in
mannigfacher Hinsicht auf diese Stellung vor. Sie waren stets um ihn und
konnten somit Zeugen aller Einzelheiten seines Dienstes auf Erden sein,
Zeugen seiner Lehren, seiner Wunder, seiner Gebete, seines Mitleids,
seiner Heiligkeit, seiner Selbsthingabe bis in den Tod, und schließlich
seiner Auferstehung. Nicht nur die erste Kirche bedurfte aller dieser
Zeugnisse, sondern alle, die der Herr seitdem zur Neuen Schöpfung berufen
hat, die die Berufung angenommen, die ihre Zuflucht zu der herrlichen
Hoffnung genommen haben, die in seinem Charakter, seinem Opfertod, seiner
Erhöhung, im Plan Gottes, den er hinausführen soll, verankert ist. Alle,
die ihre Zuversicht auf diese Dinge setzten, bedurften solch persönlicher
Zeugnisse, damit ihr Glaube und ihr Trost stark werde.
Das Werk der siebzig Jünger, die der
Herr einmal aussandte, um seine Gegenwart und die Ernte des jüdischen
Zeitalters zu verkündigen, war in mancher Hinsicht von dem Werk der Zwölf
verschieden. In jeder Weise sonderte der Herr seine Apostel so aus, dass
wir mit der ganzen Herauswahl ihnen vollstes Vertrauen entgegenbringen können.
Sie allein waren bei ihm am letzten Passahmahl bei der Einsetzung des
neuen Gedächtnismahles; sie allein waren Zeugen seiner Gefangennahme in
Gethsemane; sie allein empfingen noch nach seiner Auferstehung manche
eindrückliche Belehrung aus seinem Munde, ihrer allein bediente er sich
als Mundstücke des Heiligen Geistes am Pfingsttag. Die Elf waren „Männer
aus Galiläa“, wie denn auch einige ihrer Hörer bemerkten: „Sind
diese nicht alle Galiläer?“ - Apg. 2:7; Luk. 24:48-51; Matth. 28:16-19
Wenn sich auch der Herr nach seiner
Auferstehung einmal 500 Brüdern auf einmal offenbarte, so verkehrte der
Auferstandene doch nur mit den Aposteln noch in besonderer Weise, und nur
sie waren die bestellten Zeugen alles dessen, was er sowohl im Land der
Juden als auch in Jerusalem getan hat; „den sie auch umgebracht haben,
indem sie ihn an ein Holz hängten. Diesen hat Gott am dritten Tage
auferweckt ... und er hat uns befohlen, dem Volk zu predigen“ usw. - Apg
10:39-45; 13:31; 1. Kor. 15:3-8
Der Apostel Paulus war zwar nicht wie
die Elf ein direkter Augen- und Ohrenzeuge, aber er wurde doch zu einem
Zeugen der Auferstehung Jesu gemacht, indem ihm ein Blick in die jetzige
Herrlichkeit des Herrn gegeben wurde, wie er selbst sagt (1. Kor. 15:8,
9): „Am letzten aber von allen, gleichsam der unzeitigen Geburt,
erschien er auch mir.“ Der Apostel Paulus hatte keinen Anspruch darauf,
die Herrlichkeit des Herrn früher zu schauen als die übrigen Auserwählten
bei seiner zweiten Gegenwart, wo alle Getreuen verwandelt und ihm gleich
gemacht sein und ihn sehen werden, wie er ist. Aber damit er ein Zeuge
werden könne, wurde ihm dieser Blick und noch weitere Gesichte und
Offenbarungen gewährt, mehr als allen anderen. Dies dürfte als
reichlicher Ersatz gelten dafür, dass er vorher mit dem Meister keinen
Umgang gehabt hat. Seine besonderen Erfahrungen kamen aber nicht ihm
allein zugute, sondern vor allem der Herauswahl.
Sicher steht fest, dass die besonderen
Erfahrungen, Traumbilder und Offenbarungen, die dem Apostel gewährt
wurden, der den Platz Judas einnahm, viel hilfreicher als die der anderen
Apostel gewesen sind.
Seine Erfahrungen gestatteten ihm,
nicht nur die „Tiefen Gottes“ zu erkennen und zu würdigen - darunter
sogar Dinge, die er nicht sagen durfte (2. Kor. 12:4), sondern das Licht,
das sie dem Geist des Apostels verschafften, strahlte auch durch seine
Schriften zurück auf die ganze Herauswahl von seinen Tagen bis auf unsere
Zeit.
Dank der ihm zuteil gewordenen Gesichte
und Offenbarungen vermochte Paulus die durch Bezahlung des Lösegeldes
geschaffene Lage, das neue Zeitalter, die Länge, Breite, Höhe und Tiefe
des Charakters und Planes Gottes in so vollem Maße zu erfassen und zu würdigen.
Und weil er sie selbst so klar erkannte, konnte er diese Dinge in seinen
Reden und Briefen auch so klar zur Darstellung bringen, dass der ganze
Haushalt des Glaubens bis herab auf unsere Tage seinen Segen davon
empfing. Tatsächlich würde es für die Herauswahl unserer Tage einen
geringeren Schaden bedeuten, die Schriften und Zeugnisse aller anderen
Apostel zu verlieren als die des Paulus. Dennoch sind wir froh, dass das
ganze Zeugnis auf uns gekommen ist, froh, dass wir es in seinem ganzen
Umfang würdigen und die edle Denkungsart aller Zwölf so hoch schätzen können.
Die Stellen, die die Apostelstellung
des Paulus bezeugen, sind: Zuerst die Worte des Herrn: „Dieser ist mir
ein auserwähltes Gefäß, meinen Namen zu tragen, sowohl vor Nationen als
Könige und Söhne Israels.“ (Apg. 9:15) Dann Paulus eigene Aussagen:
„Ich tue euch aber kund, Brüder, dass das Evangelium, welches von mir
verkündigt wurde, nicht nach dem Menschen ist. Denn ich habe es weder von
einem Menschen empfangen noch erlernt, sondern durch Offenbarung Jesu
Christi.“ (Gal. 1:11, 12) „Der, welcher in Petrus für das Apostelamt
der Beschneidung gewirkt hat, hat auch in mir in bezug auf die Nationen
gewirkt.“ (Gal. 2:8) Nicht nur bezeugt sein Eifer für den Herrn und die
Brüder, seine Bereitwilligkeit, sein Leben im Dienst der Brüder
niederzulegen, um seine Zeit und Kraft zu ihrem Besten zu verwenden, dass
er Anspruch hat, mit den übrigen Aposteln als gleichberechtigt zu gelten,
sondern wenn jemand seine Apostelstellung innerhalb der Herauswahl in
Zweifel zog, so wies er selbst mit großer Freimütigkeit auf die Beweise
hin, die er selbst gegeben, sowie auf die Auszeichnungen, deren der Herr
ihn für würdig gehalten hatte, damit beweisend, dass er den Aposteln in
nichts nachstehe. - 1. Kor. 9:1; 2. Kor. 11:5, 23; 12:1-7, 12; Gal. 2:8;
3:5
Des Herrn Absicht war nicht, dass das
Werk der Apostel auf die Juden beschränkt bleibe, er belehrte im
Gegenteil die Elf, dass sein Werk und ihre Botschaft einmal für die ganze
Menschheit gelten werde. In Jerusalem sollten sie nur auf ihre Ausrüstung
mit Kraft von oben warten; dort sollten sie auch ihr Werk beginnen: „Ihr
werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und
ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa
und Samaria und bis an das Ende der Erde.“ (Apg. 1:8) Dieses
Zeugnisablegen dauerte nicht nur, solange die Apostel lebten, es dauert
auch heute noch fort. Sie reden heute noch zu uns, sie belehren heute noch
die Glaubenden; sie ermutigen, ermahnen und tadeln; ihr Abscheiden machte
ihrem Dienst kein Ende. Noch reden sie, noch zeugen sie, noch sind sie die
Mundstücke des Herrn für die Glaubenden.
Die
Inspiration der Apostel
Es ist wichtig für uns, das Vertrauen
zu haben, dass die Apostel wahrhaftige Zeugen, wahrheitsgetreue
Geschichtsschreiber sind. Ihre Schriften tragen in der Tat den Stempel der
Wahrhaftigkeit; denn sie suchten weder zeitlichen Gewinn, noch Ehre bei
Menschen, sondern ließen in ihrem Eifer für den auferstandenen und
herrlich gemachten Meister alle Rücksicht auf irdische Vorteile fahren.
Wenn schon ihr Zeugnis nur deshalb ins Gewicht fiele, so wäre es ganz
unschätzbar. Aber die Schrift selbst gibt den Aposteln noch das Zeugnis,
dass der Herr sich ihrer als inspirierter Werkzeuge bediente; dass er sie
besonders leitete und bei dem Zeugnis, das sie in der Herauswahl ablegen,
bei den Lehren, die sie verbreiten, bei den Gebräuchen, die sie
festsetzen würden, überwachte. Sie bezeugten nicht nur Dinge, die sie
gehört und gesehen hatten, sondern auch solche, die sie durch den
Heiligen Geist gelernt hatten. Darin erwiesen sie sich als treue
Haushalter: „Dafür halte man uns: für Diener Christi und Verwalter der
Geheimnisse Gottes.“ (1. Kor. 4:1) Denselben Gedanken hatte der Herr,
als er den Zwölfen sagte: „Ich will euch zu Menschenfischern machen“,
oder: „Weidet meine Schafe! Weidet meine Lämmlein!“ Der Apostel
bezeugt ferner: „Das Geheimnis (die tiefen Wahrheiten des Evangeliums über
die hohe Berufung der Neuen Schöpfung, des Christus), welches in anderen
Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden, ist jetzt
geoffenbart worden seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geiste, ...
und alle zu erleuchten, welches die Verwaltung des Geheimnisses (welches
die Bedingung zum Teilhaben an der Neuen Schöpfung) sei, das von den
Zeitaltern her verborgen war in Gott.“ (Eph. 3:3-11) Und hinsichtlich
der Auferbauung der Herauswahl auf den Eckstein Jesum Christum sagt der
Apostel: „Deshalb bin ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch,
die Nationen.“ – Eph. 2:20, 22; 3:1
Der „Tröster“ war den Aposteln
verheißen; er sollte sie alles lehren, sie an alles erinnern, was der
Herr zu ihnen gesagt hatte; er sollte ihnen auch das Kommende verkündigen.
(Joh. 14:26; 16:13) Bis zu einem gewissen Grade gilt dies zweifellos für
die ganze Herauswahl, insbesondere aber gilt es den Aposteln, und durch
deren Vermittlung wirkt es auf die übrigen Auserwählten, indem sie aus
den Worten der Apostel alte und neue Dinge lernen. Die Inspiration der
Apostel dürfen wir daher als eine dreifache bezeichnen: 1. wurde ihre
Erinnerung aufgefrischt, so dass sie des Herrn eigene Lehren aus dem Gedächtnis
wiederzugeben vermochten; 2. wurden sie angeleitet, die Wahrheit über den
göttlichen Plan der Zeitalter zu erkennen; 3. wurden ihnen besondere
Offenbarungen über zukünftige Dinge zuteil, solche Dinge betreffend, von
denen ihnen der Herr gesagt hatte (Joh. 16:12): „Noch vieles habe ich
euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“
Nun dürfen wir nicht denken, dass die
Auffrischung des Gedächtnisses der Apostel soweit ging, dass sie sich auf
alle Redewendungen und Reihenfolge der Reden Jesu erstreckt hätte. Die
Schriften der Apostel verraten kein solches Diktat durch den Heiligen
Geist. Dennoch ist die Verheißung unseres Herrn eine Garantie dafür,
dass die Schriften der Apostel die Dinge richtig wiedergeben. Jedes der
vier Evangelien bietet eine Geschichte des Lebens und Dienstes Jesu; aber
jedes Evangelium trägt den Stempel der Individualität seines Verfassers.
Jedes erzählt in seinem eigenen Stil solche Einzelheiten, die dem
Verfasser am wichtigsten schienen, und der Herr überwaltete diese
Arbeiten so, dass ihre verschiedenen Berichte zusammengenommen eine so
vollständige Geschichte ausmachen, wie sie für die Begründung des
Glaubens der Herauswahl daran, dass Jesus der Messias ist, an die Erfüllung
der messianischen Weissagungen, an die Tatsachen seines Lebens und seiner
Lehre notwendig waren. Wäre die Inspiration der Apostel eine verbale
gewesen, wären ihre Schriften Wort für Wort eingegeben worden, so wäre
es nicht notwendig gewesen, dass mehrere Menschen dieselbe Geschichte erzählten.
Bei aller Freiheit aber, die den verschiedenen Verfassern in der Wahl des
Ausdrucks oder der Auswahl der Begebenheiten, die sie erzählen wollten,
gelassen wurde, hat der Herr die ganze Angelegenheit so überwaltet, dass
nichts Wichtiges unerwähnt blieb, dass alles Notwendige wahrheitsgemäß
berichtet ist, „auf dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem
guten Werk völlig geschickt.“ (2. Tim. 3:17) Besonders ergänzt der
Bericht des Johannes die Berichte der drei anderen, und er behandelt vorab
wichtige Umstände und Vorfälle, die die anderen übergangen haben.
Des Herrn Vorsatz, die Apostel durch
den Heiligen Geist und durch die Apostel die ganze Neue Schöpfung in alle
Wahrheit zu leiten, setzt voraus, dass diese Anleitung einen allgemeinen
Charakter hatte und nicht eine spezielle Anleitung jedes einzelnen sein
sollte. Die Ereignisse haben dies auch bewiesen. Obwohl die Apostel,
ausgenommen Paulus, ungebildete, ungelehrte Männer waren, so ist doch
ihre Schriftauslegung sehr bemerkenswert. Sie waren imstande, die Weisheit
der weisen Theologen ihrer Zeit und der späteren Jahrhunderte zunichte zu
machen. Wie groß auch die Beredsamkeit des Irrtums sein mag, er vermag
nichts gegen die Logik ihrer Folgerungen aus dem Gesetz, den Propheten und
den Lehren des Herrn. Die jüdischen Schriftgelehrten merkten das und
erkannten, dass die Apostel mit Jesu gewesen waren. - Apg. 4:5, 6, 13
Die Briefe der Apostel bestehen also
aus logischen Beweisführungen mittelst der inspirierten Schriften des
Alten Testamentes und der Worte des Herrn; und alle, die das
Evangeliums-Zeitalter hindurch an demselben Geist teilhatten, indem sie
den Erörterungen derer folgten, die der Herr als seine Mundstücke
gebraucht hatte, kamen auf diesem Wege so sehr zu den gleichen
wahrheitsgemäßen Schlüssen, dass unser Glaube nicht auf
Menschenweisheit, sondern auf Gotteskraft beruht. (1. Kor. 2:4, 5)
Trotzdem haben wir in den Briefen ebenso wenig wie in den Evangelien den
Eindruck einer Verbal-Inspiration in dem Sinne, als wären die Verfasser
nur die schreibende Hand Jehovas, wie es die Propheten des alten Bundes
gewesen sind. (2. Petr. 1:21) Die klaren Begriffe der Apostel rührten
vielmehr von einer allgemeinen und dauernden Erleuchtung ihre Geistes her,
die sie befähigte, die Absichten Gottes deutlich zu sehen, richtig zu würdigen
und daher auch klar in verständliche Worte zu fassen. Auf diese edle
Weise vermochten seither alle vom Volke Gottes in der Gnade, Erkenntnis
und Liebe zu wachsen und so allmählich mit allen Heiligen zu erfassen,
„welches sei die Breite und Länge und Tiefe und Höhe, und die Liebe
des Christus zu erkennen, die alle (menschliche) Erkenntnis übersteigt.“
- Eph. 3:18, 19
Dennoch halten wir uns für
vollberechtigt zu der Annahme, dass alle Schriften der Apostel so vom
Herrn überwacht wurden, dass unpassende Ausdrücke vermieden sind und die
Wahrheit in solcher Form wiedergegeben ist, dass sie für den Haushalt des
Glaubens seit ihrer Zeit bis auf den heutigen Tag „Speise zur rechten
Zeit“ war. Diese göttliche Überwaltung ist in den Worten des Herrn
angedeutet: „Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel
gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im
Himmel gelöst sein.“ (Matth. 18:18) Wir verstehen das nicht so, dass
der Herr auf seinen Vorrang verzichten und sich den Entscheidungen der
Apostel unterwerfen wollte, sondern dass die Apostel durch den Heiligen
Geist in der Weise bewahrt und geführt werden würden, dass ihre
Entscheidungen in der Herauswahl richtig sein würden, sei es, dass sie
etwas als Verpflichtung, sei es, dass sie etwas Anderes als dem freien
Ermessen des einzelnen Gläubigen anheim gestellt fordern würden. Es war
wichtig, dass die Herauswahl im allgemeinen wusste, dass die Dinge so
geordnet seien, dass die Entscheidung der Apostel stets so fallen würde,
als wäre sie vom Herrn selbst getroffen.
Auf
diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen
Damit stimmen voll und ganz die Worte
des Herrn überein, die er, nachdem der Apostel Petrus seinen Glauben
daran, dass Jesus der Messias sei, bezeugt hatte, sprach: „Glückselig
bist du, Simon, Sohn Jonas, denn Fleisch und Blut haben es dir nicht
geoffenbart, sondern mein Vater, der in dem Himmel ist. Aber auch ich sage
dir, dass du bist Petrus (ein Stein, ein Fels); und auf diesen Felsen
(petra - Felsmasse; diesen Grundstein der Wahrheit, den du eben geäußert)
will ich meine Versammlung bauen.“ Der Herr selbst ist der Erbauer, wie
er auch selbst als der Grundstein bezeichnet wird: „Einen anderen Grund
kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus
Christus.“ (1. Kor. 3:11) Er ist der große Felsen und seine Anerkennung
als solcher durch Petrus ist ein felsenfestes, wahrhaftiges Zeugnis, eine
Anerkennung der Grundlage des Planes Gottes. Der Apostel Petrus hat es
selbst so verstanden; davon zeugen seine Worte. (1. Petr. 2:5, 6) Er erklärt,
dass alle wahrhaft geweihten Gläubigen „lebendige Steine“ sind, die
zu dem großen Grundfelsen des göttlichen Planes, Jesu Christo,
hinzukommen, um auferbaut zu werden als ein heiliger Tempel Gottes durch
die Verbindung mit ihm, dem Grundstein. Petrus also lehnte - wie es auch
recht war - ab, selbst der Grundstein zu sein, und zählte sich zu den
„lebendigen Steinen“ der Kirche, wiewohl ein „Fels“ größer ist
als ein gewöhnlicher Baustein und alle Apostel als „Grundlagen“
(Offb. 21:14) im Plane Gottes von größerer Wichtigkeit sind als ihre Brüder.
Die
Schlüssel der Autorität
In
ähnlichem Zusammenhang sagt der Herr zu Petrus: „Ich werde dir die Schlüssel
des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst,
wird in den Himmeln gebunden sein“ usw. Dieselbe Autorität also, die
den Aposteln im allgemeinen verliehen wurde, wurde dem Apostel Petrus
besonders angekündigt, und er wurde dadurch besonders geehrt, dass ihm
die Schlüssel, d.h. das Recht zu öffnen, verliehen wurden. Wir erinnern
uns daran, wie Petrus die Eingänge zum neuen Zeitalter öffnete, erst für
die Juden zu Pfingsten, und dann für die Heiden im Haus des Kornelius.
Vom Pfingsttag, da der Heilige Geist ausgegossen wurde, lesen wir:
„Petrus stand auf mit den Elfen.“ Er ging also zuerst vor; er öffnete
und die anderen folgten, und nun erging die hohe Berufung des
Evangeliums-Zeitalters an die Juden. Im Fall des Kornelius sandte der Herr
Boten zu Petrus und bereitete ihn durch ein Gesicht noch in besonderer
Weise vor, so dass er der Einladung des Kornelius folgte und in dessen
Haus die zweite Tür der Begnadigung und Befreiung, durch die von nun an
die Nationen eingehen und ihren Lauf nach dem hohen herrlichen Ziel der
Teilnahme an der Neuen Schöpfung beginnen konnten, aufschloss. Dies ist
in voller Übereinstimmung mit den Absichten, die den Herrn bei der
Auswahl der Zwölf geleitet hatten. Und je klarer des Herrn Volk erkennt,
dass diese Zwölf die besonderen Kanäle zur Vermittlung der Wahrheit über
die Neue Schöpfung sind, um so bereitwilliger wird es auch sein, ihre
Worte anzunehmen, um so weniger wird es sein Ohr den Lehren solcher
leihen, die sich mit den Lehren der Apostel in Widerspruch setzen. „Wenn
sie nicht nach diesem Worte sprechen, so gibt es für sie keine Morgenröte.“
- Jes. 8:20
Der letzte Satz der hier besprochenen
Verheißung unseres Herrn heißt: „Er (des Vaters Heiliger Geist) wird
euch das Zukünftige verkündigen.“ Das setzt eine besondere Inspiration
der Apostel voraus (und indirekt eine Segnung und Erleuchtung aller vom
Volk des Herrn bis ans Ende des Zeitalters, sofern sie die Lehren der
Apostel annehmen). Sie sollten also nicht nur heilige Apostel sein,
sondern auch Propheten und Seher, die der Herauswahl zukünftige Dinge
mitteilen. Es ist nicht notwendig anzunehmen, dass alle Apostel im
gleichen Grade auf allen Teilen des ihnen zugewiesenen Wirkungsgebietes
verwendet wurden. Die Schrift zeigt vielmehr, dass einige unter ihnen
besonders ausgezeichnet wurden, sowohl in ihrer Eigenschaft als Apostel
als auch in ihrer Eigenschaft als Seher. Der Apostel Paulus z.B. verkündete
den großen Abfall, das Offenbarwerden des Menschen der Sünde, das
Geheimnis über die zweite Gegenwart des Herrn, die Herrlichmachung der
Heiligen der letzten Generation im Augenblick des Abbruches der irdischen
Hütte, das in den vergangenen Zeiten und Zeitaltern verborgene Geheimnis
von der Miterbschaft der Herauswahl, einschließlich derer aus den
Nationen, an den dem Samen Abrahams geltenden Verheißungen, von der
Segnung aller Geschlechter der Erde durch diesen Samen usw. Paulus verkündigte
ferner, dass am Ende des Zeitalters schwierige Verhältnisse innerhalb der
Herauswahl vorherrschen, dass die Menschen das Vergnügen mehr lieben würden
als Gott, dass viele eine Form der Gottseligkeit haben, aber deren Kraft
verleugnen werden, dass es in der Herauswahl solche geben werde, die ihren
Bund (ihr Weihegelübde) brechen, dass verderbliche Wölfe („höhere
Kritiker“) der Herde des Herrn nicht schonen werden. Alle Schriften des
Paulus sind hell durchleuchtet von den ihm als Seher zukünftiger und zu
seiner Zeit noch nicht fälliger Dinge (2. Kor. 12:4) zuteil gewordenen
Gesichten und Offenbarungen. Einige dieser Dinge, von denen Paulus noch
nicht reden durfte, sind jetzt den Heiligen durch die Vorbilder und
Weissagungen des Alten Testamentes, die im Licht der Worte des Apostels
verständlich wurden, offenbar geworden, weil die rechte Zeit hierfür
gekommen ist.
Der Apostel Petrus seinerseits verkündigte
das Auftreten von Irrlehrern in der Herauswahl, die im Geheimen, ohne dass
es beachtet würde, schädliche Lehren einführen, ja, sogar die Lehre des
Lösegeldes leugnen würden. Mit Bezug auf unsere heutige Zeit sagt er:
„In den letzten Tagen werden Spötter mit Spötterei kommen ... und
sagen: Wo ist die Verheißung seiner (Christi) Gegenwart? (Parusia nicht
Ankunft, sondern Gegenwart).“ Er weissagte ferner, dass der Tag des
Herrn kommen werde wie ein Dieb in der Nacht usw.
Jakobus weissagte hinsichtlich des
Endes des Zeitalters: „Wohlan nun, ihr Reichen, weinet und heulet über
euer Elend, das über euch kommt! ... ihr habt Schätze gesammelt in den
letzten Tagen.“
Der vornehmste Seher und Prophet unter
den Aposteln ist jedoch Johannes; seine uns in der Offenbarung erhaltenen
Gesichte skizzieren in ganz hervorragender Weise die zukünftigen Dinge.
Die
Unfehlbarkeit der Apostel
Aus dem Vorhergehenden glauben wir mit
Recht schließen zu dürfen, dass die Apostel vom Herrn durch den Heiligen
Geist so geführt wurden, dass alle ihre öffentlichen Äußerungen von
Gott zur Ermahnung der Herauswahl eingegeben und nicht weniger maßgebend
waren als die Äußerungen der Propheten des Alten Bundes. Aber während
wir der Wahrhaftigkeit ihres Zeugnisses und dessen, dass alle ihre Äußerungen
an die Kirche göttliche Billigung haben, gewiss sind, tun wir doch wohl,
sorgfältig fünf verschiedene im Neuen Testament erwähnte Umstände zu
beachten, die mit der Annahme, die Apostel hätten sich in ihren Lehren
nicht geirrt, als im Widerspruch stehend betrachtet zu werden pflegen.
1. Die Verleugnung des Herrn durch
Petrus. Es ist nicht zu bestreiten, dass Petrus sich da einen sehr
schweren Fehltritt zuschulden kommen ließ, den er später aufrichtig
bereute. Aber wir sollten nicht vergessen, dass dieser Fehltritt, zwar
nach seiner Berufung zum Apostel, aber vor seiner Salbung mit dem Heiligen
Geist, die erst zu Pfingsten erfolgte und seine völlige Ernennung als
Apostel besiegelte, stattfand. Außerdem beschränken wir die
Unfehlbarkeit der Apostel auf ihre „öffentlichen“ Lehren und
Schriften; wir dachten dabei keineswegs an eine Unfehlbarkeit in allen
Kleinigkeiten und sonstigen Vorfällen des Lebens. In dieser Hinsicht
hatten sie ohne Frage teil am Fall Adams, wie alle anderen Menschen; ihre
„irdenen Gefäße“ waren eben auch schadhaft. Des Apostels Worte:
„Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen“ gelten sowohl ihm
selbst und den anderen Aposteln als auch allen sonstigen Auserwählten,
Gefäßen des Heiligen Geistes. Unser Anteil als Einzelwesen an dem großen
Versöhnungswerk unseres Meisters deckt diese Schwächen des Fleisches zu,
die den Wünschen der Neuen Schöpfung widerstreben.
Der Dienst der Apostel für den Herrn
und seine Herauswahl stand mit den Schwachheiten des Fleisches in keinem
Zusammenhang. Er wurde ihnen anvertraut, nicht weil sie vollkommene
Menschen waren, sondern „obwohl sie Menschen von gleichen
Empfindungen“ wie wir selbst waren. (Apg. 14:15) Ihr Dienst brachte
ihnen nicht Wiederherstellung - Vollkommenheit im Fleisch - sondern nur
eine neue Gesinnung und den Heiligen Geist, der sie leitete. Er machte
ihre Gedanken und Handlungen nicht vollkommen, sondern überwaltete sie
nur in der Weise, dass die „öffentlichen Lehren“ der Zwölf das Wort
des Herrn - d.h. unfehlbar sind. Dieser Art ist auch die vom Papst
beanspruchte Unfehlbarkeit, dass er nämlich, wenn er ex cathedra oder von
Amtes wegen redet, derart von Gott geleitet werde, dass er nicht irren könne.
Diese Unfehlbarkeit wird für die Päpste beansprucht, weil sie angeblich
auch Apostel seien. Aber die diesen Anspruch erheben, übersehen, dass die
Schrift bezeugt, es gebe nur „zwölf Apostel des Lammes“.
2. Von Petrus wird ein Fall erwähnt,
wo er heuchelte, sich zweideutig benahm. (Gal. 2:11-14) Darauf wird
wiederum verwiesen, um zu zeigen, dass die Apostel in ihrem Wandel nicht
unfehlbar waren. Wir geben dies ohne weiteres zu, da die Apostel es übrigens
selbst anerkannten (Apg. 14:15), und wir nur der Ansicht Ausdruck
verliehen haben, dass nicht zugelassen worden sei, dass diese
Schwachheiten des Fleisches ihr Werk oder ihre Brauchbarkeit als Apostel
beeinträchtigten, die „die gute Botschaft verkündigten mit dem vom
Himmel gesandten Heiligen Geist“ (1. Petr. 1:12; Gal. 1:11, 12), nicht
mit Menschenweisheit, sondern mit Weisheit von oben. (1. Kor. 2:5-16) Aus
dieser Verirrung brachte Gott Petrus rasch wieder durch den Apostel Paulus
zurecht, der ihm freundlich, aber mit Festigkeit ins Angesicht widerstand,
weil er zu tadeln war. Petrus nahm die Belehrung an und überwand rasch
seine Schwachheit, seine Vorliebe für die Juden, völlig. Das ist aus
seinen beiden Briefen klar ersichtlich, in denen sich keine Spur von
Schwanken in diesem Punkt oder eines Mangels am Festhalten der Anerkennung
des Herrn findet.
3. Es wird behauptet, die Apostel hätten
des Herrn Wiederkunft sehr bald, ja, schon zu ihren Lebzeiten erwartet;
hierin hätten sie sich eines Lehrfehlers schuldig gemacht, der das
Vertrauen in ihre Lehre überhaupt erschüttern müsse. Darauf antworten
wir, dass der Herr die Apostel hinsichtlich der Zeit seiner Wiederkunft
und der Aufrichtung seines Reiches in Ungewissheit ließ, und ihnen wie
allen anderen nur befahl zu wachen, damit, wenn der Augenblick gekommen
sei, sie es erkennen und nicht wie die Welt im Dunkeln sein möchten. Als
sie ihn nach seiner Auferstehung danach fragten, erhielten sie den
Bescheid: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen,
die der Vater in seine eigene Gewalt gesetzt hat.“ Können wir nun
daraus den Aposteln einen Vorwurf machen, dass sie etwas nicht wussten,
das Gott noch für einige Zeit als Geheimnis erklärte? Sicherlich nicht!
Um so weniger, als wir bemerken, dass die Führung des Heiligen Geistes
bei den Aposteln, wenn sie von den zukünftigen „Dingen“ redeten,
besonders an der Wahl der Ausdrücke bemerkbar ist. Ihre Worte nötigen
nicht zur Annahme, dass das Ereignis in ihren Tagen stattfinden müsse, um
sich als Erfüllung ihrer Weissagung auszuweisen, sondern das Gegenteil.
Petrus sagt z.B. ausdrücklich, dass er
seine Briefe zu dem Zweck geschrieben habe, damit sein Zeugnis auch nach
seinem Tod der Herauswahl verbleibe. (2. Petr. 1:15) Dies beweist klar,
dass er nicht bis zur Aufrichtung des Reiches zu leben erwartete. Paulus
erklärt freilich, die Zeit sei nahe, aber er sagt nicht wie nahe. Von
Gottes Standpunkt aus, da sieben Tausendjahrtage eine Woche ausmachen,
deren siebter Tag das Königreich bringen würde, war zur Zeit der
Abfassung der Briefe des Paulus mehr als zwei Drittel der Zeit des Wartens
schon vorbei. Genauso sagen wir am Donnerstag, die Woche sei bald um.
Paulus redet ferner von der Zeit seines Abscheidens, von seiner
Bereitwilligkeit, sein Leben zu lassen, von seinem Wunsch, es möchte ein
Ende nehmen. Er betont, dass der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht
kommen werde. Einigen unrichtigen Auffassungen tritt er mit den Worten
entgegen: „Lasset euch nicht schnell erschüttern in der Gesinnung, noch
erschrecken, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief als
durch uns, als ob der Tag des Herrn da wäre. Lasst euch von niemandem auf
irgendeine Weise verführen, denn dieser Tag kommt nicht, es sei denn,
dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde,
der Sohn des Verderbens ... Erinnert ihr euch nicht, dass ich dies zu euch
sagte, als ich noch bei euch war? Und jetzt wisset ihr, was zurückhält,
dass er zu seiner Zeit geoffenbart werde.“ - 2. Thess. 2:2, 3, 5, 6
4. Es wird geltend gemacht, Paulus habe
sich einer Abweichung von seiner Anschauung schuldig gemacht, als er den
Timotheus veranlasste, sich beschneiden zu lassen (Apg. 16:3), da er doch
selbst schreibe: „Ich, Paulus, sage euch, dass, wenn ihr beschnitten
werdet, Christus euch nichts nützen wird.“ (Gal. 5:2) Ob er sich denn
da nicht einer Irrlehre schuldig gemacht habe, der er selber zuwider
gehandelt habe, fragt man uns? Keineswegs. Timotheus war als Sohn eines jüdischen
Weibes an den Brauch der Juden, sich beschneiden zu lassen, der älter als
das Gesetz Moses war, gebunden. Dieser Brauch erhielt sich auch nachher
fort, nachdem „Christus dem Gesetz(-esbund) ein Ende gemacht hatte,
indem er es ans Kreuz nagelte.“ Die Beschneidung wurde Abraham als
Bundeszeichen gegeben für ihn und seinen Samen, 430 Jahre bevor Israel
als Nation am Sinai sein Gesetz erhielt. Petrus war als Apostel der
Beschneidung bestimmt, d.h. für die Juden, Paulus als Apostel bei der
Vorhaut, d.h. bei den Nationen. (Gal. 2:7, 8) Sein Ausspruch in Gal. 5:2
war nicht an die Juden gerichtet, sondern an die Nationen, und bei diesen
konnte der Wunsch, sich beschneiden zu lassen, keinen anderen Ursprung
haben, als den, dass gewisse Irrlehrer sie verwirrt und sie glauben
gemacht hatten, sie müssten, nachdem sie Christum angenommen hätten,
sich diesem jüdischen Brauch unterwerfen. Damit verleiteten jene
Irrlehrer sie, den Gnadenbund zu übersehen. Der Apostel zeigt in der
angeführten Stelle, dass, wenn sie sich wegen solcher Irrlehren
beschneiden ließen, dies für sie bedeute, dass sie den Gnadenbund
ablehnen und mithin das ganze Werk Christi verwerfen. Bei den Juden
hingegen hatte er nichts gegen das Festhalten an ihrem Brauch einzuwenden;
das geht nicht nur aus seinem Verhalten gegenüber Timotheus, sondern auch
aus 1. Kor. 7:18, 19 hervor. Nicht etwa, dass es für Timotheus oder
irgendeinen anderen Juden notwendig gewesen wäre, sich beschneiden zu
lassen. Aber da Timotheus vielfach mit Juden zu tun haben sollte, war es
nicht unpassend, dass er sich ihnen in diesem Punkt gleichstellte, denn es
erwarb ihm ihr Zutrauen. Im Fall des Titus hingegen, der ein Grieche war,
widerstand er aufs kräftigste denen, die ihn aus Missverständnis
beschnitten wissen wollten. – Gal. 2:3-5
5. Was in Apg. 21:20-26 von Paulus
berichtet wird, wird als mit der von ihm vertretenen Wahrheit in
Widerspruch stehend und als Grund dafür bezeichnet, dass so viel
Gefangenschaft über Paulus gekommen sei. Da sehe man, dass er sich
hinsichtlich seiner Lehren und seines Verhaltens geirrt habe. Aber die
Schrift gestattet diese Schlussfolgerung keineswegs. Sie zeigt vielmehr,
dass sich Paulus während dieser ganzen Zeit der Zustimmung der anderen
Apostel und der Gnade bei Gott erfreute. Was er damals tat, geschah gerade
auf Anraten der anderen Apostel. Dass ihn in Jerusalem Bande und Gefängnis
erwarteten, war ihm schon vorher geweissagt worden (Apg. 21:10-14), doch
aus Überzeugungstreue ging er ohne Zögern den angekündigten Widerwärtigkeiten
entgegen. Und mitten in ihnen stand ihm der Herr bei und sprach zu ihm:
„Sei guten Mutes! denn wie du von mir in Jerusalem gezeugt hast, so
musst du auch in Rom zeugen.“ (Apg. 23:11) Und von einer weiteren
Gunstbezeugung Gottes lesen wir (Apg. 27:23, 24): „Ein Engel des Gottes,
dessen ich bin und dem ich diene, stand in dieser Nacht bei mir und
sprach: Fürchte dich nicht Paulus! du musst vor den Kaiser gestellt
werden; und siehe, Gott hat dir alle geschenkt, die mit dir fahren.“
Angesichts dieser Tatsachen müssen wir
nach einer Erklärung für Paulus Gelübde suchen, die mit seinem
sonstigen mutigen und vornehmen Verhalten vereinbar ist, da Gott selbst
dies Gelübde nicht nur nicht tadelte, sondern direkt guthieß. Aus
Apostelgeschichte 21:21 erfahren wir, dass Paulus keineswegs gelehrt
hatte, gläubig gewordene Juden sollten ihre Kinder nicht beschneiden,
dass er das Gesetz Moses keineswegs verwarf, sondern im Gegenteil
hochhielt, als er zeigte, welche großen Dinge dadurch vorgeschattet
seien. „Das Gesetz ist gerecht und heilig und gut“ sind seine eigenen
Worte; aus dem Gesetz lernen wir die Verabscheuungswürdigkeit der Sünde
noch besser kennen; das Gesetz war so erhaben, dass kein gefallener Mensch
es völlig zu halten vermochte, dass Christus dadurch, dass er es hielt,
sich den verheißenen Lohn sicherte. Infolgedessen kann er unter dem
Gnadenbund ewiges Leben und Glück als freie Gabe solchen anbieten, die
nicht fähig sind, das Gesetz zu halten, aber durch Glauben seinen
vollkommenen Gehorsam und seinen Opfertod als Deckung für ihre
Unvollkommenheit annehmen und ihm auf dem Pfad der Gerechtigkeit
nachzuwandeln suchen.
Einige der jüdischen Zeremonien wie
das Fasten, die Beachtung der Neumonde, des Sabbats und des Sabbatjahres,
die Feier der Feste, waren Vorbilder von geistigen Wahrheiten des
Evangeliums-Zeitalters. Der Apostel zeigt deutlich, dass das Evangelium
des Gnadenbundes das Halten dieser Zeremonien weder befiehlt noch
verbietet; die einzigen Symbole, die uns das Evangelium zur Pflicht macht,
sind die Wassertaufe und das Gedächtnismahl. – Kol. 2:16, 17; Luk.
22:19; Matth. 28:19
Einer dieser jüdischen Bräuche, die
„Reinigung“, war es nun, den Paulus und seine vier Gefährten auf sich
nahmen. (Apg. 21:20-26) Als Juden hatten sie ein Recht darauf, wenn sie
wollten, nicht nur sich selbst Gott in Christo zu weihen, sondern auch das
Vorbild dieser Reinigung zu wiederholen. Die vier Gefährten des Paulus fügten
noch das Gelübde hinzu, sich vor dem Herrn und den Menschen durch
Abschneiden ihrer Haare zu demütigen. Vermutlich waren diese
vorbildlichen Maßnahmen mit einigen Kosten verbunden, die den Betrag
dessen ausmachten, was jeder zum Unterhalt des Tempels beizusteuern
verpflichtet war.
Niemals belehrte Paulus die Juden, sie
seien frei vom Gesetz; im Gegenteil: er erklärte, dass das Gesetz Gewalt
über einen jeden von ihnen habe, solange er lebe, dass aber, wenn ein
Jude Christum annehme und „mit ihm sterbe“, dies der Macht des
Gesetzes über ihn ein Ende und ihn selbst zu einem freien Menschen Gottes
in Christo mache. (Röm. 7:1-4) Die Gläubigen aus den Nationen aber
belehrte er, dass sie nie unter dem jüdischen Gesetzesbund gestanden hätten,
dass also Versuche ihrerseits, durch Beobachtung jüdischer Bräuche das
Gesetz zu halten, voraussetzen, dass sie auf jene Vorbilder, statt nur auf
das Verdienst Christi ihr Vertrauen setzten, um errettet zu werden. Damit
waren alle Apostel einverstanden. - Apg. 21:25; 15:20, 23-29
So sind wir also der Überzeugung, dass
Gott sich der zwölf Apostel in wunderbarer Weise bediente, dass er sie zu
fähigen Dienern der Wahrheit machte, dass er sie bei der Abfassung ihrer
Schriften auf übernatürliche Weise leitete, so dass nichts wegfiel, was
für den Menschen Gottes nützlich und notwendig war, so dass sie bei der
Auswahl ihrer Worte mit einer Weisheit zu Werke gingen, von der sie selbst
nichts wussten. Gott sei für die Beschaffung dieses festen Grundes
unseres Glaubens gedankt.
Die
Apostel nicht Herren über Gottes Erbteil
Sollen die Apostel in irgendeinem Sinne
als die Herren der Herauswahl angesehen werden? Mit anderen Worten:
Als der Herr, das Haupt, von ihnen
schied, nahm einer von ihnen da die Stelle des Hauptes ein? Oder bildeten
sie ein zusammengesetztes Haupt mit der Aufgabe, die Zügel der Regierung
zu ergreifen? Oder waren sie oder einige unter ihnen, was die Päpste in
Rom zu sein beanspruchen - Stellvertreter Christi in der Kirche, die da
ist sein Leib?
Auf solche Fragen antwortet Paulus mit
einem deutlichen Nein, wenn er schreibt: „Da ist ein Leib“ und „ein
Herr“ (Eph. 4:4, 5); welches daher auch die verhältnismäßige
Wichtigkeit einzelner Glieder an diesem einen Leib sein mag, nur einer
wird als Haupt anerkannt, nämlich der Herr Jesus. Dies lehrt auch der
Herr selbst sehr deutlich, wenn er zu den Jüngern und dem versammelten
Volk sagt: „Die Schriftgelehrten und die Pharisäer lieben ... von den
Menschen Rabbi genannt zu werden. Ihr aber, lasst ihr euch nicht Rabbi
nennen; denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder.“ (Matth.
23:1, 2, 6-8) Und an anderer Stelle sagt Jesus zu den Aposteln allein:
„Ihr wisset, dass die, welche als Regenten der Nationen gelten, über
dieselben herrschen, und ihre Großen Gewalt über sie üben. Aber also
ist es nicht unter euch; sondern wer irgend unter euch groß werden will,
soll euer Diener sein, und wer irgend von euch der erste sein will, soll
aller Knecht sein. Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um
bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld
für viele.“ – Mark. 10:42-45
So haben wir denn auch keine Andeutung
davon, dass die erste Kirche jemals die Apostel als ihre Herren angesehen
hätte, oder dass die Apostel selbst sich eine solche Stellung angemaßt hätten.
Ihr Gebaren war sehr verschieden von dem, was die Päpste später für ihr
Recht auf Herrschaft hielten, und von den Anschauungen der
hervorragendsten „Geistlichen“ der verschiedenen namenchristlichen
Kirchen. Niemals z.B. nannte sich Petrus selbst bei dem ihm von den Päpsten
zugedachten Titel „Fürst der Apostel“. Ebenso wenig gaben sich die
Apostel überhaupt gegenseitig irgendwelche Titel oder ließen sich solche
seitens der Herauswahl geben. Sie nannten sich einfach bei ihrem Namen
oder setzten ein „Bruder“ davor, wie sie dies auch den anderen
Heiligen gegenüber taten. (Apg. 9:17; 21:20; Röm. 16:23; 1. Kor. 7:15;
8:11; 2. Kor. 8:18; 2. Thess. 3:6, 15; Philemon 7, 16) Auch steht
geschrieben, dass sogar der Herr selbst sich nicht schämt, sie alle „Brüder“
zu nennen (Hebr. 2:11), so weit entfernt ist er von einem Geltendmachen
seiner doch tatsächlichen und als solche anerkannten Stellung als Herr
und Meister.
Auch ging keiner dieser leitenden
Diener der ersten Kirche im Priesterornate einher oder mit einem Kruzifix,
einem Rosenkranz oder dergleichen in Händen, die Verehrung der Leute
herausfordernd. Vielmehr hielten sie es gemäss den Worten des Herrn für
eine Folge und ein Vorrecht ihrer hervorragenden Stellung, auch am meisten
zu dienen. Als die Verfolgung in Jerusalem die dortige Versammlung
zerstreute, blieben die Elf mutig in Jerusalem zurück, bereit, zu tun,
was irgend zu tun sein würde, mit dem Gedanken daran, dass in dieser Prüfungszeit
die Herauswahl während der Zeit der Zerstörung von den in Jerusalem Zurückgebliebenen
Ermutigung und Hilfe erwarten würde. Wären auch sie geflohen, so hätte
sich wohl der ganzen ersten Kirche ein Unbehagen, ja, ein lähmender
Schrecken bemächtigt. Sie blieben auch, als Jakobus mit dem Schwert getötet,
als Petrus ins Gefängnis geworfen und an zwei Soldaten gekettet worden
war. (Apg. 12:1-6) Paulus und Silas ihrerseits ertrugen bei ihrem Dienst für
die Wahrheit viele Streiche; sie wurden ins Gefängnis geworfen und ihre Füße
in den Stock gelegt. Paulus ertrug überhaupt unsägliche Mühsale. - Apg.
16:23, 24; 2. Kor. 11:23-33
Sehen solche Menschen danach aus, als hätten
sie die Herren gespielt? Bestimmt nicht!
Petrus ist in diesem Punkt sehr
deutlich, wenn er den Ältesten rät, die Herde Gottes zu hüten. Er redet
nicht von ihrer Herde, von ihren Leuten, von ihrer Kirche, wie viele
„Geistliche“ heutzutage sagen, sondern er redet von der Herde Gottes.
Tut es, sagt er, „nicht als Herrschende über ihre Besitztümer, sondern
indem ihr Vorbilder der Herde seid“ - Vorbilder in Demut, Treue, Eifer
und Gottseligkeit. (1. Petr. 5:1-3) Und Paulus seinerseits sagt: „Mich dünkt,
dass Gott uns, die Apostel, als die Letzten dargestellt hat, wie zum Tode
bestimmt; denn wir sind der Welt ein Schauspiel geworden, sowohl Engeln
als Menschen. Wir sind Narren um Christi willen ... wir sind verachtet ...
wir leiden sowohl Hunger als Durst und sind nackt und werden mit Fäusten
geschlagen und haben keine bestimmte Wohnung und mühen uns ab, mit
unseren eigenen Händen arbeitend. Geschmäht, segnen wir; verfolgt,
dulden wir; gelästert, bitten wir, als Auskehricht der Welt sind wir
geworden, ein Auswurf aller bis jetzt.“ (1. Kor. 4:9-13) Nicht wahr, das
sieht in keiner Weise nach Herrschaft aus? Und einigen Brüdern
widerstehend, die dem Anschein nach über Gottes Erbe zu herrschen
suchten, sagt Paulus mit Ironie: „Schon seid ihr gesättigt, schon seid
ihr reich geworden; ihr habt ohne uns geherrscht.“ Dann aber ernst
werdend, rät er zum rechten Weg, zu dem Weg der Demut: „Ich bitte euch
nun, seid meine Nachahmer! Dafür halte man uns: für Diener Christi und
Verwalter der Geheimnisse Gottes.“ - 1. Kor. 4:1, 8, 16
Und wiederum schreibt derselbe Apostel:
„So wie wir von Gott bewährt worden sind, mit dem Evangelium betraut zu
werden, also reden wir, nicht um Menschen zu gefallen, sondern Gott, der
unsere Herzen prüft. Denn niemals sind wir mit einschmeichelnder Rede
umgegangen, wie ihr wisset, noch mit einem Vorwand für Habsucht, Gott ist
Zeuge; noch suchen wir Ehre von Menschen, weder von euch noch von anderen,
wiewohl wir als Christi Apostel euch zur Last sein konnten; sondern wir
sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine Amme ihre eigenen Kinder
pflegt.“ (1. Thess. 2:7) Die Apostel veröffentlichten keine Bullen,
taten niemanden in den Bann, sondern: „Gelästert, bitten wir“ (1.
Kor. 4:13); und: „Ich bitte dich, mein echter Jochgenosse“ (Phil.
4:3); und: „Einen Ältesten fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn.“
- 1. Tim. 5:1
Mit Recht schätzte die erste Kirche
die Frömmigkeit und Überlegenheit der Apostel an Weisheit und Erkenntnis
der geistlichen Dinge sehr hoch. Sie betrachtete sie als das, was sie tatsächlich
waren, nämlich als vom Herrn besonders auserwählte Boten. Darum saß sie
auch zu ihren Füssen und lernte. Doch taten dies die ersten Christen
nicht gedanken- und kritiklos, sondern vielmehr in der Absicht, die
Geister zu prüfen und ihr Zeugnis zu untersuchen. (1. Joh. 4:1; 1. Thess.
5:21; Jes. 8:20) Und die Apostel ermunterten sie bei ihrer Belehrung auch
dazu; sie sahen diese Geistesrichtung gern, die nach einer Grundlage ihrer
glorreichen Hoffnung forschte; sie waren bereit, auf solche Fragen zu
antworten, „nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit (mit
menschlichen Vermutungen), sondern in Erweisung des Geistes und der
Kraft“, auf dass der Glaube der Herauswahl „nicht beruhe auf
Menschen-Weisheit, sondern auf Gottes-Kraft.“ (1. Kor. 2:4, 5) Sie
bildeten nicht eine blinde und abergläubische Verehrung für sich selbst.
Von den Beröern lesen wir, dass sie
waren „edler, als die in Thessalonich; sie nahmen mit aller
Bereitwilligkeit das Wort auf, indem sie täglich die Schriften
untersuchten, ob dies sich also verhielte.“ (Apg. 17:11) Stets bemühten
sich die Apostel zu zeigen, dass die gute Botschaft, die sie verkündeten,
die gleiche sei, wie die von den alten Propheten in dunklen Worten angekündigte,
„welchen es geoffenbart wurde, dass sie nicht für sich selbst, sondern
für euch die Dinge bedienten, die euch jetzt verkündigt worden sind
durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist.“ (1. Petr. 1:10-12) Sie
bemühten sich zu zeigen, dass ihre Botschaft gerade das Evangelium des
Lebens und der Unsterblichkeit sei, das der Herr ans Licht gebracht hatte;
und dass die größere Ausführlichkeit und Einzelheiten ihrer Botschaft
dadurch möglich und mitteilbar geworden seien, dass der Heilige Geist sie
anleitet, sei es auf natürliche Weise, sei es durch übernatürliche
Mittel: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt
nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird
er euch in die ganze Wahrheit leiten.“ - Joh. 16:12, 13
Es war also durchaus am Platz, dass die
Beröer die Schriften durchforschten, um zu sehen, ob das Zeugnis der
Apostel mit dem des Gesetzes und der Propheten übereinstimmt, und auch
das war recht, dass sie die Lehre des Herrn mit der Schrift verglichen.
Unser Herr hat selbst dazu aufgefordert: „Erforschet die Schriften, ...
sie sind es, die von mir zeugen.“ Das ganze göttliche Zeugnis muss übereinstimmen,
sei es nun durch das Gesetz oder die Propheten, durch den Herrn oder die
Apostel verkündigt. Seine vollständige Übereinstimmung ist der Beweis
seiner göttlichen Eingebung. Dem Herrn sei Dank! Es stimmt überall, so
dass die Schriften des Alten und Neuen Testamentes nach der Bezeichnung
des Herrn selbst „die Harfe Gottes“ ausmachen. (Offb. 15:2) Die
verschiedenen Zeugnisse des Gesetzes und der Propheten sind die
verschiedenen Saiten jener Harfe; werden sie durch den Heiligen Geist, der
in unseren Herzen wohnt, abgestimmt und mit dem Finger der aufrichtigen
Diener und Forscher angeschlagen, so geben sie die herrlichsten Akkorde,
die je ein sterbliches Ohr gehört hat. Gott sei gelobt für diese
erhabene Melodie des „Liedes Moses und des Lammes“, das wir durch das
Zeugnis der heiligen Apostel und Propheten, deren größter der Herr Jesus
selbst ist, lernen!
Doch obwohl die Zeugnisse des Herrn und
der Apostel mit dem des Gesetzes und der Propheten stimmen müssen, so müssen
wir doch zu finden erwarten, dass sie neben dem Alten auch Neues bezeugen;
darauf deuten die Propheten selbst hin. (Psalm 78:2; 5. Mose 18:15, 18;
Dan. 12:9; Matth. 13:35, 52) So finden wir denn auch, dass sie nicht nur
die verborgenen Wahrheiten der alten Weissagungen erschlossen, sondern
auch neue, weitere Wahrheiten offenbarten.
Apostel,
Propheten, Evangelisten, Lehrer
Nach den in der Namenchristenheit
vorherrschenden Vorstellungen hätte der Herr für die Organisation der
Herauswahl Vorschriften hinterlassen, die mit den von ihm verfolgten
Zwecken unvereinbar wären, und von seinem Volk erwartet, dass es sich
nach eigener Weisheit eine Organisation schaffe. So haben denn viele Köpfe
mit vielen Sinnen mehr oder weniger straffe Organisationen geschaffen, so
dass nun die Namenchristenheit der ganzen Welt nach verschiedenen
Richtungen hin organisiert ist, und dies bald mit mehr, bald mit weniger
Steifheit. Eine jede Organisation aber hält sich für besser als die übrigen.
Das kommt aber von der unrichtigen, vernunftwidrigen Grundanschauung, als
hätte Gott, der doch schon vor Grundlegung der Welt von dieser Neuen Schöpfung
gewusst hat, in sträflicher Nachlässigkeit sein eigenes Volk ohne ein
klares Verständnis seines Willens und ohne die diesem genau
entsprechenden und zur Wohlfahrt der Neuen Schöpfung notwendigen
Anleitungen gelassen.
Die Menschen neigen entweder zur
Anarchie oder aber entgegengesetzt zu einer allzu festen Organisation. Die
göttliche Weisheit vermeidet beide Extreme und bezeichnet für die Neue
Schöpfung eine Organisation, die überaus einfach ist und jedem die größte
Freiheit lässt. Die Schrift selbst ermahnt auch jeden einzelnen Christen:
„Stehet nun fest in der Freiheit, mit welcher euch Christus freigemacht
hat, und lasset euch nicht wiederum unter einem Joch der Knechtschaft
halten.“ – Gal. 5:1
Um diese göttliche Anordnung
klarzulegen, müssen wir uns jedoch auf das Studium des göttlichen Wortes
beschränken und die Kirchengeschichte ganz unberücksichtigt lassen. Denn
der zuvor verkündigte Abfall begann schon zu der Zeit der Apostel und
machte nach deren Abscheiden sehr rasche Fortschritte, die nach wenigen
Jahrhunderten zum Papsttum führten. Das Neue Testament soll unter Hinzufügung
der Vorbilder des Gesetzes unsere einzige Quelle sein, doch müssen wir
bei letzteren uns stets vor Augen halten, dass sie nicht nur Dinge des
Evangeliums-Zeitalters, sondern auch solche des Tausendjahrreiches
vorschatten. Zum Beispiel: Der Versöhnungstag schattete das
Evangeliums-Zeitalter vor. An jenem Tag trug der Hohepriester nicht seine
herrlichen Kleider, sondern nur das weiße Priesterkleid. Dies deutet an,
dass während des Evangeliums-Zeitalters weder der Herr noch seine
Herauswahl eine in den Augen der Menschen hervorragende Rolle zu spielen
haben. Ihren Standpunkt, den der Gerechtigkeit, der Reinheit des Herzens
(der Wünsche), schattet das weiße Kleid vor, das im Fall der Kirche die
Gerechtigkeit unseres Herrn und Hauptes ist. Nach dem Versöhnungstag erst
zog der Hohepriester seine herrlichen Kleider an, in denen er nun den
herrlich gemachten Christus (Haupt und Leib) in seiner königlichen Würde,
die er im Tausendjahrreich bekleiden soll, darstellte; das Haupt ist der
Herr, der Leib sind seine Auserwählten, die herrlichen Kleider sind die
großen Ehren, die der ganzen königlichen Priesterschaft zuteil werden
sollen, wenn sie einmal erhöht ist. Die päpstliche Priesterschaft, die fälschlich
beansprucht, dass die Herrschaft Christi durch Priesterherrschaft ausgeführt
werde, dass die Päpste die Statthalter und die Kardinäle, Erzbischöfe
und Bischöfe die Kirche in Herrlichkeit und Macht darstellen, versucht, bürgerliche
und religiöse Herrschaft über die Welt auszuüben und ahmt die
Herrlichkeit und Würde der auserwählten Neuen Schöpfung durch das
Tragen prächtiger Ornate nach. Die wahre königliche Priesterschaft
indessen trägt nach wie vor nur das weiße Priesterkleid und harrt des
wahren Herrn der Kirche, der die Seinen in Wahrheit und Herrlichkeit, Ehre
und Unsterblichkeit kleiden wird, wenn einst das letzte Glied der
Herauswahl seinen Anteil am Opferwerk vollendet haben wird.
Im Neuen Testament also müssen wir
hauptsächlich nach der Organisation der Herauswahl in den Tagen ihrer
Niedrigkeit und ihres Opferdienstes Umschau halten. Dass ihre Regeln nicht
aneinander gereiht und nicht in Paragraphen abgeteilt sind, sollte uns
nicht davon abhalten zu erwarten, dass das Nötige vollständig vorhanden
ist. Wir müssen gegen verkehrte Vorstellungen ankämpfen und uns daran
erinnern, dass der aus Söhnen Gottes bestehenden Herauswahl ein
„vollkommenes Gesetz der Freiheit“ gegeben ist, weil die, die zu ihr
gehören, nicht mehr Knechte sind, sondern Söhne, und als Söhne Gottes
lernen müssen, von ihrer Freiheit als Kinder des Hauses richtigen
Gebrauch zu machen und dadurch zu zeigen, dass sie dem Gebot und den
Anforderungen der Liebe durchaus gehorsam sind und zu entsprechen suchen.
Der Apostel stellt uns ein Bild der
Neuen Schöpfung vor das geistige Auge, das den ganzen Gegenstand klar
macht. Dieses Bild ist der menschliche Körper. Das Haupt an ihm
entspricht dem Herrn, die übrigen Körperteile stellen die Herauswahl
dar. Im 12. Kapitel des 1. Korintherbriefes ist dies im einzelnen erläutert
und uns einfach die Erklärung gegeben: „Gleichwie der Leib einer ist
und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein
Leib sind: also auch der Christus (eine Körperschaft, bestehend aus
vielen Gliedern). Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib
getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder
Freie.“ (Verse 12, 13) Weiter macht der Apostel darauf aufmerksam, dass
das Wohlbefinden eines menschlichen Leibes auf dem einheitlichen
Zusammenwirken aller Organe beruht. So ist es auch mit der Kirche, dem
Leib Christi. Wenn ein Glied Schmerzen, Erniedrigung oder Ungnade leidet,
so werden, gewollt oder ungewollt, alle Glieder beeinflusst, und wenn ein
Glied besonders gesegnet, getröstet oder erfrischt wird, so werden
dementsprechend alle die Segnung teilen. Er zeigt (Vers 23), dass wir
versuchen, Schäden und Schwächen unseres natürlichen Körpers zu
verbergen, sie zu lindern und zu beseitigen, und dass es so auch mit der
Kirche, dem Leib Christi, sein sollte: Die verletzten Glieder sollten um
so reichlicher gepflegt und mit dem Mantel der Liebe zugedeckt werden, auf
dass keine Spaltung in dem Leibe sei, sondern die Glieder „dieselbe
Sorge füreinander haben möchten“ (Vers 25), für die geringsten wie für
die am meisten begünstigten Brüder.
Demgemäss ist die Organisation, die
der Herr für die Herauswahl bestimmt hat, durchaus vollständig. Aber wie
in der Natur, so ist auch in geistiger Beziehung kein Bedürfnis für Stützen
und Binden vorhanden, wenn die Organisation vollständig ist. Ein Baum ist
ein einheitlicher Organismus von der Wurzel bis zu den letzten Zweigen;
aber seine verschiedenen Äste sind nicht durch patentierte Verschlüsse,
durch Stricke, Schrauben, Regeln und Gesetze befestigt. In gleicher Weise
bedarf auch der Leib Christi keiner äußerlichen Binde- oder
Befestigungsmittel, wenn er sorgfältig nach den Richtlinien, die der Herr
vorgezeichnet hat, aufgebaut und einheitlich gestaltet worden ist. Er
bedarf keiner Vorschriften, keiner Glaubensbekenntnisse, keiner Vergnügungsveranstaltungen,
um zusammengehalten zu werden. Der eine Geist ist das Band der Einigkeit,
und solange der Geist des Lebens in den Gliedern bleibt, solange bleibt
auch die Einheitlichkeit des Leibes bestehen, und das Band der Einigkeit
wird in dem Maße stärker oder schwächer sein, als der Geist des Herrn
mehr oder weniger reichlich in uns wohnt.
Weiter zeigt der Apostel, dass Gott
alle Angelegenheiten dieser Körperschaft der Neuen Schöpfung, die er
selbst vorgesehen und ins Dasein gerufen hat, überwacht: „Ihr aber seid
Christi Leib, und Glieder insonderheit. Und Gott hat etliche in der
Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer,
sodann Wunderkräfte, sodann Gnadengaben der Heilungen, Hilfeleistungen,
Regierungen, Arten von Sprachen.“ - Verse 27, 28
Das wird für manche, die gewohnt sind,
sich selbst oder einander in Ehren- und Dienststellungen in die Kirche zu
setzen, etwas Neues sein, zu hören, dass Gott verheißen hat, dies unter
denen selbst zu besorgen, die sich nach seiner Führung umsehen und sich
von seinem Wort und Geist leiten lassen. Wenn dies erkannt würde, wie
wenige würden es dann wagen, nach den ersten Plätzen zu streben und sich
nach Art der Politiker wählen zu lassen! Aber um die göttliche Fürsorge
für die wahre Kirche zu erkennen, muss man erst die wahre Kirche von den
Namenkirchen zu unterscheiden vermögen, und alsdann in ehrfürchtiger und
demütiger Haltung den Willen Gottes hinsichtlich aller Einrichtungen,
Dienststellungen und Diener in der wahren Kirche zu erkennen suchen.
Der Apostel fragt: „Sind etwa alle
Apostel? alle Propheten? alle Lehrer?“ (Vers 29), was in sich schließt,
was jedermann zugeben wird, dass es nicht so ist, und dass jeder, der eine
dieser Stellungen einnimmt, irgendeinen Beweis dafür aufweisen sollte,
dass er von Gott dahin gesetzt sei, nicht um den Menschen, sondern dem großen
Aufseher der Kirche - ihrem Haupt und Herrn - zu gefallen. Der Apostel
macht uns darauf aufmerksam, dass diese Verschiedenheit in der Kirche der
Verschiedenheit unter den Gliedern des natürlichen Leibes entspreche,
deren jedes notwendig und keines zu verachten sei. Das Auge kann nicht zum
Fuße sagen: Ich bedarf deiner nicht, noch zum Ohre: Ich bedarf deiner
nicht, noch zur Hand: Ich bedarf deiner nicht. „Wenn aber alle ein Glied
wären, wo wäre der Leib?“ - Verse 19, 14
Gewiss, in der heutigen Zeit ist die
Mannigfaltigkeit der Glieder am Leibe Christi nicht mehr so groß. Denn,
wie der Apostel sagt, das „Zungenreden war ein Zeichen nicht für die,
welche glauben, sondern für die Nichtglaubenden“. So war es auch mit
den Wundern. Nachdem die Apostel, die allein imstande waren, diese Gaben
zu verleihen, gestorben waren, nachdem auch die ins Grab gesunken waren,
die die Gaben von ihnen erhalten hatten, hörten, wie wir schon sahen,
diese Gaben und Wunder in der Herauswahl auf, nicht aber die Gelegenheit für
Mann oder Weib, dem Herrn, der Wahrheit und den anderen Gliedern des
Leibes Christi nach Möglichkeit zu dienen. An die Stelle der Wunder trat
der Unterricht in der Wahrheit, in der Erkenntnis des Herrn und in den
Eigenschaften des Geistes. Schon damals, da diese geringeren Gaben des
Heilens, Zungenredens, Auslegens und Wundertuns noch vorhanden waren,
ermahnte der Apostel die Brüder, ernstlich nach den besten Gaben zu
trachten. - Vers 31
Nach der Apostelschaft konnten sie nun
nicht trachten, da es nur zwölf Apostel geben sollte; begehren oder wünschen
konnten sie, Propheten (Ausleger) oder Lehrer zu sein: „Und einen noch
vortrefflicheren Weg zeige ich euch“, leitet der Apostel mit Vers 31 das
folgende 13. Kapitel ein, in dem er zeigt, dass die Ehre, ein großes Maß
des Geistes der Herrn - Liebe - zu haben, weit größer ist als alle jene
Gaben in der Herauswahl. Er hebt hervor, dass das niedrigste Glied der
Versammlung, wenn es vollkommene Liebe habe, in den Augen des Herrn höher
stehe, als ein Apostel, Prophet oder Lehrer ohne Liebe stehen würde. Er
erklärt, dass jede Gabe, auch die höchste, ohne Liebe in den Augen des
Herrn hohl und ungenügend sei. Ja, wir können dessen gewiss sein, dass
niemand vom Herrn als Apostel, Prophet oder Lehrer anerkannt wird, der
nicht den Standpunkt vollkommener Liebe einnimmt oder doch wenigstens zu
erreichen trachtet. Sonst würden solche irregehen und Lehrer des Irrtums
anstatt der Wahrheit werden - Diener Satans, die Brüder zu sichten.
In seinem Brief an die Epheser
wiederholt der Apostel seine Erklärungen hinsichtlich der Einheit der
Kirche als eines Leibes von vielen Gliedern unter einem Haupt, das da ist
Jesus Christus, und zusammengehalten durch einen Geist, den Geist der
Liebe. Er ermahnt alle Glieder, ihrer Berufung würdig zu wandeln in aller
Demut und Sanftmut, mit Langmut einander ertragend in Liebe, sich zu
befleißigen, die Einheit des Geistes in dem Band des Friedens zu
bewahren. (Verse 2 und 3) Dann zählt der Apostel die verschiedenen
Glieder an jenem Leibe auf und zeigt uns ihren Zweck: „Er hat die einen
gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten
und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das
Werk des Dienstes (im Tausendjahrreich an den übrigen Menschen), für die
Auferbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zu der Einheit
des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen
Mann, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus; auf dass
wir ... die Wahrheit festhaltend in Liebe, in allem heranwachsen zu ihm
hin, der das Haupt ist, der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl
zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung ... für
sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in
Liebe.“ – Eph. 4:11-16
Wir gewahren das Bild, das der Apostel
für uns entwirft: Das Bild von einem kleinen unentwickelten menschlichen
Körper. Gottes Wille ist, dass sich alle Glieder voll und kräftig
entwickeln. Der „volle Wuchs des Mannes“ bedeutet die Herauswahl in
ihrer richtigen voll entwickelten Form. Während der vergangenen
Jahrhunderte ist ein Glied nach dem anderen entschlafen, wartend auf die
Ausgestaltung des Leibes am Millenniumsmorgen bei der ersten Auferstehung.
Doch traten immer wieder an die Stelle der Entschlafenen neue Gläubige,
so dass es der Herauswahl nie ganz an Vertretern gebrach, wiewohl bald die
Stärke, bald die Schwäche der Glieder vorherrschte. Dennoch musste zu
jeder Zeit jedes Glied sich bemühen, alles zu tun, was in seinen Kräften
stand, um den Leib aufzuerbauen, die Glieder zu stärken und in den
Gnadengaben des Geistes vollkommen zu machen - „bis wir alle zur Einheit
des Glaubens kommen.“
Einheit des Glaubens ist wünschenswert;
sie ist wert, dass wir uns darum bemühen; aber sie ist nicht das, was von
der Namenchristenheit im allgemeinen gesucht wird. Die Einheit, die
gesucht werden muss, ist die Übereinstimmung mit dem „einmal den
Heiligen überlieferten Glauben“ in seiner Reinheit und Einfachheit,
wobei jedes Glied hinsichtlich seiner Auffassung untergeordneter Punkte
frei bleibt, frei und unbeengt durch menschliche Lehrsysteme und
dergleichen. Die Schrift gründet die Einheit auf die Hauptlinien des
Evangeliums: 1. Unsere Erlösung durch das kostbare Blut und unsere
Rechtfertigung aus Glauben, 2. unsere Heiligung, unsere Weihung, unseren
Eintritt in den Dienst des Herrn und seiner Wahrheit; 3. wo die Einheit in
diesen beiden Punkten fehlt, kann von einer Einigkeit, wie die Schrift sie
versteht, nicht die Rede sein; in allen anderen Punkten soll jedem größte
Freiheit gelassen werden, die aber auch dazu benutzt werden soll, den Plan
Gottes in allen seinen Einzelheiten zu erkennen oder zu suchen, ihn
anderen zu erklären. So ist jedes Glied am Leibe Christi, bei voller persönlicher
Freiheit, dem Haupt und allen anderen Gliedern so ergeben, dass es ihm
eine Freude sein wird, sein Alles, ja, sein Leben, in deren Dienst
daranzugeben.
Wir haben schon gesehen, dass die
Apostel eine besondere Aufgabe hatten, dass ihre Zahl auf zwölf beschränkt
war, und dass sie ihren Dienst an der Herauswahl auch jetzt noch
verrichten, indem sie als Mundstücke des Herrn durch das Wort der Schrift
zu ihr reden. Nun wollen wir die anderen Dienststellungen etwas näher ins
Auge fassen, von denen der Apostel als von Gaben redet, die der Herr
seinem Leib, seiner Herauswahl, bestimmt hat.
Der Herr trifft Fürsorge für Apostel,
Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer zur Segnung des Leibes im
allgemeinen betreffs seiner gegenwärtigen und zukünftigen Wohlfahrt.
Jene, die sich ernstlich auf den Herrn als das Haupt, den Unterweiser und
Führer der Kirche stützen, müssen seine Gaben in allen diesen
Einzelheiten erwarten, nach ihnen ausschauen und sie bemerken; sie müssen
sie annehmen und benutzen, wenn sie den verheißenen Segen haben wollen.
Aufgezwungen werden sie der Herauswahl nicht, und wer sie gering schätzt,
der verliert sie eben. Der Herr setzte sie einst in der ersten Kirche ein
und stellte dadurch das Ideal der Organisation der Herauswahl vor unsere
Augen; aber sein Volk blieb frei, sich an dieses Vorbild zu halten und
dementsprechenden Segen davon zu haben, oder aber sich durch Abweichung
von dem Vorbild allerlei Schwierigkeiten und Enttäuschungen zuzuziehen.
Lasst uns, so wir anders vom Herrn geleitet und belehrt zu werden wünschen,
zu erkennen suchen, wie der Herr ursprünglich die verschiedenen Glieder
einsetzte, und welches die entsprechenden Gaben sind, die er seither
seinem Volk zukommen ließ, damit wir sehen, was zu unserer Verfügung
steht, und damit wir in Zukunft davon einen gewissenhafteren Gebrauch
machen.
Der Apostel erklärt, dass es des Herrn
Wohlgefallen sei, dass keine Spaltung an seinem Leibe sei. Menschliche
Methoden aber führen unwillkürlich zu Spaltungen, und bei starkem Übergewicht
der einen über die anderen, wie dies beim päpstlichen System der Fall
ist, führt dies zur Verfolgung der nicht Einverstandenen. Dies mag eine
Zeitlang äußerliche Einheit erzwingen, aber das war nicht die vom Herrn
gewollte Einigkeit der Herzen. Wen der Sohn frei macht, der kann nicht von
Herzen an menschlichen Systemen teilnehmen, die die persönliche Freiheit
zunichte machen. Die Protestanten kranken in Tat und Wahrheit nicht daran,
dass ihre größere Freiheit die Bildung vieler Teilkirchen ermöglichte,
sondern daran, dass sie noch viel von dem Geist des Muttersystems behalten
haben, aber der Machtmittel entbehren, die es jenem ermöglichten, die
Gedankenfreiheit zunichte zu machen. Es wird ohne Zweifel viele überraschen,
wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, dass der Spaltungen dieser Art
nicht zu viele sind, sondern dass die wahre Kirche Christi noch mehr
Freiheit bedarf, bis jedes einzelne Glied völlig frei von allen
menschlichen Fesseln, Glaubensbekenntnissen usw. dastehen kann. Wenn jeder
einzelne Christ in der Freiheit stehen würde, mit der Christus ihn frei
gemacht hat (Gal. 5:1; Joh. 8:32), und jeder einzelne Christ dem Herrn und
seinem Wort treu verbunden bliebe, so würde die ursprüngliche Einheit,
wie die Schrift sie vorgezeichnet hat, sofort bemerkbar werden, und alle
wahren Kinder Gottes, alle Glieder der Neuen Schöpfung, würden sich
zueinander hingezogen fühlen, vollständig frei und doch miteinander
durch das Band der Liebe verbunden, das unendlich stärker ist als alle
Fesseln menschlicher Systeme oder Religionsgemeinschaften. „Die Liebe
des Christus drängt uns (hält uns zusammen).“ - 2. Kor. 5:14
Alle Glieder der Familie Aarons waren
als Priester wählbar, doch gab es gewisse Hindernisse für die Bekleidung
der Priesterwürde. So ist es auch im Gegenbild, in der königlichen
Priesterschaft. Alle sind Priester, alle sind Glieder der gesalbten Körperschaft,
und diese Salbung bedeutet für jeden Einzelnen, der gesalbt ist, das
Recht, die frohe Botschaft zu verkündigen und zu lehren, wie geschrieben
steht: „Der Geist des Herrn, Jehovas, ist auf mir, weil Jehova mich
gesalbt hat, um den Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen, weil er mich
gesandt hat, um zu verbinden die zerbrochenen Herzens sind“ usw. (Jes.
61:1) Freilich beziehen sich diese Worte besonders auf das Haupt des
Christus, der Neuen Schöpfung, der königlichen Priesterschaft; sie
beziehen sich aber auch auf alle Glieder, und daher hat in gewissem Sinne
jedes geweihte Kind Gottes durch seine Salbung mit dem Heiligen Geist den
Auftrag oder die Berechtigung erhalten, das Wort zu predigen, „die
Tugenden dessen zu verkündigen, der euch berufen hat aus der Finsternis
zu seinem wunderbaren Licht.“ - 1. Petr. 2:9
Aber wie von den vorbildlichen
Priestern gefordert wurde, dass sie von gewissen körperlichen Schäden
frei sein und ein gewisses Alter erreicht haben mussten, so sind auch
unter den Gliedern der königlichen Priesterschaft einige, denen die
Eigenschaften für öffentlichen Dienst, die andere besitzen, fehlen.
Jeder prüfe sich selbst, um Klarheit darüber zu bekommen, welches das Maß
der ihm von Gott gewordenen Gnadengaben und somit, welches sein Dienst und
seine Verantwortlichkeit sei. (Röm. 12:2, 3) Gleicherweise sollten auch
alle Glieder die natürliche und geistigen Veranlagung eines jeden, und
dadurch den Willen Gottes hinsichtlich der Stellung und Aufgabe eines
jeden, zu erkennen suchen. Dem Alter im Vorbild entspricht im Gegenbild
Erfahrung und Charakterfestigkeit; dem Gebrechen des Schielens ein Mangel
an Einsicht und Verständnis geistiger Dinge, was für öffentlichen
Dienst in der Herauswahl hinderlich sein würde. Gleicherweise würden
andere körperliche Gebrechen verschiedene andere geistige Mängel in der
gegenbildlichen Priesterschaft darstellen. Wie aber im Vorbild die körperlich
entstellten Priester dennoch Anspruch auf ihren Anteil an den Schaubroten,
am Opferfleisch und dergleichen hatten, so auch im Gegenbild. Jene
geistigen Mängel, die das eine oder andere Glied des Leibes Christi für
den öffentlichen Dienst unfähig machen, schließen es keineswegs von den
übrigen Vorrechten aller königlichen Priester aus. Sie haben gleich
allen anderen ein volles Recht auf einen Platz am Tische des Herrn, auf
den Thron der Gnade, auf Weiterentwicklung ihrer geistigen Eigenschaften
und auf Anerkennung seitens der anderen Glieder. Wie keiner im Vorbild
Hohepriester werden konnte, er wäre denn körperlich wohlgebildet und hätte
ein bestimmtes Altersjahr erreicht, so sollte, wer in Wort und Lehre der
Wahrheit dienen möchte, kein Neuling sein, sondern ein Glied am Leibe,
das sich durch Charakterreife, Erkenntnis und Früchte des Geistes als für
solchen Dienst geeignet ausgewiesen hat. Solche sollten als Älteste
anerkannt werden, ohne dass sie deshalb notwendigerweise auch der Zahl der
Jahre nach Älteste wären; den Ausschlag sollten ihre Erfahrenheit und
Reife in bezug auf die Wahrheit und ihre Fähigkeit, die Brüder gemäss
dem Worte des Herrn zu belehren und zu ermahnen, geben.
Wenn wir die Bezeichnung „Älteste“
so verstehen, tritt das Vernunftgemäße der Forderung der Schrift klar
zutage, dass alle, die den geistigen Dienst an der Wahrheit versehen, als
„Älteste“ bezeichnet werden sollen, ob sie nun ihren Dienst tun als
Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten oder Lehrer. Um eine dieser
Stellungen zu bekleiden, muss einer zunächst von der Versammlung als Ältester
anerkannt werden. So bezeichnen sich auch die Apostel als Älteste. - 1.
Petr. 5:1; 2. Joh. 1
Wir kommen nun zu den Bezeichnungen der
verschiedenen Ältesten in den verschiedenen Dienststellungen.
Älteste
als „Bischöfe“
Diese
Bezeichnung ist infolge ihrer unrichtigen Anwendung in verschiedenen
Namenkirchen irreführend. Wir müssen daher zunächst feststellen, dass
das griechische Wort für Bischof, episkopos, nichts weiter bedeutet als
Aufseher. Jeder bestellte Älteste war als Aufseher eines kleineren oder
größeren Werkes anerkannt. Demnach redet auch der Apostel die Ältesten
der Versammlung in Ephesus als Aufseher (Bischöfe) an, indem er ihnen zum
Abschied sagt: „Habet nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde,
in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher gesetzt hat.“ - Apg.
20:28
Unter des Herrn Vorsehung nun wurde
einigen dieser Ältesten ein größeres Gebiet zur Beaufsichtigung und
Beeinflussung zuerkannt; wir könnten sie daher etwa als Oberaufseher
bezeichnen. Dazu gehören zunächst alle zwölf Apostel; der Apostel
Paulus z.B. hatte die Oberaufsicht über die Versammlungen in Kleinasien
und Südeuropa. Aber auf diese Zwölf blieb der Dienst der Oberaufseher
nicht beschränkt; der Herr erweckte deren noch andere, der Versammlung zu
dienen, „nicht um schnöden Gewinnes willen, sondern bereitwilligen
Geistes“, andere, die bereit waren, dem Herrn und den Brüdern zu
dienen. Zuerst trat Timotheus solchen Dienst unter der Leitung des
Apostels Paulus an, aber teilweise auch als sein Vertreter, und er wurde
verschiedenen Versammlungen unter dem Volk Gottes als solcher empfohlen.
Der Herr war und ist noch jetzt vollauf berechtigt, ja weise und überhaupt
fähig, solche Aufseher zu erwecken, die er aussendet, um seine Herde zu
leiten und zu ermahnen. Und das Volk des Herrn sollte durchaus in der Lage
sein, den Wert oder Unwert der Leitung solcher Aufseher zu ermessen. Sie
sollten sich durch einen gottseligen Wandel, demütiges Auftreten und den
Geist der Opferwilligkeit ausweisen, durch Freisein von Ehr- oder
Gewinnsucht, durch Belehrung, die vor der schriftgemäßen Erprobung
standhalten kann. Die Herde sollte täglich in den Schriften forschen, um
zu sehen, ob das, was die Aufseher vorgebracht, denn auch mit dem
Buchstaben und Geist des göttlichen Wortes stimme. So wurden, wie wir
sahen, die Lehren der Apostel erprobt, und die Apostel sahen es gerne und
wiesen zur Nachahmung auf das Beispiel derer hin, die sorgfältig, aber
weder hinterlistig noch splitterrichterlich forschten. - Apg. 17:11
Trotz dieser Anleitung trat, soweit uns
die Geschichte der Namenkirche belehrt, der Geist der Eifersucht und
Ehrliebe bald an die Stelle des Geistes demütiger Dienstbereitschaft und
Selbsthingabe, und Aberglaube und Schmeichelgeist trat an die Stelle der
Schriftforschung. Dies machte die Aufseher immer herrschsüchtiger; sie
forderten mehr und mehr Gleichberechtigung mit den Aposteln. Schließlich
fingen sie an, unter sich Ehre voneinander zu nehmen, und denen dies am
besten gelang, die wurden dann Erzbischöfe genannt. Die
Rangstreitigkeiten unter letzteren führten schließlich zur Erhebung
eines unter ihnen zum Papst. Dieser Geist hat seither mehr oder weniger
gewaltet, nicht in der Papstkirche allein, sondern auch unter allen denen,
die, ohne zu ihr zu gehören, durch ihr Beispiel irregeleitet worden sind,
weit weg von der Einfachheit der ursprünglichen Einrichtung.
Infolgedessen gilt denn auch heutzutage eine Organisation, wie die der
ersten Kirche, ohne Sektennamen und ohne Ehrenstellen, Würden und
Beherrschung der vielen durch wenige, ohne Unterscheidung zwischen
Geistlichen und Laien, überhaupt nicht als Organisation. Wir aber sind glücklich,
uns unter diesen Verachteten zu befinden, dem Beispiel der ersten Kirche möglichst
zu folgen und dementsprechend ähnliche Vorteile und Freiheiten zu genießen.
Wie die Ältesten in der Versammlung
deren Aufseher, Besorger und Bewahrer sein sollten, bald in größerem,
bald in geringerem Umfang, so kann ein jeder für sich, unter Anwendung
seiner Fähigkeiten und Gelegenheiten, der Herde dienen; einer als
Evangelist, dessen Aufgaben ihm zusagen und gestatten, den Anfängern in
der Wahrheit weiterzuhelfen und die zu finden, die hörende Ohren haben;
ein anderer als Hirte, wenn er sich durch seine Umgangsformen dazu eignet,
für die persönliche, geistige Wohlfahrt der Kinder Gottes zu sorgen
durch Hausbesuche, ermutigende, stärkende Worte, sie zusammenhaltend und
vor den Wölfen in Schafskleidern schützend, die sie beißen und
verschlingen würden.
Auch die „Propheten“ müssen sich
zu ihrem besonderen Dienst eignen. Das Wort „Prophet“ wird heutzutage
im allgemeinen nicht mehr in seinem weiten Sinne gebraucht, den es im
Altertum hatte. Jetzt versteht man unter einem Propheten einen Seher, der
die Zukunft voraussagt. Seiner Ableitung nach bezeichnet aber das
griechische Wort „Prophet“ einen Redner oder jemand, der öffentlich
spricht. Ein Seher, jemand, der Offenbarungen empfängt, kann auch ein
Prophet sein, wenn er seine Gesichte verkündet; aber die beiden Begriffe
(Seher und Prophet) sind nicht gleichbedeutend und scharf auseinander zu
halten. Im Falle Moses und Aarons war Mose, als Gottes Stellvertreter, der
bedeutendere; darum sagte ihm auch der Herr: „Siehe, ich habe dich dem
Pharao zum Gott (Elohim, zum Mächtigen, Überlegenen) gesetzt, und dein
Bruder Aaron soll dein Prophet (Herold, Mundstück) sein.“ (2. Mose 7:1)
Dass einige der Apostel in dem Sinne Seher waren, dass ihnen zukünftige
Dinge zur Kenntnis gebracht wurden, haben wir schon gesehen; jetzt
bemerken wir, dass sie fast alle auch Propheten, d.h. Redner waren,
insbesondere Paulus und Petrus. Aber neben ihnen gab es viele andere öffentliche
Redner (d.h. Propheten). Barnabas z.B. war einer, und in Apg. 15:32 lesen
wir: „Und Judas und Silas, die auch selbst Propheten waren, ermunterten
die Brüder mit vielen Worten.“
Nirgends deutet die Schrift an, dass
jemand, der sich für einen bestimmten Dienst nicht eignen würde, als von
Gott dazu gesetzt gelten solle, wozu ihm die nötigen Eigenschaften
fehlen. Es ist vielmehr soviel wie eine Pflicht, dass im Leib Christi ein
jedes Glied dem anderen nach seinen Fähigkeiten diene, und jeder sollte
bescheiden und demütig genug sein, „nicht mehr von sich zu halten, als
sich zu halten gebührt, sondern nüchtern zu sein“, die ihm von Gott
gewordenen Pfunde richtig abzuschätzen. Auch sollte die Versammlung
solche, die die Größten zu sein wünschen, nicht schon um dieses
Wunsches willen als die Größten betrachten; im Gegenteil sollte
Niedriggesinntsein (Demut) als Kennzeichen derer gelten, die als Älteste
oder sonst zu einem Dienst berufen würden. Wenn also in einer Versammlung
zwei Brüder gleich begabt sind, der eine aber ist ein ehrgeiziger
Streber, der andere hält sich demütig zurück, dann wird der Geist des
Herrn, der der Geist der Weisheit und des gesunden Sinnes ist, das Volk
des Herrn treiben, den demütigen Bruder als jenen anzusehen, den der Herr
besonders begünstigen wollte, und den Wunsch entstehen lassen, er möchte
im Dienst eine hervorragende Stellung einnehmen.
Es scheint weniger verwunderlich, dass
„Böcke“ oder bockähnliche Schafe nach der Führerschaft in der Herde
des Herrn streben, als dass die wahren Schafe, die die Stimme des Hirten
und seinen Geist kennen und seinen Willen zu tun suchen, es zulassen, dass
solche Böcke oder bockähnliche Schafe sich zu Führern aufwerfen. Es ist
schon recht, dass wir nach Möglichkeit mit allen Menschen Frieden haben;
aber wo wir um des Friedens willen das Wort und den Geist des Herrn übersehen,
da werden wir sicher größeren oder kleineren Schaden davon haben. Es ist
ganz recht, dass alle gelehrig sind und sich wie Schafe führen lassen;
aber es ist auch notwendig, dass die Schafe Charakter und Urteil haben,
sonst können sie nicht Überwinder werden, und wenn sie Charakter haben,
sollten sie sich der Worte des Oberhirten erinnern: „Meine Schafe hören
meine Stimme (gehorchen ihr) ... und folgen mir. Einem Fremden aber werden
sie nicht folgen ... weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen.“
(Joh. 10:27, 5) Es ist daher die Pflicht aller Schafe, auf die Botschaft
und das Gebaren eines jeden Bruders zu achten, bevor sie dazu bereit sind,
ihn zu einem Aufseher über eine oder mehrere Versammlungen zu machen. Sie
sollten sich zuerst davon überzeugen, ob er auch die Eigenschaften hat,
die ein Ältester in der Versammlung haben muss, dass er die Grundlehren
des Evangeliums - die Versöhnung, Erkaufung durch das kostbare Blut
Christi und die völlige Weihung zum Dienst für ihn, sein Wort und seine
Brüder - auch recht erfasst habe. Sie sollten den Schwächsten unter den
Lämmlein und allen geistig oder sittlich lahmen Schafen Mitleid und Liebe
erzeigen: aber solche „lahmen Schafe“ zu Führern und Ältesten zu erwählen,
das wäre der göttlichen Anordnung entgegengehandelt. Sie sollten keine
Zuneigung empfinden für Böcke oder Wölfe in Schafskleidern, die in die
Versammlung eindringen und Autorität verlangen. Sie sollten erkennen,
dass es für die Versammlung vorteilhafter ist, gar keinen öffentlich
dienenden Bruder zu haben, als einen glattzüngigen „Bock“ zum Leiter
zu machen, der die Herzen nicht zur Liebe zu Gott anleiten, sondern auf
Abwege führen würde. Vor solchen warnte der Herr die Versammlung; der
Apostel sagt: „Aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte
Dinge reden (falsche, irreleitende Lehren vorbringen), um die Jünger
abzuziehen hinter sich her“ (sich Anhänger zu gewinnen), Leute, um
welcher willen „der Weg der Wahrheit verlästert werden wird.“ - Apg.
20:30; 2. Petr. 2:2
So sehen wir es heute. Viele predigen
sich selbst, anstatt die gute Botschaft vom Reich; sie ziehen Jünger
hinter sich und ihren „kirchlichen“ Bezeichnungen her, anstatt sie als
Glieder des Leibes Christi ihrem Herrn zuzuführen und mit ihm zu
verbinden. Sie trachten danach, als Häupter der Versammlungen angesehen
zu werden, anstatt alle Glieder anzuweisen, auf den Herrn selbst als auf
das Haupt zu sehen. Von allen solchen sollten wir uns wegwenden; die
wahren Schafe sollten sie auf ihrem Irrwege nicht ermutigen. Sie sind es,
von denen der Apostel (2. Tim. 3:5) sagt, dass sie eine Form der
Gottseligkeit haben, aber deren Kraft verleugnen. Sie sind kraftvolle
Verfechter für Feiertage, gottesdienstliche Formen und Veranstaltungen,
„kirchliche“ Obrigkeiten und dergleichen mehr, und werden dafür von
ihren Mitmenschen hoch geehrt, aber dem Herrn sind sie ein Greuel, wie der
Apostel sagt. Die wahren Schafe müssen nicht allein alle Sorgfalt
anwenden, die Stimme des wahren Hirten zu erkennen und ihm zu folgen,
sondern auch darauf Sorgfalt verwenden, denjenigen, die sich selbst
suchen, nicht zu folgen, ihnen weder Unterstützung noch Ermutigung
zukommen zu lassen. Wer als Ältester in der Versammlung in Frage kommen
soll, muss des Zutrauens würdig sein; er darf, wie der Apostel sagt,
nicht „ein Neuling“ sein. Ein Neuling kann der Versammlung schaden und
selber Schaden leiden, indem er sich aufblähen, vom Herrn und seinem
Geist, dem schmalen, zum Reich führenden Pfad abirren könnte.
Der Apostel Paulus (1. Tim. 3:2; 5:17;
1. Thess. 5:12; Jak. 5:14) gibt ausführlich Bescheid auf die Frage,
welche von der Versammlung als Älteste anerkannt werden sollen, indem er
deren Charakter usw. beschreibt. (1. Tim. 3:1-7 und Titus 1:5-11). Und
Petrus schreibt über diesen Gegenstand: „Die Ältesten, die unter euch
sind, ermahne ich, der Mitälteste: ... Hütet die Herde Gottes, die bei
euch ist, indem ihr die Aufsicht führet ... nicht um schändlichen
Gewinn, sondern bereitwillig, nicht als die da herrschen über ihre
Besitztümer, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid.“ - 1. Petr.
5:1-3
Die Ältesten sollen edel denkende
Menschen sein, die untadelig wandeln, nicht mehr als ein Weib haben, und
wenn sie Kinder haben, so sollte an diesen beobachtet werden, wie viel
guten Einfluss sie in ihren eigenen Familien haben. Denn es sollte vernünftigerweise
geschlossen werden, dass, wenn es jemand mit seinen Pflichten seinen
Kindern gegenüber nicht genau nehme, er auch an den Kindern des Herrn in
der Versammlung, der Herauswahl, nachlässig und unklug handeln würde. Er
sollte nicht doppelzüngig und streitsüchtig sein und auch von denen, die
draußen sind, ein gutes Zeugnis haben; nicht in dem Sinne, dass die Welt
die Heiligen je lieben oder richtig schätzen würde, aber doch so, dass
sie nicht imstande sei, auf einen Mangel an Ehrenhaftigkeit,
Aufrichtigkeit, Sittlichkeit und Wahrhaftigkeit hinzuweisen.
Die Schrift beschränkt die Ältesten
nicht auf eine bestimmte Anzahl in jeder Versammlung, wohl aber verlangt
sie, dass der Älteste „fähig sei zu lehren“, d.h. er muss imstande
sein, den Plan Gottes darzulegen und zu erklären und dadurch der Herde
Gottes in Wort und Lehre behilflich zu sein. Er braucht sich deshalb noch
nicht zum öffentlichen Redner („Propheten“) eignen; es können sich
in ein und derselben Versammlung mehrere befinden, die fähig sind zu
lehren, Hausbesuche zu machen oder sonst Aufgaben eines Ältesten zu erfüllen,
und die doch nicht die nötige Fähigkeit haben, den Plan Gottes in öffentlichen
Vorträgen zu verkündigen. Jede Versammlung sollte es dem Herrn zutrauen,
dass er soviel Diener wie notwendig sind, erwecken werde; da, wo er keine
erweckt, sollte an der Notwendigkeit, Propheten zu haben, gezweifelt
werden. Wir möchten hier beiläufig bemerken, dass sich solche
Versammlungen ohne Propheten gerade unter den blühendsten befinden, was
daher kommt, dass in solchen das Bibelforschen Regel und nicht Ausnahme
ist. Die Schrift zeigt deutlich, dass es in der ersten Kirche so gehalten
wurde. Wenn sie zusammenkamen, wurde jedem eine Gelegenheit geboten,
gerade mit seiner Gabe den anderen zu dienen; der eine sprach, andere
beteten, und viele, wenn nicht alle, konnten singen. Die Erfahrung scheint
zu beweisen, dass die Versammlungen, die sich am genauesten an dieses
Vorbild halten, auch am meisten Segen haben und starke Charaktere
heranbilden. Wo nur zugehört wird, da macht der Vortrag, auch wenn er
noch so gut und formvollendet ist, nicht soviel Eindruck auf das Herz, als
wenn der einzelne auch über das Gehörte mitreden darf, wozu er in jeder
richtig geleiteten Versammlung die Lust und den Mut finden sollte.
Andere Älteste sind vielleicht weniger
geeignet zu lehren, aber um so mehr öffentlich zu beten und Zeugnis
abzulegen, was in den verschiedenen Zusammenkünften des Volkes Gottes
auch stattfinden sollte. Wer das Ermahnen und Aufmuntern gut versteht,
sollte dies üben, anstatt sich auf anderen Gebieten abzumühen, für die
er sich nicht besonders eignet. Der Apostel sagt: „Es sei, der da
ermahnt, in der Ermahnung“ (Röm. 12:8), d.h. er soll die ihm verliehene
Gabe in den Dienst der Versammlung stellen; „der da lehrt, in der
Lehre“ (Röm. 12:7), d.h. wer es versteht, die Wahrheit verständlich zu
machen, der benutze jede Gelegenheit, es zu tun.
Wie die Bezeichnung „Bischof“ oder
Aufseher sehr umfassend ist, so auch die Bezeichnung „Hirte“. Nur ein
Ältester ist in der Lage, ein Hirte zu sein. Ein Hirte ist ein Aufseher
der Herde; beide Bezeichnungen sind somit soviel als gleichbedeutend. Der
Herr Jehova ist unser Hirte im weitesten Sinne des Wortes (Psalm 23:1);
und sein eingeborener Sohn, unser Herr Jesus, ist der große Hirte und
Bischof (Aufseher) unserer Seelen, aller Schafe der Herde, wo immer sie
seien. (1. Petr. 2:25) Die allgemeinen Aufseher (die „Pilgrime“) sind
alle Hirten, indem sie die Interessen der Gesamtversammlung wahrnehmen,
und jeder Älteste einer örtlichen Versammlung ist ein Hirte für die
„Schafe“ seines Wohnortes. So ist leicht zu erkennen, dass bestimmte
allgemeine Eigenschaften für die Ältestenstellung erforderlich sind, und
dass unter den als Ältesten anerkannten Gliedern der Herde dann die natürlichen
Anlagen eines jeden bestimmen sollten, mit welchem Dienst er betraut
werden kann, damit die Sache des Herrn den größten Vorteil davon habe.
So werden die einen als Evangelisten (Verkündiger der guten Botschaft in
der Welt), die anderen als Hirten derer, die die gute Botschaft schon gehört
und angenommen haben, sei es für eine oder mehrere Ortsversammlungen,
Beschäftigung finden.
Wir lesen: „Die Ältesten, welche
wohl vorstehen, lass doppelter Ehre würdig geachtet werden, sonderlich
die da arbeiten in Wort und Lehre.“ (1. Tim. 5:17) Gestützt auf diese
Worte hat die Namenkirche eine Kaste von Vorstehern eingesetzt und
verlangt, dass ihnen mehr oder weniger ausgedehnte Herrscherrechte gegenüber
den Brüdern zuerkannt werden. Das „Vorstehen“ so aufzufassen, ist
aber durchaus schriftwidrig. Timotheus, der die Stellung eines
Oberaufsehers einnahm, wird z.B. von Paulus ermahnt: „Einen Ältesten
fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn als einen Vater.“ „Ein Knecht
des Herrn aber soll nicht streiten, sondern gegen alle milde sein.“ (1.
Tim. 5:1; 2. Tim. 2:24) Das sieht nicht nach Ausbeutung von
Herrscherrechten aus; Milde, Freundlichkeit, Langmut, brüderliche und
allgemeine Liebe müssen an allen wahrgenommen werden, die als Älteste
gelten sollen. Sie müssen in jeder Beziehung Vorbilder der Herde sein. Wären
sie herrschsüchtig, so gäben sie mithin der ganzen Herde das Beispiel
der Herrschsucht; sind sie aber milde, langmütig, geduldig, freundlich
und liebevoll, so werden sie eben der Herde diese Eigenschaften vorleben.
Die eben angeführte Stelle (1. Tim. 5:17) deutet im griechischen Text an,
dass die Ältesten um so größerer Ehre würdig geachtet werden sollen,
je treuer sie der von ihnen übernommenen Aufgabe obliegen. Wir dürfen
daher die Stelle so umschreiben: Die hervorragenden Ältesten lass
doppelter Ehre würdig geachtet werden, besonders jene, die unter der Last
des Predigens und Lehrens beinahe erliegen.
Die
Diener – Diakone
Das griechische Wort „Diakon“
(Diener) hat eine ähnliche Wandlung seiner Bedeutung erlebt, als das Wort
„Episkopos“ (Aufseher). Wie aus diesem „Bischof“ geworden ist, was
soviel wie Kirchenfürst bedeutet, so aus jenem „Dekan“, der Titel
eines anderen geistlichen Würdenträgers. Die Auffassung des Apostels von
der Aufgabe eines „Diakons“ ist wesentlich von dem verschieden, was später
von einem Dekan erwartet wurde. Sehen wir uns einige einschlägige Stellen
an. In 2. Kor. 6:4 nennt Paulus sich selbst und Timotheus „Diakone (d.h.
Diener) Gottes“, in 2. Kor. 3:6 „Diakone (d.h. Diener) des Neuen
Bundes“. Wenn das von Paulus und Timotheus gilt, so dürfen wir
annehmen, dass alle wahrhaften Ältesten in der Herauswahl solchermaßen
Diener waren - Diener Gottes, der Wahrheit und der Herauswahl; sonst wären
sie kaum als Älteste anerkannt worden.
Wir möchten indes keineswegs den
Anschein erwecken, als hielten wir dafür, es habe in der Urkirche keinen
Unterschied hinsichtlich des Dienstes gegeben. Ganz und gar nicht. Aber
das ist uns wichtig zu zeigen, dass selbst die Apostel und Propheten, die
Älteste der Versammlung waren, sämtlich deren Diener waren, wie unser
Herr es zuvor erklärt: „Der Größte aber unter euch soll euer Diener
sein.“ (Matth. 23:11) Der Charakter und die Treue eines Diakons sollten
den Maßstab dafür abgeben, wie hoch ein jeder in den Versammlungen der
Neuen Schöpfung geachtet werden sollte.
Da es nun in den Versammlungen Diener
gab, die nicht durch besondere Gaben gekennzeichnet waren, sich wegen
Mangel an Lehrfähigkeit oder Erfahrung nicht dazu eigneten, von den
Versammlungen als Älteste erwählt zu werden, so fanden sie so
Verwendung, dass die Apostel und Propheten (Lehrer) solche zuzeiten als
Diener (Gehilfen) heranzogen; so Paulus und Barnabas den Johannes Markus,
Paulus und Silas den Lukas usw. Diese Diener betrachteten sich nicht als
den Aposteln und anderen Ältesten mit größeren Gaben und Erfahrung
ebenbürtig, sondern freuten sich nur des Vorrechtes, Gehilfen derer sein
zu dürfen, deren Fähigkeit zu Dienern Gottes und der Wahrheit sie
freudig anerkannten. Die Wahl dieser Gehilfen durch die Apostel wurde
ebenso wenig von der Versammlung bestätigt, als die Wahl der Ältesten
durch die Versammlungen von den Aposteln bestätigt wurde. Auch wurde
niemand zu solchem Dienst gezwungen, vielmehr wurde er durchaus freiwillig
übernommen. Wir dürfen sicherlich annehmen, dass Johannes Markus und
Lukas urteilten, sie würden in dieser Stellung dem Herrn besser dienen können
als in irgendeiner anderen ihnen zugänglichen; sie nahmen daher diese
Dienststellungen sicher ganz aus freiem Willen und ohne den geringsten
Zwang an. Es hätte ihnen ebenso gut freigestanden, diesen Dienst
abzulehnen, falls sie geurteilt hätten, dass sie ihre Gaben in anderer
Weise noch ausgiebiger verwenden könnten.
Neben diesen Gehilfen gab es nun in der
ersten Kirche eine Klasse von Brüdern, die der Versammlung als Diener nützlich
und dementsprechend geehrt waren, sich aber nicht als Älteste eigneten.
Zu dem speziellen Dienst, der ihnen übertragen wurde, waren sie nur wahlfähig,
wenn sie sich über guten Charakter, Festhalten an der Wahrheit und Eifer
im Dienst des Herrn und seiner Herde ausgewiesen hatten. So übernahmen
z.B. die Apostel zuerst selbst die Verteilung der Lebensmittel usw. unter
die Armen der ersten Versammlung in Jerusalem; als aber ein Murren
entstand und die Anklage erhoben wurde, dass einige bei der Verteilung zu
kurz kämen, beriefen die Apostel die Versammlung und forderten sie auf, für
diesen Dienst geeignete Männer auszuerwählen, damit sie selbst (die
Apostel) ihre Zeit, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in den Dienst des
Wortes stellen könnten. - Apg. 6:2-5
Unter den sieben so erwählten Männern
befand sich Stephanus, der der erste Blutzeuge wurde und die Ehre hatte,
der erste zu sein, der bis in den Tod in des Meisters Fußspuren wandeln
durfte. Die Wahl des Stephanus zum Diener hinderte ihn keineswegs, das
Wort zu predigen, wo immer sich Gelegenheit dazu bot. Da sehen wir
wiederum, welch vollständige Freiheit in der Urkirche herrschte. Die
ganze Versammlung mochte irgendein Glied, indem sie Gaben wahrzunehmen
glaubte, bitten, ihr dementsprechende Dienste zu leisten; aber weder diese
Bitte noch der Dienst seitens des Gebetenen bedeuteten eine Fessel, einen
Zwang; jeder blieb frei, seine Gaben auf andere Weise zu verwenden, wenn
sich dazu Gelegenheit bot. Der Diener Stephanus z.B., wiewohl treu in der
Bedienung der Tische, in der Besorgung der Geldgeschäfte der Gesamtheit,
fand nebenbei Gelegenheit, seinen Eifer und seine Gaben durch Verkündigung
der guten Botschaft in mehr öffentlicher Weise zu verwenden. Seine
Laufbahn zeigt, dass der Herr ihn als einen Ältesten anerkannte, bevor
die Brüder seine Befähigung dazu bemerkt hatten. Hätte er länger
gelebt, so hätten zweifellos die Brüder seine Fähigkeit zum Ältesten
und zum Ausleger der Wahrheit ebenfalls bemerkt und ihn ebenfalls
anerkannt.
Wir wollen hier recht eindrücklich
machen, dass jeder einzelne volle Freiheit hat, seine Gaben nach seiner
Befähigung als Evangelist, als Verkünder der guten Botschaft, zu
verwenden, sei er nun von der Versammlung der Neuen Schöpfung berufen
worden oder nicht. (In der Herauswahl zu lehren, dazu hätte Stephanus
freilich des Auftrags der Versammlung bedurft). Diese absolute Freiheit
des Gewissens und der Fähigkeit des Einzelnen, das Fehlen jeder Behörde,
die zu verbieten berufen gewesen wäre, ist eines der Merkmale der
Urkirche, das im Denken und Handeln nachzuahmen wir wohltun würden. Wie
die Herauswahl der Ältesten bedarf, die fähig sind zu lehren, und der
Evangelisten, die sich zur Verbreitung der guten Botschaft unter denen
eignen, die noch draußen sind, so bedarf sie auch der Diener, die ihr in
anderer Weise dienen (als Verwalter des Geldes usw.). Auch diese sind
Diener Gottes; es ist ein Dienst an der Versammlung, und sie haben
Anspruch auf die Hochachtung der Glieder; die Ältesten sind ebenfalls
Diener, wenn auch ihr Dienst höherer Ordnung ist; es ist ein Dienst in
Wort und Lehre.
Lehrer
in der Versammlung
Wie wir eben gesehen haben, ist die Befähigung
zum Lehren ein Erfordernis zur Bekleidung einer Ältestenstellung in der
Versammlung. Wir könnten viele Stellen anführen, die zeigen, dass der
Apostel Paulus sich nicht nur zu den Aposteln, Ältesten und Dienern,
sondern auch zu den Lehrern rechnet, „nicht in Worten, gelehrt durch
menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist.“ (1.
Kor. 2:13) Er war nicht Sprach- oder Mathematiklehrer, nicht Professor der
Astronomie oder sonst einer Wissenschaft, ausgenommen jene große
Wissenschaft, die die Verkündigung der guten Botschaft zum Gegenstand
hat. Das ist die Bedeutung der oben angeführten Worte des Apostels, und
des Herrn Volk tut wohl, sich dies stets gegenwärtig zu halten. Nicht nur
die da lehren und die da predigen, auch die da zuhören, müssen aufs
genaueste darauf achten, dass es nicht Menschenweisheit, sondern göttliche
Weisheit sei, die verkündigt werde. So ermahnt Paulus den Timotheus:
„Predige das Wort“ (2. Tim. 4:2); „dieses gebiete und lehre“ (1.
Tim. 4:11); „dieses lehre und ermahne.“ (1. Tim. 6:2) Den Gedanken
weiter verfolgend, zeigt der Apostel, dass jedes Glied der Versammlung,
nicht die Ältesten allein, darauf acht geben sollten, dass Irrlehrer,
Lehrer menschlicher Weisheit, „fälschlich sogenannter Wissenschaft“
nicht als Lehrer in der Herauswahl anerkannt werden. „Wenn jemand anders
lehrt“ usw. (1. Tim. 6:3-5; Gal. 1:8), so ziehet euch von solchen zurück,
leiht eure Unterstützung nicht einem anderen Evangelium als dem, das ihr
empfangen habt, das euch überliefert worden ist von denen, welche euch
das Evangelium verkündet haben mit dem Heiligen Geist, der vom Himmel
herabgesandt ist.
Es gibt nun solche, die wohl imstande
sind, andere zu lehren, ihnen den Plan Gottes im Privatgespräch
klarzumachen, aber nicht die Fähigkeit besitzen, als „Propheten“ öffentlich
zu reden. Wer befähigt ist, für den Herrn und seine Sache zu reden, soll
nicht entmutig, sondern vielmehr ermutigt werden, alle und jede
Gelegenheit zu benutzen, solchen, die ein Ohr haben zu hören, zu dienen,
das Lob unseres Herrn und Königs zu verkündigen. Wir müssen aber
zwischen „lehren“ und „predigen“ unterscheiden. (Apg. 15:35)
Letzteres geschieht öffentlich; jenes ist meist im kleinen Kreis
wirksamer - in einem Beröerstudium oder im Privatgespräch. Die
geschicktesten öffentlichen Redner oder „Propheten“ haben
gelegentlich bemerkt, dass ihr öffentliches Werk am besten gedeiht, wenn
es durch weniger öffentliche Besprechungen unterstützt wird, durch das
Ausbreiten der Tiefen Gottes vor einer kleineren Versammlung. (Anmerkung:
Aus diesem Grund befürworten wir, dass bei Pilgrimbesuchen nur eine oder
zwei Versammlungen dem ”Prophezeien” oder öffentlichen Predigen
gewidmet werden, während die übrige Zeit im kleineren Kreis mit Lehren,
Hausversammlungen der tiefer Interessierten, oder, wenn das unmöglich
sei, mit privatem Besuch und Lehren ausgefüllt werden soll).
Die Befähigung zum Evangelisten, die Fähigkeit,
Herz und Gemüt der Menschen zu bewegen, welche die Wahrheit suchen, ist
eine besondere Gabe, die heutzutage ebenso wenig wie in der ersten Kirche
alle besitzen. Außerdem haben die veränderten Verhältnisse auf die Art
und Weise, wie heute die Evangelisation vor sich gehen kann, mehr oder
weniger Einfluss ausgeübt. Die allgemeine Verbreitung der Lesekunst ermöglicht
es, durch Drucksachen das Evangelium zu predigen. In der Verbreitung von
Schriften sind heutzutage viele beschäftigt; die einen, indem sie
Traktate oder Wachttürme versenden, die anderen, indem sie Schriftstudien
von Haus zu Haus zum Kauf anbieten. Dagegen, dass diese Evangelisten nach
modernen Methoden arbeiten, kann ebenso wenig eingewendet werden als
dagegen, dass sie nicht zu Fuß oder auf Kamelen, sondern per Bahn das
Land durchqueren. Das Wesentliche an der Evangelisation ist die Verkündigung
der Wahrheit, des göttlichen Planes der Zeitalter, der „Botschaft von
der großen Freude für alles Volk.“ Soweit wir urteilen können, ist
kein Evangelisationswerk wirksamer als die Verbreitung von Drucksachen.
Und dabei gibt es noch manche, die die Fähigkeit besäßen, in diese
Arbeit einzutreten, die es aber noch nicht getan haben - Arbeiter, die
noch nicht in den Weinberg gegangen sind, um deretwillen wir beständig
beten, der Herr möchte doch Arbeiter in seine Ernte senden, den
Unentschlossenen zeigen, welche Vorrechte und welch einen großen Lohn die
Teilnahme an der Verbreitung der guten Botschaft einbringen kann.
Nachdem Philipper, der Evangelist,
alles für Samaria getan hatte, was in seinen Kräften stand, wurden
Petrus und Johannes hingesandt. (Apg. 8:14) So machen auch unsere
Mitarbeiter erst alle unter ihren Zuhörern aufmerksam, die da reinen
Herzens sind, und hiernach legen sie ihnen „Schriftstudien“ und
„Wachtturm“ mit dem Hinweise vor, dass dies Lehrer seien, auf die sie
hören dürfen, und aus denen sie noch mehr über die Wege des Herrn
erfahren könnten. Wie Petrus und Paulus, Jakobus und Johannes als des
Herrn Boten und Vertreter an den Haushalt des Glaubens Briefe richteten
und so seine Herde hüteten und ermutigten, so besucht heutzutage der
„Wachtturm“ seine Freunde, jeden Einzelnen oder in der Versammlung, in
regelmäßigen Zeitabschnitten, um sie im Glauben zu befestigen und ihren
Charakter gemäss der vom Herrn und seinen Aposteln niedergelegten
Richtlinien auszubilden.
Viele
sollten fähig sein zu lehren
„Der Zeit nach (da ihr die Wahrheit
kennt), solltet ihr Lehrer sein; aber (infolge eures Mangels an Eifer für
den Herrn und infolge Eindringen des Geistes dieser Welt) bedürfet ihr
wiederum, dass man euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche
Gottes sind“ - schreibt Paulus. (Hebr. 5:12) Dies setzt voraus, dass
nach des Apostels Meinung die ganze Herauswahl, die ganze Priesterschaft,
alle Glieder der Neuen Schöpfung, wenigstens in allgemeiner Weise, in
ihres Vaters Wort so bewandert sein sollten, dass sie „jederzeit bereit
wären zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von ihnen fordert
über die Hoffnung, die in ihnen ist, aber mit Sanftmut und
(Ehr)furcht“. (1. Petr. 3:15) Daraus ersehen wir wiederum, dass nach der
Schrift das Lehren nicht ausschließlich Recht eines „geistlichen
Standes“ ist, dass vielmehr ein jedes Glied der Neuen Schöpfung ein
Glied der königlichen Priesterschaft ist, „gesalbt (mit Heiligem Geist)
zu predigen“, mithin voll berechtigt ist, die gute Botschaft denen zu
verkündigen, die ein Ohr haben zu hören; und zwar ein jedes Glied,
soweit es imstande ist, es in einer verständlichen und wahrhaften Weise
zu tun. Wie haben wir nun angesichts dieses allgemeinen Grundsatzes die
Ermahnung des Jakobus zu verstehen:
„Seid
nicht viele Lehrer, meine Brüder“?
(Jakobus
3:1)
Jakobus gibt die Antwort darauf selbst:
„Da ihr wisset, dass wir eine schwereres Gericht empfangen werden“ -
d.h. wissend, dass, je wichtiger unsere Aufgaben im Schosse der Herauswahl
sind, um so schwerer unsere Verantwortung, um so gefährlicher unsere
Versuchungen sind. Der Apostel ermahnt nicht, dass niemand Lehrer werden
sollte, sondern er möchte nur, dass ein jeder, der von sich hält, dass
er einige Befähigung zum Belehren der anderen habe, dessen eingedenk sei,
dass es ein verantwortungsvolles Unterfangen ist, in mehr oder weniger
hervorragender Weise ein Mundstück Gottes zu sein, dass ein jeder Lehrer
dessen gewiss sein sollte, dass er auch nicht ein Wort äußere, das den
Charakter und den Plan Gottes verkehrt darstellen, Gott verunehren und
denen schaden würde, die es hören mögen.
Es wäre für die Herauswahl sehr
vorteilhaft, wenn alle diesem Rat folgten, ihn als aus Weisheit von oben
gegeben anerkennen würden. Vielleicht würde dann bedeutend weniger oft
gelehrt, als es jetzt geschieht; aber die Wirkung auf Lehrer und Hörer wäre
größer, der Herr und die Wahrheit, sein Wort, würden höher geschätzt
und die Kinder Gottes wären freier von verwirrenden Irrtümern. Demgemäss
ist auch ein Wort unseres Meister zu verstehen, nach dem einige am Reiche
Anteil haben werden, deren Lehre nicht ganz mit dem Plan Gottes übereinstimmte;
dass aber ihre Stellung im Reiche eine weniger hohe sein werde, als wenn
sie darauf geachtet hätten, nichts anderes zu lehren als die Botschaft
(das Wort) Gottes. Wir meinen die Stelle in Matth. 5:19: „Wer irgend nun
eines dieser geringsten Gebote auflöst und also die Menschen lehrt, wird
der Geringste heißen im Reiche der Himmel.“
„Ihr
bedürfet nicht, dass euch jemand belehre“
„Die Salbung, die ihr von ihm
empfangen habt, bleibt in euch, und ihr bedürfet nicht, dass euch jemand
belehre, sondern wie dieselbe Salbung euch über alles belehrt und wahr
ist und keine Lüge ist, und wie sie euch belehrt hat, so werdet ihr in
ihm bleiben. Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisset
alles.“ - 1. Joh. 2:27, 20
Angesichts der vielen Stellen, die die
Auserwählten auffordern zu lernen, zu wachsen in Gnade und Erkenntnis,
einander aufzuerbauen in dem allerheiligsten Glauben, zu erwarten, dass
der Herr Apostel, Propheten, Evangelisten, Lehrer erwecke usw., erscheint
die obige Stelle befremdlich, solange sie nicht richtig verstanden wird.
Sie ist für einige ein Stein des Anstoßes gewesen; doch sind wir dessen
gewiss, dass der Herr es nicht zugelassen hat, dass solche, deren Herzen
sich in richtiger Stellung zu ihm befanden, daran Schaden litten. Der
Grundton der Schrift sowohl als auch die Erfahrungen im Leben reden eine
Sprache, die deutlich genug ist, um einen jeden, der demütig ist, zu überzeugen,
dass entweder in obiger Stelle ein sinnstörender Übersetzungsfehler
vorliegt, oder aber die daraus gezogenen Schlussfolgerungen irrig sind.
Jene, die davon Schaden leiden, sind gewöhnlich selbstbewusste Menschen,
deren hohe Meinung von sich selbst sie veranlasst, zu glauben, sie hätten
ein Recht darauf, vom Herrn anders als die übrigen Glieder der Neuen Schöpfung
behandelt zu werden. Solche Meinung steht aber im schärfsten Widerspruch
zu der Lehre der Schrift, der zufolge der Leib einer ist und viele Glieder
hat, die miteinander verbunden sind in ihm, und dass dargebotene Nahrung
durch einen Teil der Glieder hingeführt werde zu den anderen Gliedern zum
Gedeihen und Erstarken aller. Der Herr wollte in dieser Weise die Glieder
der Herauswahl voneinander abhängig machen, damit keine Spaltung am Leib
(Christi) entstehe. Darum ermahnt er uns auch, durch des Apostels Wort,
dass wir unsere Versammlungen nicht versäumen sollen, da er ein
besonderes Wohlgefallen daran habe, mit der Versammlung, die da ist sein
Leib, zusammenzukommen, wo es auch sei und wenn es auch nur zwei oder drei
seien, die sich in seinem Namen versammeln.
Wenn wir obigen Text genauer
untersuchen, so gewahren wir, dass der Apostel einen in seinen Tagen
herrschenden Irrtum bekämpfen will, einen groben Irrtum, der im Namen der
Lehre und Nachfolge Christi wirksam war und die ganze Offenbarung ungültig
zu machen trachtete. Er erklärt, dass dieser grobe Irrtum nichts mit der
Herauswahl und ihrem Glauben zu tun habe, dass er vielmehr antichristlich,
Christo feindlich sei, obwohl er sich selbst als christliche Lehre
bezeichne; er segle eben unter falscher Flagge. Von den Vertretern dieses
Irrtums sagt er: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von
uns (sie waren nie wahre Christen oder haben aufgehört, es zu sein); denn
wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie wohl bei uns geblieben
sein.“ Ihr Irrtum bestand nach der Meinung des Apostels darin, dass sie
behaupteten, die Weissagungen betreffend einen Messias seien bildlich zu
verstehen und niemals durch die Menschheit zu erfüllen; dies sei eine
vollständige Verneinung der Lehre der Schrift, der zufolge der Sohn
Gottes Fleisch ward, bei seiner Taufe mit dem Heiligen Geist zum Messias
gesalbt wurde und unser Lösegeld beschaffte.
Der Gedanke des Apostels ist, dass, wer
Christ geworden sei, wer den Plan Gottes wenigstens einigermaßen
verstanden habe, darüber im Klaren sein müsse, dass er, wie alle
Menschen, ein Sünder sei und eines Erlösers bedürfe, und dass Jesus,
der Gesalbte (Christus), ihn um den Preis seines Lebens erkauft habe. Der
Apostel erklärt dann weiter, dass solche nicht nötig haben, dass sie
irgend jemand über diese Grundlehren der Wahrheit belehre. Wenn sie nicht
schon wüssten, dass Christus für ihre Sünden gestorben und für ihre
Gerechtmachung auferstanden sei, dass ihre Rechtfertigung, Weihung und
Hoffnung auf zukünftige Herrlichkeit auf dem Verdienst des
stellvertretenden Opfers Christi beruhe, so wären sie überhaupt keine
Christen. Wiewohl es früher, d.h. bevor der Sohn geoffenbart wurde, möglich
gewesen sei, an den Vater zu glauben und ihm zu vertrauen, so leugne
jetzt, wer den Sohn leugne, auch den Vater; und niemand könne den Sohn
Gottes bekennen, ohne zugleich den Vater und dessen Plan zu bekennen, in
dem der Sohn die Hauptperson sei.
So können wir denn heute deutlich
sehen, was der Apostel meinte: nämlich, dass, wer vom Heiligen Geist
gezeugt worden sei, schon zuvor an den Herrn Jesus habe glauben, in ihm
den Eingeborenen vom Vater habe sehen und habe glauben müssen, dass der
Sohn im Fleisch geoffenbart worden, aber heilig, unbefleckt und getrennt
von den Sündern gewesen sei, dass er sich als Lösegeld für uns
hingegeben, dass der Vater dieses Opfer angenommen und den Sohn dadurch
als glorreichen König und Befreier anerkannt habe, und dass er ihn aus
den Toten auferweckte. Ohne diesen Glauben könne niemand den Heiligen
Geist, die Salbung, empfangen; wer also die Salbung schon habe, bedürfe
nicht erst, dass jemand Zeit damit verliere, mit ihm über die Frage zu
reden, ob Jesus der Sohn Gottes, der Erlöser, der Messias, der einzige
Hinausführer der köstlichen Verheißungen der Schrift sei oder nicht.
Wenn die Salbung, die wir empfangen haben, in uns bleibt, werden wir aller
dieser Dinge gewiss sein; „wie dieselbe Salbung euch über alles belehrt
hat, so werdet ihr in ihm bleiben.“ Wer nicht in ihm, am Weinstock,
bleibt, kann dessen gewiss sein, dass er, wie die abgehauene Rebe,
verdorren wird; wer aber in ihm bleibt, kann dessen gewiss sein, dass er
auch in seinem Geist bleiben wird und ihn nicht verleugnen kann.
„Ihr habt die Salbung von dem
Heiligen und wisset es alle.“ (1. Joh. 2:20, Diaglott-Übers.) Das
Vorbild des Heiligen Geistes im jüdischen Zeitalter war das heilige Öl,
das auf das Haupt des Hohenpriesters ausgegossen wurde und von da über
den ganzen Leib hinab rann. So ist auch ein jedes Glied des Leibes Christi
unter der Salbung, unter dem Einfluss des Geistes, und wo der Geist des
Herrn ist, da ist es lieblich und freundlich. Da besteht die Neigung, mit
allen Menschen Frieden zu haben, soweit dies möglich ist, und soweit das
Festhalten an den Grundsätzen göttlicher Gerechtigkeit es gestattet; da
besteht Abneigung gegen Reibereien, Zorn, Bosheit, Hass und Streit; da
besteht dankbares Annehmen der Belehrung durch den Herrn. Solche nörgeln
nicht an seinem Plan und seiner Offenbarung herum, sondern nehmen sie
gerne an und haben auch den Vorteil davon: Salbung, Freundlichkeit,
Frieden, Freude und Heiligkeit der Gesinnung.
Wer in dieser Weise den Geist des Herrn
empfangen und daher Friede, Freude und Einvernehmen mit Gott im Herzen
hat, der weis, dass dies eine Frucht des Verfahrens des Herrn mit ihm ist,
und dass er diese Gaben empfangen hat, seit er an den Herrn Jesum geglaubt
und ihn als seinen Heiland angenommen hat. Diese Salbung ist mithin nicht
nur für jeden einzelnen Gesalbten ein Beweis, sondern in hohem Grade auch
für die anderen, dass er ein Glied am Leib Christi ist, indes der Mangel
an Friede und Freudigkeit, ein Herz voll Bosheit, Hass und Streit, voll
Kritik und Nörgelei ein Beweis dafür ist, dass der Geist des Herrn, die
Salbung, die alle diese Härten aufweicht, fehlt. Gewiss, wir sind nicht
alle gleich, und bei dem einen mag es länger gehen als bei dem anderen,
ehe sich die Milde in den äußerlichen Dingen zeigt: aber gleich zu
Beginn der Schulung durch Christum sollte wenigstens die Milde im Herzen
als ein Zeichen dafür angestrebt werden, dass wir tatsächlich bei dem
Herrn gewesen, von ihm gelernt und seinen Geist empfangen haben, und dann
sollte es auch gar nicht lange dauern, bis sich diese Milde in den Dingen
des täglichen Lebens zeigt.
So sehen wir denn, dass keine Stelle
dem Grundton der Schrift widerspricht, demzufolge Lehrer notwendig sind,
durch die der Wille des Herrn zum Ausdruck gebracht werden muss. Wir
meinen nicht, dass Gott von diesen Lehrern abhängig, und damit keine
Spaltung am Leib sei und jedes Glied lerne, mit den anderen im
Einvernehmen zu leben, den anderen Dienste und Hilfe zu leisten, nicht
imstande wäre, die Glieder der Neuen Schöpfung auf andere Weise zu
belehren und aufzuerbauen.
Wir haben schon gesehen, dass diese
Lehrer nicht als unfehlbar betrachtet werden sollen, sondern dass ihre
Worte auf der Wage und am Maßstab der Worte Gottes, des Herrn, seiner
Apostel und der heiligen Propheten früherer Zeiten geprüft werden
sollten; denn auch die Propheten des Alten Bundes redeten und schrieben,
wie sie vom Heiligen Geist getrieben wurden, zu unserer Ermahnung, auf
welche die Enden des Zeitalters gekommen sind.
Wer
„unterwiesen wird“ und wer „unterweist“
„Wer in dem Worte unterwiesen wird,
teile aber von allerlei Gutem dem mit, der ihn unterweist.“ - Gal. 6:6
Diese Stelle zeigt in Übereinstimmung
mit allen anderen, dass Gott eine gegenseitige Belehrung inmitten seines
Volkes beabsichtigt hat. Selbst der Geringste der Herde soll selber
denken, um so einen eigenen Glauben und eine eigene Sinnesart
herauszubilden. Wie schade, dass dieser so wichtige Punkt unter den
Namenchristen gänzlich außer acht gelassen worden ist. Obige Stelle
unterscheidet freilich Lehrer und Schüler; aber letztere sollen sich frei
fühlen, den Lehrern alles und jedes mitzuteilen, zur Kenntnis zu bringen,
was zu ihrer Kenntnis kam und ein weiteres Licht auf den behandelten
Gegenstand zu werfen geeignet ist, ohne dabei den Anspruch zu erheben,
selbst Lehrer zu sein; vielmehr nur wie ein begabter Schüler, der mit
seinem älteren Bruder, der auch Schüler ist, reden würde. Die Hörer
sollen nicht Maschinen sein, sollen sich nicht scheuen, ihre Gedanken
mitzuteilen; durch das Stellen von Fragen, die die Aufmerksamkeit auf
etwas richten, was ihnen als irrige Auslegung erscheint, sollen sie das
ihrige dazu beitragen, die Herauswahl und ihre Glaubenslehre rein zu
erhalten. In dieser Weise sollen sie Kritiker sein; auch soll sie niemand
davon abzubringen suchen, zu fragen, den Lehrer zu kritisieren und seine
Darlegungen in Frage zu stellen; vielmehr sollen sie hierzu aufgefordert
und ermuntert werden.
Nicht zwar, als ob der Herr gewünscht
hätte, dass wir Splitterrichter seien, oder darauf ausgingen, Fehler der
anderen herauszufinden. Eine solche Gesinnung ist mit dem Heiligen Geist
nicht vereinbar und wäre sehr gefährlich. Denn wer, nur um einen Lehrer
zu verwirren oder Gelegenheit zu einer Debatte zu erhalten, eine Frage
aufwirft, an deren wahrheitsgemäßer Beantwortung ihm gar nicht gelegen
ist, der wird sicherlich Schaden davon haben, und dieses bedeutet auch für
die anderen eine Gefahr. Man muss es mit der Wahrheit ernst nehmen, wenn
man Fortschritte darin machen will; dem, was man für wahr hält, selbst
zu widersprechen und zum Schein oder zum Scherz einen Irrtum zu
verfechten, ist wie eine Beleidigung des Herrn und wird dem Betreffenden
sicherlich eine Vergeltung zuziehen. Ach, wie viele haben sich schon
unterfangen, zu versuchen, wie viel gegen eine Lehre gesagt werden könne,
an deren Richtigkeit sie selber doch glaubten; und wie sind sie dann bei
der Verfolgung dieses Laufes auf Abwege geraten, völlig gefesselt und
verblendet worden! Nächst dem Herrn ist die Wahrheit das Köstlichste auf
der Welt; sie ist kein Spielzeug zum Zeitvertreib, und wer sich in dieser
Beziehung nicht in Acht nimmt, wird Schaden erleiden. ( 2. Thess. 2:10,
11)
Das Wort „mitteilen“ in unserem
Text (Gal. 6:6) ist ein vieldeutiges; es meint nicht nur das Mitteilen von
Gedanken, Meinungen usw., sondern es kann auch bedeuten, dass, wer belehrt
wird und geistige Güter empfängt, bereit sein sollte, in irgendeiner
Weise zum Unterhalt derer beizutragen, die lehren, indem er für den
Herrn, für die Brüder, für die Wahrheit von der Frucht seiner Arbeit
und seiner Fähigkeiten darangibt. Dies ist der Kern der heiligen
Gesinnung der Neuen Schöpfung. Schon zu Beginn seines Wandels als Neue
Schöpfung erfährt ein jeder die Richtigkeit des Wortes unseres
Heilandes: „Geben ist seliger als Nehmen.“ Darum freuen sich alle, die
des Geistes sind, irdische Dinge in den Dienst der Wahrheit zu stellen,
und zwar um so mehr, je mehr geistige Güter sie mit aufrichtigem, geradem
Herzen angenommen haben. Die Frage, wie gegeben werden soll, welche
Weisheit beim Geben walten soll, behalten wir für ein späteres Studium
auf.
Die
Frau in der Versammlung
Dieser Gegenstand könnte in gewisser
Beziehung besser untersucht werden, nachdem wir das Verhältnis zwischen
Mann und Frau nach Gottes Ordnung behandelt haben; aber ein Punkt in
diesem Gegenstand scheint uns hierzu zu gehören, und was später über
den Gegenstand überhaupt gesagt werden wird, wird dazu dienen, zu bestätigen,
was wir hier sagen möchten.
Nichts ist klarer, als dass der Herr
bei der Auserwählung der Neuen Schöpfung keinen Unterschied zwischen den
Geschlechtern macht. Männer und Frauen werden in den einen Leib getauft,
dessen Haupt Jesus ist. Beide sind somit gleicherweise zu einem Anteil an
der ersten Auferstehung, Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit, zu der
sie führt, „so wir anders mitleiden, damit wir auch mit ihm herrschen können“,
auserwählbar. Von Frauen sprechen der Herr und die Apostel mit ebenso großer
und warmer Anerkennung als von Männern. Daher müssen die Einschränkungen,
die der Frau hinsichtlich der Art und des Bereiches, in denen sie dem
Evangelium dienen kann, sich nur auf die gegenwärtige Zeit, auf das Leben
im Fleisch, beziehen, und es muss für sie eine Erklärung gefunden
werden. Denn eine Bevorzugung der Männer von Seiten Gottes ist sicher
nicht beabsichtigt. Wir werden zu zeigen versuchen, dass die Unterschiede,
die hinsichtlich des Geschlechtes gemacht werden, die Bedeutung von
Vorbildern haben, indem der Mann Christum Jesum, das Haupt der
Versammlung, darstellt, das Weib aber die Herauswahl, die Braut, unter dem
von Gott eingesetzten Haupt.
Der Evangeliumsbericht zeigt deutlich,
dass unser Herr seine Mutter, Maria, Martha und andere ehrbare Frauen, die
ihm mit ihrer Habe dienten, liebte; es steht übrigens in Joh. 11:5 ausdrücklich
geschrieben. Dennoch überging er sie bei der Auserwählung der zwölf
Apostel und der späteren Siebenzig. Wir können nicht annehmen, dass dies
ein Versehen war, so wenig wie es in den 16 Jahrhunderten des levitischen
Vorbildes ein Versehen war, dass die Frauen aus dem Stamm Levi an den öffentlichen
Diensten der Leviten keinen Anteil hatten. Noch können wir den Gegenstand
durch die Annahme erklären, dass es den Frauen an der nötigen Bildung
gefehlt hätte, um dem Herrn zu dienen, denn von den erwählten Männern
heißt es, dass man ihnen gleich angesehen hätte, dass sie ungelehrte
Leute waren. Wir müssen also schließen, dass es Gottes Absicht war, nur
Männer zu öffentlichem Dienst am Evangelium, zur Verkündigung der guten
Botschaft, zu verwenden. Und hier bemerke man, dass die göttliche
Einrichtung das Gegenstück der Methode des großen Widersachers ist, der
zwar seine Werkzeuge nimmt, wo er sie findet, aber eine Vorliebe für
Frauen hat. Schon das erste Weib war Satans erstes Werkzeug, durch das er
den ersten Menschen zu Fall brachte. Die Hexen der Vergangenheit, die
Medien der Spiritisten und Scientisten sind weitere Beispiele dafür, dass
Satans Propaganda sich mit der gleichen Vorliebe der Frau bedient, wie
Gott des Mannes. Das Weibliche wird vom natürlichen Menschen überhaupt
auf religiösem Gebiet höher geschätzt, wie dies aus der Verbreitung des
Kultus der „Göttinnen“ Isis, Astarte, Diana, Venus usw., wie auch des
Marienkultus, dem heutzutage noch zwei Drittel der sogenannten
Christenheit huldigen, erhellt. Dem steht der deutlich hervortretende Zug
im Plan Gottes schroff gegenüber, dass Männer als Mundstücke und
Vertreter des Herrn in der Versammlung gesetzt worden sind.
Abgesehen von der vorbildlichen
Bedeutung der Frau gibt das Wort Gottes für den Unterschied, der in
dieser Weise zwischen den beiden Geschlechtern gemacht wird, keinen Grund
an. Unsere Vermutungen in dieser Beziehung können daher ebenso unrichtig
wie richtig sein; dennoch wollen wir sie hier äußern. Unseres Erachtens
machen nämlich gerade jene Eigenschaften des Geistes und Gemütes, die
sich in den edelsten Frauen vereinigt finden, die Frau für öffentlichen
Dienst in der Versammlung untüchtig. Z.B. ist jede Frau von Natur, glücklicherweise,
von dem Wunsch erfüllt zu gefallen, gebilligt und gepriesen zu werden.
Diese Eigenschaft ist ein großer Segen für jedes Heim und macht dieses
soviel wohnlicher als eine Junggesellen- oder Altjungfernwohnung. Das
wahre Weib ist in seinem Bemühen, die Familie glücklich zu machen,
selbst glücklich, und freut sich, wenn diese ihre Befriedigung über das
bereitete Mahl usw. äußert; niemals sollte ihr diese kleine Lobpreisung
verweigert werden; man ist sie ihr schuldig, und sie hungert danach, und
sie bedarf ihrer, um gesund zu bleiben und Fortschritte zu machen.
Wenn jedoch eine Frau aus ihrem
naturgemäßen Wirkungskreis heraustritt, der schon so groß und wichtig
ist, dass der Dichter sagt:
„Die
Hand, die die Wiege schaukelt,
Regieret
auch die Welt“,
wenn
sie mit Vorträgen oder Schriftstellerei in die Öffentlichkeit tritt,
dann befindet sie sich in einer für sie sehr gefährlichen Stellung. Denn
einige ihrer Eigenschaften (deren eine wir eben angeführt), die sie zum
echten Weib und sie selbst allen echten Männern wohlannehmlich machen,
werden ihr unter den ihrer Natur nicht angemessenen Verhältnissen die
Weiblichkeit rauben und sie „männlich“ machen. Die Natur hat jedem
Geschlecht das seinige zugemessen, nicht nur in der äußeren Erscheinung,
der Haartracht usw., sondern auch in der Eigenschaft des Geistes und des
Gemütes, und es ist so eingerichtet, dass eines das andere ergänzt,
eines am anderen Gefallen findet. Die Gesetze der Natur zu übersehen oder
zu durchkreuzen, führt schließlich zu Schaden, wenn es auch anfangs gar
nicht danach aussieht.
Das Bedürfnis, gebilligt zu werden,
das die Natur dem Weib in so hohem Grade verliehen, und das ihm in seiner
Aufgabe, die Familie glücklich zu machen, so nützlich ist, ist ein
Fallstrick, sobald die Frau öffentlich wirkt; denn in der Öffentlichkeit
sucht sie dann ebenfalls zu gefallen, sei es der Versammlung oder der
Welt. Der Wunsch, weiser und geschickter als andere zu erscheinen oder größere
Weisheit und Geschicklichkeit möglichst ins Licht zu rücken, ist eine
Gefahr, die immer mit dem öffentlichen Auftreten verbunden ist; dieser
Gefahr sind schon viele Männer erlegen, die sich in diesem Bestreben
aufblähten und in die Fallen gerieten, die ihnen der Widersacher legte.
Viel gefährlicher ist es für die Frau, deren echte Weiblichkeit sie
gerade der Gefallsucht anheimfallen lässt, so dass sie strauchelt und
andere straucheln macht. Aus ihren eigenen Bahnen heraus und in fremde
Bahnen geworfen, wird sie vom Widersacher eine unechte Salbung erhalten,
deren trügerischer Schein andere von den Wegen des Herrn ablenken kann.
Darum ist die Warnung des Apostels: „Seid nicht viele Lehrer, meine Brüder,
da ihr wisset, dass wir in schwereres Urteil empfangen werden“ (Jak.
3:1) - für die Schwestern noch viel wichtiger. Ja, für sie ist dies so
gefährlich, dass überhaupt keine Frau als Lehrer bestellt wurde, wie
geschrieben steht: „Ich erlaube aber einem Weibe nicht, zu lehren, noch
über den Mann zu herrschen, sondern stille zu sein; ein Weib lerne in der
Stille in aller Unterwürfigkeit.“ - 1. Tim. 2:12, 11
Dies kann jedoch nicht so verstanden
werden, als hätten die Schwestern der Neuen Schöpfung nie Gelegenheit,
durch Verkündigung des Evangeliums eines Segens teilhaftig zu werden. Der
Apostel erwähnt im Gegenteil voller Anerkennung mehrere Frauen als
Mitarbeiter, die ihn im Dienst unterstützt hatten, z.B. Aquila und
Priscilla. (Röm. 16:3) Dies bedeutet mehr, als dass sie ihn in ihr Haus
aufnahmen und für seinen Unterhalt sorgten: es bedeutet, dass sie mit ihm
arbeiteten, nicht nur im Teppichwirken, sondern bei seinem Hauptberuf als
Diener der guten Botschaft. Den gleichen Ausdruck braucht der Apostel später
(Vers 9) von Urbanus; und dass im dritten Verse Priscilla vor Aquila erwähnt
wird, gestattet den Schluss, dass sie eifriger als ihr Gatte mitarbeitete.
In Vers 12 werden ferner Tryphöna und Tryphosa anerkennend erwähnt,
sowie Persis, und in anderer Hinsicht (Vers 6) eine Maria.
Jede Schlussfolgerung aus den Worten
des Apostels, wonach den Schwestern eine Gelegenheit, für den Herrn zu
arbeiten, genommen wäre, würde mithin irrig sein. Nur in der Versammlung
der Herauswahl (ob es zwei oder drei oder mehr seien) zum Zweck der
Lobpreisung, des Gebetes und der gegenseitigen Auferbauung sollten die
Schwestern einen untergeordneten Platz einnehmen und nicht versuchen,
Leiter oder Lehrer zu sein. Dies würde einen Versuch bedeuten, über den
Mann zu herrschen, den der Herr von Natur und durch Vorschrift für die
Stellen bestimmt hat, die eine Verantwortlichkeit in sich schließen.
Gewiss hatte der Herr hierfür gute Gründe, ob wir nun damit
einverstanden sein können oder nicht.
Des Apostels Einschränkungen beziehen
sich sicherlich auf Versammlungen, wie die in 1. Korinther 14
beschriebenen. An diesen Versammlungen nahmen die Schwestern teil, und sie
hatten gewiss viel Segen davon. Sie stimmten in die Lieder, Lobgesänge
und geistlichen Lieder ein und beteten mit.
Der Apostel wollte nur betonen, dass in
diesen Versammlungen eine gewisse Ordnung herrschen müsse, damit alle um
so mehr Nutzen davon hätten. Er empfiehlt, dass nicht mehr als ein Redner
auf einmal weissagen, und dass alle anderen Acht geben sollen; dass nicht
mehr als zwei oder drei Redner in der gleichen Versammlung auftreten,
damit nicht zuviel untereinander vermischte Gedanken vorgebracht werden,
und dass, wer die Gabe des Sprachenredens habe, schweigen solle, es sei
denn jemand anwesend, der auslegen könne.
In solchen Versammlungen sollten Frauen
überhaupt nicht reden, sondern vor oder nach der Versammlung oder zu
Hause sollten sie ihre eigenen Männer (Gatten, Brüder oder Söhne)
fragen, und was sie zu sagen hätten, sollten sie diesen oder ihnen sonst
näher bekannten Brüdern auf dem Nachhauseweg oder sonst wie mitteilen.
Das für „zu Hause“ stehende griechische Wort bedeutet „im
Bekanntenkreis“. Dort mag die Frau ihre Fragen stellen oder ihre
Gedanken vorbringen. Der Apostel sagt ausdrücklich: „Es ist ihnen nicht
erlaubt zu reden, sondern unterworfen zu sein, wie auch das Gesetz
sagt.“ - 1. Kor. 14:34
Offenbar gab es in der Versammlung zu
Korinth „Frauenrechtlerinnen“, die sich auf den Standpunkt stellten,
in der Versammlung seien die Rechte beider Geschlechter gleich. Der
Apostel begnügt sich nicht damit, dies zu verneinen, sondern er tadelt es
an den Korinthern, dass sie es wagten, Neuerungen einzuführen, die
anderen vom Volk Gottes unberechtigt erschienen. „Oder ist das Wort
Gottes von euch ausgegangen? oder ist es zu euch allein gelangt? Wenn
jemand sich dünkt, ein Prophet zu sein oder geistlich, so erkenne er, was
ich euch schreibe, dass es ein Gebot des Herrn ist“ (1. Kor. 14:36, 37),
nicht meine persönliche Meinung oder Eigenheit. So sollen denn auch wir
nicht, ebenso wenig wie die Korinther, nach unserem eigenen Belieben
handeln, sondern des Apostels Vorschriften als Gottes Gebote annehmen. Und
wenn jemand des Apostels Leitung in diesem Punkt verwirft, dann möge er
der Konsequenz wegen gleich das Apostelamt des Paulus bestreiten.
Es ist angebracht, die Aufmerksamkeit
hier auf die Worte des Apostels zu lenken, die er in Bezug auf die Gaben
des Herrn an die Herauswahl seit Pfingsten spricht. Der Apostel sagt hierüber:
„Er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und
andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung
der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes
Christi.“ (Eph. 4:11, 12) Da das Griechische das Geschlecht durch den
Artikel unterscheidet und hier, ausgenommen vor dem Worte „Lehrer“
(vielleicht gleichbedeutend mit „Gehilfe“, siehe auch in 1. Kor.
12:28), der männliche Artikel steht, so wird klar, dass uns der Heilige
Geist durch das geschriebene Wort eine sichere Anleitung hinsichtlich der
Frage der Stellung der Frau geben wollte. Möglich auch, dass das Fehlen
des Artikels vor dem Wort „Lehrer“ nur andeuten sollte, dass Gott die
Apostel, Propheten, Evangelisten und Hirten als Lehrer gegeben habe.
Lasst uns hier aber beifügen, dass es
nicht als Lehren bezeichnet werden kann, wenn eine Schwester die
Aufmerksamkeit der Versammlung auf Worte des Herrn oder der Apostel
richtet, die die in Behandlung befindliche Frage beleuchten; wenn sie
dabei nicht ihre eigene Meinung vorträgt, ist das kein Herrschen über
den Mann, sondern eine Berufung auf anerkannte Lehrer. So wäre es auch
keine Belehrung durch die Frau, wenn sie die Schriftstudien anderen
vorlesen würde, vielmehr wäre dies eine Belehrung durch deren Verfasser.
Daraus geht hervor, dass der Herr seine Herde hütet und bewahrt und
gleichzeitig reichlich für ihre Bedürfnisse sorgt. Alle können dem
Gebot Gottes gehorchen, aber begreifen werden es nur die, die sich dessen
bewusst sind, dass in der Bildersprache der Bibel das Weib die Herauswahl
und der Mann den Herrn, das Haupt oder den Meister der Herauswahl,
vorschattet. (Eph. 5:23; 1. Kor. 11:3) Wie sich die Herauswahl nicht anmaßen
soll, den Herrn zu belehren, so soll sich auch die Frau nicht zum
Beherrscher des Mannes aufwerfen. Angesichts der angeführten symbolischen
Bedeutung kann sich kein Weib zurückgesetzt fühlen und kein Mann sich
wegen dieser Anordnung der Schrift aufblähen; vielmehr wird ein jedes
dessen eingedenk sein, dass der Herr der einzige Lehrer ist, und dass die
Brüder nicht ihre eigene Weisheit hervorzubringen suchen, sondern nur den
Geschwistern das vorlegen sollen, was ihr Haupt als Wahrheit bezeichnet
hat. Lasst uns 1. Tim. 2:11, 12 auf unser Verhältnis zum Haupt anwenden
und deshalb lesen: „Eine Versammlung lerne in der Stille, in aller
Unterwürfigkeit. Ich erlaube aber einer Versammlung nicht zu lehren, noch
über Christum zu herrschen, sondern stille zu sein.“
„Lass
sie sich bedecken“
Wir
haben schon in der „Stiftshütte“ gezeigt, dass der Hohepriester, der
Christum, den Hohenpriester unseres Bekenntnisses, vorschattete, allein
unbedeckten Hauptes blieb, wenn er im Ornate seines Amtes waltete, indes
die Unterpriester, die die Herauswahl, die königliche Priesterschaft
vorschatteten, eine Kopfbedeckung trugen. Dieses Vorbild ist in voller
Harmonie mit dem, was wir eben gesehen haben; denn in den Versammlungen
der Herauswahl schatten die Brüder den gegenbildlichen Hohenpriester vor,
die Schwestern aber die Herauswahl. Deshalb sollen letztere zum Zeichen
der Unterwerfung der Herauswahl unter ihr Haupt Christus eine
Kopfbedeckung tragen. Die Einzelheiten finden wir in 1. Kor. 11:4-7, 10-15
Der Annahme, dass der Apostel unter
dieser Bedeckung das lange Haar verstehe, widerspricht Vers 5, wo ausdrücklich
verlangt wird, dass sich die Frau außer mit dem langen Haar auch sonst
wie das Haupt bedecken soll. Diese Kopfbedeckung wird in Vers 10 als ein
Zeichen der Unterwerfung unter den Mann bezeichnet, was die Unterwerfung
der ganzen Herauswahl unter das Gesetz des Christus vorschattet.
Vers 5 scheint auf den ersten Blick im
Widerspruch zu der Forderung zu stehen, dass das Weib in den Versammlungen
schweigen soll. Wir denken, dass es so zu verstehen ist, dass in
allgemeinen Versammlungen das Weib wegen des öffentlichen Charakters
dieser Versammlungen nicht auftreten solle, dass aber der Apostel nichts
dagegen einzuwenden habe, wenn Frauen bedeckten Hauptes in
Hausversammlungen für gemeinsames Gebet und Zeugnisablegen, nicht aber
zum Lehren, das Wort ergreifen.
Doch beachte man, dass der Apostel die
Forderung der vorbildlichen Bedeckung der Frau in der Versammlung nicht
als ein göttliches Gebot aufstellt, sondern es nur dringend empfiehlt. Im
Gegenteil, er fügt hinzu (1. Kor. 11:16): „Wenn es aber jemanden gutdünkt,
streitsüchtig zu sein (das eben Gesagte zu bestreiten), so haben wir
solche Gewohnheit (Sitte, bestimmtes Gesetz in der Herauswahl) nicht, noch
die Versammlungen Gottes.“ Es sollte nicht als wesentlicher Punkt
betrachtet werden, obwohl alle, welche des Herrn Willen zu tun suchen,
auch in diesem Stück alle Sorgfalt anwenden würden, sobald sie dessen
symbolische Bedeutung erkannt haben. Die Worte „um der Engel willen“
(1. Kor. 11:10) scheinen sich auf die erwählten Ältesten in der
Herauswahl zu beziehen, welche in besonderer Weise den Herrn, das Haupt
der Herauswahl, vorschatten. - Offb. 2:1
Das Gesagte noch einmal
zusammenfassend, raten wir, den inspirierten Worten des Apostels in Bezug
auf die Freiheit der Schwestern in den Angelegenheiten der Herauswahl eine
möglichst weite Erklärung zu geben. Unsere Ansicht darüber würde
folgendermaßen sein:
1. Die Schwestern haben hinsichtlich
der Erwählung der Diener der Herauswahl, der Ältesten und Diakone,
dieselbe Freiheit wie die Brüder.
2.
Die Schwestern können in der Herauswahl nicht als Älteste oder Lehrer
dienen, weil der Apostel sagt: „Ich erlaube aber einem Weibe nicht zu
lehren.“ (1. Tim. 2:12) Dies sollte jedoch nicht so verstanden werden,
als ob es die Schwestern daran hinderte, sich an Versammlungen, die den
Charakter des Lehrens und Predigens tragen, zu beteiligen, ebenso wie an
Gebets- und Zeugnisversammlungen, Beröer-Bibelstudien usw., obgleich der
Apostel sagt, dass, wenn sie betet oder weissagt (spricht), sie ihr Haupt
bedecken sollte, was ihre Erkenntnis der Tatsache vorschattet, dass der
Herr, der große Lehrer, besonders durch die Brüder vorgeschattet wird.
(1. Kor. 11:5, 7, 10) Solche Teilnahme braucht nicht als Lehren aufgefasst
zu werden; auch nicht alle Brüder sind Lehrer, wie der Apostel sagt:
„Sind etwa alle Lehrer?“ Nein, die Lehrer und Ältesten werden
besonders gewählt, allerdings nur aus der Mitte der Brüder. - Eph. 4:11;
2. Tim. 2:24; 1. Kor. 12:28, 29